Einleitung
Führungskräfte gelten als Schlüsselakteurinnen und -akteure innerhalb des organisationalen Geschehens. Sie stellen das Bindeglied zwischen strategischen Entscheidungen und organisationalen Zielvorgaben auf der einen Seite und den Mitarbeitenden mit ihren Bedürfnissen und ihrem individuellen Leistungsbeitrag auf der anderen Seite dar. Genau diese Situation macht das Spannungsfeld und die Herausforderungen deutlich, mit denen sich insbesondere operative Führungskräfte (z. B. Team-, Gruppen- oder Abteilungsleitende) konfrontiert sehen. Innerhalb dieses Spannungsfelds sind Führungskräfte gefordert, Management- und Führungsaufgaben gleichermaßen gut zu erfüllen (s. Infokasten nächste Seite).
Gerade in Veränderungs- und Krisensituationen haben Führungskräfte eine besonders komplexe und belastende Rolle (Jungbauer u. Wegge 2015; Thomson et al. 2018). Die Möglichkeiten der Digitalisierung und andere gesamtgesellschaftliche Megatrends (z. B. Individualisierung, Globalisierung, steigender Markt- und Wettbewerbsdruck etc.) sind ursächlich für stetige Veränderungsprozesse und prägen die Tätigkeiten von Führungskräften sowie die Beziehung zwischen ihnen und ihren Mitarbeitenden (Weber et al. 2019; Ribbat et al. 2021).
Die Betrachtung von Führungskräften durch Wissenschaft und Praxis sieht diese häufig ausschließlich in ihrer Rolle als Verantwortliche für ihre Mitarbeitenden, für das Funktionieren ihrer Organisationseinheiten und für das Erreichen organisationaler Ziele. Führungskräfte sind aber auch selbst in den organisationalen Kontext eingebettet, haben Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie agieren, und werden in Interaktion mit anderen Organisationsmitgliedern wie beispielsweise ihren Mitarbeitenden ebenso geprägt, wie sie selbst prägend sind. Auch und insbesondere beim Thema Gesundheit fokussieren Wissenschaft und Praxis stark auf die Mitarbeitenden ohne Führungsfunktion als größte Beschäftigtengruppe und sehen Führung hier als entscheidenden Einflussfaktor (Montano et al. 2017). Eine differenzierte Betrachtung der Gesundheit der Führungskräfte selbst und der spezifischen Belastungsfaktoren, die mit der Führungsrolle einhergehen wurde in der Literatur bisher eher vernachlässigt (Barling u. Cloutier 2017; Zimber et al. 2015). Genauso selten sind Führungskräfte explizit als Gruppe mit spezifischen Belastungen im Fokus von betrieblicher Gesundheitsförderung. Sofern Führungskräfte-Trainings überhaupt gesundheitsrelevante Inhalte thematisieren, stellt dies keine präventive Maßnahme für die Führungskräfte dar. Vielmehr geht es in der Regel um Sensibilisierung der Führungskräfte im Sinne der Verhältnisprävention für die Mitarbeitenden.
Warum ist die Gesunderhaltung von Führungskräften von so zentraler Bedeutung?
