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Gesund und fit bleiben im Homeoffice

Worauf bei der Remote-Arbeit zu achten ist

Unter dem Primat des Infektionsschutzes wurde im Frühjahr 2020 gleichsam über Nacht, wo immer es möglich war, die Büroarbeit nach Hause verlegt. Die rechtlichen Grundlagen der Folgezeit ermöglichten es, in einer „epidemischen Notlage von nationaler Tragweite“ die Arbeit im Homeoffice verordnen zu können. Doch während die Arbeit im Büro und die dauerhafte Homeoffice-Arbeit (Telearbeit) der Arbeitsstättenverordnung und damit den Kontrollpflichten des Arbeitgebers unterliegen, ist dies bei der temporär mobilen Büroarbeit (Remote) nicht der Fall.

Empfehlungen zur Verhaltens­prävention und Gestaltung der Zusammenarbeit

Deshalb wurden in der Initiative „Mitdenken 4.0“ der Verwaltungsberufsgenossenschaft gemeinsam mit maßgeblichen Sozialpartnern Tipps erarbeitet, die sich hauptsächlich auf die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen den mobil Arbeitenden und dem Unternehmen beziehen (s. „Weitere Infos“). Durch die heterogenen Voraussetzungen von mobiler Arbeit erweisen sich Festlegungen räumlicher Mindestanforderungen als hochkomplex und in der Praxis kaum tauglich: Neben den vielfältigen individuellen Wohn- und Familiensituationen gibt es mit dem Arbeiten an „dritten“ Orten wie Zug, Hotel, Café oder Coworking-Räumen zusätzliche Mobilarbeitsplätze, die sich im Sinne einer wirksamen Verhältnisprävention nicht standardisieren geschweige denn kontrollieren lassen. Umso wichtiger erscheint deshalb die Verhaltensprävention (s. Infokasten).

Abb. 2:  Maximale Range of Motion und Verteilung der Bewegungshäufigkeit bei Bürotätigkeiten auf einem 3D-beweglichen Bürostuhl (Quelle: Deutsche Sporthochschule Köln, Studie „Mehr ­Bewegung am Sitzarbeitsplatz“, 2018)

Abb. 2: Maximale Range of Motion und Verteilung der Bewegungshäufigkeit bei Bürotätigkeiten auf einem 3D-beweglichen Bürostuhl (Quelle: Deutsche Sporthochschule Köln, Studie „Mehr ­Bewegung am Sitzarbeitsplatz“, 2018)
Abb. 3:  Signifikant höhere Stoffwechselaktivität in der Lumbalmuskulatur eines 3D-beweglichen Bürostuhls im Vergleich zu einem 2D-beweglichen Bürostuhl (Quelle: Deutsche Sporthochschule Köln, Studie „Mehr Bewegung am Sitzarbeitsplatz“, 2018)

Abb. 3: Signifikant höhere Stoffwechselaktivität in der Lumbalmuskulatur eines 3D-beweglichen Bürostuhls im Vergleich zu einem 2D-beweglichen Bürostuhl (Quelle: Deutsche Sporthochschule Köln, Studie „Mehr Bewegung am Sitzarbeitsplatz“, 2018)
Abb. 4:  Schematische Darstellung eines 3D-beweglichen Bürostuhls (Quelle: Wilkhahn)

Abb. 4: Schematische Darstellung eines 3D-beweglichen Bürostuhls (Quelle: Wilkhahn)

