Leserbrief 1
„Aus der Flug- und Höhenmedizin sind diese [Gesundheitsgefahren] grundsätzlich bekannt … Erkrankungen treten glücklicherweise erst mit mehrstündiger Verzögerung auf und sind durch eine Begrenzung der Aufenthaltsdauer sicher zu vermeiden.“ Mit diesen Sätzen bringen es die Autoren des Entwurfs eigentlich schon auf den Punkt: Wo ist das Problem? Es ist hinlänglich bekannt, dass zwischen isobarer und hypobarer Hypoxie in den zur Diskussion stehenden Bereichen keine klinisch relevanten Unterschiede bestehen (z. B. Savourey et al. 2003; Barcroft 1925). Also kann man für die Risikobeurteilung den gigantischen Datenberg nutzen, der sich im Laufe von über 100 Jahren angehäuft hat. De facto kann man alle sich stellenden arbeitsmedizinischen Fragen mit den Standardwerken des ausgehenden 19. Jahrhunderts beantworten (Bert 1878; Mosso 1899; Zuntz et al. 1906). Jüngere Arbeiten ergänzen dieses Wissen im Hinblick auf spezielle Anwendungsgebiete (z. B. Küpper 2006). Trotzdem hat sich die zuständige Weltdachorganisation die Mühe gemacht, für die international (65 Länder!) abgeglichene Empfehlung erneut über 1000 Paper zu sichten (Küpper et al. 2011). Einhelliges Statement aller so genannten Meinungsbildner – von denen in den vorliegenden Entwurf des G 28 übrigens kein einziger involviert wurde – ist, dass bei den diskutierten Risikoklassen 1 und 2 für alle, die nicht an einer schweren kardiopulmonalen Erkrankung leiden, die dem Stadium NYHA/CCS 3 oder 4 zuzuordnen ist, keinerlei Problem zu erwarten ist. Da derart fortgeschrittene Stadien aber Prima-vista-Diagnosen sind, die zumeist bereits zur Arbeitsunfähigkeit oder (Teil-)Invalidität geführt haben, ist vorprogrammiert, dass eine solche Vorsorgeuntersuchung allenfalls Normalbefunde anhäuft und keinerlei weiteren Informationsgehalt liefert. Somit könnte man einen Song zitieren: „Money for nothing…“
Nun liegt er aber vor, der Entwurf. Nehmen wir an, dass politische Gründe dafür eine Rolle gespielt haben, denn dass Geschäft generiert werden soll, soll an dieser Stelle nicht unterstellt werden. Dann muss eine Vorlage aber wissenschaftlicher Betrachtung standhalten. Hier besteht erheblicher Korrekturbedarf, wie im Folgenden leicht zu erkennen sein wird.
Die Behauptung, dass man sich unter 13 % der Grenze nähert, wo mit plötzlicher Handlungsunfähigkeit zu rechnen ist, ist schlicht falsch. Wie u. a. in der von den Autoren zitierten Empfehlung der Union Internationale des Associations d’Alpinisme (UIAA) detailliert dargestellt ist, ist man weit davon entfernt: Bis 5000 m, also ca. 10,5 % O 2 , besteht keinerlei Begrenzung dieser sog. „time of useful consciousness“ und selbst in 6000 m Höhe (~9,7 % O 2 ) beträgt diese für nichtakklimatisierte Personen noch fast 30 Minuten (Amsler 1971; Küpper et al. 2011; Ernsting u. King 1994). So groß kann keine Hypoxieanlage gebaut werden, dass man sie nicht in dieser Zeit verlassen könnte! Merkwürdig ist die Idee mit umluftunabhängigem Atemschutz unter solchen Bedingungen: Wenn man den Aufwand bilanziert, den es kostet, 16 kg Gerätegewicht zu tragen und die erhöhte Atemarbeit zu leisten, so wird schnell klar, dass dieser ziemlich genau den Benefit aufzehrt, den das Gerät dem Benutzer bringen soll – eine Nullsumme also. Durch das Handling eines derartigen Geräts dürfte das individuelle Risiko sogar eher erhöht werden.
Es wird behauptet, dass „bei wiederholtem, regelmäßigem Aufenthalt in sauerstoffreduzierter Atmosphäre … chronische höhenbedingte Erkrankungen diskutiert“ werden. Da liegt eine massive Verwechslung vor: Arbeitnehmer in isobarer Hypoxie sind sog. „intermittierender Hypoxie“ ausgesetzt. Chronische Höhenerkrankungen sind nur möglich, wenn sich Flachlandbewohner mehrere Jahre in großer Höhe – typischerweise > 3500 m – dauerhaft aufhalten. Für die Arbeitnehmer besteht sogar ein Vorteil darin, wenn sie möglichst oft der isobaren Hypoxie ausgesetzt werden! Es mag in der Arbeitsmedizin, wo gewöhnlich eine geringere Exposition mit einem geringeren Risiko gleichgesetzt wird, ungewöhnlich sein, aber regelmäßige Exposition bedeutet hier eine Teilakklimatisation und damit ein reduziertes Risiko für hypoxieabhängige Symptome.
