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Neurologische Erkrankungen

Auswirkungen neurologischer Erkrankungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit

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Effects of Neurological Diseases on Occupational Performance

Einleitung

Bei der Tätigkeit im Ärztlichen Dienst (ÄD) der Bundesagentur für Arbeit (BA) liegt der Fokus der sozialmedizinischen Begutachtung auf den langfristigen Defiziten, Folgen und Funktionsminderungen, die durch die Erkrankungen der Unterstützungssuchenden verursacht werden. Die Altersspanne der Kundinnen und Kunden der BA liegt von der Frage der Ausbildungsreife bei Jugendlichen (z. B. bei der Lehrstellensuche, Eingliederung in eine Werkstatt für behinderte Menschen) bis zum Eintritt in die reguläre Altersrente. Dementsprechend verschieden sind die Ursachen der neurologischen Funktionseinschränkungen: über embryonale Fehlbildungen, hereditäre Muskeldystrophien, chronisch-entzündliche Erkrankungen, Hirnblutungen und -infarkte bis hin zu neurodegenerativen Erkrankungen. Auch sind neurologische Komplikation und Funktionsminderungen als Begleiterkrankungen (z. B. diabetische Polyneuropathie) oder nach Trauma (z. B. Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma) zu beachten.

Funktionsstörungen der Motorik und daraus resultierende Leistungseinschränkungen

Das Ausmaß der Parese hängt vom Läsions­ort ab. Eine Hemiparese betrifft eine Körperseite, tritt meist nach Hirninfarkten oder -blutungen, aber auch bei intrakraniellen Raumforderungen auf. Dabei ist auf die Händigkeit der Patientin oder des Patienten und weitere, begleitende neurologische Defizite, zum Beispiel Aphasie, Neglect oder homonyme Hemianopsie, zu achten und in die Bewertung der Gesamtfunktionsdefizite aufzunehmen. Weiterhin kann es zusätzlich zu einer unterschiedlichen Ausprägung der Parese zwischen Arm und Bein einer Seite kommen.

Ein Hirninfarkt ist eine zerebrovaskuläre Erkrankung und ist die häufigste Form eines Schlaganfalls. Er entsteht durch eine Minder- bis fehlende Durchblutung des betroffenen Hirnareals. Es ist ein Notfall und bedarf sofortiger Behandlung im Krankenhaus. Eine Hirnblutung ist die Einblutung ins Hirngewebe nach Gefäßruptur und ist meist hypertensiver Genese. Abhängig von dem betroffenen Gewebe und den Funktionsstrukturen des Gehirns treten verschiedene, zum Teil lebenslange neurologische Defizite auf. Aufgrund der neuronalen Plastizität des Gehirns ist eine anschließende medizinische Rehabilitationsmaßnahme zu prüfen. Dabei lernen die an die Hirnläsion angrenzenden Strukturen, Aufgaben und Funktionen (zum Teil) zu übernehmen. Eine solche Maßnahme kann dann mit Latenz erneut durchgeführt werden und zu einer weiteren Rückbildung der neurologischen Defizite führen.

Abhängig von der Ausprägung der Parese kann durch den Einsatz von Hilfsmitteln die bisherige Tätigkeit gegebenenfalls weiter ausgeübt werden. Ist dies nicht möglich, kommt eine leistungsbildgerechte Weiterqualifizierung/Umschulung in Betracht. In seiner sozialmedizinischen Stellungnahme kann der ÄD die Prüfung von solchen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) empfehlen; die Entscheidung über die Bewilligung und die konkrete Planung der weiteren Schritte obliegt der BA.

Funktionsstörungen der Feinmotorik einer Hand können bei embryonalen Entwicklungsstörungen und zentralen Läsionen im Kleinhirn und/oder Hirnstammbereich auftreten. Es ist weiterhin zu beachten, ob eine Ataxie (z. B. bei Kleinhirninfarkt), Tremor oder eine Läsion in der visuellen Kontrolle hierfür ursächlich sein kann. Für eine adäquate Funktion der Hand oder des Fußes benötigt es Kraft, Koordination, Feinmotorik und die sensible und visuelle Kontrolle. Auf all diesen Ebenen kann es zu funktionellen Einschränkungen kommen.