Die einfachste und wichtigste Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“ gibt die generelle Fürsorgepflicht, die Unternehmen für ihre Beschäftigten innehaben. Dies gilt unabhängig von der Hierarchieebene und damit selbstverständlich auch für alle Beschäftigten in einer Führungsposition. Da diese aber eine Schlüsselfunktion innerhalb von Organisationen wahrnehmen, erfüllt Gesundheitsfürsorge für diese Zielgruppe nicht nur einen Selbstzweck. Es liegt auf der Hand, dass nur gesunde Führungskräfte in der Lage sind, ihren bereits aufgeführten zentralen Aufgaben bestmöglich nachzukommen. Damit ist der direkte Zusammenhang zum Erreichen organisationaler Ziele offensichtlich. Aber auch in Bezug auf die Mitarbeitenden gilt: Nur gesunde Führungskräfte sind gute Führungskräfte. Erkenntnisse zum Zusammenhang von Führungskräftegesundheit und Führungsverhalten gegenüber den Mitarbeitenden (Harms et al. 2017; Kaluza et al. 2019) legen nahe, dass Führungskräfte mit einer schlechten Gesundheit, einem hohen Stresslevel und einer starken Beanspruchung dazu tendieren, negative Führungsverhaltensweisen zu zeigen (Byrne et al. 2014), die wiederum die Leistung und auch Gesundheit ihrer Mitarbeitenden negativ beeinträchtigen können (Schyns u. Schilling 2013). Ein möglicher Erklärungsansatz für dieses Phänomen ist, dass stark beanspruchte Führungskräfte ihr ausgereiztes Ressourcendepot schonen, und daher nicht auch noch in ihre Mitarbeitenden investieren können oder wollen (Byrne et al. 2014). Eine weitere mögliche Erklärung bezieht sich auf destruktives Führungsverhalten als Coping-Ansatz (Tepper et al. 2017). Die Gefahr dabei ist, dass Führungskräfte ihre eigene Belastungssituation über einen schlechten Umgang mit ihren Beschäftigten verarbeiten, nach dem Motto „Warum soll es meinen Mitarbeitenden besser gehen als mir?“.
Außerdem beeinflussen Führungskräfte ihre Mitarbeitenden nicht nur über das direkte Führungsverhalten und die Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Das Stresslevel der Führungskräfte kann sich vielmehr auch über so genannte Crossover-Effekte auf die Belegschaft übertragen (Franke et al. 2015; Skakon et al. 2010). Dieser Crossover-Effekt (also die Übertragung von Stress der Führungskraft auf deren Mitarbeitende) kann zum Beispiel durch die Wahrnehmung seitens der Mitarbeitenden oder durch verändertes Kommunikations- und Interaktionsverhalten zwischen Führungskraft und Belegschaft erklärt werden. Und nicht zuletzt sind Führungskräfte Vorbilder (Franke u. Felfe 2011; Franke et al. 2014), die durch ihren eigenen Umgang mit dem Thema Gesundheit und ihr eigenes Gesundheitsverhalten auch diejenigen prägen, die eng mit ihnen zusammenarbeiten.
Aber warum wird das Thema Gesundheit von Führungskräften dennoch so oft vernachlässigt – in Wissenschaft und Praxis gleichermaßen?
Führungskräfte übernehmen mit ihrer Position freiwillig die Verantwortung für andere. Daraus könnte sich die Annahme ableiten, dass sie auch lediglich als Verantwortliche für ihre Mitarbeitenden betrachtet werden sollten und ihre eigene Situation nicht in den Blick genommen werden muss (Barling u. Cloutier 2017). Auch die Theorie so genannter Selektionseffekte unterstützt die Ansicht, dass es sich bei Führungskräften nicht um eine Gruppe handelt, um die man sich sorgen müsste. Dahinter steckt die Annahme, dass vor allem solche Personen in der Führungshierarchie aufsteigen, die besonders belastbar sind, einen guten Gesundheitszustand aufweisen und bestimmte Eigenschaften beziehungsweise personelle Ressourcen besitzen, die ihnen helfen, adäquat mit hohen Arbeitsanforderungen umzugehen (Björklund et al. 2013). Allerdings ist die empirische Datenlage hierzu nicht eindeutig. Was genau über die gesundheitliche Situation von Führungskräften und mögliche Risikofaktoren im Arbeitskontext bekannt ist, wird im nächsten Abschnitt ausführlicher thematisiert.
