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Intelligente Sensoren verbessern die Ergonomie in der Arbeitswelt

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Niklas Grambow, Jan Kuschan

doi:10.17147/asu-1-411956

Intelligent sensors improve ergonomics in the working environment

Demographic change presents new challenges for the industry. A growing proportion of older employees necessitates greater attention to ergonomic aspects and health risks in the workplace. By leveraging intelligent sensor technology, human actions can be analyzed, ergonomic conditions assessed, and workflows systematically optimized.

Intelligente Sensoren verbessern die Ergonomie in der Arbeitswelt

Der demografische Wandel bedeutet neue Herausforderungen für die Industrie. Der steigende Anteil älterer Beschäftigter erfordert eine stärkere Berücksichtigung ergonomischer Belastungen und gesundheitlicher Risiken am Arbeitsplatz. Mithilfe von intelligenter Sensorik können Bewegungen analysiert, ergonomische Bedingungen bewertet und Arbeitsabläufe gezielt verbessert werden.

Kernaussagen

  • Günstige und weitverbreitete Sensoren ermöglichen die Bewegungserkennung.
  • Zwangshaltungen werden erkannt, ergonomische Bedingungen bewertet und Arbeitsabläufe können gezielt optimiert werden.
  • Künstliche Intelligenz verbessert die Unterscheidung einzelner Tätigkeiten.
  • Die Ergonomiebewertung kann zukünftig in technische Systeme integriert und dadurch ­erheblich zu einer Verbesserung der Ergonomie beitragen.
  • Der demografische Wandel erfordert eine Anpassung der Arbeitsgestaltung an eine alternde Belegschaft. Insbesondere ergonomische Maßnahmen gewinnen an Bedeutung, um tätigkeitsbedingte Belastungen zu reduzieren und die Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter zu erhalten (Amstutz et al. 2018). Die ErgoJack Sensorweste (s. Online-Quellen), die am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) entwickelt wurde, kann Zwangshaltungen erkennen und Ergonomie bewerten. Dadurch können gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Ergonomie validiert und am Arbeitsplatz integriert werden.

    Günstige und weit verbreitete ­Sen­soren zur Bewegungserkennung

    Die Sensorweste wiegt wenige hundert Gramm und besitzt neben einigen Elektronikkomponenten, wie einem Akku und einem Mikrocontroller, mehrere Bewegungssensoren (Inertial Measurement Units, IMU). Moderne mobile Endgeräte wie Smartphones und Smartwatches sind mit einer Vielzahl dieser kostengünstigen Sensoren ausgestattet. Dazu zählen neben Beschleunigungssensoren auch Gyroskope. Während Beschleunigungssensoren lineare Beschleunigungen in drei Raumrichtungen erfassen, dienen Gyroskope zur Messung von Winkelgeschwindigkeiten. Letztere ermöglichen eine präzise Bestimmung der Rotationsbewegung und sind damit essenziell für die Orientierungsbestimmung und Bewegungserkennung (Lind et al. 2020), was sich für viele Anwendungen in der Luftfahrttechnik oder im Automobilbereich, beispielswiese zur Navigation (Amstutz et al. 2018), nutzen lässt.

    Diese Daten ermöglichen eine detaillierte Bewegungserkennung und erlauben die Identifizierung von Zwangshaltungen. Ein integrierter Vibrationsmotor signalisiert Trägerinnen und Trägern von ErgoJack in diesem Fall direkt, dass eine ergonomisch ungünstige Körperhaltung vorliegt. Durch die kabellose Datenübertragung sind die Sensoren über einen Mikrocontroller mit dem Vibrationsmotor verbunden. Zusätzlich können die Daten an einem Rechner oder weiteren Endgeräten wie einer Smartwatch aufgerufen werden. In einem Demonstrator wird der Mehrwert dieser Entwicklung verdeutlicht, indem ein typisches Szenario nachgestellt wurde, wie es häufig in der Produktion, aber auch an vielen Büroarbeitsplätzen vorkommt. ➥ Abbildung 1 zeigt den höhenverstellbaren Arbeitsplatz, der das zentrale Element bildet und an dem Beschäftigte ihre Arbeit erledigen. Zusätzlich ist an dem Arbeitsplatz ein Monitor vorgesehen, auf dem die verarbeiteten Sensorsignale der Weste abgebildet werden.

