Evaluation and consequences of SARS-CoV-2 infection control measures in schools. Findings of focus group interviews among teachers in Germany
Introduction: In order to stem the spread of the SARS-CoV-2 pandemic, there were wide-ranging changes in the school setting from March 2020 onwards, characterised by changing teaching formats (alternating between distance, face-to-face and hybrid teaching) and the implementation of infection control measures.
Aim and Method: The aim of the present study was to investigate the evaluation of these measures and the consequences for teachers in Germany and to formulate best practice examples for school education in the further course of the pandemic. For this purpose, focus group interviews were conducted with 17 teachers at four schools and evaluated by content analysis.
Results: It was found that the teachers felt burdened by teaching under pandemic conditions and that their health behaviour had deteriorated. In addition, new pandemic-related fears arose and the implementation of infection control measures (implementation of AHA-L rules (distance, hygiene, mask, ventilation), performance of SARS-CoV-2 tests) was accompanied by work-related and health-related problems. The quality of training of prospective teachers was also questioned. The introduction of SARS-CoV-2 vaccinations and the relatively high ranking of teachers in prioritisation was experienced as a relief and very much welcomed. In places, difficulties in communicating and implementing infection control measures were reported, resulting in the formulation of best practices, such as the implementation of SARS-CoV-2 testing by trained staff or the formulation of school form-specific measures.
Conclusions: The stress caused by teaching during the pandemic and the negative development of health behaviour represent a relevant public health risk. For this reason, the idea of prevention and health promotion should or must be intensified even more during the SARS-CoV-2 pandemic, further developed in view of the pandemic specifics and applied in the living environments.
Keywords: Corona – COVID-19 – school – teachers
ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2022; 57: 242–248
doi:10.17147/asu-1-182156
Bewertung und Folgen der SARS-CoV-2 Infektionsschutzmaßnahmen an Schulen. Ergebnisse von Fokusgruppen-Befragungen unter Lehrkräften in Deutschland
Einleitung: Zur Eindämmung der Ausbreitung der SARS-CoV-2-Pandemie kam es ab März 2020 zu weitreichenden Veränderungen des Schulunterrichts, der durch sich verändernde Unterrichtsformate (Wechsel zwischen Fern-, Präsenz- und Hybridunterricht) und die Umsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen geprägt war.
Ziel und Methode: Ziel der vorliegenden Studie war es, die Bewertung dieser Maßnahmen durch und die Folgen auf Lehrkräfte in Deutschland zu untersuchen und Best-Practice-Beispiele für den Schulunterricht im weiteren Pandemieverlauf zu formulieren. Hierzu wurden Fokusgruppen-Befragungen mit 17 Lehrkräften an vier Schulen durchgeführt und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Ergebnisse: Es zeigte sich, dass sich die Lehrkräfte durch das Unterrichten und den veränderten Arbeitsbedingungen während der Pandemie beansprucht fühlten und sich deren Gesundheitsverhalten verschlechtert hatte. Zudem kamen neue, pandemiebedingte Ängste auf und die Umsetzung der Infektionsschutzmaßnahmen (Umsetzung der AHA-L-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, Lüften), Durchführung von SARS-CoV-2-Tests) ging mit arbeitsspezifischen und gesundheitlichen Problemen einher. Auch die Ausbildungsqualität der Anwärterinnen und Anwärter wurde in Frage gestellt. Die Einführung von SARS-CoV-2-
Schutzimpfungen und die relativ hohe Einstufung von Lehrkräften bei der Priorisierung wurden als Erleichterung erlebt und sehr begrüßt. Stellenweise wurden Schwierigkeiten bei der Kommunikation und Umsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen berichtet, die in die Formulierung von Best-Practice-Beispielen, wie die Durchführung von SARS-CoV-2-Tests durch geschultes Personal oder die Formulierung schulformspezifischer Maßnahmen, gemündet sind.
