Forklift Drivers Targeted by Occupational Medicine
Der Eignungsbegriff kann unterschiedlich ausgelegt werden
„Bei der Übertragung von Aufgaben auf Beschäftigte hat der Arbeitgeber je nach Art der Tätigkeiten zu berücksichtigen, ob die Beschäftigten befähigt sind, die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Aufgabenerfüllung zu beachtenden Bestimmungen und Maßnahmen einzuhalten“ (Arbeitsschutzgesetz [ArbSchG], s. „Weitere Infos“). Das Arbeitsschutzgesetz koppelt in § 7 die Aufgabenübertragung an die „Befähigung“. Dieser Nomenklatur folgt auch die Vorschrift 1 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV 2013), die in § 7 (2) zusätzlich festlegt: „Der Unternehmer darf Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen.“
Der Terminus „Eignung“ findet sich in § 7 (1) der DGUV Vorschrift 68 (DGUV 1997,
s. „Weitere Infos“): „Der Unternehmer darf mit dem selbstständigen Steuern von Flurförderzeugen mit Fahrersitz oder Fahrerstand Personen nur beauftragen, die […] 2. für diese Tätigkeit geeignet und ausgebildet sind und 3. ihre Befähigung nachgewiesen haben …“. Eignung wird hier als eine von mehreren Voraussetzungen benannt, ohne aber spezifisch definiert zu werden. Will man sie nicht auf „gesundheitliche“ Aspekte reduzieren, sondern als Mosaik aus Qualifikation, Tauglichkeit und Einsetzbarkeit betrachten, dann wird sie sich einer rein medizinisch-ärztlichen Beurteilung nicht erschließen.
Auch die Staplerfahrenden selbst haben ihre Eignung zu beachten, denn gemäß § 15 ArbSchG (s. „Weitere Infos“)sind Beschäftigte verpflichtet, „nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen.“ Ferner haben sie „auch für die Sicherheit und Gesundheit der Personen zu sorgen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind.“ Die DGUV Vorschrift 1 ergänzt in § 15 diese Verpflichtung: „Versicherte dürfen sich durch den Konsum von Alkohol, Drogen oder anderen berauschenden Mitteln nicht in einen Zustand versetzen, durch den sie sich selbst oder andere gefährden können“, was ausdrücklich auch für die Einnahme von Medikamenten gilt.
Das Unfallgeschehen lässt sich nicht mit Eignungsaspekten korrelieren
Für das Berichtsjahr 2021 erfasst die DGUV 759.993 meldepflichtige Arbeitsunfälle und 370 tödliche Unfälle (s. „Weitere Infos“). Im Straßenverkehr waren – zum Vergleich – 2.314.938 Unfälle mit 323.129 Verletzten und 2562 Toten zu verzeichnen (Statistisches Bundesamt 2023). Mit Gabelstaplern ereigneten sich 15.383 Arbeitsunfälle und 11 tödliche Arbeitsunfälle. Somit waren an 2 % aller Arbeitsunfälle und 3 % aller tödlichen Arbeitsunfälle Gabelstapler beteiligt. 3182 Staplerfahrende haben sich selbst verletzt, in 50,8 % der Unfälle (7822)
wurde eine andere Person durch den Stapler verletzt, beispielsweise angefahren, eingequetscht oder überfahren. 4379 (28,5 %) der Unfälle sind als „übrige Unfallhergänge“ dokumentiert.
Eine Analyse zur Eignung involvierter Staplerfahrer ermöglichen die der Unfallstatistik zugrunde liegenden Daten nicht. Es lässt sich vor allem nicht ableiten, ob in einer relevanten Häufigkeit gesundheitliche Beeinträchtigungen der Unfallbeteiligten, insbesondere der Staplerfahrenden, (mit-)ursächlich für das Unfallereignis waren. Ebenso ist unbekannt, ob die Staplerfahrenden zuvor an einer Eignungsuntersuchung teilgenommen haben oder wie lange diese gegebenenfalls zurücklag.
