Zu Preisser et al. „Neuer Lernziel-katalog für das Fach Arbeits-medizin“ (ASU 2014; 49: 539–544)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ihren Artikel habe ich mit Aufmerksamkeit gelesen. Neben der Vermittlung von umfang-reichen Fakten- Handlungs- und Begründungswissen wird auch die Vermittlung von Handlungskompetenz aufgeführt, diese jedoch nicht mit konkreten Inhalten gefüllt. Inwieweit werden Werkzeuge wie Methoden- Medien und Beratungskompetenz in die Aus- und Weiterbildung integriert?
Die Evangelische Fachstelle für Arbeits- und Gesundheitsschutz kümmert sich bei ca. 200 000 Mitarbeitenden in der evangelischen Kirche (darunter etwa 80 000 Erzieherinnen und Erzieher, etwa 23 000 Pfarrerinnen und Pfarrer sowie etwa 120 000 Kirchenvorstände in der Funktion eines Arbeitgebers) um de-ren Gesundheit im Zusammenhang mit ihrer Arbeit. Als Leiterin dieser Fachstelle kann ich nur unterstreichen, von welch großer Bedeutung derartige Kompetenzen sind. Meine tägliche Tätigkeit beinhaltet nur wenig individualmedizinische Fähig- oder Fertigkeiten, sondern sie besteht überwiegend darin, Personalverantwortliche und Mitarbeitende einen sinnvollen und guten Arbeits- und Gesundheitsschutz zu gewinnen. Es geht hierbei also um das Überzeugen, um die Vermittlung von Inhalten, von Wertvorstellungen etc.. Diese Handlungskompetenzen bestimmen mein tägliches Berufsleben.
Ich kann Ihnen nur zustimmen, je früher unsere Kolleginnen und Kollegen dieses Erlernen, umso besser für uns alle, die wir insbesondere dort tätig sind, wo weniger Individual- und viel mehr Kollektivmedizin erforderlich ist. Dies betrifft nahezu alle prä-ventivmedizinischen Teilaspekte der Arbeits-medizin. Insofern unterstütze ich Ihre Vorstellung aus der Praxis sehr und wünsche, dass diese Kompetenzen nicht nur in der Ausbildung, sondern insbesondere auch in der Facharztausbildung Berücksichtigung finden.
Dr. med. Dorrit Falcke
Fachärztin für Arbeitsmedizin, Hannover
Stellungnahme der Autoren
In dem Leserbrief wird darauf hingewiesen, dass die Vermittlung von Handlungskompetenzen sowohl für die Ausbildung während des Medizinstudiums als auch für die Facharztweiterbildung im Gebiet Arbeitsmedizin von besonderer Bedeutung sind. Wir danken für diesen wichtigen Hinweis und stimmen dieser Einschätzung uneingeschränkt zu. Unserer Meinung nach müssen wir hier jedoch die Ausbildung von Studierenden und die Weiterbildung zum Facharzt getrennt voneinander betrachten.
Studentische Ausbildung
Vor dem Hintergrund eines geplanten Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Medizin (NKLM) und der Stellungnahme des Wissenschaftsrates zu einer Qualitäts-verbesserung des Medizinstudiums waren die wissenschaftlichen Fachgesellschaften im Jahr 2014 aufgefordert, den damals vorliegenden Entwurf des NKLM auf fachspe-zifische Inhalte zu überprüfen und ggf. zu ergänzen. Als Grundlage dieser Überprüfung hat die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die den bereits im Jahr 2003 veröffentlichten Themen- und Lernzielkatalog aktualisiert und überarbeitet hat. Dieser neue Lernzielkatalog wurde im Jahr 2014 in ASU veröffentlich. Die Vor-gaben des NKLM mit den drei Kompetenzebenen „Faktenwissen“, „Handlungs- und Begründungswissen“ sowie „Handlungskompetenzen“ wurde hierbei für das Fach Arbeitsmedizin berücksichtigt. Anschließend wurde in einem Delphi-Verfahren der NKLM mit dem Lernzielkatalog „Arbeitsmedizin“ der DGAUM abgeglichen und ergänzt.