Tonus und Tremor

Eine Läsion des 1. Motorneurons ist typisch für eine Parese zentraler Genese und führt meist zu einer Tonussteigerung im Sinne einer Spastik der betroffenen Extremität/en. Eine schlaffe Parese tritt bei einer Läsion des 2. Motorneurons im Rückenmark auf.

Ein zahnradartiger Widerstand bei passiver Bewegung ist als ein Hinweis auf einen Morbus Parkinson als neurodegenerative Erkrankung der Basalganglien zu werten. Weiterhin treten bei dieser Erkrankung ein Rigor (gesteigerter Muskeltonus im Agonisten und Antagonisten mit gleichmäßigem, wächsernem, nicht-federndem Widerstand bei passiver Bewegung) und ein Tremor (unwillkürliche, rhythmische Bewegungen durch aufeinanderfolgende Kontraktionen antagonistisch wirkender Muskeln in einer Frequenz und Lokalisation) auf (Weiteres s. unten).

Ein Tremor kann auch „physiologisch“ sein und wird in Ruhe-, Aktions-, Halte- oder Intentionstremor eingeteilt. Hier sei der essenzielle Tremor genannt, der meist nach dem 65. Lebensjahr auftritt. Ein Tremor kann als Asterixis-Flapping-Tremor bei Alkoholschädigung begleitend auftreten, aber auch durch andere Noxen verursacht werden. Weitere Tremorursachen können hereditärer oder psychogener Natur sein.

Bei der Myasthenia gravis ist die Informationsweitergabe durch Neurotransmitter der peripheren Nervenzellen betroffen. Es kommt durch eine erworbene Autoimmunerkrankung zu einer Blockierung der postsynaptischen Acetylcholinrezeptoren durch entsprechende Antikörper und damit zu einer fortschreitenden Muskelparese, da kein Nervenimpuls an der neuromuskulären Endplatte der quergestreiften Muskulatur weitergeleitet wird. Die betroffenen Menschen
müssen meist dauerhaft Medikamente einnehmen.

Funktionsstörungen der Sensibilität

Diese Modalität umfasst das Berührungs-, Schmerz-, Temperatur- und Lageempfinden der Gelenke und dadurch des Körpers im Raum. Die Informationsweitergabe der entsprechenden Rezeptoren erfolgt über afferente Nervenfasern fortlaufend an das Gehirn und die kognitive Verarbeitung dieser Information erfolgt bewusst und unbewusst.

Eine Funktionsstörung der Sensibilität kann sowohl zentraler als auch peripherer Genese sein. Bei einer zentralen Genese ist hier vor allem ein Hirninfarkt mit Schädigung des sensiblen Kortex und/oder der afferenten Fasern zu nennen. Bei der peri­pheren Genese ist zwischen einer lokalen
oder generalisierten Läsion, wie einer Polyneuro­pathie, zu unterscheiden.

Das Karpaltunnelsyndrom als lokales Engpasssyndrom des Nervus (N.) medianus im Retinaculum flexorum des Handgelenkbeugebereichs ist eine häufige periphere Störung. Wenn hier konservative Therapien – zum Beispiel eine (nächtliche) Schiene – nicht mehr ausreichen, kann durch eine operative Spaltung des Retinakulums der Druck vom N. medianus genommen werden. Unbehandelt kann es durch fortwährende Druckkompression zu einem Untergang des Nervens und konsekutiv zu einer Muskelatrophie bei den Daumenflexoren in der Hand (Daumenopposition zum Kleinfinger) aufgrund fehlender Nerveninnervation und einem sensiblen Ausfall der Nervi digitales palmares proprii kommen. Als Folge bestehen auch feinmotorische Defizite, mit größerer Relevanz bei der dominanten Hand der betroffenen Person.