Die Gefährdungsbeurteilung ist als Arbeitsschutzinstrument zu priorisieren
Die Prävention von Staplerunfällen hat sich primär auf die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG als zentralem Instrument des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu stützen. Das Thema ist für eine enge Kooperation der Fachkräfte für Arbeitssicherheit und der Betriebsärztinnen und -ärzte, wie sie § 10 des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) fordert, prädestiniert. In der Gefährdungsbeurteilung ist zunächst die Umsetzung regulatorischer Vorgaben, beispielsweise der Unfallverhütungsvorschriften, zu prüfen und festzuschreiben.
Sodann treten sicherheitstechnische Aspekte in den Vordergrund der Gefährdungsbeurteilung, wie die mit dem Betrieb von Gabelstaplern verbundene Ausrüstung und der technische Zustand des Gabelstaplers, Fahrer-Rückhalteeinrichtungen, die Kennzeichnung von Verkehrswegen, Beleuchtung und Beschilderungen oder Warnsignale. Ferner bedarf es einer kritischen Betrachtung des bestimmungsgemäßen Umgangs mit dem Gabelstapler, etwa der Aufnahme und des Absetzens von Lasten, der Beachtung innerbetrieblicher Verkehrsregeln und von Sicherheitsaspekten beim Verlassen des
Gabelstaplers.
Die Eignungsfeststellung ist in der Gefährdungsbeurteilung als Arbeitgeberpflicht im Sinne der gesetzlichen Vorgaben und nicht als betriebsärztliche Aufgabe zu definieren. Wenn Vorgesetzte den persönlichen Kontakt zu ihren Mitarbeitenden halten, werden ihnen Eignungsdefizite oder kritische Entwicklungen nicht verborgen bleiben. Darunter fallen beispielsweise eine zunehmende Risikobereitschaft von Staplerfahrenden, Bagatellunfälle, Fahrfehler, Unsicherheiten und Ungeschicklichkeiten, nachlassende Zuverlässigkeit oder Regelverstöße – und durchaus auch gravierende Erkrankungen.
Die betriebsärztliche Beteiligung an der Gefährdungsbeurteilung wird sich neben den verhaltenspräventiven Themen der gesundheitlichen Belastungen annehmen, die mit dem Fahren von Gabelstaplern verbunden sein können. Die fahrenden Personen sind durch geeignete Maßnahmen vor ungünstigen Witterungsbedingungen, der Inhalation von Abgasen und der Exposition gegenüber Schwingungen und Umgebungslärm zu schützen.
Zum persönlichen Gebrauch lassen sich Checklisten entwerfen, die Anhaltspunkte für gesundheitliche Einschränkungen auflisten und die Staplerfahrende motivieren, im Zweifelsfall betriebsärztlichen Rat zur Fahrtauglichkeit einzuholen. Parallel dazu muss die Gefährdungsbeurteilung klarstellen, dass Staplerfahrende bei eigenen gesundheitlichen Bedenken die Fahrtätigkeit zunächst einstellen müssen und dürfen.
Ziel der Gefährdungsbeurteilung bleibt das Ermitteln, „welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind“ (Arbeitsschutzgesetz). Das bedeutet auch bei der Beurteilung des Gabelstaplerbetriebs zunächst einen verhältnispräventiven Ansatz, der nach dem STOP-Prinzip1 zu realisieren ist. Die Frage nach der gesundheitlichen Eignung von Staplerfahrenden ist als nachrangig zu betrachten. Die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung fließen in die vorgeschriebene Betriebsanweisung ein und bilden eine solide Grundlage für die Unterweisung der Beschäftigten.