Die wahrscheinlichste Erklärung für die Vernachlässigung dieses wichtigen Themas hängt aber weniger mit dem Wissen über die tatsächliche Gesundheit von Führungskräften zusammen. Sie basiert viel stärker auf der Wahrnehmung der Führungskräfte durch andere. So genannte implizite Theorien prägen, wie Menschen über andere denken und andere wahrnehmen. Die Zuschreibung von Merkmalen erfolgt zum Beispiel in Abhängigkeit von der Position, die jemand innehat. Vernünftig, intelligent, motiviert, dynamisch, stark, mental gesund – das sind unter anderem die Attribute, die Führungskräften von anderen Personen zugeschrieben werden (Epitropaki u. Martin 2005). Da verwundert es nicht, dass diese automatisch als gesund eingestuft werden – diese Erwartungshaltung beeinflusst mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Selbsteinschätzung von Führungskräften, wenn sie lediglich nach ihrem allgemeinen Gesundheitszustand gefragt werden und keine differenziertere Erfassung (z. B. nach der Häufigkeit von Kopf- und Nackenschmerzen, Schlafproblemen, mentaler Erschöpfung etc.) erfolgt.
Was ist über die gesundheitliche Situation von Führungskräften und mögliche Risikofaktoren im Arbeitskontext bekannt?
Bei reiner Betrachtung des Arbeitskontextes liegt die Erklärung für mögliche Unterschiede in Gesundheit und Wohlbefinden zwischen Führungskräften und Beschäftigten ohne Führungsfunktion sowie Führungskräften unterschiedlicher Hierarchieebenen in einer speziellen für diese Ebene typischen Konstellation von Anforderungen und Ressourcen. Aktuelle Auswertungen von Steidelmüller et al. (2020), basierend auf der repräsentativen BiBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung (Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)), geben dazu einen guten Überblick (➥ Abb. 1 und 2). Diese Auswertungen zeigen, dass Führungskräfte im Vergleich zu Beschäftigten ohne Führungsverantwortung signifikant häufiger mit höheren Anforderungen konfrontiert sind. Die am häufigsten genannten Anforderungen betreffen Aspekte, die eng mit hoher Arbeitsintensität verbunden sind, wie starker Termin- und Leistungsdruck oder die gleichzeitige Betreuung verschiedenartiger Aufgaben. Auch Störungen und Unterbrechungen, sehr schnelles Arbeiten, Arbeiten an der Grenze der Leistungsfähigkeit und Konfrontation mit neuen Aufgaben wird von Führungskräften häufig erlebt. In den Analysen nehmen diese Anforderungen mit steigender Führungsebene weiter zu. Führungskräfte arbeiten außerdem häufig mehr als 40 Stunden pro Woche, übernehmen zudem oft die Verantwortung für andere Personen, und arbeiten daher häufiger zu atypischen Arbeitszeiten, das heißt Arbeit in den Abendstunden oder am Wochenende (Ribbat et al. 2021). Dies könnte damit erklärt werden, dass die Verantwortungsübernahme in Führungspositionen insbesondere kurzfristige Reaktionen und Handlungen erfordert, um den Bedürfnissen der vielfältigen Anspruchsgruppen gerecht zu werden.
Beschäftigte ohne Führungsfunktion empfinden die häufig vorkommenden Anforderungen, die mit einer hohen Arbeitsintensität verbunden sind, allerdings im Vergleich zu Führungskräften eher als subjektiv belastend. Erklären lässt sich dies beispielsweise mit dem Job-Demands-Resources-Modell (Bakker u. Demerouti 2017; Demerouti et al. 2001). Dieses unterstreicht unter anderem die wichtige gesunderhaltende Bedeutung eines Gleichgewichts zwischen Anforderungen und Ressourcen. Führungskräfte zeichnen sich nicht nur durch höhere Anforderungen, sondern auch durch eine höhere Verfügbarkeit von Ressourcen aus. Führungskräfte profitieren in der Regel von einer sehr guten Ressourcenausstattung: Status (Marmot 2004), soziale und organisationale Unterstützung (Hobfoll 2002) und Kontrolle beziehungsweise Autonomie (Christie u. Barling 2009) sind nur einige Beispiele für Ressourcen, die förderlich für die mentale Gesundheit sind. Insbesondere höhere Handlungsspielräume konnten auch in