Funktionsstörungen nach entzündlichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS)

Hier sind einerseits die akut erregerbedingten Erkrankungen zu erwähnen, die sich als Meningitis, Enzephalitis oder Meningoenzephalitis äußern. Als Erreger treten Viren, Bakterien und Pilze auf; weiterhin Protozoen, Helminthosen und Prionen. Neurologische Funktionsstörungen treten durch primäre und sekundäre Schädigungen der grauen und weißen Substanz des Gehirns auf. Entscheidend für die berufliche (Re-)Integration nach einer akuten Erkrankung sind die residual verbleibenden neurologischen Funk­tionseinschränkungen.

Die (demyelinisierenden) chronisch-entzündlichen ZNS-Erkrankungen zeigen ein heterogenes Bild. Der Erkrankungsgipfel der Multiplen Sklerose (MS; Synonym: Enzephalitis disseminata, ED) liegt um das 30. Lebensjahr (Beginn zwischen dem 15. bis 45. Lebensjahr), das Frauen-Männer-Verhältnis beträgt 2:1 und die Prävalenz 30–80/100.000 Einwohner in Europa (Hufschmidt et al. 2020). Es ist eine chronische Erkrankung des ZNS, die mit Entzündungsreaktion, Demyelinisierung und letztendlich axonaler Schädigung einhergeht. Zunächst sind die als Stütze und Beschleunigung der Informationsweitergabe agierenden Gliazellen des ZNS und Rückenmarks betroffen. Klinisch wird zwischen schubförmig-remi­ttierenden, schubförmig-progredienten, primär chronisch progredienten und sekun­där chronisch progredienten Verläufen unterschieden, und es können verschiedene neurologische Funktionssysteme betroffen sein. Während der Diagnosestellung und Akutbehandlung sollte mit der betroffenen Person besprochen werden, inwieweit eine dauer­hafte Therapie zur Schubprophylaxe der chronischen Erkrankung zu empfehlen ist.

Aus Sicht des ÄD sind neben den neurologischen Funktionsstörungen auch die begleitenden immunmodulatorischen Therapien zu bewerten. Daraus ergeben sich qualitative (z. B. keine Hitzearbeit, keine körperlich schwere Arbeit, keine Tätigkeit mit erhöhter Infektionsgefahr) und gegebenenfalls auch quantitative Einschränkungen für das Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Hier sei auch das Chronic-Fatigue-Syndrom erwähnt, das bei MS als neurologische Funktionsstörung
auftreten kann.

Zur Einschätzung des Krankheitsausmaßes kann die Expanded Disability Status Scale (EDSS) herangezogen werden, eine von John F. Kurtzke entwickelte Leistungsskala, die den Schweregrad der Behinderung bei MS-Erkrankten zum Zeitpunkt der Erhebung angibt. Der EDSS beschreibt Ausmaß, Schweregrad und Anzahl der betroffenen Systeme der neurologischen Funktionsminderungen, (von 1,0 – keine Behinderung, bis 10,0 – Tod infolge MS). Bei einem EDSS von 4,5 besteht eine Gehfähigkeit ohne Hilfe für mindestens 300 Meter; die Betroffenen sind ganztägig arbeitsfähig, benötigen minimale Hilfe und haben gewisse Einschränkungen der täglichen Aktivitäten. Bei einem EDSS von 5,0 ist eine Gehfähigkeit ohne Hilfe für 200 Meter möglich; der erkrankte Mensch ist in seinen täglichen Aktivitäten durch die Behinderungen deutlich beeinträchtigt und vollschichtiges Arbeiten kann (ohne besondere Vorkehrungen) problematisch werden.

Weitere chronisch-entzündliche ZNS-Erkrankungen sind die Neuromyelitis-optica-Spektrumerkrankungen (Prävalenz 0,5 bis 10/100.000 Einwohner, F:M = 9:1; Hufschmidt et al. 2020) oder die Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG)-Antikörper-assoziierte Enzephalomyelitis. Beide zeigen klinisch einen schubförmigen Verlauf, zählen zur Differenzialdiagnose der MS und die betroffenen Menschen erhalten äquivalent zur MS eine immunmodulatorische Dauertherapie.

