Eröffnung trotz Corona
Vor rund eineinhalb Jahren öffnete das Haus für Gesundheit und Arbeit (HGuA) seine Türen und startete kurz darauf mit seinem Beratungsangebot, schwerpunktmäßig für Menschen mit nicht nur vorübergehenden psychischen Beeinträchtigungen.
Die Corona-Pandemie hatte zuvor den Projektstart im ersten Halbjahr 2020 vor große Herausforderungen gestellt. Dies galt, neben der Abstimmung über die personelle und technische Infrastruktur und dem Entwickeln der erforderlichen Prozesse, insbesondere für das Projektziel, das HGuA bekannt zu machen und kontinuierlich seinen Bekanntheitsgrad zu steigern.
Am 30. Juni 2021 wurde die einjährige Pilotphase mit dem ersten Meilenstein, dem Entwickeln eines Projektmanuals, abgeschlossen. Die Erfahrungen und Erkenntnisse der Pilotphase wurden – auch unter dem Eindruck der coronabedingten Anforderungen – zusammengefasst und bilden damit die Grundlage für die Beratung und die Arbeitsprozesse in der nächsten Projektphase, der „operativen Umsetzungsphase“ (➥ Abb. 1).
Zum Projektauftrag gehört, dieses Manual unter Berücksichtigung von Erkenntnissen aus der laufenden Beratung bzw. aus der Zusammenarbeit der Partner im Projekt kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Projektziele
Wesentlich beobachtet werden die Zahlen des Zugangs, des Verbleibs in Kurz- und Langzeitcoaching, der begleitenden Maßnahmen (z. B. psychologische Diagnostik und Belastungserprobung) bis zur Beschäftigungsquote.
Im Rahmen der Projektziele wird der „Erfolg“ der Beratung jedoch auch an anderen Parametern gemessen. Zu diesen gehören beispielsweise, inwieweit Nutzende sich besser über Angebote, Abläufe und Rechtskreiszugehörigkeit informiert sehen oder sich anhand ihrer individuell definierten Ziele stabilisiert fühlen.
Zielgruppe
Das HGuA ist als zusätzliches und gleichzeitig präventives Projekt vorgesehen. „Zusätzlich“ bedeutet, nicht als Konkurrenzangebot zu bereits gut etablierten Angeboten aufzutreten oder vorrangige Leistungen zu unterlaufen.
„Präventiv“ meint das Erkennen und Vermeiden beispielsweise einer den Arbeitsplatz oder die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigende Erkrankung. Der Fokus liegt dabei auf einem frühzeitigen Eingreifen, um den Erhalt oder die Wiederherstellung von Erwerbsfähigkeit bzw. die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit zu unterstützen und so eine Verfestigung von Beeinträchtigungen mit ihren negativen Folgen so weit als möglich zu vermeiden.
Es wendet sich mit seinen Angeboten insbesondere an die in ➥ Abb. 3 gezeigte Zielgruppe. Die beschriebene Zielgruppe findet sich im Kundenbestand der Projektpartner in unterschiedlicher Ausprägung, zum Beispiel:
Konkret bedeutet dies, dass unter Gesundheits- und Sozialaspekten neben Personen, deren Erwerbsfähigkeit gefährdet ist oder erscheint, auch Personen in einer ambulanten Sucht-Reha oder mit multiplen Problemlagen mit dem Beratungsangebot angesprochen werden sollen.
Es wendet sich ebenso an Menschen in Übergangssituationen (Nichtleistungs- oder Krankengeldbezug, Lohnfortzahlung, Aussteuerung etc.), wie an Menschen, die vor Kurzem eine Arbeit aufgenommen oder den Arbeitsplatz gewechselt haben. Das Beratungsangebot steht auch Menschen im Vorfeld oder nach einer beruflichen oder medizinischen Reha-Maßnahme zur Verfügung.
Die deutliche Schwerpunktsetzung auf den Aspekten „Zusätzlichkeit“ und „Prävention“ bedingt jedoch, dass vorübergehend oder chronisch Erkrankte ebenso wenig das Angebot des HGuA in Anspruch nehmen können wie Menschen, die sich akut in einer laufenden (stationären) psychiatrischen Behandlung befinden. Auch die Begleitung einer laufenden Reha-Maßnahme ist im Projekt nicht vorgesehen.
Neben den vorgenannten „harten Faktoren“ zur Bestimmung der Zielgruppe werden weitere „weiche Faktoren“ herangezogen, um einen erfolgreichen Beratungsverlauf zu unterstützen:
(teil)ziel mit Unterstützung konsequent zu verfolgen?
Lotsenfunktion
Da es sich um ein Hamburger Projekt handelt, fällt es leicht, das Bild vom „Lotsen im System“ zu verwenden – ergänzt durch die Motive „Unterstützung unter einem Dach“ und „Hilfe aus einer Hand“.
Das Projekt setzt dem bisher insbesondere für die Betroffenen unübersichtlichen, zerklüfteten Hilfesystem eine rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern (➥ Abb. 4) entgegen.
