Berufsförderungswerke in Deutschland
Die Berufsförderungswerke sind berufliche Fördereinrichtungen mit dem Ziel, den gesetzlichen Anspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 49ff. SGB IX) umzusetzen. Sie verfolgen dieses Ziel begleitet von sozialer und gesundheitlicher Kompetenzentwicklung zur passgenauen Integration in den Arbeitsmarkt. Unternehmen und Institutionen finden in den insgesamt 28 Berufsförderungswerken mit rund 100 Standorten in Deutschland versierte Partner für die bedarfsgerechte Qualifizierung von Fachkräften in verschiedensten Bereichen. Das Hauptaugenmerk der Berufsförderungswerke liegt auf der Unterstützung von gesundheitlich eingeschränkten Personen, die ihre zuvor ausgeübte Tätigkeit nicht mehr vollumfänglich oder überhaupt nicht mehr ausüben können. Hierbei soll diese Zielgruppe mit Hilfe vielfältiger Unterstützungsmaßnahmen die Chance erhalten, leistungsgestärkt in das Arbeitsleben wiedereinzusteigen. In diesem Prozess spielt der individuelle und ganzheitliche Ansatz eine wichtige Rolle, um den Menschen nicht nur im beruflichen, sondern auch im gesundheitlichen und sozialen Bereich die bestmögliche Unterstützung zu bieten. Das Berufsförderungswerk München bietet in Kirchseeon beispielsweise 28 Umschulungsberufe und verschiedene Leistungen zur beruflichen (Wieder-)Eingliederung an. Rund 1000 Rehabilitierende mit gesundheitlichen Einschränkungen haben pro Jahr die Möglichkeit, sich beruflich umzuorientieren oder mit Hilfe von Unterstützungsangeboten einen gesundheitsgerechten Arbeitsplatz aufzunehmen. Um einen wirksamen Ausgleich für das Lernen zu schaffen, bieten Berufsförderungswerke auch Freizeitaktivitäten an. Das BFW München mit seinem Leitsatz „Berufliche Reha im Grünen“ setzt hierbei unter anderem auf das hauseigene Schwimmbad, die Kegelbahn, den Fitnessraum oder einen ausgiebigen Spaziergang im Wald (➥ Abb. 1).
BFW und BEM
Oft werden Berufsförderungswerke mit dem Begriff der Umschulung in Verbindung gebracht. Die Umschulung von Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen, die in der Regel mit der Prüfung in anerkannten Ausbildungsberufen mit staatlichem Abschluss endet, nimmt den größten Anteil der Unterstützungsmaßnahmen ein. Neben der Umschulung werden auch weitere Leistungen zur Aufnahme eines gesundheitsgerechten Arbeitsplatzes angeboten, wie zum Beispiel individuell angepasste Teilqualifizierungen und Weiterbildungen in bestimmten Berufs- und Tätigkeitsfeldern oder die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt durch praxisorientierte Integrationsangebote. Auch im BEM ist das Berufsförderungswerk eine Anlaufstelle, um mit Hilfe von verschiedenen Angeboten die Eignung, Leistungsfähigkeit und die beruflichen Möglichkeiten der BEM-Berechtigten abzuklären.
Betrachtet man die Entwicklung der Krankheitsbilder der letzten acht Jahre, so zeigt sich, dass die Fallzahl der Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems immer noch überwiegen. Psychische Erkrankungen steigen von Jahr zu Jahr stetig an (Rennert et al. 2020). Meistens handelt es sich während längerer Arbeitsunfähigkeit von Beschäftigten nicht mehr primär um eine einzelne Diagnose, sondern um eine Vielzahl gesundheitlicher Störungen (Seger u. Gaertner 2020). Auch bei den Teilnehmenden im BFW München handelt es sich meist nicht nur um eine einzelne gesundheitliche Einschränkung (➥ Tabelle 1). Aufgrund der Diversität der Krankheitsbilder bei Beschäftigten sind bei der Durchführung und Zielfindung im BEM immer individuellere und speziellere Wege erforderlich, was für die Unternehmen aufgrund ihrer begrenzten Möglichkeiten in der Praxis oft nur schwer umzusetzen ist. Um eine zufriedenstellende Lösung für alle Beteiligten zu finden, ist ein interdisziplinäres Team gefragt. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Rentenversicherung, der Agentur für Arbeit und den gesetzlichen Unfallversicherungsträgern bieten hier die Berufsförderungswerke einen geeigneten Rahmen.