Funktionsstörungen des Bewusstseins

Die Bewusstseinsstörungen können in unterschiedliche Gruppen unterteilt werden:

Wiederkehrend gleichförmige Bewusstseinsstörungen sind meist den Epilepsien zuzuordnen. Klinisch treten transiente Symptome aufgrund einer pathophysiologisch abnorm-synchronisierten Entladung kortikaler Neuronenverbände des ZNS auf. Dies führt zu vorübergehenden Veränderungen von Wahrnehmung, Denken, Bewusstsein, Verhalten und Bewegungen der Betroffenen, mit zum Teil fehlender willentlicher Steuerbarkeit.

Die Epidemiologie ist altersabhängig mit einem ersten Maximum der Prävalenz in den ersten Lebensjahren. Sie fällt dann im Erwachsenenalter ab, steigt aber jenseits des 50.–60. Lebensjahrs wieder stark an (hier meist als Folge von Traumata mit Hirnsubstanzschädigung, oder Hirninfarkten/-blutungen), so dass im Alter die höchste altersadjustierte Inzidenz von Epilepsien zu verzeichnen ist (Sillanpää et al. 2011). Die Gesamtprävalenz beträgt 0,5–1,2 %; die Inzidenz 50–200/100.000 (Hufschmidt et al. 2020).

Die Diagnose sollte stets fachneurologisch gesichert werden. Betroffene können auch gleichzeitig unter zwei verschiedenen Epilepsieformen leiden. Therapeutisch wird durch die Gabe von Antiepileptika, abhängig von Ätiologie und Kofaktoren (z. B. gebärfähige Frau, Begleiterkrankungen), die Schwelle zum Auftreten eines epileptischen Anfalls erhöht. Daneben wird der therapeutische Fokus auf Schlafhygiene und Lifestyle-Änderungen (wichtig: regelmäßiger und ausreichender Nachtschlaf, Vermeidung von Noxen wie Alkohol und andere Drogen) gelegt. Damit kann den meisten Betroffenen wirksam geholfen werden.

Aus Sicht des ÄD der BA ist bei Anfallsleiden ein Schwerpunkt auf die letzte Tätigkeit beziehungsweise eine angestrebte Berufsausbildung zu legen, bei denen es einige Einschränkungen zu beachten gilt. Wichtig ist ein aktueller Befundbericht der behandelnden neurologischen Praxis oder Ambulanz, der Aussagen über die Ätiologie, verordnete Antiepileptika und Compliance sowie Anfallshäufigkeit und den letzten Anfall beinhalten sollte. Hinsichtlich der Tätigkeit beziehungsweise angestrebten Ausbildung sind unter anderem folgende Einschränkungen zu bedenken: Nachtarbeit, schnell-rotierende Wechselschichten, Ruf­bereitschaft, dienstliche Kraftfahrzeugnutzung, Alleinarbeit, Absturzgefahr, Tätigkeit an gefährlichen Maschinen.

An einem Bildschirmarbeitsplatz sind Plasma- oder Thin Film Transistor (TFT)-Bildschirme mit 100 Hz und der Möglichkeit, die Bildschirmhelligkeit herabzusetzen, oder augenschonende Modi (Blaulichtfilter, Farbenblindmodus) zu nutzen.

Eine zentrale Störung mit Tagesschläfrigkeit mit verkürzter Einschlaflatenz ist die Narkolepsie. Sie wird in den häufigen Typ I mit Kataplexie (= Tonusverlust) oder in Typ II ohne Kataplexie unterschieden. Betroffene beklagen Tageschläfrigkeit mit imperativen Einschlafattacken. Diese Diagnose bedarf einer leitliniengerechten, neurologischen Diagnosesicherung und ambulanter neurologischer Begleitung. Die Therapie beinhaltet eine Tagesrhythmusanpassung des Schlaf-Wach-Verhaltens und regelmäßige Medikamenteneinnahme. Betroffen sind 0,03–0,16 %
der Bevölkerung mit einem Beginn meist in der Adoleszenz oder dem jungen Erwachsenenalter (Hufschmidt et al. 2020).