Vernetzung
Ein Mehrwert des Projekts entsteht zunächst über das vernetzte Agieren in der vorgenannten Projektpartnerschaft. Dieser Ansatz hat sich in Hamburg bereits in Bezug auf geflüchtete Menschen durch die Einrichtung des Hamburg Welcome Center HWC (vormals W.I.R.) und für die Zielgruppe der jungen Menschen (U25-Jährige) in Form der Jugendberufsagenturen bewährt. Letztere haben sich nach dem Erfolg in Hamburg bundesweit als Institution im Unterstützungssystem für junge Menschen etabliert.
Im HGuA orientiert sich die Zusammenarbeit der Beteiligten am gemeinsamen Gesundheits- und Arbeitscoaching. Dabei sind diese selbst unmittelbar im HGuA vertreten oder werden über Schnittstellenbeauftragte eingebunden (z. B. die DRV-Nord).
Zum „Netzwerk“ der Projektpartner gehört auch die Universität zu Lübeck, die das Projekt wissenschaftlich begleitet. Sie wirkt zwar nicht unmittelbar am Beratungsprozess mit, gibt jedoch durch die laufende Begleitung Hinweise auf die Wirksamkeit der Beratungsleistung und auf mögliche Optimierungspotenziale. Neben der Prüfung der Struktur-, Prozess- sowie Ergebnisqualität im Rahmen einer Betrachtung mittels „Consolidated Framework for Implementation Research“ werden auch persönliche Befragungen von Nutzenden und Beschäftigten in die Betrachtung einbezogen. Die Erkenntnisse tragen ebenfalls zur Weiterentwicklung des Projektmanuals bei.
Innovation
Neben dem zuvor dargestellten innovativen Ansatz eines rechtskreisübergreifenden Gesundheits- und Arbeitscoachings ist es den Projektverantwortlichen ein Anliegen, einen möglichst niedrigschwelligen Zugang anzubieten.
Eine wichtige Maßnahme war, dass nicht mehr die Klärung der Kostenübernahme als erstes adressiert wurde, sondern die Motive und Bedürfnisse der potenziellen Nutzenden in den Mittelpunkt gerückt wurden.
Ebenso wenig ist zunächst das Vorliegen einer (bestimmten) medizinischen Diagnose erforderlich. Die begründete Vermutung, dass die psychisch-gesundheitliche Beeinträchtigung nicht nur vorübergehend besteht, reicht aus, um das Beratungsangebot des HGuA nutzen zu können.
Ein weiteres Element ist die in der Projektkonzipierung schon vorgesehene Online-Beratung (seinerzeit mit dem Fokus auf Menschen mit Angststörungen, die das HGuA nicht persönlich aufsuchen können). Diese wurde – unter Pandemiebedingungen schneller als geplant – erfolgreich realisiert. Zusätzlich wurde für das Projekt eine Online-Terminierung auf der projekteigenen Website etabliert, über die nicht nur verfügbare Termine angezeigt werden, sondern bei der mit wenigen Klicks ein Terminwunsch an das HGuA übermittelt werden kann. Im Projektverlauf hat sich gezeigt, dass die technischen Innovationen von den (potenziellen) Nutzenden gut und ohne größere Bedenken angenommen wurden.
Die Beteiligung der maßgeblichen Leistungsträger und Leistungserbringer ermöglicht es, am individuellen Bedarf der Nutzenden orientierte Maßnahmenangebote zu koordinieren und anzubieten. Dadurch ergibt sich ein personenzentrierter Fokus, der sich deutlich vom bisherigen institutionellen Fokus (welche Einrichtung muss/kann welche Unterstützungsleistung anbieten) unterscheidet.
Die Projektbeteiligten sind überzeugt, dass durch die Art und den Aufbau des Beratungsangebots des HGuA die Zahl der „Erwerbsgeminderten von morgen“ verringert werden kann. Die Projektevaluation wird zeigen, ob dieser Ansatz tatsächlich erfolgreich ist.
Der Wunsch aller Projektbeteiligten ist – neben dem, den Menschen, die das Modellprojekt nutzen, darin zu unterstützen, ihr Leben wieder besser bewältigen zu können –, dass eine mögliche Verstetigung des Modellprojekts erfolgen möge.
In einer der nächsten ASU-Ausgaben soll gezeigt werden, wie die Zusammenarbeit der Facheinrichtungen (Rechtskreise) sich praktisch gestaltet, sich dem BTHG und dem Bundesprogramm rehapro anpasst und sich im Manual des HGuA niederschlägt. Dabei werden die gemachten Erfahrungen geschildert und konkret auf die Schnittstellenarbeit eingegangen werden.
Interessenkonflikt: Beide Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
doi:10.17147/asu-1-161087
Kernaussagen
Koautor
An der Erstellung des Beitrags beteiligt war Dr. Anton Hütz, Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit, Haus für Gesundheit und Arbeit (reHA – rehapro Hamburg), Hamburg.
Kontakt
Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.