„Ist der Sauerstoffgehalt in der Atemluft vermindert, kann weniger Sauerstoff aufgenommen werden“ . Diese grundsätzlich richtige, jedoch erst für große Höhen oder erhebliche Hypoxie zutreffende Aussage impliziert dem weniger informierten Leser, dass ein potenzielles Problem in den Risikobereichen 1 und 2 entsteht. Allerdings wird hier der Bohr-Effekt, also die Linksverschiebung der O 2 -Bindungskurve durch (hypoxiebedingte) Hyperventilation unterschlagen. De facto bleibt das Sauerstoffangebot bis in ~2500 m Höhe nahezu konstant, ein SaO 2 -Abfall von 96–98 % auf 94–96 % ist bei großen Kollektiven zwar mathematisch signifikant, klinisch aber völlig irrelevant (Küpper et al. 2011). Ein wichtiger Hinweis für die Arbeitsplanung für körperlich belastende Aufgaben fehlt in der Vorlage dagegen: Ab 1500 m bzw. 17,4 % O 2 sinkt pro 1000 hm bzw. pro –2 % O 2 die Ausdauerleistung um 10–15 % (Buskirk et al. 1966, 1967; Jackson u. Sharkey 1988; Küpper 2006; Küpper et al. 2011; West 1990.
Der Hörtest soll vermutlich überprüfen, ob Betroffene in der Lage sind, Alarmsignale zu hören. Da diese in entsprechender Lautstärke im Frequenzbereich maximaler Hörempfindlichkeit abgegeben werden, wäre die Überprüfung der Flüstersprache auf 5 m völlig ausreichend. Keep it simple! Wozu ein Blutbild für Risikoklasse 1? Es ist in der gesamten Literatur kein einziger Fall bekannt, in dem ein anämischer, ansonsten klinisch unauffälliger Patient bei diesen Bedingungen ein Problem gehabt hätte. In jedem Fall müssen Grenzwerte angegeben werden, die für problematisch erachtet werden. Der Blutzucker unterliegt in Hypoxie keinen Veränderungen, ebenso hat ein EKG keinerlei „positive predictive value“ hinsichtlich des Aufenthalts in milder Hypoxie. Nach einer Karotisstenose mag man schauen, aber auch hier ist kein Fall bekannt, bei dem es jemals bei den zur Diskussion stehenden geringen Höhen bzw. Hypoxiegraden zu einem Problem gekommen wäre – auch bei Patienten, bei denen nach einem Berg- oder Skiurlaub in großer Höhe später zufällig eine Stenose entdeckt worden ist. In Tabelle 3 sollte unter Erkrankungen der Atmungsorgane oder des Herzens das Krankheitsstadium angegeben werden, also NYHA/CCS 3 oder 4. In der Tabelle fallen auch die Krampfleiden auf. Da entgegen aller Erwartungen nie eine erhöhte Anfallsrate in der Höhe bzw. milder Hypoxie belegt werden konnte, braucht diese Erkrankungsgruppe nicht berücksichtigt zu werden.
Interessant wäre zu wissen, was die Autoren unter „fachkundig“ verstehen. Wenn es wirklich einen Anlass für eine G-Untersuchung geben sollte, ist die weiter oben aufgeführte Qualifikation „Facharzt Arbeitsmedizin“ oder „Betriebsarzt“ zweifellos nicht ausreichend. Da wären spezifische Kenntnisse gefragt, wie sie nur durch die Zusatzausbildung „Höhenmedizin“ der UIAA (nähere Informationen z. B. über http://www.alpinmedizin.org ) zu erreichen sind.
Im Gegensatz zu den Protagonisten des G 28-Entwurfes, die alle entweder keinerlei oder doch sehr limitierte Erfahrung mit Menschen in isobarer Hypoxie haben, kann ich auf die Exposition von ca. 500 Personen im Alter von 18–60 Jahren zurückblicken, die zu unterschiedlichen Zwecken (Wissenschaft, Vorakklimatisation, Höhentraining, Leistungsdiagnostik etc.) isobarer Hypoxie mit Äquivalenzhöhen von 2000–7000 m Höhe für 1 h bis 6 Tage Dauer exponiert waren. Da sie zumeist mehrfach exponiert waren, reden wir über die Beobachtung und aus wissenschaftlichen Gründen zumeist exakte Dokumentation von > 3000 Expositionen. Bei keiner ist es je zu einem Problem gekommen.
Zusammengefasst scheint ein allgemeiner Gesundheits-Check-up als Serviceleistung hinsichtlich innerbetrieblicher Gesundheitsförderung gewollt zu sein, denn die „kritischen“ Personen können von jedem Kliniker, ja sogar von jedem Laien auf den ersten Blick heraus gefiltert werden. Wessen Praxis im 1. Stock liegt, hat es besonders einfach: Wer dort ankommt und noch grüßen kann, ohne nach Luft zu schnappen, ist tauglich!
Abschließend sei auf zwei andere Probleme aufmerksam gemacht, die in der Vorlage nicht angesprochen werden. Zum einen haben wir in Deutschland eine juristische Struktur, die am besten mit „Einheit des Rechtssystems“ („gleiches Recht für alle“) umschrieben werden kann. Die G-Untersuchung würde nur Personen in isobarer Hypoxie betreffen, nicht jedoch die ca. 4 Millionen Geschäftsreisenden, die physiologisch den gleichen Bedingungen ausgesetzt werden aber den Nachteil haben, dieser Hypoxie nicht einfach entkommen zu können. Ihr Rettungsweg dauert bis zur Landung! Im Sinne von „gleiches Recht für alle“ müssten sie auch nach G 28 untersucht werden. Noch schlimmer ergeht es Geschäftsreisenden an hoch gelegene Zielorte, z. B. Südamerika: Wer hier in 4000 m (entsprechend 12,7 % O 2 , also deutlich unterhalb des Bereichs, der von den Autoren der G-Untersuchung als potenziell gefährlich gehalten wird!) aus dem Flugzeug steigt, ist ohne jegliche Akklimatisation auf Gedeih und Verderben der Hypoxie ausgesetzt, der er/sie definitiv nicht entkommen kann! Hier und nicht in leicht zu verlassenden Bereichen mit einem Hauch an Hypoxie, der jeder Alm und jedem normalen Skigebiet entspricht, die aufgesucht werden, ohne sich irgendwelche Gedanken zum Thema Hypoxie zu machen, liegen die eigentlichen arbeitsmedizinischen Herausforderungen!