Funktionsstörungen nach Traumata

Durch Traumata, beispielsweise einen Sturz mit Mehrfragmentfraktur des Humerus, kann es zu einer Läsion des spiralförmig um den Oberarmknochen verlaufenden N. radialis kommen. Von chirurgischer Seite kann versucht werden, die Nervenkonti­nuität wiederherzustellen und eine dauerhafte Fall­hand zu verhindern.

Eine Verletzung des N. femoralis kann durch ein retroperitoneales Hämatom beziehungsweise dessen operative Ausräumung, aber auch iatrogen bei einer Anlage einer Hüfttotalendoprothese (meist als Traktions­schaden) verursacht werden oder als Mononeuritis bei Diabetes. Als funktionell-relevante Folgen sind die Quadrizeps- und Iliopsoasparese zu erwähnen: „Beim Gehen gibt das Knie nach“. Dies erschwert das Treppensteigen oder das Gehen auf unebenen Untergrund.

Bei einem Schädel-Hirn-Trauma werden verschiedene Grade unterschieden. Zunächst findet eine akutmedizinische Behandlung mit gegebenenfalls medizinischer Rehabilitation oder Anschlussrehabilitation (AHB) statt. Die verbleibenden Funktionseinschränkungen bestimmen das weitere Vorgehen.

Funktionsstörungen bei Erkran­kungen der Basalganglien

Bei der bekanntesten und häufigsten neuro­degenerativen Erkrankung der Basalgang­lien, dem Morbus Parkinson, sind Rigor, Tremor und Akinese als die drei Leitsymptome zu nennen. Hier kommt es zu einem Funktionsverlust und Untergang bestimmter Neuronenpopulationen, vor allem der dopaminergen Neurone der Basalganglien. Die Gesamtprävalenz liegt bei 0,3–0,4 % und steigt mit zunehmendem Lebensalter an (0,2–0,38 % bei 55- bis 64-Jährigen; 2,5–3,2 % bei Frauen beziehungsweise 3,8–4,6% bei Männern über 85 Jahre; Hufschmidt et al. 2020). Klinisch werden verschiedene Typen anhand ihrer führenden Symptome unterschieden: Äquivalenz-, akinetisch-rigider und Tremor-dominanter Typus liegen am häufigsten vor. Aus den vorliegenden Prävalenzzahlen ergibt sich, dass Personen mit dieser chronischen Erkrankung eher selten dem ÄD zur Begutachtung vorgestellt werden.

In der Leistungsbeurteilung für den allgemeinen Arbeitsmarkt sollten Tätigkeiten mit Nacht- und Schichtarbeit sowie – abhängig vom Schweregrad – mit Anforderungen an die Feinmotorik und schwere körperliche Arbeit ausgeschlossen werden. Die Therapie besteht in der lebenslangen Einnahme von Medikamenten, die die fehlenden Neurotransmitter substituieren; hierbei ist zum Teil auf eine regelmäßige Einnahmezeit zu achten.

Zu erwähnen ist auch der essenzielle Tremor als asymmetrischer Halte- und Bewegungstremor vor allem der oberen Ex­tremitäten, der dauerhaft medikamentös behandelt wird. Das Ausmaß des Tremors und der zeitliche Verlauf der Symptome bestimmen die Arbeits- und Leistungsfähigkeit.

Funktionsstörungen bei Raum­forderung, Tumoren und Metastasen

Prozesse an der Wirbelsäule können zu einer Querschnittssymptomatik des Rückenmarks führen. Als Ursachen kommen Raumforderungen, Blutungen, Ischämien des Myelons (analog zum Hirninfarkt) oder Traumata in Frage. Für die sozialmedizinische Beurteilung bedeutend sind Klinik (Höhe und Ausprägung des Querschnitts) sowie die von der Genese abhängende perspektivische Prognose (Rückbildung vs. stationärer oder progredienter Zustand).