den aktuellen Auswertungen bestätigt werden, wiederum zunehmend mit steigender Hierarchieebene (Steidelmüller et al. 2020). Ein Fehlen von Ressourcen wird allerdings von einem größeren Anteil an Führungskräften im Vergleich zur Gruppe der Beschäftigten ohne Führungsfunktion als subjektiv belastend empfunden. Dies liegt aller Wahrscheinlichkeit nach darin begründet, dass die Ressourcen benötigt werden, um den hohen Arbeitsanforderungen gerecht zu werden – fehlende Ressourcen fallen viel stärker ins Gewicht. Insbesondere vor dem Hintergrund des Wandels der Arbeit verändern sich Anforderungs-Ressourcen-Konstellationen, und diese Veränderungen können schnell zu vorübergehenden oder dauerhaften Ungleichgewichten führen. Ein mögliches Ungleichgewicht zwischen Anforderungen und Ressourcen ist am ehesten auf den unteren und mittleren Führungsebenen vorhanden, da diese Führungskräfte zumeist weniger Handlungsspielräume als Führungskräfte der oberen Ebene aufweisen. Dies passt zu anderen Erkenntnissen aus der Forschung, nämlich dass vor allem diese Führungskräfte einem höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind (gegenüber Führungskräften der obersten Ebene; Björklund et al. 2013; Pangert u. Schüpbach 2011; Rixgens u. Badura 2011). Ein weiterer Grund für das schnelle Entstehen von Ungleichgewichten könnte in der Erwartungshaltung gegenüber dem Unternehmen liegen, die Führungskräfte im Sinne des psychologischen Vertrags (Robinson u. Morrison 2000) haben. Implizit gehen sie von einem hohen Ressourcendepot aus, dass ihnen im Gegenzug zu ihrem Führungsengagement gewährt wird.
Führungskräfte schätzen ihren allgemeinen Gesundheitszustand signifikant besser ein als Mitarbeitende (Steidelmüller et al. 2020). Bei der differenzierteren Betrachtung von Einzelbeschwerden zeigt sich allerdings, dass sich keine Unterschiede zwischen der Anzahl der konkreten Beschwerden (z. B. Kopf- und Nackenschmerzen) bei Führungskräften und Mitarbeitenden finden lassen. Aus dieser Diskrepanz in der Einschätzung der eigenen Gesundheit kann die Gefahr entstehen, dass ernsthafte gesundheitliche Risiken nicht ausreichend wahrgenommen beziehungsweise berücksichtigt werden. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken, und deckt sich mit der oben geäußerten Annahme, dass insbesondere allgemeine Gesundheitsselbsteinschätzungen durch viele Faktoren (z. B. implizite Erwartungen an die Rolle als Führungskraft) verzerrt sein können.
Welche Ansätze gibt es, Führungskräfte als vulnerable Gruppe besser in den Blick zu nehmen, sie zu entlasten und zu unterstützen sowie ihre gesundheitliche Situation zu verbessern?
Ziel jeglicher gesundheitspräventiver Maßnahmen sollte es sein, Belastungen zu reduzieren und Ressourcen zu stärken. Verhaltens- und Verhältnisprävention sollten hierbei ineinandergreifen; sie ergänzen und bedingen sich gegenseitig und sind oft auch nicht vollständig trennscharf.
In vielen Betrieben sind regelmäßige Führungskräfte-Trainings an der Tagesordnung – diese sind sinnvoll und wichtig. Aber wie bereits in der Einleitung beschrieben, spielt das Thema Gesundheit oftmals keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Die mit den Trainingsinhalten verknüpften Anforderungen an Führungskräfte sollten stets mit Unterstützungsangeboten und einer Sensibilisierung für die eigene Gesundheit und die der Beschäftigten verknüpft werden. Als Beispiele, wie dies ausgestaltet sein kann, dienen die folgenden drei Trainingskonzepte (für eine detaillierte Darstellung sei auf die Originalquellen bzw. die weiterführende Literatur verwiesen):
Wie bei dem achtsamkeitsbasierten Führungskräftetraining schon angeklungen, können auch in Bezug auf das Thema Gesundheit digitale Methoden des Begleitens von Führungskräften genutzt werden. Im Trend sind dabei beispielsweise auch 3D-Simulationen oder andere Formen der Gamification (Scheiner 2019), die neue Sensibilisierungswege bieten.