Es wäre sehr zu begrüßen, wenn die zuständigen Gremien und Autoren den Mut zu einem Kurswechsel hätten. Es mach keinen Sinn, Probleme zu kreieren, wo keine sind. Damit unterminiert man auch die Fachlichkeit der Arbeitsmedizin. Es wäre aber für viele Kollegen sehr hilfreich, wenn man sich der zahlreichen internationalen Geschäftsreisenden annehmen würde, die tatsächlich potenziell durch Höhe/Hypoxie gefährdet sind – einige von ihnen ernsthaft. Entsprechende Zwischenfälle sind zahlreich bekannt.
Literatur
Amsler HA: Flugmedizin für zivile Besatzungen. Bern: Verlag Eidgenössisches Luftamt, 1971.
Barcroft J: Respiratory function of the blood. Part I. New York: Cambridge University Press, 1925.
Bert P: La pression barométrique. Paris: Masson, 1878.
Buskirk ER, Kollias J, Akers RF, Prokop EK, Reateagui EP: Maximal performance at altitude and on return from altitude in conditioned runners. J Appl Physiol 1967; 23: 259–267.
Buskirk ER, Kollias J, Picon Reategui E. Physiology and performance of track athlets at various altitudes in the United States and Peru. In: Goddard RF (ed.): The international symposium on the effects of altitude on physical performance. Chicago: The Athletic Institute, 1966.
Ernsting J, King P: Aviation Medicine. Oxford: Butterworth-Heinemann, 1994.
Jackson CG, Sharkey BJ: Altitude, training and human performance. Sports Med 1988; 6: 279–284.
Küpper T: Körperliche und fachliche Anforderungen bei Rettung aus alpinen Notlagen – Analyse der Belastungen und Beanspruchungen der Ersthelfer und der Angehörigen der Rettungsdienste und ihre Konsequenzen für präventive und rehabilitative Ansätze in Flugmedizin, Arbeitsmedizin und alpiner Sportmedizin. Institut für Flugmedizin, Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH), Aachen, 2006.
Küpper T, Milledge JS, Hillebrandt D et al.: Work in hypoxic conditions – consensus statement of the Medical Commission of the Union Internationale des Associations d‘Alpinisme (UIAA MedCom). Ann Occup Hyg 2011; 55: 369–386.
Mosso A: Der Mensch auf den Hochalpen. Leipzig: Verlag von Veit & Comp., 1899.
Savourey G, Launay JC, Besnard Y, Guinet A, Travers S: Normo- and hypobaric hypoxia: are there any physiological differences? Eur J Appl Physiol 2003; 89: 122–126.
West JB: Limiting factors for exercise at extreme altitudes. Clin Physiol 1990; 10: 265–272.
Zuntz N, Loewy A, Müller F, Caspari W: Höhenklima und Bergwanderungen in ihrer Wirkung auf den Menschen. Berlin: Deutsches Verlagshaus Bong & Co, 1906.
Prof. Dr. med. T. Küpper , Aachen
Leserbrief 2
Der Arbeitskreis „Atemschutz“ des Ausschusses „Arbeitsmedizin“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung hat einen Vorschlag für eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung „Arbeiten in sauerstoffreduzierter Atmosphäre“ zur Diskussion gestellt. Er greift damit ein arbeitsmedizinisch wichtiges Thema auf, denn inzwischen arbeiten in Deutschland mehrere Tausend Personen zeitweise in sauerstoffreduzierter Atmosphäre.
Der Arbeitskreis verweist hierbei auf Publikationen der Unterzeichner, insbesondere den Forschungsbericht FP 224, in dem gesundheitliche Ereignisse einer Gruppe von mehreren Hundert Hypoxie-exponierten Beschäftigten aus im Vergleich zu nicht exponierten Kollegen im Verlauf eines Jahres prospektiv aus 45 Betrieben in Deutschland untersucht wurden. Die Ergebnisse beziehen sich auf Beschäftigte, die nur durch Anamnese und Hämoglobinwert „vorsorgeuntersucht“ wurden, ohne EKG, Seh- oder Hörtest, Spirometrie oder Ergometrie.
Im Ergebnis zeigte sich, dass normobare Hypoxie – bei aller Vorsicht der Dateninterpretation – offenbar keine Gesundheitsschäden hervorruft, aber zumindest in den Bereichen mit niedrigem Sauerstoffpartialdruck kardiozirkulatorisch beanspruchend ist.
Diese Forschungsergebnisse werden zwar zitiert, sind aber nicht in den Entwurf des neuen G-Grundsatzes eingeflossen.
Nach eigenen Angaben orientiert sich der Arbeitskreis des Weiteren an „Regelungen für ähnliche Situationen wie beispielsweise den Untersuchungen für fliegendes Personal“, die aber aus der Sicht der Unterzeichner völlig über das Ziel hinausschießen. Fliegendes Personal arbeitet unter hypobarer Hypoxie mit besonderen Aufgaben im Schutz für Dritte und ohne die Möglichkeiten, bei auftretenden Missempfindungen das Areal jederzeit sofort verlassen zu können. Ausdrücklich ist auch in der Vorbemerkung formuliert, dass der Grundsatz für Tätigkeiten z. B. in Luftfahrzeugen nicht anzuwenden ist.