Zunahme bei muskuloskelettalen und depressiven Erkrankungen

Das dies nottut und ganz im Eigeninteresse der Tarifparteien liegen sollte, zeigen die zahlreichen Studien und Auswertungen zu Gesundheitsauswirkungen, die nach mittlerweile fast 24 Monaten überwiegend mobiler Büroarbeit vorliegen. Zudem ist mit dem aktuell diskutierten „Recht auf Homeoffice“ eine dauerhafte Verstetigung zumindest temporärer Remote-Arbeit auch außerhalb epidemischer Notlagen zu erwarten. So hatte der DEKRA-Arbeitssicherheitsreport aus dem April 2021
(s. „Weitere Infos“) für das Homeoffice-Jahr 2020 bei muskuloskelettalen Erkrankungen eine Zunahme von sieben Prozent, bei depressiven Erkrankungen um acht Prozent ermittelt. Und der DKV-Report „Wie gesund lebt Deutschland?“ (s. „Weitere Infos“) konstatiert, dass 89% der Bevölkerung die Parameter für ein rundum gesundes Leben nicht mehr erreichen. Im Vergleich von 100% Büroarbeit im Homeoffice und hybrider Büroarbeit (teils zuhause, teils im Büro) wurden bei Ersterem eine signifikante Zunahme der Sitzzeiten und entsprechend rückläufige Zeiten bei körperlicher Arbeit, Stehen und Gehen ermittelt.

Wechselwirkungen dreier Risiko­faktoren für den Stoffwechsel

Langes Sitzen beziehungsweise im Umkehrschluss der Bewegungsmangel gelten laut World Health Organization (WHO) schon seit Jahren als eigenständiges Gesundheitsrisiko und wichtige Ursache für zahlreiche Zivilisationskrankheiten wie Rückenschmerzen, Degenerationen des Muskel- und Skelettapparats sowie Übergewicht. Auch Stresserkrankungen, Neubildungen, das Immunsystem und selbst die kognitive Leistungsfähigkeit hängen unstrittig ganz wesentlich mit ausreichenden körperlichen Aktivitäten zusammen. Wichtig ist bei der Betrachtung ein ganzheitliches Verständnis der verschiedenen Gesundheitsaspekte: Sowohl Bewegungsmangel wie auch psychische Belastungen und unausgewogene Ernährung beeinträchtigen die Stoffwechselfunktionen und führen zu entsprechend negativen Folgeerscheinungen. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des EKFZ (Else Kröner-Fresenius Zentrum) für Ernährungsmedizin an der TU München haben rund 40% der Befragten im Homeoffice um durchschnittlich 5,5 kg zugenommen (s. „Weitere Infos“). Alle drei Faktoren scheinen demnach im Homeoffice häufiger zusammenzukommen und sich wechselseitig zu verstärken. Das ist sicher einer der Gründe dafür, warum sich die Gesundheitsparameter im Jahr 2020 nochmals verschlechtert haben (➥ Abb. 1).

Handlungsfeld Bewegungsförderung

So paradox es erscheint: Gerade die mobile Büroarbeit ist mit einer extremen Reduktion der körperlichen Aktivitäten verbunden. Die notwendigen Bewegungen für den Broterwerb sind durch die Digitalisierung schon im Büro überwiegend auf die Bedienung des zweidimensionalen Desktops und entsprechende Fingerübungen reduziert, deren mikromotorische Steuerung zudem eine konzentrierte Haltung und körperliche Entlastung erfordert. Im Homeoffice finden jedoch sämtliche Büroprozesse am Rechner statt, auch Besprechungen, Schulungen und Konferenzen, so dass die im Büro dafür nötigen Raum- und Haltungswechsel komplett entfallen. Weil die Prozessimpulse für Raum- und Haltungswechsel fehlen, ist ein Arbeitsstuhl, der häufige und vielfältige Haltungswechsel fördert, eines der wichtigsten Instrumente, um den Stoffwechsel in Muskulatur und Gelenken zumindest mit solchen Minimalaktivitäten immer wieder anzuregen. Inzwischen gibt es dreidimensional bewegliche Arbeitsstuhlmodelle, die dem Organismus deutlich mehr und vielseitigere Bewegungsimpulse bieten und damit den Stoffwechsel stimulieren (s. „Weitere Infos“; ➥ Abb. 2–4).