Die Unterweisung kann einen Dialog zur Gesundheit eröffnen
Betriebsärztinnen und -ärzte leisten einen bedeutenden Beitrag zum Gesundheitsschutz von Staplerfahrenden, wenn sie sich aktiv an deren regelmäßigen Unterweisungen beteiligen und diese nicht allein den Fachkräften für Arbeitssicherheit oder den Vorgesetzten überlassen. Vielmehr sollten sie gemeinsam auf die Sicherheits- und Gesundheitsbelange von Staplerfahrenden eingehen, die Erkenntnisse der Gefährdungsbeurteilung erläutern, Verantwortung und Mitwirkungspflichten im Arbeitsschutz ansprechen und vor allem stattgefundene Ereignisse offen erörtern, um daraus weiterführende Erkenntnisse zum Arbeitsschutz zu gewinnen.
Ein offener Dialog zu Gesundheits- und Eignungsthemen kann sich auf die bereits erwähnte medizinische Checkliste stützen. Mit ihr werden die Staplerfahrenden befähigt, sensibel auf gesundheitliche Symptome zu achten, sie offen anzusprechen und die geeigneten Konsequenzen abzuleiten. Dabei ist an die Einnahme von Medikamenten ebenso zu denken wie an Tagesschläfrigkeit, Übermüdung, (Rest-)Alkohol oder spezifische Erkrankungssymptome. Ärztliche Beratung und Untersuchung sind in diesem Zusammenhang als selbstverständliches Angebot zu kommunizieren. Die Staplerfahrenden sind auch auf die Möglichkeit der Wunschvorsorge oder einer selbst initiierten Eignungsuntersuchung hinzuweisen.
Die Teilnahme an einer Wunschvorsorge steht auch Staplerfahrenden offen
Nach § 5a der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) hat der Arbeitgeber „den Beschäftigten auf ihren Wunsch hin regelmäßig arbeitsmedizinische Vorsorge nach § 11 des Arbeitsschutzgesetzes zu ermöglichen, es sei denn, auf Grund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der getroffenen Schutzmaßnahmen ist nicht mit einem Gesundheitsschaden zu rechnen.“
Erkenntnisse aus der Wunschvorsorge als arbeitsmedizinischer Präventionsmaßnahme können somit zur Weiterentwicklung der Gefährdungsbeurteilung „Gabelstapler“ genutzt werden.
Abhängig von der eingebauten Motortechnik, dem Wartungszustand des Gabelstaplers und der Arbeitsumgebung (geschlossene Hallen) können die Abgase von Staplern zur Inhalation verschiedener gesundheitsschädlicher Stoffe führen. Wenn sich Staplerfahrende frühzeitig zur Wunschvorsorge vorstellen, können resultierende arbeitsbedingte Erkrankungen rechtzeitig detektiert und Arbeitsschutzmaßnahmen eingeleitet werden.
Dies gilt ebenso für gesundheitliche Beeinträchtigungen, beispielsweise rezidivierende Atemwegsinfekte, die von Staplerfahrenden auf raumklimatische oder Witterungseinflüsse zurückgeführt werden. Aus der Wunschvorsorge lassen sich technische (geschlossene Fahrerkabine), organisatorische (zeitliche Begrenzungen, Festlegung zwischen Einsatz im Innen- oder Außenbereich) oder persönliche (geeignete Schutzkleidung) Präventivmaßnahmen ableiten.
Wirbelsäulenbeschwerden können Staplerfahrende zum Wahrnehmen der Wunschvorsorge veranlassen, wenn die Bodenbeschaffenheit in Hallen und insbesondere in Freianlagen Erschütterungen und Schwingungen des Staplers verursachen, die sich auf den Fahrer übertragen. Eine Prüfung, ob der Boden für Staplerverkehr geeignet oder auszubessern ist, kann ebenso aus der Vorsorge resultieren wie der Tausch des Fahrersitzes.
Die Wunschvorsorge ermöglicht es neben diesen physischen Belastungen auch, individuelle Wechselwirkungen der Tätigkeit mit der psychischen Gesundheit der/des Staplerfahrenden zu thematisieren.
Die betriebsärztliche Praxis lehrt, dass im Rahmen von Anamnese und Beratung als Kernelement der Vorsorge auch Eignungsaspekte nicht willkürlich ausgeschlossen werden können. Gleichwohl darf ein solcher, ganzheitlicher Ansatz die Wunschvorsorge nicht in eine Eignungsuntersuchung umfunktionieren.