Der vorgelegte Grundsatz enthält somit Empfehlungen, die sich weder durch den Stand der Forschung, noch durch Übertragung aus anderen Praxisbereichen begründen lassen. Zudem ignorieren die Autoren die Erfahrungen aus den letzten 12 Jahren Praxis, in der sich die im Wesentlichen auf der Anamnese beruhende Vorsorgeuntersuchung hervorragend bewährt hat.
Mit den Autoren des Grundsatzes sind wir uns einig, dass normobare Hypoxie zu einer Reduktion der körperlichen Leistungsfähigkeit führen kann. Eine Belastung des „kardiopulmonalen Systems“ (Vorwort) ist demgegenüber nicht zu erklären, allenfalls eine Beanspruchung des kardiozirkulatorischen Systems zu diskutieren. „Chronische Gesundheitsschädigungen bei wiederholtem, regelmäßigem Aufenthalt in sauerstoffreduzierter Atmosphäre“ konnten unter den in Deutschland üblichen Arbeitsbedingungen bisher nicht gefunden werden. Chronisch höhenbedingte Erkrankungen (pulmonale Hypertonie, Polyglobulie), wie sie bei Langzeitaufenthalten in großer Höhe vorkommen können (und v. a. aufgrund experimenteller Untersuchungen diskutiert werden), sind dabei eben nicht zu erwarten (3.2.2). Gegen ein solches Risiko spricht auch die epidemiologische Evidenz hinsichtlich Personen, die rezidivierend (als Pendler) großen Höhen ausgesetzt sind. Daher sollte aus unserer Sicht auch die Nachuntersuchung bei Beendigung der Tätigkeit entfallen, da sie – insbesondere mit den vorgegebenen Untersuchungsbestandteilen – unter Berücksichtigung von jahrzehntelang wirkenden Confoundern keine vernünftigen Befunde erbringt.
Nach unserer Erkenntnis liegt absolute Priorität in der Erhebung einer ausführlichen Anamnese, insbesondere mit Erhebung des Status zu Herz- und Lungenerkrankungen, Neigung zu Schwindel und Synkopen sowie schon bekannter gesundheitlicher Beschwerden bei Aufenthalten in der Höhe oder bei Flügen. Ergänzend stimmen wir mit den Autoren überein, zum Ausschluss einer Anämie (zumindest bei klinischen Hinweisen wie Beschwerden und Blässe der Konjunktiven) auch das Blutbild zu kontrollieren.
In diesem Zusammenhang fordern wir aber, die schwere/symptomatische Anämie, im Entwurf ungenannt, nunmehr als wichtigstes Kriterium für dauernde gesundheitliche Bedenken (in Tabelle 3) in beiden Risikoklassen mit „+“ aufzunehmen.
Weiterhin werden im Grundsatz eine Spirometrie vorgeschlagen und ein Ruhe-EKG. Beides tut nicht weh, und es gibt keine Kontraindikationen. Aber gibt es irgendeine evidenzgesicherte Indikation bei Hypoxie-exponierten Arbeitern? Definitiv nein. Allein eine überschlägige Überlegung über Prätest-Wahrscheinlichkeiten vordergründig positiver Testergebnisse führt diese beiden Untersuchungsindikationen ad absurdum. Eine Ergometrie hat durchaus Kontraindikationen, und sie wird bei anamnestisch unauffälligen Beschäftigten eine Fülle falsch-positiver Befunde produzieren, die dann weiter abgeklärt werden müssen, mit einer nicht vernachlässigbaren Komplikationsrate nichtindizierter Koronarangiographien bei Gesunden mit nichtindiziertem, aber dann auffälligem Belastungs-EKG. Daher möchten wir unterstreichen, dass es allenfalls eine leistungsphysiologische Indikation gibt, z. B. für Personen, die in sehr niedrigen Sauerstoffkonzentrationen körperlich arbeiten müssen. Hier ist die Fragestellung, ob eine körperliche Überforderung zu befürchten ist.
Die Untersuchung der „Sehschärfe Ferne“ ist vielleicht aufgabenbezogen zu fordern, für eine eventuell erforderliche Fluchtreaktion zur Selbstrettung ansonsten mit weit niedrigeren Werten noch tolerabel. Eine Audiometrie unter der Vorstellung, es müssten Warntöne erkannt werden können, halten wir ebenso für überflüssig, solange der Proband im Untersuchungsgespräch adäquat auf Fragen antwortet. Hier würde auch die Flüstersprache geeignete Resultate bringen.
Im Jahre 2012 blicken wir auf nunmehr 12-jährige praktische Erfahrung in der Untersuchung und Betreuung von Arbeitnehmern mit Arbeiten in sauerstoffreduzierten Räumen zurück. Uns ist weder im Bereich des Forschungsprojekts noch in der Untersuchung mehrerer hundert exponierter Arbeitnehmer auch nur ein Fall bekannt, der durch Betreten eines solchen Raumes nach unserem Screening in eine (lebens-)bedrohliche Situation gekommen wäre. Ein jetzt neu entworfener G-Grundsatz sollte die weltweit erarbeitete und publizierte arbeitsmedizinisch-wissenschaftliche Evidenz, die international und national über 10 Jahre erarbeiteten Forschungsergebnisse und die Ergebnisse der betriebsärztlichen Praxis aus unserer Sicht nicht komplett ignorieren und zugunsten eines am Schreibtisch generierten Rasters an angeblich erforderlichen Untersuchungen diese Erfahrung komplett über Bord werfen. Wenn in fraglichen Fällen zur Abklärung eines Verdachts auf gesundheitliche Bedenken fakultativ EKG, Spirometrie, Seh- oder Hörtest bzw. eine Ergometrie durchgeführt werden, so ist dies selbstverständlich nach ärztlichem Ermessen im Einzelfall vernünftig. Wir stellen uns aber gegen Untersuchungsroutinen ohne medizinische Indikation. Solche G-Grundsätze passen nicht mehr in die heutige Zeit.