Neben Trainings sind Führungskräfte-Coachings ein häufiges Angebot an Führungskräfte. Coachings haben einen stark individualisierten verhaltenspräventiven Charakter und sind ein sinnvoller Baustein in einer ganzheitlichen Unterstützung von Beschäftigten. Unabhängig von der Entscheidung, interne oder externe Coaches einzusetzen, sollten zur Qualitätssicherung Kompetenzmodelle zur Auswahl geeigneter Coaches genutzt werden (z. B. Michel et al. 2014).
Gerade bei diesem Thema zeigt sich die Interdependenz von Verhaltens- und Verhältnisprävention. Beispielsweise gibt es erste Erkenntnisse, dass Coaching in Veränderungskontexten nur bei gleichzeitig wahrgenommenen förderlichen Bedingungen des Arbeitskontextes, wie genügend Handlungsspielraum und wahrgenommener Managementunterstützung, positive Effekte hat (Bickerich u. Michel 2016). Denn nur so ist sichergestellt, dass Erlerntes auch in den Arbeitsalltag transferiert werden kann. Coaching stellt hier also eine eigenständige Ressource dar, ist aber gleichzeitig auch ein Weg, Methoden zur Ressourcenaktivierung im Arbeitsumfeld (im Sinne von Job Crafting1) zu erlernen.
Generell sind die organisationalen Rahmenbedingungen wie Organisationsklima und -kultur entscheidend bei der Frage, inwieweit andere Unterstützungsmaßnahmen überhaupt wirksam werden können (Thomson et al. 2020). Welches Selbstverständnis gibt es zum Umgang mit Fehlern, Leistungsdruck oder Konkurrenz? Welche Führungsideale und Führungsleitbilder werden von der obersten Führungsebene nicht nur propagiert, sondern tatsächlich auch vorgelebt?
Insbesondere in hoch leistungsorientierten Kontexten ist es wiederum wichtig, dass Bewältigungsmechanismen zur Prävention von Erschöpfung und anderen Gesundheitsfolgen erlernt werden (Bickerich u. Michel 2017) – hier kann wiederum Coaching eine sinnvolle Maßnahme sein. Insbesondere für Führungskräfte mit einer hohen Tendenz zu Overcommitment, das heißt einer extremen Anstrengungsbereitschaft, verbunden mit dem Wunsch nach Anerkennung (Kriegesmann u. Kley 2014) ist dies von hoher Relevanz. Personale Ressourcen wie zum Beispiel ein hohes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten können ansonsten – verstärkt durch die ungünstigen Umgebungsfaktoren – in personale Belastungen umschlagen (Bakker u. Demerouti 2017) und in selbstgefährdende Verhaltensweisen münden.
Aber nicht nur die Unterstützung „von oben“ ist wichtig. Es kann sinnvoll sein, formelle und informelle Austauschformate für den lateralen Austausch der Führungskräfte untereinander zu etablieren, um zum Beispiel Best Practices oder auch Geschichten des Scheiterns zu diskutieren. Kleinere Unternehmen oder Selbstständige können hier auch von übergeordneten Programmen/Austauschmöglichkeiten profitieren. Durch gemeinsame Qualifizierungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen im Team können zudem gute Führungskraft-Mitarbeitenden-Beziehungen gestärkt werden, denn auch die Unterstützung „von unten“ ist nicht zu unterschätzen.