Individuelle Anlässe können betriebsärztliche Untersuchungen begründen
Begründete, auf Tatsachen gestützte Zweifel an der fortbestehenden gesundheitlichen Eignung einer/eines Gabelstaplerfahrenden können Vorgesetzte veranlassen, eine individuelle betriebsärztliche Untersuchung der Person zu veranlassen, um die betriebsärztliche Expertise in das weitere Vorgehen einzubeziehen. Die Vorstellung bei der Betriebsärztin/dem Betriebsarzt ist gegenüber der betroffenen Person transparent und plausibel zu kommunizieren und zu dokumentieren.
Es ist Gabelstaplerfahrenden aber auch unbenommen, sich bei Zweifeln an ihrer gesundheitlichen Eignung in Eigeninitiative betriebsärztlich beraten und untersuchen zu lassen. Je nachhaltiger sich betriebsärztliche Beiträge zu den regelmäßigen Unterweisungen gestalten, desto mehr werden Beschäftigte basierend auf den dortigen Informationen von einem Untersuchungsangebot Gebrauch machen. Informierte, gesundheitsbewusste Staplerfahrende werden beispielsweise auftretende Sehstörungen, Schwindel, Höreinschränkungen, Blutzuckerschwankungen etc. nicht ignorieren. Die resultierende ärztliche Eignungsbeurteilung ist mit der betreffenden Person ausführlich zu besprechen. Allenfalls, wenn diese die Betriebsärztin/den Betriebsarzt rechtssicher dazu autorisiert, darf diese Eignungsbeurteilung dem Arbeitgeber mitgeteilt werden.
Die Sinnhaftigkeit anlassloser Eignungsuntersuchungen ist fraglich
Der individuellen Betrachtung bleibt es überlassen, ob die berichteten Unfallzahlen und die Limitationen der Statistik kollektive, anlasslose Eignungsuntersuchungen rechtfertigen.
Obgleich die intuitive Forderung nach diesen Untersuchungen verbreitet ist und oft mit fiktiven Worst-case-Szenarien untermauert wird, sind keine belastbaren Erkenntnisse darüber verfügbar, welche Bedeutung dem Gesundheitszustand von Staplerfahrenden im Ursachenkontext von Unfallereignissen beizumessen ist.
Dass der prädiktive Wert ärztlicher Routineuntersuchungen begrenzt ist, lässt sich an Unfallereignissen, die durch gesundheitlich „geeignete“ Personen verursacht wurden, nachvollziehen (Albrod 2019). Bestenfalls werden kollektive Eignungsuntersuchungen beschwerdefreier Beschäftigter eine gesundheitliche Bestandsaufnahme zum Zeitpunkt der Untersuchung darstellen. Das diagnostische Repertoire von Betriebsärztinnen und -ärzten dürfte ohnehin nur eine eingeschränkte prognostische Aussage ermöglichen.
Statistische Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Eignungsuntersuchungen müssen sich auf die Historie der früheren Grundsatzuntersuchungen stützen. So wurden exemplarisch im Jahr 2002 von den Landesverbänden der gewerblichen Berufsgenossenschaften 568.424 Nachuntersuchungen (d. h. im laufenden Beschäftigungsverhältnis durchgeführt) nach Grundsatz 25 erfasst. Es ist zu berücksichtigen, dass nicht aufgeschlüsselt wurde, welchen spezifischen Anteil daran die Tätigkeit des Staplerfahrens hatte. Befristete gesundheitliche Bedenken wurden in 6087 Fällen (1,1 %), dauernde Bedenken in 2721 Fällen (0,5 %) attestiert (Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften).
Kritisch zu überlegen ist, ob diese Zahlen eine angemessene Aufwand-Nutzen-Relation widerspiegeln. Einzelberichte über aufgedeckte, teils erhebliche Befunde können bei der großen Zahl durchgeführter Untersuchungen kaum überraschen und sind
statistisch erwartbare Zufallsbefunde. Als Indikation für anlasslose, kollektive Eignungsuntersuchungen können sie nicht unbedingt überzeugen.