Schlussfolgerungen: Die durch das Unterrichten während der Pandemie bedingten Belastungen sowie eine negative Entwicklung des Gesundheitsverhaltens von Lehrkräften stellt ein relevantes Public-Health-Risiko dar. Aus diesem Grund sollte beziehungsweise muss während der SARS-CoV-2-Pandemie der Gedanke von Prävention und Gesundheitsförderung noch stärker intensiviert, angesichts der pandemischen Besonderheiten weiterentwickelt und in den Lebenswelten angewandt werden.
Schlüsselwörter: Corona – COVID-19 – Schule – Lehrkräfte
Einleitung
Aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie mussten im März 2020 weltweit rund 1,5 Milliarden Schülerinnen und Schüler sowie deren Lehrkräfte infolge von Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 den Schulen fernbleiben (Suhr 2020). Auch in Deutschland folgten ab März 2020 Schließungen der Schulen, mit dem Ziel, das Infektionsgeschehen positiv zu beeinflussen. Die Ende April 2020 folgende schrittweise Rückkehr zum Schulalltag stellte dann hohe Anforderungen an den Unterricht und das Lehrpersonal. Nach den Sommerferien 2020 wurde in den meisten Schulen wieder zu Präsenzunterricht im Regelbetrieb – sofern es die Einhaltung der Hygienerichtlinien und das Infektionsgeschehen ermöglichten – zurückgekehrt und im Verlauf des Schuljahres phasenweise wieder in Distanzunterricht gewechselt. Daraus resultierten neue Herausforderungen für das gesamte Schulsystem und dessen Beteiligte, auch da der Einfluss von Schulöffnungen auf das Infektionsgeschehen ebenso wie die Rolle der Kinder und Jugendlichen in der SARS-CoV-2-Pandemie noch diskutiert wurde (Parri et al. 2020). Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte relativ gesehen weniger als andere Bevölkerungsgruppen von Infektionen betroffen waren (Köstner et al. 2021), lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht klar abschätzen, welche Rolle diese letztlich beim Infektionsgeschehen spielen.
Unbestritten ist, dass das Lehrpersonal beim Unterrichten unter pandemischen Bedingungen an Schulen mit besonderen, SARS-CoV-2-spezifischen Belastungen, Beanspruchungen und Herausforderungen konfrontiert wurde und nach wie vor wird. Dies kann sich unter anderem auf einer arbeitsbezogenen Ebene abzeichnen. Es ist bekannt, dass sich der Berufsalltag von Beschäftigten insgesamt durch die SARS-CoV-2-Pandemie deutlich verändert hat, durch zum Beispiel Homeoffice oder Kurzarbeit (Frodermann et al. 2020). Bislang fehlen jedoch empirische Befunde, mit welchen arbeitsbezogenen Herausforderungen und Auswirkungen (z. B. arbeitsorganisatorisch und pädagogisch) Lehrkräfte konfrontiert sind. Hinzu kommen mit dem Arbeitsplatz verbundene gesundheitsbezogene Sorgen und Ängste in Bezug auf eine eigene Infektion oder die einer nahestehenden Person.
Aktuelle Studienergebnisse zeigen in der Allgemeinbevölkerung gestiegene vielfältige Beanspruchungen beziehungsweise negative Auswirkungen aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie (Beutel et al. 2021). Diese beziehen sich beispielsweise auf eine verminderte Lebenszufriedenheit, erhöhtes Stresserleben, Angst sowie depressive Symptome, einen subjektiv schlechteren Gesundheitszustand oder vermehrte gesundheitsbezogene Ängste sowie Sorgen um die eigene Familie (Li et al. 2020; Newby et al. 2020; Torales et al. 2020). Hinzu kommen potenziell belastende Veränderungen von Verhaltensweisen (z. B. soziale Distanz, verändertes Hygieneverhalten; Newby 2020). Negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit (v. a. Depression, Angst) zeigten sich zudem bei spezifischen Berufsgruppen, wie beispielsweise medizinischem Personal mit Kontakt zu COVID-19-Patientinnen und -Patienten (Lu et al. 2020). Es kann davon ausgegangen werden, dass Lehrkräfte ebenso wie die Allgemeinbevölkerung mit multiplen Belastungen im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie konfrontiert sind, die wiederum zu unterschiedlichen Beanspruchungen bei Lehrkräften führen. Diese können sich auf der somatischen, psychischen und sozialen Ebene abzeichnen, deren Erforschung ein Ziel der vorliegenden Studie war.