Im Zusammenhang mit einer Einschränkung der Mobilität bei einer Querschnittssymptomatik kann eine Einschaltung des ÄD mit folgenden Fragestellungen erfolgen:

  • Kann die Kundin/der Kunde den Öffentlichen (Nah-)Verkehr benutzen?
  • Falls nein, ist sie/er in der Lage, einen PKW-Führerschein zu erwerben und ein Kraftfahrzeug zu führen?
  • Ist die Anschaffung/Umrüstung eines Kfz aus medizinischer Sicht erforderlich?
  • Wird ein Fahrdienst benötigt?
  • Im günstigsten Fall liegen aktuelle neurologische Befunde, verkehrsmedizinische und TÜV-Gutachten als Begutachtungsgrundlage vor. Häufig können wichtige Kontextfaktoren (z. B. die Verfügbarkeit eines barrierefreien öffentlichen Verkehrs) nur in einem persönlichen Kundenkontakt geklärt werden. Wie bei anderen Leistungen zur Teilhabe am Arbeits­leben gilt auch in diesen Fällen, dass der ÄD eine beratende sozialmedizinische Stellungnahme abgibt und die Bewilligungsentscheidung der Behörde unterliegt.

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Hufschmidt A, Lücking C H, Rauer S, Glocker FX: Neurologie Compact. 8. Aufl. Stuttgart: Thieme, 2020.

    Sillanpää M, Lastunen S, Helenius H, Schmidt D: Regional differences and secular trends in the incidence of epilepsy in Finland: a nationwide 23-year registry study. Epilepsia 2011; 52: 1857–1867.

    doi:10.17147/asu-1-377934

    Kernaussagen

  • Das Vorliegen von fachärztlich gesicherten Diagnosen und die prognostische Einschätzung von im weiteren Verlauf potenziell progredienten Funktionseinschränkungen sind von zentraler Bedeutung für die sozialmedizinische Beurteilung neurologischer Krankheitsbilder.
  • Bezüglich einer Einschätzung der letzten Tätigkeit ist die Kenntnis des exakten Anforderungsprofils am konkreten Arbeitsplatz wichtiger als eine allgemeine Berufsbezeichnung. Relevante Angaben wie die dominante Körperseite/Händigkeit fehlen nicht selten in medizinischen Fremdbefunden und müssen im Rahmen der Begutachtung evaluiert werden.
  • Der Ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit kann im Rahmen seiner Begutachtung neben Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) auch die Durchführung von (erneuten) medizinischen Reha-Maßnahmen empfehlen, mit denen sich bei vielen neurologischen Erkrankungen eine (weitere) Verbesserung des Funktionsniveaus erreichen lässt.
  • Die hinreichende Compliance der Kundinnen und Kunden (Medikamenteneinnahme, konsequente Durchführung von Eigenmaßnahmen/Übungen) ist eine entscheidende Determinante für das Gelingen einer beruflichen (Re-)Integration beim Vorliegen von neurologischen Erkrankungen.
  • Fallbeispiel

    Ein ungelernter Lagerarbeiter war in der Warenauslieferung eines Unternehmens tätig. Seit einem Hirninfarkt besteht eine linksseitige Hemiparese Kraftgrad (KG) 4/5 (nach Janda). Damit ist ein schweres Heben ohne Hilfsmittel nicht mehr möglich, ebenso kein Steigen auf Leitern und Gerüste oder Arbeiten in Höhe aufgrund einer Absturzgefahr. Hier kann die letzte Tätigkeit meist nicht mehr verrichtet werden und ein Wechsel der Tätigkeit wird vom ÄD medizinisch empfohlen.

    Kontakt

    Dr. med. Philipp Fischer
    Facharzt für Neurologie; Agenturverbund Hessen Gießen des Ärztlichen Dienstes; Agentur für Arbeit Wiesbaden; Klarenthaler Str. 34; 65197 Wiesbaden

    Foto: privat

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