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Was haben wir aus der H1N1-Pandemie gelernt?

Infektionsrisiko für Beschäftigte im Gesundheitswesen

Janna Lietz1

Claudia Westermann1

Anja Schablon1

Albert Nienhaus1,2

Zusammenfassung Beschäftigte im Gesundheitswesen (BiG) haben ein erhöhtes Infektionsrisiko. Dies gilt insbesondere bei neu auftretenden Erregern, wie SARS gezeigt hat, und vermutlich auch während Pandemien. Wir haben daher untersucht, ob BiG während der H1N1-Pandemie 2009/10 ein erhöhtes Infektionsrisiko aufwiesen. Entsprechend unseres systematischen Reviews hatten BiG ein zweifach erhöhtes Risiko für eine H1N1-Infektion (Lietz et al. 2016). Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass das Infektionsrisiko auch in Pandemien durch Hygienemaßnahmen reduziert werden kann.

Einleitung

Im März 2009 wurden erste H1N1-Fälle in Mexiko und den USA gemeldet. Drei Monate später hat die WHO eine globale H1N1-Pandemie ausgerufen, die bis August 2010 andauerte (WHO 2009). Zu der Zeit haben mehr als 214 Länder bestätigte H1N1-Fälle inklusive 18 449 Todesfälle bekanntgegeben.

Durch den direkten Kontakt mit infizierten Patienten sind BiG Infektionserregern ausgesetzt und besonders exponiert für Infektionskrankheiten wie Influenza-A (H1N1). Das Risiko für eine Influenza-A(H1N1)-Infektion bei BiG während der Pandemie wurde in mehreren Studien untersucht. Eine Zusammenfassung der verfügbaren Evidenz ist bisher jedoch noch nicht erfolgt. Daher war das Ziel des hier beschriebenen und zusammengefassten Reviews die veröffentlichte Literatur bezüglich des Infektionsrisikos für BiG während der H1N1-Pandemie systematisch zu erfassen und zu bewerten.

Methode

Das systematische Review wurde nach den Kriterien der MOOSE(Meta-analyses Of Observational Studies in Epidemiology)-Checkliste durchgeführt. Für das Literatur-Screening wurden Einschlusskriterien festgelegt, anhand derer die Eignung der identifizierten Studien für das Review überprüft werden sollte. Studien fanden Einschluss in das Review, wenn sie BiG mit direktem Patientenkontakt untersuchten, eine Kontroll- oder Vergleichsgruppe einschlossen (Beschäftigte ohne berufliche Exposition) und einen durch das Labor bestimmten H1N1-Nachweis als Outcome-Variable festlegten. Primär wurden Beobachtungsstudien wie Querschnitt-, Kohorten- oder Fall-Kontroll-Studien berücksichtigt. Detaillierte Informationen zum Einschluss der Studien können der Publikation zum Review entnommen werden (Lietz et al. 2016).

Ergebnisse

Die Literatursuche in den verschiedenen Datenbanken ergab 74 Publikationen. Durch die Sekundärsuche in den Referenzlisten kamen weitere 112 Studien hinzu. Nach der Eliminierung von Dubletten blieben 93 Studien übrig. Von diesen wurden 56 während des Titel- und Abstract-Screenings ausgeschlossen. Somit fanden 37 Studien Eingang in das Volltext-Screening. Weitere 11 Studien wurden aufgrund inhaltlicher Ausschlusskriterien ausgeschlossen, so dass insgesamt 26 Studien in das Review eingeschlossen wurden. Dies waren 20 Beobachtungsstudien (14 Querschnittsstudien und 6 Kohortenstudien), 3 Surveillance-Studien, 2 Inhaltsanalysen und 1 Fall-Fall-Kontroll-Studie.

Die Beobachtungsstudien wurden zum größten Anteil in Asien durchgeführt (n = 8), gefolgt von Nordamerika (n = 4), Europa (n = 4) und Ozeanien (n = 3). Rund 40 % der Untersuchungen fanden in Allgemeinkrankenhäusern statt, je fünf Studien in Ambulanzen und speziellen Influenzaabteilungen, drei Studien in Arztpraxen sowie je eine Studie in Altenpflegeheimen und Medizinischen Zentren. Die BiG kamen aus diversen Berufsgruppen wie beispielsweise Fachärzte, Allgemeinmediziner, Gesundheits- und Krankenpfleger, medizinisch-technische Assistenten, Gesundheits- und Krankenpflegehelfer, Therapeuten, Laboranten und Verwaltungsfachangestellte. Zum Nachweis der Influenza-A(H1N1)-Infektion wurde entweder der Hämagglutinationshemmtest oder der Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion-Test angewandt. Die Stichprobengröße variierte von 66 bis 15 018. Die Prävalenzen für eine Influenza-A(H1N1)-Infektion bei BiG während der Pandemie lagen zwischen 1,7 und 27,1 % ( Tabelle 1). Die Prävalenzen bei den Kontroll- oder Vergleichsgruppen variierten von 1–30 %. Zwölf der 20 Studien zeigten höhere H1N1-Prävalenzen für BiG im Vergleich zur Kontroll- oder Vergleichsgruppe. Vierzehn Studien (70 %) hatten eine hohe und sechs Studien (30 %) eine moderate Qualität.