Zum Schutz des Lehrpersonals und deren Schülerinnen und Schülern vor Infektionen mit SARS-CoV-2 wurden entsprechende Hygienepläne erarbeitet, die technische sowie vor allem organisatorische und personale Maßnahmen enthielten. Diese Maßnahmen sind hinsichtlich ihrer praktischen Umsetzbarkeit, Akzeptanz, möglicher Folgen sowie Wirksamkeit für Sicherheit und Gesundheit des Lehrpersonals abzuschätzen, gegebenenfalls zu ergänzen oder auf Basis dieser Erkenntnisse zu adaptieren. Hierzu ist es erforderlich, den aktuellen Sachstand an den Schulen aus Perspektive von Lehrkräften zu erfassen sowie Best-Practice-Beispiele zum Einsatz unterschiedlicher Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Praktikabilität einzuschätzen. Um diese Forschungslücken zu adressieren, wurde Anfang 2021 das Drittmittelprojekt „SARS-CoV-2-Arbeits- und Infektionsschutzmaßnahmen an Schulen“ initiiert, um die Folgen der SARS-CoV-2-Pandemie auf Lehrkräfte empirisch zu untersuchen. Das Projekt verfolgt einen Mixed-Methods-Ansatz, bestehend aus einem Monitoring der Infektionszahlen von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften (Köstner et al. 2021), einer bundesweiten quantitativen Untersuchung von Lehrkräften und Fokusgruppen-Befragungen mit Lehrkräften. Im Rahmen dieser Arbeit stellen wir die Ergebnisse der Fokusgruppen-Befragungen vor.
Fragestellung/Zielstellung
Im Rahmen der Fokusgruppen-Befragungen wurden folgende Themenbereiche adressiert:
Bei der Bearbeitung dieser Fragestellungen wurde zwischen einer persönlichen, lehrkräftezentrierten und einer pädagogischen Perspektive, mit Fokus auf Umsetzung des Bildungsauftrages, unterschieden. Aus arbeitsmedizinischer Sicht ist vor allem die lehrkräftezentrierte Perspektive von Relevanz, der im Rahmen dieses Beitrags verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Methoden
Zu den Fokusgruppen
Die Fokusgruppen-Befragungen wurden mit Lehrkräften aus zwei Bundesländern, jeweils in einem Flächen- und einen Stadtstaat (Rheinland-Pfalz und Hamburg), durchgeführt. Die Durchführung der Fokusgruppen fand im Zeitraum vom 08.06.2021 bis 24.06.2021 statt. Dieser Zeitraum wurde durch eine Infektionslage mit hohen Inzidenzen in Deutschland gekennzeichnet (Statista 2021). Zeitgleich dominierte in diesem Zeitraum die gegenüber dem SARS-CoV-2-Wildtyp ansteckendere Variante B.1.1.7 in Deutschland. Neben der bundesweiten „Notbremse“ ab dem 23.04.2021 zur Eindämmung der Pandemie waren (Stand 30.04.2021) bereits 7,7 % der Bevölkerung vollständig geimpft und 26,9 % einfach geimpft. Insgesamt wurde die Rekrutierung der Teilnehmenden durch das dynamische Infektionsgeschehen und die damit verbundene Unsicherheiten deutlich erschwert.
Die Konzeption der Fokusgruppen-Befragung erfolgte in einem mehrstufigen Prozess (Leitfadenentwicklung, Diskussion in Expertenteams, Pretests, finale Gestaltung von Leitfaden und digitalen Unterstützungstools). Die Dauer der Fokusgruppen betrug etwa 165 Minuten, inklusive Einführungs- und Vorstellungsphase sowie einer Pause. Dabei wurden jeweils Gruppen von 3–5 Personen analog zu den oben beschriebenen Leitthemen befragt.