Das Maßnahmenspektrum der Berufsförderungswerke reicht von Assessmentleistungen, Umschulungen und Integrationsmaßahmen bis hin zu ständig begleitenden Unterstützungen während der Zeit der beruflichen Veränderung (s. Infokasten). Die Ausbildungspalette ist individuell und an den jeweiligen BFW-Standorten sehr unterschiedlich.
Für das betriebliche Eingliederungsmanagement bieten sich folgende Möglichkeiten:
Assessment zur beruflichen Abklärung
Die Abklärung der beruflichen Eignung und Neigung erschließt die Fähigkeiten und Kompetenzen der Beschäftigten in verschiedenen Tätigkeits- und Berufszweigen. Ist eine Produktionskraft aufgrund ihrer Bandscheibenproblematik nicht mehr in der Lage, am Band lange zu stehen oder schwere Gegenstände zu heben, so können mit einem Assessment alternative Berufs- und Aufgabenfelder abgeklärt werden. Im Assessment stehen verschiedene Testungsmethoden mit theoretischen und praktischen Inhalten zur Verfügung, um die weiteren Kompetenzen der Beschäftigten zu bestimmen. Je nach Situation und Ziel können eine Kurzarbeitserprobung mit einer Dauer von etwa fünf Tagen zur Abklärung der Potenziale für einen ausgewählten Beruf, eine zweiwöchige Berufsfindung und Arbeitserprobung zur Darstellung der Eignung und Neigung in verschiedenen Berufsfeldern, eine Praxiserprobung oder anderweitige individuelle Assessments durchgeführt werden. Sind vorwiegend psychische Einschränkungen Grund einer Erwerbsunfähigkeit, so werden vom Berufsförderungswerk spezielle Assessments für Personen mit psychischen Belastungen angeboten. Hierzu gehört zum Beispiel die erweiterte Berufsfindung und Arbeitserprobung, die sich im Gegensatz zu der zweiwöchigen Berufsfindung und Arbeitserprobung um ein bis zwei Wochen verlängert, um den Druck während der Testung zu reduzieren. Je nach Fragestellung und gesundheitlichem Zustand werden Assessmentleistungen individuell zugeschnitten. Im Anschluss an Assessmentleistungen werden Gutachten erstellt, um die Ergebnisse der Testungsphase schriftlich festzuhalten. Das Gutachten soll dazu dienen, Aufklärung über die Fähigkeiten für alternative Arbeitsplätze oder Berufe zu geben.
Case Management
Das Case Management kann als eine Fallkoordinationsstelle umschrieben werden. Auch wenn das BEM bereits seit 2004 seine gesetzliche Grundlage im SGB IX hat, ist immer wieder Klärungsbedarf bei Unternehmen vorhanden, um den Prozess weiterzuentwickeln und neue Herausforderungen zu bewältigen. In vielen Handlungsleitfäden wird empfohlen, eine zusätzliche BEM-Beratungsperson hinzuzuziehen, um die Neutralität zu wahren (Riechert u. Habib 2017). Das Case Management ist ein solcher externer Dienstleister im BFW München, um den BEM-Prozess organisatorisch und fachlich zu begleiten. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob das Case Management als externe BEM-Beratung beauftragt wird oder als Mitglied im BEM-Team agiert, um verschiedene Leistungen aufzuzeigen. Ebenso werden den Unternehmen als weitere Option Schulungen zur Umsetzung des BEM angeboten.
Grundsätzlich begleiten die jeweiligen Ansprechpersonen der Berufsförderungswerke das gesamte Verfahren von der Anfrage bis zur Lösungsfindung und nehmen bei Bedarf Kontakt mit den benötigten Netzwerkpartnern auf.