Führungskräfte sollten darüber hinaus vor der Übernahme einer Führungsrolle umfassend vorbereitet werden. In vielen Unternehmen gibt es Programme für Nachwuchsführungskräfte oder gezielte Förderung von Beschäftigten, die auf eine Führungslaufbahn vorbereitet werden. Hier sollte das Thema Gesundheit ebenfalls stärker platziert werden sowie eine realistische Auseinandersetzung mit den Herausforderungen stattfinden, die auf die Potenzialträgerinnen und -träger zukommen. In diesem Zusammenhang ist es eine wichtige Präventionsmaßnahme, das Angebot von fachlichen Karrieren als parallele Laufbahnentwicklung zu Führungskarrieren auszubauen, um engagierte Beschäftigte nicht in jedem Fall in Führungspositionen zu drängen, weil sie darin den einzigen Weg zur persönlichen Weiterentwicklung sehen.
Im Sinne des psychologischen Vertrags sollte zudem Raum geschaffen werden, zu explizieren, welche Erwartungen auf beiden Seiten bestehen. Insbesondere bei Führungskräften werden ein hohes Engagement sowie das Opfern von Freizeit zugunsten ständiger Erreichbarkeit und überlanger Arbeitszeiten eher durch monetäre Vorteile kompensiert. Gegebenenfalls wünschen sich Führungskräfte hier andere Ausgleichmöglichkeiten und Ressourcen.
Grundsätzlich bietet es sich an, Führungskräfte als eine spezifische Zielgruppe beziehungsweise die Tätigkeit des Führens und Managens bei Gefährdungsbeurteilungen gemäß § 5 des Arbeitsschutzgesetzes gesondert zu berücksichtigen. Insbesondere die Beurteilung psychosozialer Belastungsfaktoren, die seit 2013 im Arbeitsschutzgesetz explizit vorgeschrieben ist, ist relevant für die Arbeitssituation von Führungskräften. Die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung dienen – wie bei anderen Beschäftigten auch – als regelmäßiges Monitoring der Belastungs- und Ressourcensituation. Führungskräfte werden bei diesen Prozessen oftmals übersehen, da sie in der Arbeitsschutzverantwortung gegenüber ihren Mitarbeitenden hierbei meist die ausführenden Akteurinnen und Akteure sind.
Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Literatur
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Kernaussagen
Infokasten
Differenzierung von Management- und Führungsaufgaben
Management umfasst die Generierung, Erhaltung und Zuweisung organisationaler Ressourcen (z. B. Zeit, Budget, Personal etc.), mit dem Zweck, die Ziele einer Organisation bestmöglich zu erreichen (Campbell u. Wiernik 2015). Während Führungstätigkeiten stärker auf die Interaktion mit den Mitarbeitenden selbst gerichtet sind, fokussieren Managementtätigkeiten eher auf die strukturelle Gestaltung und Erhaltung der Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Interaktion stattfinden kann (Ribbat et al. 2021). Für eine detaillierte Darstellung von Führungs- und Managementtätigkeiten in Abgrenzung zueinander sei auf Ribbat et al. (2021) verwiesen. Das Autorenteam differenziert hierbei auf Basis von früheren grundlegenden Konzepten von Campbell (2012), Kent (2005) und Kotter (1990) und integriert diese Konzepte.
Infokasten
Verhaltens- und Verhältnisprävention
Verhaltensprävention zielt darauf ab, durch Maßnahmen das individuelle Verhalten von Personen zu verändern, um so Risikofaktoren zu minimieren und gesundheitsbewusstes Verhalten zu fördern. Konkret könnten Führungskräfte angehalten werden, zum Beispiel Pausen und Ruhezeiten selbstständig einzuhalten oder Entspannungstechniken im Umgang mit Stressoren zu erlernen. Verhältnisprävention im Sinne förderlicher Arbeitsgestaltung zielt hingegen auf Maßnahmen ab, die sich auf Kontextfaktoren und Arbeitsbedingungen beziehen. Beispielsweise könnten Organisationen feste Off-Zeiten festlegen, in denen keine beruflichen Mails versendet werden können, um ein Abschalten von der Arbeit zu ermöglichen. Genauso zählen gewährte Entscheidungsspielräume oder formelle und informelle Unterstützungsmechanismen zu den belastungsreduzierenden und ressourcenstärkenden verhältnispräventiven Maßnahmen. (Rothe et al. 2017)
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