    Dadurch können Beschäftigte zusätzlich anhand eines einfachen Ampelschemas auf dem Bildschirm erkennen, ob die aktuelle Arbeitshaltung den Vorgaben entspricht und somit unbedenklich ist oder ob eine Anpassung der Höhe erforderlich ist. Der grüne Haken signalisiert beispielsweise, dass die aktuelle Haltung unbedenklich ist. Die beiden Pfeile weisen auf ergonomisch ungünstige Körperhaltungen hin und zeigen gleichzeitig eine Höhenverstellung des Tisches in die entsprechende Richtung an. Dadurch wird den Mitarbeitenden konkret mitgeteilt, wie die Ergonomie am Arbeitsplatz verbessert werden kann. Über das Verstellen des Tisches kann in Echtzeit verfolgt werden, wie die Darstellung sich mit der Verstellung der Höhe und damit der Anpassung der Körperhaltung verändert. Nach Erreichen der grünen Ampelstufe können sich die Beschäftigten sicher sein, in ergonomisch korrekter Haltung zu arbeiten. So kann gesundheitlichen Risiken am Arbeitsplatz vorgebeugt und eine gesunde Haltung sichergestellt werden. Weiterhin können betriebliche Auflagen in Bezug auf die Ergonomie am Arbeitsplatz eingehalten werden, wodurch Arbeitgeber zum Teil Zuschläge und zusätzliche Ausgaben einsparen können. Die Darstellung anhand des Ampelsystems ist eine einfache Möglichkeit, Bedienende auf mögliche Gefährdungen aufmerksam zu machen. Durch die direkte Verknüpfung der erfassten Körperhaltungsdaten mit aktorischen Systemen, wie beispielsweise höhenverstellbaren Schreibtischen, können Arbeitsumgebungen automatisiert an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden. Aktoren sind technische Elemente, die in der Lage sind, auf Basis von Signalen (hier: die erfassten Daten) Bewegungen oder Veränderungen auszuführen. In diesem Fall würde der Tisch seine Höhe automatisch anpassen, um eine ergonomisch korrekte Sitzhaltung zu gewährleisten.

    Präzise Unterscheidung verschiedener Tätigkeiten mit künstlicher Intelligenz

    Diese unmittelbare Anbindung der Sensorik an weitere Aktorikkomponenten erfordert eine präzise und zuverlässige Bewegungserkennung. In wissenschaftlichen Untersuchungen haben Forschende am IPK mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI)-basierter Ansätze eine Unterscheidung verschiedener Montagetätigkeiten durchgeführt. Mit entsprechenden Inertialsensoren konnten sechs unterschiedliche Montagevorgänge, wie Verschrauben und Verkabeln, nur anhand der Sensoren mit teilweise sehr hoher Präzision (> 95 %) voneinander unterschieden werden (Kuschan et al. 2023). Der KI-Algorithmus wird durch sogenanntes überwachtes Lernen (engl. „supervised learning“) trainiert
    (s. Online-Quellen). Dabei werden annotierte Daten verwendet, um dem Algorithmus das gewünschte Verhalten beizubringen. Im Fall der Bewegungsanalyse wurden Sensordaten aufgenommen, in denen Beschäftigte die entsprechenden Tätigkeiten durchgeführt haben, und diese anschließend mit dem jeweiligen Label versehen. Durch den Trainingsprozess lernt die KI den Sensordaten die vorgegebenen Label zuzuordnen. Nach Abschluss des Trainings kann der Algorithmus auf Basis der Sensordaten die entsprechende Tätigkeiten unterscheiden und ein Label vorhersagen. Diese Vorhersage kann wiederum verwendet werden, um weitere Aktorikkomponenten anzusteuern oder im vorliegenden Fall zuverlässig den Tisch in die immer richtige Position zu fahren.

    Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Literatur

    Frerichs F: Demografischer Wandel in der Erwerbsarbeit – Risiken und Potentiale alternder Belegschaften. J Labour Market Res 2015; 48: 203–216. https://doi.org/10.1007/s12651-014-0171-4 (Open Access).

    Amstutz N, Geisen T, Hassler B, Diezi J, Widmer L, Steiner L, Kraus K, Wenger N: „Arbeiten, solange der Körper mitmacht“: Betriebliche Herausforderungen im Zusammenhang mit Einfacharbeit und alternden Belegschaften. Arbeit 2018; 27: 5–25. https://doi.org/10.1515/arbeit-2018-0002.

    Lind CM, Diaz-Olivares JA, Lindecrantz K, Eklund J: A wearable sensor system for physical ergonomics interventions using haptic feedback. Sensors. 2020; 20: 6010. https://doi.org/10.3390/s20216010 (Open Access)

    Kuschan J, Grambow N, Radke M, Irmer S, Krüger J: Wearable systems for action recognition of industrial assembly tasks. WeaRAcon Europe, European Exoskeleton Conference, 2023.

    Online-Quellen

    Smartes Ergonomiesystem ErgoJack
    https://www.ipk.fraunhofer.de/de/kompetenzen-und-loesungen/automatisier…

    IMU (Inertial Measurement Unit) – Bewegungsanalyse
    https://www.embedded.ai/solutions/imu-motion-analysis/

    Überwachtes und unüberwachtes Lernen
    https://www.geeksforgeeks.org/supervised-unsupervised-learning/

    Das Fraunhofer IPK bietet individuelle Nutzerstudien an, in denen anwendungsspezifische Analysen mit ErgoJack durchgeführt werden, um die beste Ergebnisse zu identifizieren. Das Institut unterstützt dabei, die Systeme in Betrieben zu integrieren, und ist Partner für die Entwicklung neuer Lösungen.

    Koautor

    Jan Kuschan M. Sc.
    Automatisierungstechnik Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK, Berlin

    Kontakt

    Niklas Grambow
    Prozessautomatisierung und Robotik, Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK; Pascalstraße 8–9, 10587 Berlin

    Foto: © Fraunhofer IPK/Larissa Klassen

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