Psychologische Individualabklärung (PIA)
Des Weiteren koordiniert das Case Management die psychologische Individualabklärung, kurz PIA, die nur im BFW München angeboten wird. Die PIA wurde im BFW München am Standort Kirchseeon ins Leben gerufen, um Unternehmen und Beschäftigten bei Fragestellungen zum möglichen Einsatz von Beschäftigten mit primär psychischen Herausforderungen Antworten zu liefern. Die PIA ist eine Begutachtung, die zum Erhalt des aktuellen Arbeitsplatzes oder des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist (➥ Abb. 2).
Die PIA wird eingesetzt bei Personen,
Von Anfang an begleitet ein externer Psychologe das gesamte Verfahren und entscheidet nach einem Explorationsgespräch mit den BEM-Berechtigten, welches PIA-Assessment angewendet werden soll. Die Möglichkeiten reichen von einer psychologischen Eignungsuntersuchung über Rollenspiele und Gruppenarbeiten bis hin zu einer Arbeitssimulation. Am Ende des PIA-Assessments werden alle Ergebnisse in einem Gutachten und einem Fazit zusammengefasst, das in einem Abschlussgespräch mit den Beschäftigten, dem Betrieb, dem Psychologen und dem Case Management besprochen wird. Das Vollgutachten mit Befunden und detaillierter Gesundheitsgeschichte geht an die Beschäftigten und bei deren Einwilligung auch an die jeweiligen Betriebs- oder Werksärztinnen/-ärzte. Das Fazit erhält das Unternehmen. Das Abschlussgespräch und das darauffolgende Fazit enthalten Empfehlungen zur Veränderung des Arbeitsplatzes, Veränderungen, die durch den Beschäftigten notwendig sind und/oder Veränderungen im sozialen Umfeld mit dem Ziel, den aktuellen Arbeitsplatz oder das Beschäftigungsverhältnis zu erhalten.
Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL)
Die Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL) kann mit 29 standardisierten Testverfahren einen Überblick über den körperlichen Zustand von BEM-Berechtigten bieten. Die EFL wurde 1980 in den USA entwickelt und hat sich mittlerweile auch in Europa etabliert. Hierbei werden verschiedene Fragestellungen des Arbeitgebenden beantwortet, beispielsweise, ob der zuletzt ausgeübte Arbeitsplatz weiterhin ausgeübt werden kann, die potenziell neue Tätigkeit körperlich machbar ist oder welche grundsätzlichen Tätigkeiten von der betroffenen Person ausgeführt werden können und wo ihre Leistungsgrenzen liegen.
Die EFL wird durch geschultes Personal durchgeführt und durch Ärztinnen und Ärzte begleitet. Bei jeder Aufgabe werden die Haltung und Beweglichkeit, die Kraft und das Hantieren mit Last, die Handkoordination, Fortbewegung und die statische Haltung begutachtet (EFL-Akademie 2021, ➥ Abb. 3). Die Ergebnisse der EFL werden in einem Gutachten zusammengefasst und an den Betrieb, meist an die Betriebs-/Werksärztinnen und -ärzte, weitergeleitet.
Nicht jedes Berufsförderungswerk bietet die Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit an. Je nach Standort wird dieses Verfahren auch von externen Kooperationspartnern durchgeführt.
Zugangsweg und Finanzierung
Je nach Maßnahme zeigen sich verschiedene Zugangswege in der Beauftragung des Berufsförderungswerks (➥ Tabelle 2). Größte Auftraggeber sind die Deutsche Rentenversicherung und die Agentur für Arbeit, die im Zuge von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder der Einlösung eines Bildungsgutscheins den Kontakt zum Berufsförderungswerk herstellen. Ist es Beschäftigten aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr möglich, ihren zuvor ausgeübten Beruf oder ihre Tätigkeit vollumfänglich zu verrichten, so kann ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gestellt werden. Je nach Zuständigkeit kann die Deutsche Rentenversicherung, die Agentur für Arbeit oder die Berufsgenossenschaft Beschäftigte mit verschiedenen Leistungen dabei unterstützen, die Aufnahme einer gesundheitsgerechten Tätigkeit zu erleichtern. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beinhalten Leistungen wie den Eingliederungszuschuss, Unterstützung für Fort-/Weiterbildungen, Finanzierung von Umschulungen etc. Je nach Leistungsart werden unterschiedliche Voraussetzungen für die Finanzierung gestellt. Hauptvoraussetzung einer solchen Unterstützungsmaßnahme ist die Aufnahme eines leidensgerechten Arbeitsplatzes oder Berufes. Auch während des BEM-Prozesses ist eine Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben möglich, wenn sich während des Gesprächs zeigt, dass die Anforderungen des Arbeitsplatzes und das Leistungsvermögen der Person nicht mehr übereinstimmen und mit Hilfeleistungen oder Umqualifizierung ein gesundheitsgerechter Arbeitsplatz geschaffen werden kann.