Ein Kuriosum möchten wir an dieser Stelle in jedem Fall nicht unerwähnt lassen: Im Rahmen der aktuellen Gesetzeslage ist die neue G 28 als „Wunschuntersuchung“ gem. § 2 ArbMedVV i. V. m. § 11 ArbSchG eingestuft. Die gelebte Praxis zeigt jedoch, dass alle Arbeitgeber, die uns in den letzten 12 Jahren Probanden zuwiesen, darin eine eindeutige Eignungsuntersuchung sehen, die über den Einsatz in diesem Bereichen entscheidet. Wenn die Autoren wirklich die großen Gefahren in der Tätigkeit bejahen, ist es aus unserer Sicht realitätsfremd, den Untersuchungsanlass vom „Wunsch“ des Mitarbeiters abhängig zu machen.
Gerne stoßen wir mit diesem Leserbrief eine Diskussion in der bundesdeutschen Arbeitsmedizin an, die Untersuchungen als Mittel zur Beurteilung gesundheitlicher Einschränkungen definiert und nicht die Sammlung unsinniger Parameter als betriebsärztliches Feigenblatt zum Ziel hat.
Prof. Dr. med. Dennis Nowak , München
Prof. Dr. med. Peter Angerer , Düsseldorf
Dr. med. Hanns Wildgans , München
Leserbrief 3
Beim geplanten G 28 sieht der Autor einen völlig überzogenen Aktionismus, der kostbare betriebsmedizinische Ressourcen bindet. Der Präventionseffekt bezüglich der Vorsorge vor der höhenspezifischen Erkrankung Akute Bergkrankheit ist fraglich, zumal unter den realen Arbeitsbedingungen das Risiko sehr gering ist. Der geplante G 28 ist berufspolitisch riskant, und er kann vor allem eine betriebsärztliche Betreuung beim Auftreten gesundheitlicher Probleme nicht ersetzen.
Arbeitsphysiologische Aspekte
Im ersten Satz des Vorworts wird ausgeführt: „Seit einigen Jahren steht … eine neue Technologie zur Verfügung“ . Später heißt es dann: „Da keine Erfahrungen mit direkt vergleichbaren Arbeitsplätzen vorlagen“ . Warum bezieht man sich, wenn diese Arbeitsplätze schon seit Jahren zur Verfügung stehen, nicht gleich auf die Erfahrungen mit diesen Arbeitsplätzen gemäß Literaturverzeichnis? Bereits hier stellt sich die Frage nach dem Handlungsbedarf für Arbeitsplätze, die begehrten Urlaubsbedingungen entsprechen.
Die Vorbemerkungen des Entwurfs geben noch weniger Hinweise auf den Handlungsbedarf und sie schließen interessanterweise das Personal von Luftfahrzeugen ebenso aus wie implizit Geschäftsreisende an hoch gelegene Einsatzorte (z. B. Südamerika). In beiden Fällen besteht im Gegensatz zur isobaren Hypoxie (G 28) für die Betroffenen keine kurzfristige „Fluchtmöglichkeit“. Wenn hier in der Vergangenheit ernsthafte Gefährdungen aufgetreten wären, wären die Konsequenzen hier viel größer gewesen.
Als Facharzt für Physiologie schließe ich mich den physiologisch und pathophysiologisch begründeten Bedenken anderer Kollegen uneingeschränkt an.
Darüber hinaus frage ich mich, warum bei der Fahrradergometrie in Tabelle 2 ausdrücklich die „leistungsphysiologische Indikation“, allerdings nur für die Risikoklasse 2 mit „(+)“, genannt wird: „Ergometrie unter leistungsphysiologischer Indikation gemäß Anhang 2, „Leitfaden Ergometrie“, in Abhängigkeit von klinischem Befund, Belastung und Alter.“
Eine leistungsphysiologische Indikation ist unsinnig, da die Fahrradergometrie zur Simulation von Arbeitsbedingungen in den entsprechenden Räumen ungeeignet ist (schließlich muss in diesen Räumen nicht Rad gefahren werden). Bei anspruchsvollen Arbeitsplätzen bedient man sich Simulatoren (z. B. Fahr- oder Flugsimulatoren), mit denen die jeweilige Tätigkeit aus gutem Grund möglichst realitätsnah abgebildet wird (s. hierzu u. a. Ulmer 2003 und 2004).
Folgende Aussage kann aus leistungsphysiologischer Sicht nur als trivial bezeichnet werden (Ziffer 3.1.): „Die verminderte Sauerstoffversorgung der Gewebe bewirkt auch beim Gesunden eine Verminderung der Leistungsfähigkeit.“ Zunächst ist zu fragen, welche Leistungsfähigkeit, besser Leistungsfähigkeiten gemeint sind und wie relevant die „Verminderung“ ist? Die „Verminderung“ kann nämlich sowohl körperliche als auch mentale Leistungen betreffen. Wenn die Beeinträchtigungen bei mentalen Leistungen in den „seit einigen Jahren bestehenden“ Arbeitsstätten relevant wären, dann hätten die Arbeitgeber solche Räume in „EDV-Bereichen“ und Bibliotheken längst wieder abgeschafft.