Pandemiebedingt fanden die Fokusgruppen digital über Microsoft-Teams statt. Zur Unterstützung der Moderation und zur Dokumentation der Ergebnisse wurde die Online-Kollaborations-Plattform „Miro“ genutzt. Vor die jeweiligen Fokusgruppen wurde eine kurze Online-Befragung via Limesurvey geschaltet, um die Erhebung soziodemografischer Variablen der Teilnehmenden abzubilden. Nach dieser Limesurvey-Befragung und der Zustimmung zu Einverständnis- und Datenschutzerklärung konnten die Teilnehmenden über einen Link der Besprechung via Microsoft-Teams beitreten. Die Teilnahme an den Fokusgruppen war freiwillig. Alle Aussagen der Teilnehmenden wurden ohne Personenbezug dokumentiert. Die Ergebnissammlung in den Fokusgruppen erfolgte digital in Form von thematisch sortierten Antwortkarten innerhalb eines von einem Psychologen moderierten Prozesses und durch Unterstützung von Mitarbeitenden des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin in Mainz. Die Studie wurde durch die Ethikkommission der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz begutachtet und genehmigt (Antragsnummer 2020-15531).
Rekrutierung
Die Rekrutierung der Teilnehmenden für die Fokusgruppen-Befragungen erfolgte in Abstimmung mit dem Ministerium für Bildung in Rheinland-Pfalz und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Rekrutierung der einzelnen Teilnehmenden in Rheinland-Pfalz wurde durch eine randomisierte Auswahl aus einer dem Forschungsteam vorliegenden Schulliste in sechs Rekrutierungswellen durchgeführt. Hierbei erhielten die zufällig ausgewählten Schulen ein Informationsschreiben, mit allen wichtigen Informationen zum Forschungsprojekt und eine Einladung zur Teilnahme an einer der Fokusgruppen. Durch die geringe Anzahl an Rückmeldungen wurde in der letzten Rekrutierungswelle ein Teil der Schulen, zu denen in anderen Projekten bereits ein Kontakt über das Institut für Lehrergesundheit (Mainz) bestand, ein zweites Mal angeschrieben. Da für Hamburg kein systematischer Zugang über Schullisten gegeben war, erfolgte die Rekrutierung der Fokusgruppen in Hamburg in Kooperation mit der GEW. Ein Informationsschreiben wurde über GEW-interne Verteiler an deren Mitglieder an Schulen in Hamburg weitergeleitet, verbunden mit der Bitte, dieses in deren jeweiligen Dienststellen/Schulen zu verteilen. Aufgrund der beschriebenen Vorgehensweise liegen keine Daten zu der genauen Anzahl der kontaktierten Personen/Schulen in Hamburg vor.
Auswertung
Die gesammelten Antworten beziehungsweise Aussagen der Teilnehmenden wurden über alle Fokusgruppen hinweg aggregiert ausgewertet. In Anlehnung an die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) wurden inhaltlich miteinander assoziierte Aussagen mit Bezug auf die Fragestellungen zusammengefasst und auf deren Basis Kategorien formuliert. Hierbei arbeiteten mindestens zwei Mitarbeitende unabhängig voneinander, um im Anschluss die unabhängig voneinander gebildeten Kategorien auf Übereinstimmung beziehungsweise Unterschiede hin zu vergleichen, mit dem Ziel, konsensuell geteilte Kategorien zu bilden (Mayring 2015). Die Ergebnisse wurden anschließend in themenbezogene Mindmaps übertragen und die Kategorien durch Ankerbeispiele belegt.