Der NKLM (Stand 15. 07. 2013) ist in 21 Kapitel gegliedert, die Tabelle mit den Kompetenzen und Lernzielen umfasst mehr als 370 Seiten. Die Kapitel 7 bis 11 des NKLM beschäftigen sich sehr umfänglich mit den Themen „Die Ärztin und der Arzt als Kommunikatoren“, „Die Ärztin und der Arzt als Mitglieder eines Teams“, „Die Ärztin und der Arzt als Gesundheitsberater und -fürsprecher“, „Die Ärztin und der Arzt als Verantwortungsträger und Manager“ sowie „Die Ärztin und der Arzt als professionell Handelnde“. Hier sind die in dem Leserbrief angesprochenen Fähigkeiten und Fertigkeiten übergeordnet verankert. Aufgabe der einzelnen Fächer ist es dann, im Rahmen ihrer Lehrinhalte diese Kompetenzen zu vermitteln. Unter Berücksichtigung des Gesamtaufbaus des NKLM erschien es daher nicht sinnvoll, diese Thematik im Lernzielkatalog „Arbeitsmedizin“ weiter zu vertiefen. Die Schreiber des Leserbriefes haben natürlich recht, dass die entsprechenden Kompetenzen auch in der Arbeitsmedizin von grundlegender Bedeutung sind. Wir hätten daher in unseren Ausführungen, die ja nur eine Teilmenge des gesamten NKLM darstellen konnten, hierauf näher eingehen sollen.
Prinzipiell besteht beim NKLM (Stand 15. 07. 2013) die große Gefahr, dass Soft-Skills gegenüber dem naturwissenschaftlichen und medizinischen Grundlagenwissen einen zu großen Stellenwert einnehmen sollen. Zudem ist eine Aufhebung der Fächer-grenzen vorgesehen. Dies erschwert aus unserer Sicht eine gute Strukturierung der Lehre und führt ggf. zu einem Kompetenzenstreit zwischen den einzelnen medizinischen Fächern. Mehrere wissenschaftliche Fachgesellschaften lehnen daher den NKLM in der „aktuellen“ Fassung ab.
Facharztausbildung „Arbeitsmedizin“
Im Rahmen der geplanten Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung durch die Bundesärztekammer hat die DGAUM im Jahr 2013 (ASU 2013; 48: 262–267) Vorschläge zur Weiterbildung im Gebiet „Arbeitsmedizin“ – gegliedert in 15 Kompetenzblöcke – erarbeitet und zur Diskussion gestellt. Insbesondere in den Kompetenzblöcken 14 „Gesundheitsmanagement“ und 15 „Management, Kommunikation und betriebswirtschaftliche Grundlagen“ sind die Vermittlung der geforderten Handlungskom-petenzen umfassend abgebildet.
Leider verzögert sich derzeit die Novellierung der (Muster-)Weiterbildung durch den Deutschen Ärztetag, so dass frühestens im Jahr 2016 eine Verabschiedung erfolgen kann. Anschließend muss dann noch aufgrund der föderalen Strukturen in den einzelnen Landesärztekammern die jeweilige Weiterbildungsordnung verabschiedet werden. Es ist damit frühestens 2017 eine Umsetzung zu erwarten. Dies ist aus Sicht der Arbeitsmedizin sehr bedauerlich, da wichtige Inhalte damit noch nicht ausreichend in der Weiterbildungsordnung verankert sind. An die verantwortlichen Kolleginnen und Kollegen mit Weiterbildungsermächtigung ist zu appellieren, im Rahmen der Weiterbildung – soweit noch nicht umfänglich ge-schehen – bereits jetzt entsprechende Kompetenzen zu vermitteln.
Zusammenfassend dürfen wir den Verfassern des Leserbriefes nochmals herzlich für ihren Diskussionsbeitrag danken und hoffen, dass die erforderlichen Handlungskompetenzen ausreichend in die Aus- und Weiterbildung einfließen. Als wissenschaftliche Fachgesellschaft überlegt die DGAUM derzeit, ggf. auch entsprechende Fortbildungsformate anzubieten.
Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel
Vizepräsident der DGAUM