Bedauerlich ist, dass weder Akklimatisierungs- noch Kompensationsmechanismen berücksichtigt werden.
Wie überzogen die vorgeschlagenen Maßnahmen sind, wird u. a. in folgender Passage deutlich. In den Vorbemerkungen heißt es:
„Bei Tätigkeiten in sauerstoffreduzierter Atmosphäre sind folgende Risikoklassen zu unterscheiden:
- Risikoklasse 1: O 2 -Konzentration 15,0 c < 17,0 Vol.-%.
- Risikoklasse 2: O 2 -Konzentration 13,0 c < 15,0 Vol.-%.“
Hier wird generell von Tätigkeiten gesprochen, ohne die Expositionsdauer – wie bei anderen Grundsätzen – zu berücksichtigen. Nimmt man 3.2.1 hinzu ( „Auch kurzfristige Aufenthalte in Räumen mit sauerstoffreduzierter Atmosphäre bedürfen daher einer arbeitsmedizinischen Untersuchung“ ), dann bedeutet dies, dass auch Monteure oder Wartungspersonal für seltene, kurzzeitige Einsätze zuvor gem. G 28 untersucht werden müssten. Womit will man, außer mit dramatisierender Übertreibung des Risikos, dies rechtfertigen?
Das äußerst geringe, besondere Risiko an den Hypoxie-Arbeitsplätzen besteht, wie unten dargelegt, nur hinsichtlich der korrekterweise leider nur im Vorwort erwähnten Akuten Bergkrankheit, nicht jedoch bzgl. Höhenhirn- und Höhenlungenödem, da die Expositionsdauer dafür viel zu kurz ist und genügend lange Normoxiepausen bestehen: „... wären vor allem die Akute Bergkrankheit, das Höhenhirn- und Höhenlungenödem zu nennen. Diese Erkrankungen treten glücklicherweise erst mit mehrstündiger zeitlicher Latenz auf und sind durch eine Begrenzung der Aufenthaltsdauer sicher zu vermeiden.“
Die wesentliche, kausal begründete und erprobte Therapie bei der Akuten Bergkrankheit besteht darin, sofort niedrigere Höhen aufzusuchen (bzw. Sauerstoffatmung). Ihr Hinweis „Begrenzung der Aufenthaltsdauer“ verschleiert diesen Sachverhalt. Viel sinnvoller wäre: Bei Auftreten erster Beschwerden sofortiges Aufsuchen eines Raumes mit normaler Atmosphäre, bzw., falls nicht möglich, Sauerstoffatmung. Entsprechend schwammig sind dann auch folgende Ausführungen unter 2.0: „... welche technischen, organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen getroffen wurden.“
Wo steht denn, welche Maßnahmen zu treffen sind? Angesichts der Latenzzeit von 6–8 Stunden für die akute Bergkrankheit (die Ödemkrankheiten sind u. a. wegen der langen Pausen in Normoxie zwischen den Arbeitsschichten grundsätzlich auszuschließen) dürfte bereits eine Mittagspause außerhalb des Hypoxiebereichs als eine relevante Unterbrechung im Sinne einer Prävention gelten. Also: Arbeitsablaufplanung statt aufwändige und in der prognostischen Validität fragwürdige Vorsorgeuntersuchungen.
Weiterhin wird unter 2.2 ausgeführt: „Bei Auftreten von gesundheitlichen Beschwerden während des Aufenthalts in Räumen mit sauerstoffreduzierter Atmosphäre ist der Bereich unverzüglich zu verlassen und ein fachkundiger Arzt vor erneutem Betreten von Räumen mit sauerstoffreduzierter Atmosphäre zu kontaktieren.“ So richtig diese Ausführungen sind, so wenig wird der nicht in Höhenmedizin erfahrene damit etwas anfangen können.
Anstelle einer aufwändigen Vorsorgeuntersuchung wäre doch aus Sicht der Praxis ein verbindliches Merkblatt sinnvoll, in dem hingewiesen wird:
- 1) auf die Frühsymptome der Akuten Bergkrankheit,
- 2) auf die Notwendigkeit, beim Auftreten von Symptomen einen Raum mit normaler Luft aufzusuchen,
- 3) falls nicht möglich, vorhandene Geräte zur Sauerstoffatmung einzusetzen,
- 4) einen fachkundigen Arzt aufzusuchen.
Als „personenbezogene Schutzmaßnahme“ wäre auf jeden Fall das Personal für längerfristige Einsätze entsprechend zu schulen, auch deshalb, weil sich die aktuelle Disposition ändern kann und sich dies nur unter Expositionsbedingungen und nicht im Labor der G 28-Untersuchungsmedizin zeigt. Beim G 28 ist wie bei anderen Grundsätzen mit falsch-positiven Beurteilungen zu rechnen, auch deshalb sollte den „technischen, organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen“ vor Ort Vorrang gegenüber einem problematischen G 28 im Labor eingeräumt werden. Meines Wissens wurde bisher keine einzige G-Untersuchung hinsichtlich Spezifität sowie Sensitivität und somit auf ihre Validität und Effektivität zur Gesundheitsprävention hin überprüft, und das angesichts der Schicksalhaftigkeit einer Entscheidung über dauernde gesundheitliche Bedenken, speziell wegen des eklatanten Risikos einer falsch-positiven Beurteilung bei geringer Prävalenz des Merkmals.