Es kann unterstellt werden, dass dauernden Eignungsbedenken gravierende medizinische Befunde zugrunde liegen. Apoplex, orthopädisch, neurologisch oder traumatisch verursachte Motilitätsstörungen, Alkoholfahne, diabetische Stoffwechselentgleisungen, schwere Kreislaufdysregulationen und andere Befunde werden allerdings bereits anamnestisch, d.h. ohne technisch-apparative Diagnostik erkennbar. Auch den Vorgesetzten sollten derartige Beeinträchtigungen daher nicht entgehen und Anlass zu einer individuellen Eignungsuntersuchung geben.
Anlasslose Eignungsuntersuchungen werden rechtlich kritisch gesehen
Anlasslose, kollektive Eignungsuntersuchungen werden mit der rein prinzipiell denkbaren Möglichkeit gesundheitlicher Eignungseinschränkungen begründet, deren Schädigungspotenzial wie dargestellt statistisch keineswegs erwiesen ist. Neben
den medizinisch-inhaltlichen Überlegungen dürfen daher rechtliche Aspekte nicht außer Acht gelassen werden. Routinemäßige Eignungsuntersuchungen unterliegen nicht dem Arbeitsschutzrecht und stützen sich überwiegend nicht auf eine eigene Rechtsverordnung. Nur der Gesetzgeber kann den rechtlichen Rahmen für Eignungsuntersuchungen vorgeben (DGUV-Empfehlungen 2022).
Eine Verpflichtung zur Teilnahme an diesen Untersuchungen würde dem grundgesetzlich verbrieften Recht auf körperliche Unversehrtheit, Berufsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung entgegenstehen. Auch § 7 ArbSchG begründet kein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, einen Eingriff in diese grundgesetzlich geschützten Rechte von Beschäftigten zu verlangen. Das Bundesarbeitsministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hält die Untersuchungen nicht für statthaft und stellt außerdem fest „Anlasslose Eignungsuntersuchungen dürfen also auch im Arbeitsvertrag nicht vereinbart werden“ (BMAS 2018).
Auch Arbeitsschutzvorschriften, die den Arbeitgeber zur Beachtung der Eignung von Beschäftigten verpflichten, bilden keine Rechtsgrundlage für Eignungsuntersuchungen (DGUV-Empfehlungen 2022; Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2018). Das betrifft sowohl die DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ als auch die DGUV Vorschrift 68 „Unfallverhütungsvorschrift Flurförderzeuge“ und weitere Unfallverhütungsvorschriften. Die dort geforderte Berücksichtigung der Eignung beschränkt sich auf die „offenkundige Befähigung und Verfassung von Beschäftigten, soweit sie im Rahmen der üblichen Zusammenarbeit im Betrieb ohne medizinische Fachkenntnis beurteilbar ist“ (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2022).
Als Möglichkeit, die restriktive Handhabung kollektiver Eignungsuntersuchungen zu umgehen, wird häufig ihre Festschreibung in der Gefährdungsbeurteilung propagiert. Dabei bleibt die oben diskutierte Intention des Arbeitsschutzgesetzes unberücksichtigt. Das BMAS schreibt dazu, dass „... die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz kein geeignetes Instrument zur Begründung von Eignungsuntersuchungen [ist]. Die Gefährdungsbeurteilung ist arbeitsplatz- bzw. tätigkeitsbezogen und grundsätzlich unabhängig von der dort tätigen Person durchzuführen. Eignungsuntersuchungen sind keine aus der Gefährdungsbeurteilung ableitbaren Arbeitsschutzmaßnahmen“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2018).