Ergebnisse
Stichprobenbeschreibung
Insgesamt wurden drei Fokusgruppen mit Schulen aus Rheinland-Pfalz und eine Fokusgruppe mit einer Schule aus Hamburg durchgeführt (n = 17 Teilnehmende). Der Altersdurchschnitt betrug 43,8 Jahre (SA = 9,0) und 88,2 % (n = 15) der Befragten waren weiblichen Geschlechts. Von den Teilnehmenden gaben 23,5 % an, Schulleiterinnen beziehungsweise Schulleiter zu sein (n = 4), 64,7 % ordneten sich der Berufsgruppe der Lehrkräfte zu (n = 11), 5,9 % gaben an, eine pädagogische Fachkraft zu sein (n = 1) und eine Lehrkraft machte hierzu keine Angabe. Die Verteilung nach Schulformen setzte sich folgendermaßen zusammen: 5,9 % Realschule (n = 1), 29,4 % Förderschule (n = 5), 29,4 % Gymnasium (n = 5), 29,4 % Integrierte Gesamtschule (n = 5) und 5,9 % Berufsschule (n = 1). Insgesamt gaben 52,9 % der Teilnehmenden an, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein (n = 9).
Identifizierung von SARS-CoV-2-spezifischen Belastungen und Herausforderungen
Die Synthese aus den Fokusgruppen zur Identifizierung SARS-CoV-2-spezifischer Belastungen und Herausforderungen mit Fokus auf schulorganisatorische Faktoren1 ist in ➥ Abb. 1 dargestellt.
In Abb. 1 wird illustriert, dass die befragen Lehrkräfte den durch die SARS-CoV-2-Pandemie bedingten erhöhten Arbeitsaufwand, die entgrenzten Arbeitszeiten sowie die fehlende Planungssicherheit als herausfordernd empfanden. Dies wird zum Beispiel durch die Aussage eines Teilnehmenden verdeutlicht, in der es heißt: „Man hat das Gefühl nie Feierabend zu haben“. Zudem wurden Schwierigkeiten für Anwärterinnen und Anwärter beschrieben und deren Ausbildungsqualität unter pandemischen Bedingungen in Frage gestellt. Des Weiteren wurde Kritik an den Landesbehörden geäußert: Diese würden die Verantwortung im Umgang mit der Pandemie häufig an die Schulleitungen delegieren und zudem die Fürsorgepflicht gegenüber ihren Beschäftigten, den Lehrkräften, verletzen.
Umsetzung, Kommunikation und Einhaltung von Hygienerichtlinien und -plänen
Bei der Kategorisierung der Aussagen zur Umsetzung, Kommunikation und Einhaltung von Hygienerichtlinien und -plänen wurde zwischen einer persönlichen, also lehrkräftezentrierten, schulspezifischen und arbeitsbezogenen Ebene unterschieden. Die Synthese aus schulspezifischer Ebene ist in ➥ Abb. 2 dargestellt.
Es ist zu sehen, dass konkrete Infektionsschutzmaßnahmen von den befragten Lehrkräften grundsätzlich als wirksam angesehen werden, deren Umsetzung im Schulalltag allerdings kontrovers bewertet und diskutiert wird. Dies zeigt sich vor allem beim Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen (MNB), der Einhaltung der AHA-L-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, Lüften) und bei der Durchführung von SARS-CoV-2-Tests in der Schule. Insbesondere das Testen von Schülerinnen und Schülern durch Lehrkräfte wurde als bedenklich und aufwendig eingeschätzt. Die Umsetzung der Maßnahmen würde zudem durch Uneinigkeit beziehungsweise unterschiedliche Einstellungen zur SARS-CoV-2-Pandemie innerhalb des Kollegiums erschwert; unter anderem durch fehlende Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen Maßnahmen, unzureichende Ausstattung mit Infektionsschutzmaterial (z. B. Masken, Desinfektionsmittel) sowie mangelnde und zu kurzfristige Kommunikation, vor allem seitens der Gesundheitsämter und Ministerien. Zudem gilt es zu resümieren, dass die befragten Lehrkräfte dem Thema des Impfens positiv gegenüberstanden und dankbar für die Einordnung in eine hohe Priorisierungsgruppe waren.