Hilfreich ist es auch, sich mit Kolleginnen und Kollegen virtuell zu regelmäßigen Bewegungspausen zu verabreden, da hierfür Eigensteuerung und Selbstkontrolle häufig nicht ausreichen. Weil zudem die Distanzen zu Küche, Esstisch und Toilette deutlich kürzer sind als im Büro und keine Wegstrecken zur Arbeit und nach Hause zurückgelegt werden, sollte auch zu Hause regelmäßig „zur Arbeit gegangen werden“. Nach dem Frühstück und vor dem Wechsel in die Homeoffice-Arbeit bewirken frische Luft und Bewegung bei der „Runde um den Block“ nicht nur für die Physis Wunder: Der Rollenwechsel vom Privat- in den Arbeitsmodus fällt dann ebenfalls deutlich leichter. Darauf zahlt auch ein, wenn andere Rituale beibehalten werden, wie etwa das Tragen der Berufskleidung im Homeoffice. Das zeigt, wie sehr auch die psychischen Faktoren der Raumgestaltung im Blick zu behalten sind.

Handlungsfeld Rollenwechsel und Symbolik

Dass Verhalten und Befindlichkeit stark vom Unterbewusstsein beeinflusst werden, ist längst unstrittig. Wenig im Blick ist jedoch, was dies für die mobile Büroarbeit bedeutet. Die überwiegende Mehrzahl der temporär im Homeoffice Tätigen verfügt dort nicht über einen eigenen Büroraum, sondern nutzt die vorhandenen Wohnmöbel dafür. Ein Esstisch beispielsweise ist jedoch mit dem Essritual und oft mit Familienleben konnotiert, also einem dezidiert privaten Kontext, und nicht mit „Büro“ und Beruf. Entsprechend schwierig ist es, in diesem „Setting“ umzuschalten. Das gilt noch mehr für die gerne zitierte „Arbeit auf dem Sofa“, das bei der Mehrzahl mit ganz anderen Gefühlen, Befindlichkeiten und Tätigkeiten als mit dem Job verknüpft sein dürfte – von den ergonomischen Problemen stundenlanger Arbeit auf einem weichen Sofa ganz zu schweigen. Dass auch Laptops, Tablets und Smartphones zuhause normalerweise privaten Nutzungen dienen, macht es noch schwieriger – und das nicht nur für die Homeoffice-Arbeitenden selbst. Wie sollen andere Mitglieder des Haushalts wie Lebenspartnerin/Lebenspartner oder Kinder unterscheiden können, ob das Mitgucken gerade erlaubt ist oder nicht? Ob ein Telefonat unterbrochen werden darf oder nicht?

Symbole, wie Berufskleidung und deutlich sichtbare Gestaltungsinterventionen, können allen Beteiligten im Haushalt den Rollenwechsel und die temporäre Umwidmung des privaten Kontexts signalisieren. Auch hier gibt es inzwischen interessante Lösungen, wie etwa auffaltbare Tischaufsätze aus Akustikvlies, die jeden Tisch im Handumdrehen in einen Arbeitsplatz verwandeln und sich nach Feierabend leicht abräumen und kompakt verstauen lassen. Neben der symbolischen Wirkung erleichtern sie konzentriertes Arbeiten und es lassen sich ergonomische Faktoren wie Blendfreiheit sowie visuelle und akustische Abschirmung verbessern. Wird eine solche Abschirmung dann umgedreht auch als Pultaufsatz genutzt, kann selbst ein Esstisch zwischendurch zum gesundheitsfördernden Steharbeitsplatz mutieren (➥ Abb. 5).