In Betriebsvereinbarungen sind keine Prozeduren festzuschreiben, die sich nachteilig für die Beschäftigten auswirken können, etwa in Form des Arbeitsplatzverlusts wegen ärztlich attestierter gesundheitlicher Bedenken gegen das Fahren eines Gabelstaplers. Noch weniger dürfen sie sich als betriebsverfassungsrechtliche Verträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung, die im Betrieb unmittelbare und zwingende Gültigkeit entfalten, über geltendes Recht hinwegsetzen. Eine Betriebsvereinbarung kann anlasslose kollektive Eignungsuntersuchungen von Staplerfahrern im laufenden Beschäftigungsverhältnis daher nicht begründen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2018).
Die rechtliche Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung lässt sich auch dann in Frage stellen, wenn in ihr die Untersuchungsteilnahme formal als freiwillig deklariert wird, sie in der real geübten betrieblichen Praxis aber gleichzeitig erwartet wird, die Weitergabe der ärztlichen Eignungsbeurteilung verlangt wird und die Staplerfahrenden anderenfalls mit Sanktionen belegt werden. Die Eignungsbeurteilung deshalb unter Berufung auf Schweigepflicht und Freiwilligkeit den untersuchten Staplerfahrenden zur weiteren Verfügung auszuhändigen, verschließt den Blick auf die hierarchischen Abhängigkeiten der untersuchten Staplerfahrenden. § 26 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) legt dazu fest: „Erfolgt die Verarbeitung personenbezogener Daten von Beschäftigten auf der Grundlage einer Einwilligung, so sind für die Beurteilung der Freiwilligkeit der Einwilligung insbesondere die im Beschäftigungsverhältnis bestehende Abhängigkeit der beschäftigten Person sowie die Umstände, unter denen die Einwilligung erteilt worden ist, zu berücksichtigen“ (Bundesdatenschutzgesetz, s. „Weitere Infos“).
Diskussion
Präventiver Gesundheitsschutz beim Betrieb von Gabelstaplern ist von den betrieblichen Akteuren kooperativ umzusetzen. Mit Gefährdungsbeurteilung, Unterweisung, Wunschvorsorge und anlassbezogener Eignungsuntersuchung stehen Instrumente zur Verfügung, die bei aktiver und kreativer Umsetzung als zielführend zu betrachten sind.
In welchem Umfang gesundheitliche Eignungsdefizite sich ursächlich auf das Unfallgeschehen mit Gabelstaplern auswirken, lässt sich mangels statistischer Erfassung nicht ermitteln. Wenn die Träger der Unfallversicherung über den Einzelfall hinaus als Unfallursache auch gesundheitliche Einschränkungen systematisch erfassen könnten, wären daraus möglicherweise betriebsmedizinische Erkenntnisse und Strategien abzuleiten. Dessen ungeachtet scheint das vorgestellte Methodenrepertoire geeignet zu sein, auch individuelle, tätigkeitsrelevante Gesundheitsprobleme aufzudecken.
Der laute Ruf betrieblicher Akteure nach kollektiven Eignungsuntersuchungen entspringt eher einem gefühlten Gefahrenpotenzial als belastbaren Erkenntnissen. Mit der Arbeitsunfallstatistik lassen sie sich jedenfalls nicht eindeutig begründen. Die Ergebnisse früherer Grundsatzuntersuchungen lassen zudem generelle Zweifel an der fachlichen Effizienz von anlassfreien Routineuntersuchungen aufkommen.
Die rechtliche Einordnung kollektiver Eignungsuntersuchungen bleibt juristischer Expertise vorbehalten. Es scheint aber durchaus Konsens zu bestehen, dass sie nicht ohne Weiteres mit geltendem Recht vereinbar sind und auch durch Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsvereinbarungen nicht legitimiert werden können.
Eine differenzierte Betrachtung des Themas wirft die Frage auf, ob der exponierte Stellenwert der „Stapleruntersuchung“ in diversen betriebsärztlichen Foren gerechtfertigt ist. Denn Prävention im Sinne des § 3 ASiG und einer vollumfänglich angewandten DGUV Vorschrift 2 (2012) ermöglichen auch abseits ärztlicher Untersuchungen einen wirksamen Gesundheitsschutz für Staplerfahrende.