Auswirkungen des Schulbetriebs während der SARS-CoV-2-Pandemie auf Lehrkräfte
Die Auswirkungen des Schulbetriebs während der SARS-CoV-2-Pandemie auf Lehrkräfte zeichneten sich auf somatischer, psychischer und sozialer Ebene ab und sind in ➥ Abb. 3 zusammengefasst.
Es wird deutlich, dass das Gesundheitsverhalten während der Pandemie beeinträchtigt war (z. B. unzureichende körperliche Aktivität, lange Sitzzeiten, hoher Medienkonsum, gestörter Schlaf), was von einer teilnehmenden Lehrkraft als „Raubbau am Selbst …“ beschrieben wurde. Auf psychischer Ebene wurden Reaktionen von Überlastung wie subjektiv empfundener Stress, Dünnhäutigkeit, Schwierigkeiten abzuschalten, Panik oder Wut berichtet und im Zuge dessen der Wunsch nach Entlastung und von einer Person sogar nach einem Sabbatjahr geäußert. Auf sozialer Ebene stand das Thema Familie im Fokus. Hier wurde einerseits die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie pandemiebedingte Sorgen um die Familie negativ herausgestellt, der Rückhalt der Familie allerdings auch als wertvolle Ressource in der Pandemie erachtet.
Sammlung von Best-Practice-Beispielen und Ableitung von Empfehlungen
Um Empfehlungen für die gegenwärtige Pandemie und die Zukunft ableiten zu können, wurden die Lehrkräfte gefragt, was ihrer Meinung nach gut lief und was benötigt würde, um den Infektionsschutz an Schulen noch effektiver umsetzen zu können. Neben Empfehlungen zur Verbesserung konkreter Maßnahmen wie zum Beispiel bezüglich der Umsetzung der AHA-L-Regeln (z. B. kleinere Klassen, Sanktionsmöglichkeiten bei Missachtung von Infektionsschutzmaßnahmen, räumliche bzw. bauliche Trennung) oder Durchführung der SARS-CoV-2-Tests (z. B. Durchführung durch medizinisches Fachpersonal) fällt aus arbeitsmedizinischer Sicht auf (➥ Abb. 4), dass die Sicherstellung von Strukturen des Arbeitsschutzes erbeten wurde, auch und insbesondere in Pandemiezeiten. Auf politischer Ebene wurde einerseits die Aussetzung des Föderalismus, beispielweise bei der Durchsetzung der Bundesnotbremse, als positiv bewertet und anderseits die Bereitstellung von Ressourcen zur Umsetzung der Infektionsschutzmaßnahmen gefordert. Impfungen trugen zur Erleichterung und Entspannung der Gesamtsituation bei und wurden von der Lehrerschaft prinzipiell, wie auch schon zuvor im Kapitel zur Umsetzung der Maßnahmen erkenntlich wurde, als äußerst relevant angesehen, um den Infektionsschutz an Schulen zu gewährleisten und damit einhergehende negative Konsequenzen (z. B. Ängste) zu reduzieren.
Diskussion
Ziel der Studie war es, mittels eines qualitativen Forschungsdesigns Lehrkräfte in Deutschland zum Unterrichten während der SARS-CoV-2-Pandemie zu befragen. Besonderes Augenmerk lag hierbei auf der Identifizierung von SARS-CoV-2-spezifischen Belastungen und Herausforderungen, der Umsetzung, Kommunikation und Einhaltung von Hygienerichtlinien und -plänen sowie den Auswirkungen des Schulbetriebs während der SARS-CoV-2-Pandemie auf Lehrkräfte. Ebenfalls wurden Best-Practice-Beispiele gesammelt, um Empfehlungen für die Schulpraxis unter pandemischen Bedingungen ableiten zu können. Aufgrund der Vielzahl an Ergebnissen wird sich im Rahmen der Diskussion auf ausgewählte Aspekte, die aus arbeitsmedizinischer Sicht von besonderem Interesse sind, fokussiert.