Einige Studien (n = 13) untersuchten das beruflich bedingte Infektionsrisiko für BiG während der H1N1-Pandemie auch anhand von Effektschätzern (Odds Ratio, Relatives Risiko). Vier der dreizehn Studien ermittelten ein signifikant höheres Risiko für BiG im Vergleich zur Kontroll- oder Vergleichsgruppe (u. a. Costa et al. 2012). Eine Untersuchung zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit, während der Pandemie an einer Influenza-A(H1N1)-Infektion zu erkranken, bei Fachärzten sechsmal höher war als bei anderen Berufsgruppen (OR = 6,03, 95 %-KI = 2,11–17,82). Eine andere Studie berichtete von einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit einer Influenza-A(H1N1)-Infektion bei Gesundheits- und Krankenpflegern im Vergleich zu Verwaltungsfachangestellten (OR = 2,7, 95 %-KI = 1,11–6,37; Costa et al. 2012). Von den 26 eingeschlossenen Studien konnten 11 abschließend in einer Metaanalyse untersucht werden. Basierend auf 16 907 BiG und 12 451 Krankenhaus- oder Bevölkerungskontrollen ergab sich ein metaanalytisches Odds Ratio von 2,08 (95 %-KI = 1,73–2,51;  Abb. 1).

In einigen Studien (n = 9) wurde auch der Effekt von Hygienemaßnahmen beschrieben. Die Studien kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Anwendung geeigneter Hygienemaßnahmen das Risiko einer Influenza-A(H1N1)-Infektion bei BiG deutlich reduziert. Eine Untersuchung zeigte, dass die Nutzung von Atemschutzmasken (OR = 0,16, 95 %-KI = 0,03–0,97) und Handschuhen (OR = 0,09, 95 %-KI = 0,02–0,50) signifikant zur Verringerung des Infektionsrisikos bei BiG beiträgt (Marshall et al. 2011). Eine weitere Studie kam zu ähnlichen Resultaten (Jaeger et al. 2011).

Schlussfolgerungen

Influenza-A(H1N1)-Infektionen waren während der Pandemie 2009/10 unter BiG von großer Bedeutung. Das hier beschriebene Review unterstützt die Annahme, dass BiG während der Pandemie besonders gefährdet waren, an einer Influenza-A(H1N1)-Infektion zu erkranken. Einige Studien zeigen, dass für BiG im Vergleich zu nicht exponierten Kontroll- oder Vergleichsgruppen ein signifikant erhöhtes Infektionsrisiko bestand. Dies lässt sich unter anderem durch den regelmäßigen direkten Kontakt mit infizierten Patienten erklären.

Die Ergebnisse des Reviews können dazu beitragen, die Infektionskontrolle insbesondere während der ersten Welle von Pandemien zu verbessern. Anerkannte Strategien zur Infektionsprävention sind beispielsweise die Verwendung persönlicher Schutzausrüstungen wie Atemschutzmasken, Schutzkleidung und -brillen, Handschuhe sowie die Händehygiene. Die protektive Wirkung dieser Maßnahmen wurde in einigen Studien belegt. Beschäftigte im Gesundheitswesen sollten gut geschult sein, damit sie diese Strategien in ihrem Arbeitsalltag regelmäßig umsetzen können.

Literatur

Costa JT, Silva R, Tavares M, Nienhaus A: High effectiveness of pandemic influenza A (H1N1) vaccination in healthcare workers from a Portuguese hospital. Int Arch Occup Environ Health 2012; 85: 747–752.

Jaeger JL, Patel M, Dharan M et al.: Transmission of 2009 pandemic influenza A (H1N1) virus among healthcare personnel-Southern California, 2009. Infect Control Hosp Epidemiol 2011; 32: 1149–1157.

Lietz J, Westermann C, Nienhaus A, Schablon A: The occupational risk of influenza A (H1N1) infection among healthcare personnel during the 2009 pandemic: A systematic review and meta-analysis of observational studies. PloS ONE 2016; 11: e0162061.

Marshall C, Kelso A, McBryde E et al.: Pandemic (H1N1) 2009 risk for frontline health care workers. Emer Infect Dis 2011; 17: 1000–1006.

World Health Organization (WHO): World now at the start of 2009 influenza pandemic. Statement to the press by WHO Director-General Dr. Margaret Chan. Geneva: World Health Organization, 2009 ( www.who.int/mediacentre/news/statements/2009/h1n1_pandemic_phase6_20090611/en/ ), zuletzt geprüft am 24.10.2016.

Für die Verfasser

Janna Lietz

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)

Competenzzentrum Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare)

Martinistr. 52

20246 Hamburg

j.lietz@uke.de

Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2017; 52: 45–47

Fußnoten

1 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen, Competenzzentrum Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen – CVcare

2 Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Abteilung Arbeitsmedizin, Gesundheitswissenschaften und Gefahrstoffe, Hamburg