Auch die direkte Beauftragung des Berufsförderungswerks von Unternehmen findet regelmäßig statt. Vor allem bei der Durchführung der PIA, des Assessments oder bei Leistungen des Case Managements wenden sich Unternehemen an das Berufsförderungswerk. Die jeweiligen Ansprechpersonen der Berufsförderungswerke, wie zum Beispiel das Case Management, unterstützen beispielsweise bei der Antragstellung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, informieren über weitere Leistungsmöglichkeiten und koordinieren den gesamten Prozess.
Der Unterschied zwischen der Beauftragung über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder über einen Bildungsgutschein und der Beauftragung über ein Unternehmen liegt darin, dass bei einer direkten Zusammenarbeit mit Unternehmen der Unterstützungsprozess schneller aufgenommen werden kann. Das Unternehmen kann durch die verschiedenen Maßnahmen Mitarbeitende mit langjähriger Berufserfahrung und Fachkenntnissen weiter beschäftigen, da die vorhandenen Strukturen und Leitbilder den Beschäftigten bereits bekannt sind und der Eingliederungsprozess dadurch zumeist schneller vonstattengeht. Bei den jeweiligen Maßnahmen für Unternehmen werden Handlungsempfehlungen aufgezeigt, um die Beschäftigten wieder produktiv einzusetzen. Dabei werden bei diesen Maßnahmen die konkreten Fragestellungen des Unternehmens geklärt.
Gleichstellung und Schwerbehinderung
Ebenso findet sich ein Weg zum Berufsförderungswerk über den Integrationsfachdienst oder das Inklusionsamt, so zum Beispiel durch ein Präventionsverfahren, das vom Inklusionsamt bei Beschäftigten mit einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung eingeleitet wird. Das Präventionsverfahren verfolgt das Ziel, durch die Reduzierung oder Beseitigung von Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder -umfeld den Arbeitsplatz und/oder das Beschäftigungsverhältnis wieder langfristig zu sichern (BIH 2018). Wird nach einem gemeinsamen Gespräch kein zufriedenstellender Lösungsweg gefunden, so kann das Berufsförderungswerk beauftragt werden, um mit Hilfe von bestimmten Maßnahmen die zu erfüllenden Voraussetzungen zu schaffen, um die Leistungsfähigkeit von Beschäftigten wieder zu stabilisieren.
Die Vielfalt der Zielgruppen im BEM führt zu einer vielfältigen Problemlösung, die an die Ausgangslage angepasst wird, um den Beschäftigten die Chance zu geben, wieder langfristig am Erwerbsleben teilzuhaben. Erfolgreiche BEM-Maßnahmen erfordern Kreativität, Engagement und Ausdauer. Mit ihren Angeboten und dem attraktiven Umfeld können hier die Berufsförderungswerke wirksam unterstützen.
Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur
BIH – Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (Hrsg.): ABC Fachlexikon. Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Wiesbaden: Universum, 2018.
Rennert D, Kliner K, Richter M: Arbeitsunfähigkeit. In: Knieps F, Pfaff H (Hrsg.): Mobilität – Arbeit – Gesundheit. BKK Gesundheitsreport 2020. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2020, S. 75–164.
Riechert I, Habib E: Betriebliches Eingliederungsmanagement bei Mitarbeitern mit psychischen Störungen. Berlin, Heidelberg: Springer, 2017.
Seger W, Gaertner T: Multimorbidität: Eine besondere Herausforderung. Dtsch Ärztebl 2020; 44: 2092–2096.
Weitere Infos
EFL-Akademie: Die Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL), 2021
https://www.efl-akademie.de/efl-system.html
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