Aus arbeitsmedizinischer Sicht besonders relevant sind Aussagen wie beispielsweise die, dass es während der Pandemie zunehmend zu entgrenzten Arbeitszeiten und somit zu einer Verschmelzung von Arbeit- und Privatleben kam. Um dieses Phänomen, das vor allem während der SARS-CoV-2-Pandemie zunehmend in den arbeitsmedizinischen Fokus gerückt ist, hat sich der Begriff des Work-Life-Blendings konstituiert. Eine der ersten Studien zum Work-Life-Blending wurde Anfang 2021 durchgeführt (Bahr 2021). Im Rahmen dieser Studie wurden rund 2800 Beschäftigte aus kleinen und mittelständischen Unternehmen weltweit befragt, darunter 299 Teilnehmende aus deutschen Betrieben. Über die Hälfte (53 %) der Befragten dieser Studie gab an, im Homeoffice berufliche Anrufe vor oder nach den Arbeitszeiten zu beantworten, 48 % arbeiteten am Wochenende. Rund 44 % der Befragten beschrieben zudem, zu einem gewissen Grad ein Burnout zu erleben, seit sie im Homeoffice arbeiten. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen einen ähnlichen Trend dahingehend auf, dass bei Lehrkräften in Deutschland während der Pandemie ebenfalls die Trennung zwischen Berufs- und Privatleben verschwommen war. Dies spiegelt sich auch in den berichteten Auswirkungen wider, die ebenfalls einen Hinweis auf emotionale Erschöpfung und Ausgebranntheit liefern. Daher empfehlen wir, die Ergebnisse der vorliegenden qualitativen Untersuchung von Lehrkräften durch quantitative Untersuchungen zu verifizieren und den Lehrkräften zudem Empfehlungen sowie Weiterbildungsmöglichkeiten zu entlastenden Kompetenzen (z. B. Zeitmanagement, Arbeitsorganisation) an die Hand zu geben, um einem Work-Life-Blending und den damit einhergehenden Beanspruchungsreaktionen entgegenzuwirken.
Des Weiteren klang im Rahmen der Untersuchung an, dass die Ausbildungsqualität der Anwärterinnen und Anwärter während der SARS-CoV-2-Pandemie, die wie auch in anderen Bereichen durch Fernunterricht, Selbststudium oder hybride Modelle geprägt war, in Frage gestellt wurde. Dabei stellen gerade die Lehramtsanwärterinnen und -anwärter die zukünftigen Lehrkräfte dar, die maßgeblich an der Umsetzung des Bildungsauftrags der nächsten Generationen von Schülerinnen und Schülern beteiligt sein werden. Zudem galt das Kollektiv der Lehramtsanwärterinnen und -anwärter auch vor der SARS-CoV-2-Pandemie als enorm beansprucht und als Risikogruppe für beeinträchtige mentale Gesundheit (Darius et al. 2021; Drüge et al. 2014). Es erscheint plausibel anzunehmen und wurde im Rahmen unserer Untersuchung bestätigt, dass sich die Belastungen durch die SARS-CoV-2-Pandemie verändert und insgesamt verstärkt haben. Aus diesem Grund empfehlen wir, der Zielgruppe der Anwärterinnen und Anwärter besondere Aufmerksamkeit zu schenken und sicherzustellen, dass einerseits die Qualität deren Ausbildung gewährleistet ist und andererseits Maßnahmen initiiert werden, um gesundheitsfördernde Ressourcen in diesem jungen Kollektiv zu stärken, um den Umgang mit der Pandemie und die damit assoziierten Herausforderungen besser bewältigen zu können. Hier wären Mentorinnen-/Mentorenprogramme ebenso denkbar wie digitale Unterstützungsangebote, wie sie beispielweise am Institut für Lehrergesundheit in Mainz angeboten werden.