Auch wenn die Arbeitgebendeseite bei der Verhältnisprävention für das mobile Arbeiten nicht in der Pflicht ist, so steht sie doch auch dort in der Verantwortung für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit. Es ist höchste Zeit, auf Basis der validen Studien zu den Chancen und Risiken der Remote-Arbeit zumindest in die Verhaltensprävention zu investieren und die Beschäftigten auszubilden und fit zu machen für gesundes Arbeiten im Homeoffice! Und was spricht eigentlich dagegen, die Beschäftigten auch bei der Ausstattung des privaten Arbeitsumfelds zu unterstützen? Damit ließen sich nicht nur Arbeitsbedingungen verbessern und Ausfallkosten reduzieren, sondern auch die Loyalität zum Unternehmen verbessern, die im ersten Pandemiejahr weiter abgenommen hat (Gallup: Engagement-Index in Deutschland 2020, s. „Weitere Infos“).

Interessenskonflikt: Der Autor widmet sich als angestellter Manager des Büromöbelherstellers Wilkhahn der Analyse und Kommunikation von Rahmenbedingungen heutiger und zukünftiger Büroarbeit.

doi:10.17147/asu-1-189981

Weitere Infos

DEKRA Arbeitssicherheitsreport 2021
www.dekra.de/arbeitssicherheitsreport2021

Else Kröner-Fresenius Zentrum für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München, Corona befeuert eine andere Pandemie
https://www.ekfz.tum.de/system-ordner/nachricht-detail/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=100&cHash=211ae0823ee2e79af0ac22018c25a00c

VBG Gesetzliche Unfallversicherung: Arbeit im Homeoffice gesund gestalten, 2020
https://www.certo-portal.de/fileadmin/media/bilder/Landingpage-mitdenken-4.0/Factsheet-Homeoffice.pdf

DKV-Report 2021
https://www.ergo.com/de/Newsroom/Reports-Studien/DKV-Report

Gallup-Engagement Index 2020
https://www.gallup.com/file/de/321938/Engagement-Index-Deutschland-2020.pdf

Froböse I, Feodoroff B, Schams P am Zentrum für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln: Mehr Bewegung am Sitzarbeitsplatz, 2018
https://wilkhahncom-2f42.kxcdn.com/fileadmin/user_upload/Wilkhahn-Studie-Trimension.pdf

Abb. 5:  Schematische Darstellung eines faltbaren Tischaufsatzes, der den Arbeitsmodus ­signalisiert, Konzentration fördert, visuell und akustisch abschirmt, Blendfreiheit verbessert und nach vorne abgekippt als Stehpultaufsatz fungieren kann (Quelle: Wilkhahn)

Abb. 5: Schematische Darstellung eines faltbaren Tischaufsatzes, der den Arbeitsmodus ­signalisiert, Konzentration fördert, visuell und akustisch abschirmt, Blendfreiheit verbessert und nach vorne abgekippt als Stehpultaufsatz fungieren kann (Quelle: Wilkhahn)

Info

Prävention

  • Sensibilisierung der mobil Arbeitenden für die Gesundheitsrisiken inklusive Übungen, wie diesen begegnet werden kann.
  • Vereinbarung klarer Regeln bezüglich ­Erreichbarkeit, Arbeits- und Pausenzeiten sowie Mediennutzung.
  • Training der Führungskräfte für neue ­Formen der Führung und Fürsorge.
  • Unterstützung oder zumindest Beratung bei der Beschaffung „raumwirksamer“ Arbeitsutensilien über die IT-Technik hinaus.
  • Kernaussagen

  • Es ist höchste Zeit, die Verhaltensprävention für die mobile Büroarbeit in den Arbeitsschutz aufzunehmen.
  • Bewegungsmangel, unausgewogene Ernährung und psychische Belastungen bei der mobilen Büroarbeit verstärken sich als Einflussfaktoren auf den Stoffwechsel.
  • Es lohnt sich, trotz der Heterogenität der Arbeitsorte für mobile Büroarbeit auch dort in ­Mindestmaßnahmen zur Verhältnisprävention zu investieren.
  • Kontakt

    Burkhard Remmers
    Wilkhahn Wilkening + Hahne GmbH & Co. KG; Fritz-Hahne-Straße 8; 31848 Bad Münder

    Foto: Frank Schinski OSTKREUZ

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