Berufspolitische Aspekte
Der Entwurf G 28 wirft auch brisante berufspolitische Fragen auf: Wäre ich Betriebspsychologe, würde ich folgenden Hebel ansetzen zu: „Die verminderte Sauerstoffversorgung der Gewebe bewirkt auch beim Gesunden eine Verminderung der Leistungsfähigkeit.“ Da es sich in EDV-Räumen und Bibliotheken um Arbeitsplätze mit mental komplexen Anforderungen und mit Entscheidungen von z. T. großer Tragweite handelt, ist eine relevante Beeinträchtigung mentaler Leistungsfähigkeiten mit z. T. die Gesundheit des Arbeitnehmers gefährdenden Entscheidungen möglich und zu befürchten. Daher ist eine leistungspsychologische Eignungsuntersuchung unter Expositionsbedingungen aus Vorsorgegründen zwingend erforderlich. (Auf Möglichkeiten und Befürchtungen basiert im Wesentlichen der Entwurf G 28. Mit Expositionsbedingungen wäre man näher an der Realität als mit der G 28-Untersuchungsmedizin; ob die dann eingesetzten Tests valide wären, sei dahin gestellt. Und warum soll nur die ergometrische, körperliche Leistungsfähigkeit getestet werden?)
Bei meinen Vorträgen für Arbeitsmedizinische Kurse (Teilgebiet Arbeitsphysiologie) erlebe ich hautnah die Nachwuchsproblematik für die betriebsärztliche Praxis (siehe u. a. auch Hibbeler u. Gerst 2010) und ferner die Notwendigkeit, die arbeitsmedizinische Vorsorge bezüglich Störungen aufgrund psychomentaler Belastungen zu intensivieren (mit entsprechend hohem Betreuungsaufwand). Der geplante G 28 bindet immer knapper werdende betriebsärztliche Ressourcen ohne Rücksicht auf dessen Effizienz. Der ganze Grundsatz erweckt eher den Eindruck, dass man primär Handlungsbedarf konstruiert hat – aus welchen Gründen auch immer – und dann nachträglich voller Aktionismus überlegt hat, was man alles an Untersuchungsmedizin hineinpacken könnte.
Literatur
Hibbeler B, Gerst T: Interview mit Dr. med. Wolfgang Panter, Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte „Wir sind nah an den Menschen“. Dtsch Arztebl 2010; 107: A-1844/B-1618/C-1594 (auch im Internet unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/78540 )
Ulmer H-V: Zur Problematik der arbeitsmedizinischen Leistungsdiagnostik. In Hofmann F, Kralj N (Hrsg.): Handbuch der betriebsärztlichen Praxis (Loseblattwerk). Kap. 10: Untersuchungsmethoden, 10.1.1. Landsberg: ecomed, 2003, S. 1–16 (auch im Internet unter: https://www.sport.uni-mainz.de/physio/pdffiles/365.pdf )
Ulmer H-V: Zu Komplexität menschlichen Leistens und entsprechenden Konsequenzen für die Leistungsbeurteilung. 50. Frühjahrstagung der Gesellschaft für Arbeitswissenschaften (GfA) an der ETH Zürich 24.–26. März 2004.
Prof. Dr. med. H.-V. Ulmer , Mainz
Leserbrief 4
Zu dem zur Diskussion gestellten Entwurf eines G 28 für die Arbeit in Räumen mit isobarer Hypoxie möchte ich aus internistischer Perspektive kurz Stellung nehmen.
Bei den diskutierten Expositionen handelt es sich um Räume mit sauerstoffreduzierter Atmosphäre zwischen 13 und 17 Vol.%, was einem Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft in 1500 und 4000 m NN entspricht. Zwar ist die Anwendung auf höhenexponierte Personen ausgeschlossen, doch entspricht die Physiologie ja durchaus dieser Situation im Hinblick auf die Bedingungen der Oxygenierung. Höhenexponierte im Flugzeug (Kabinendruck entspricht 2400 m oder niedriger) sind im Vergleich zu Personen in sauerstoffreduzierten Arbeitsräumen jedoch insofern deutlich höher gefährdet als ihr Verbringen aus einem Flugzeug erst nach Landung möglich ist. Dennoch wird dem dienstlichen Vielflieger keine vergleichbare Untersuchung vorgeschrieben, da die Erfahrung lehrt: Außer in wenigen, durch Symptome und Diagnosen beschriebenen Situationen ist dies nicht nötig.
Dies liegt auch daran, dass zwar die Differenz der Sauerstoffkonzentration die treibende Kraft der Diffusion durch die Alveolarmembran ist, wie in Abschnitt 3.1 zum Ausdruck gebracht wird, dass aber die Verfügbarkeit von Sauerstoff im Körper infolge der Sauerstoffaffinität des Hämoglobin nur gering absinkt. Der Abschnitt 3.1 suggeriert eine Linearität der Leistungsminderung analog zum Sauerstoffangebot in der Umgebungsluft, die in keiner Weise besteht.
Fragt man andersherum, welche Diagnosen denn beim ansonsten arbeitsfähigen Mitarbeiter zu gesundheitlichen Schäden auch bei kurzem Aufenthalt in sauerstoffreduzierter Atmosphäre (oder beim Flug bzw. bei Benutzung einer Seilbahn) führen könnten, so kommt man jenseits offensichtlicher pulmonaler Globalinsuffizienz, höhergradiger KHK bzw. Herzinsuffizienz zu einer Liste von Erkrankungen, die sich aus meiner Perspektive anders darstellt als die der Ausschlüsse im vorgeschlagenen G 28:
- regionale arterielle Durchblutungsstörungen, etwa
- pAVK,
- retinale Veränderungen, z. B. als Folge eines langjährigen Diabetes,
- homozygote Sichelzellenanlage,
- Hypertonie im kleinen Kreislauf.