Arbeitsmedizinische Fachkunde bedeutet auch, historisch gewachsene Schwerpunkte des eigenen Handelns zu hinterfragen. Flächendeckendes Fahnden nach gesundheitlichen Defiziten mag einer gewissen Tradition entsprechen und betrieblich als Alleinstellungsmerkmal von Betriebsärztinnen und -ärzten betrachtet werden, aber spätestens mit dem Erlass der ArbMedVV hat sich ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsmedizin vollzogen. Den Beschäftigten müssen der Vorrang von Grundrechten, informierte und mündige Selbstbestimmung, Beratung und Unterstützung zuteilwerden. Basierend auf Artikel 7 des Ethikkodex der Arbeitsmedizin (Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin 2022) ist von Betriebsärztinnen und -ärzten zu erwarten, die rechtlichen Vorgaben in dem weitgehend reglementierten Setting des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu verstehen und umzusetzen. Manche betriebsärztlichen Kommentare und Argumentationslinien zum Thema Stapleruntersuchung werden diesem Anspruch nicht gerecht.▪
Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur
Albrod M: Eignungsbeurteilung im Betrieb - Eine Bestandsaufnahme. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2019; 54: 782–787.
Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG): https://www.gesetze-im-internet.de/arbschg/
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Arbeitsmedizinische Regel (AMR) 3.3 „Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge unter Berücksichtigung aller Arbeitsbedingungen und arbeitsbedingten Gefährdungen“. https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel… (abgerufen 19.03.23)
Bundesdatenschutzgesetz (BDSG): https://www.gesetze-im-internet.de/bdsg_2018/ (abgerufen am 19.03.23).
Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Zum Thema Eignungsuntersuchungen (Stand: Oktober 2018). https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arbeitsschutz/zum-thema-eig… (abgerufen am 19.03.23).
Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM): Ethikkodex der Arbeitsmedizin. https://www.dgaum.de/dgaum/ethikkodex-arbeitsmedizin/ethikkodex/ (abgerufen am 19.03.23).
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): DGUV Empfehlungen für arbeitsmedizinische Beratungen und Untersuchungen. Stuttgart: Gentner, 2022.
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): DGUV Vorschrift 1. Unfallverhütungsvorschrift Grundsätze der Prävention. https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/2909 (abgerufen am 19.03.23).
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): DGUV Vorschrift 2. Unfallverhütungsvorschrift Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit. https://www.dguv.de/de/praevention/vorschriften_regeln/dguv-vorschrift_… (abgerufen am 21.03.23).
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): DGUV Vorschrift 68, Unfallverhütungsvorschrift Flurförderfahrzeuge vom 1. Juli 1995 in der Fassung vom 1. Januar 1997. https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/1123 (abgerufen am 19.03.23).
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): Statistik. Arbeitsunfallgeschehen 2021. https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/4590 (abgerufen am 19.03.23).
Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG). https://www.gesetze-im-internet.de/asig/ (abgerufen am 19.03.23).
Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG). https://www.gesetze-im-internet.de/arbschg/ (abgerufen am 19.03.23).
Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften: Statistik über die im Jahr 2002 von ermächtigten Ärzten durchgeführten arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen. Nicht mehr verfügbar.
Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/… (abgerufen am 20.03.23).
Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV): https://www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/ (abgerufen am 19.03.23).
doi:10.17147/asu-1-288495
Weitere Infos
Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)
https://www.gesetze-im-internet.de/arbschg/
Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)
https://www.gesetze-im-internet.de/bdsg_2018/
Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Zum Thema Eignungsuntersuchungen
(Stand: Oktober 2018)
https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arbeitsschutz/zum-thema-eig…
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): DGUV Vorschrift 68, Unfallverhütungsvorschrift Flurförderfahrzeuge vom 1. Juli 1995 in der Fassung vom 1. Januar 1997
https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/1123
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): Statistik. Arbeitsunfallgeschehen 2021
https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/4590
Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG)
https://www.gesetze-im-internet.de/asig/
Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)
https://www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/
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