Einen weiteren kritischen Aspekt stellt die Verschlechterung des Gesundheitsverhaltens von Lehrkräften während der SARS-CoV-2-Pandemie dar. Dieses Phänomen wurde bereits durch zahlreiche quantitative Studien sowohl für die Allgemeinbevölkerung als auch für verschiedenste spezifische Kollektive nachgewiesen und lässt sich für eine Vielzahl an gesundheitlichen Dimensionen abbilden, so unter anderem für Bewegung, Schlaf, Ernährung, Tabak- und Alkoholkonsum (Ammar et al. 2020; Knell et al. 2020; Zvolensky et al. 2020; Carroll et al. 2020; Castañeda-Babarro et al. 2020). Diese negative Entwicklung des Gesundheitsverhaltens quer durch die Bevölkerung stellt ein enormes Public-Health-Risiko dar. Aus diesem Grund sollte beziehungsweise müssen während der SARS-CoV-2-Pandemie die Gedanken von Prävention und Gesundheitsförderung noch stärker intensiviert, angesichts der pandemischen Besonderheiten weiterentwickelt und in den verschiedenen Lebenswelten (Sozialgesetzbuch V 2018) angewandt werden. Ein Fokus sollte hierbei auf der Vermittlung gesundheitsfördernder Verhaltensweisen beziehungsweise eines gesundheitsfördernden Lebensstils für Lehrkräfte gelegt werden. Digitale Angebote zur Vermittlung von Gesundheitsangeboten stellen vor allem unter pandemischen Bedingungen eine Methode der Wahl dar.
Abschließend lässt sich resümieren, dass das Unterrichten an Schulen während der SARS-CoV-2-Pandemie für Lehrkräfte überwiegend als herausfordernd empfunden wurde und sich negativ auf deren Gesundheit ausgewirkt hat. Allerdings konnten im Rahmen dieser Studie auch positive Aspekte aus der Pandemie abgeleitet sowie Empfehlungen beschrieben werden, die im Rahmen dieses Beitrags in die Formulierung von Best-Practice-Beispielen eingeflossen sind und die es im weiteren Verlauf der SARS-CoV-2-Pandemie sowie in etwaigen zukünftigen Pandemien zu beachten gilt.
Limitationen
Es ist kritisch anzuführen, dass der zeitliche Kontext, in dem sich die Rekrutierung sowie Durchführung der Fokusgruppen-Befragungen abspielte durch sinkende Infektionszahlen sowie einer Rückkehr zum Wechsel- oder Präsenzunterricht an den Schulen geprägt war. Diese Umstände und die damit einhergehenden organisatorischen Aufgaben seitens der Schulen schienen sich negativ auf die Bereitschaft zur Teilnahme an den Fokusgruppen auszuwirken, was sich in der geringen Stichprobengröße ausdrückte.
Zudem ist zu erwähnen, dass sich die Stichprobe lediglich aus Teilnehmenden der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hamburg zusammensetzt und somit, auch bedingt durch länderspezifische Unterschiede bei der Umsetzung des Bildungsauftrages an Schulen, keine Aussagen für Lehrkräfte im Allgemeinen beziehungsweise für Lehrkräfte in Deutschland getroffen werden können. Des Weiteren ist kritisch zu resümieren, dass durch Selbstselektionsprozesse zur Teilnahme an der Fokusgruppen-Befragung eine Stichprobenverzerrung stattgefunden haben kann. Diese könnte sich zum Beispiel dahingehend zeigen, dass sich besonders diejenigen Lehrkräfte angemeldet haben, die eine intrinsische Motivation zur Teilnahme an der Studie verspürten und zusätzlich die dafür nötigen zeitlichen Ressourcen zur Verfügung hatten.
Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Finanzierung: Das Drittmittelprojekt „SARS-CoV-2 Arbeits- und Infektionsschutzmaßnahmen an Schulen“, in dessen Rahmen die Studie dieses Beitrags durchgeführt wurde, wird durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) finanziert.
Danksagung: Wir sprechen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) besonderen Dank für die Unterstützung bei der Rekrutierung der Probandinnen und Probanden aus.
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