Fragen wir nun, ob diese Erkrankungen, die in Einzelfällen ja durchaus unerkannt beim Arbeitnehmer vorliegen können, durch die vorgeschlagenen Untersuchungsschritte ausgeschlossen werden können, so kommen Zweifel auf. Weder wird beim körperlichen Untersuchungsbefund auf den peripheren Pulsstatus bzw. die Prüfung der kapillaren Durchblutung im Nagelbett hingewiesen, noch eine Beurteilung des Augenhintergrunds (abhängig von Verdachtskriterien wie Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen) gefordert, noch ein Ausschluss von Hämoglobinopathien. Diese etwa trotz ihrer eminenten Bedeutung für die Fragestellung nur anamnestisch ausschließen zu wollen, wundert angesichts des Aufwands zur Diagnostik unerkannter z. B. kardialer Erkrankungen doch sehr.
Stattdessen finden sich Fragen nach Anfallsleiden oder Erkrankungen des zentralen Nervensystems mit wesentlichen Funktionsstörungen (was ja z. B. Personen mit einer MS ausschließen würde), ohne dass ein Zusammenhang mit der Gefährdung ersichtlich würde.
Daher erscheint mir ein dreischrittiges Verfahren sinnvoll:
- Ausschluss von Arbeitnehmern mit offensichtlicher schwerwiegender pulmonaler Globalinsuffizienz, KHK oder Herzinsuffizienz im Stadium 3 oder 4,
- anamnestische, klinische und ggf. labormäßige Klärung einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für arterielle Durchblutungsstörungen (hier ist der Gelegenheitsblutzucker kein adäquater Ausschluss eines Diabetes) oder für Hämoglobinopathien,
- Expositionsversuch unter Anwendung eines Pulsoximeters mit Dokumentation des Ergebnisses.
Ich denke, man käme so mit weniger Aufwand zu einem besseren Ergebnis.
Dr. med. B. Rieke , Düsseldorf
Leserbrief 5
Ich bin Sanitätsoffizier bei der Bundeswehr, derzeit der einzige mit der Zusatzqualifikation Heeresbergführer und unter anderem für die höhenmedizinische Ausbildung des sanitätsdienstlichen Personals fachlich zuständig. Der entsprechende Lehrgang findet im FlugMedInst Königsbrück statt und beinhaltet einen praktischen Ausbildungsanteil in der dortigen Höhen-Klima-Simulationskammer. Dabei werden Höhen entsprechend 6000 m erreicht.
Dem vorliegenden DGUV-Grundsatz 28 kann ich nicht zustimmen. Nach meiner Erfahrung dramatisiert er die im Rahmen des Brandschutzes relevanten Hypoxiebereiche viel zu sehr. Die Differenzierung in normobare und hypobare Hypoxie (er gilt nicht für Arbeiten in hypobarer Hypoxie, z. B. Luftfahrzeuge), suggeriert die Notwendigkeit einer anderen Sicherheitsbetrachtung. In der Praxis spielt diese Unterteilung keine Rolle, allenfalls sind normobare Hypoxieumgebungsbedingungen in der Regel viel unproblematischer zu verlassen, als hypobare.
In der Risikounterteilung wird nicht detailliert auf die Expositionszeit eingegangen. Gerade weil die AMS mit einer Latenzzeit von etwa 6–36 Stunden auftritt, ist dieser Punkt von besonderer Relevanz. Grundsätzlich sehe ich bei einer arbeitstäglichen Aufenthaltsdauer evtl. sogar in einem 12-Stunden-Schichtbetrieb die Notwendigkeit der Akklimatisation, die ebenfalls in normobarer Hypoxie durchgeführt werden könnte. Hierfür wäre ein standardisiertes Akklimatisationsprofil, abgestimmt auf die Ziel-O 2 -Konzentration, erforderlich und müsste im vorliegenden Grundsatz enthalten sein. Im Gegensatz dazu halte ich bei kurzzeitigem Hypoxieaufenthalt bei nicht kardiopulmonal schwer erkrankten Personen (ab NYHA 3) Vorsichtsmaßnahmen wie ein „umluftunabhängiger Atemschutz“ für schlichtweg überflüssig. Wie oben angesprochen, können normalerweise normobare Hypoxieumgebungen einfach und schnell (durch eine Tür) verlassen werden – die Zeit der „useful consciousness“ reicht aus. Unterdruckkammern mit zeitaufwändiger Rekompression und keiner Zugriffsmöglichkeit von außen sowie Aufenthalte in realer Höhe mit zeitaufwändigem Abstieg stellen hier eher Problemfelder dar. Allerdings sind jährlich tausende Personen (Touristen, Berufstätige wie Bergführer oder Restaurant- bzw. Bahnbedienstete) an Orten wie Aiguille de Midi oder Jungfraujoch einer entsprechenden Hypoxie mit zusätzlichen, additiven Stressoren wie Kälte und körperlicher Belastung ohne Atemschutzgerät ausgesetzt.
Bezüglich der empfohlenen Voruntersuchungen halte ich eine ausführliche Anamnese und Befragung zur sportlichen Aktivität in Kombination mit einer einfachen klinisch-körperlichen Untersuchung grundsätzlich für ausreichend und würde nur bei sich hieraus ergebendem Abklärungsbedarf derartige weiterführende Untersuchungen empfehlen. Die BZ-Untersuchung halte ich bei dieser Fragestellung für überflüssig.
Dr. med. M. Tannheimer , Ulm