Die Autoren machen zur verwendeten Job-Exposure-Matrix (JEM) für die Bergarbeiter der WISMUT folgende Angaben (Schnelzer et al. 2014):
„Die JEM beruht für Radongas und externe Gammastrahlung für die Jahre ab 1955 auf vorhandenen Messwerten. Für die Radonfolgeproduktkonzentrationen gilt dies für die Jahre ab 1964 und für langlebige Radionuklide (Gesamtalpha) ab 1967. Für die Zeiträume davor basiert sie auf Expertenabschätzungen.“
In der Veröffentlichung wird der Eindruck erweckt, dass für die Bergarbeiter auf Messungen beruhende individuelle Strahlenexpositionen vorliegen. Wie die folgenden Ausführungen belegen, ist dieser Eindruck unzutreffend.
In der Epidemiologie ist zwingend erforderlich, die Strahlenexpositionen und ihre Unsicherheiten zuverlässig zu ermitteln. Die Strahlenschutzkommission empfahl 2003 die Einrichtung eines Expertengremiums, um für die JEM Informationen zur Unsicherheit zu erarbeiten und Richtlinien zum Umgang damit zu entwickeln (SSK 2003).
Erst zehn Jahre später schrieb das Bundesamt für Strahlenschutz ein Vorhaben aus zur „Ermittlung der Unsicherheiten der Strahlungsexpositionsabschätzung in der Wismut Kohorte“ (BfS 2013). Das Vorhaben soll nach maximal drei Jahren abgeschlossen werden. Daher sind für die bisherigen epidemiologischen Forschungen die Unsicher-heiten unbekannt und die Ergebnisse nicht belastbar.
Die Ausschreibung des BfS wird hier schwerpunktmäßig anhand der sächsischen Bergbau-Objekte 02, 03 und 09 diskutiert, die einen wesentlichen Anteil der Kohortenmitglieder betreffen. Die Ausschreibung macht für die Strahlenexpositionen durch Radon (Rn), kurzlebige Radon-Folgeprodukte (RnFP), langlebige Radionuklide im Schwebstaub (LRN) und externe Gamma-Strahlung folgende Angaben: Ab 1955 sind Messwerte für Rn und ab 1966 für RnFP verfügbar; die Daten für die Rn-/RnFP-Expositionen vor 1955 sowie alle LRN- und Gamma-Expositionen beruhen auf Modellen (Seite 10 der Leistungsbeschreibung in BfS 2013). Die Messwerte für Rn und RnFP führen allerdings nicht zu realistischen Individualdosen, weil sie jeweils für ein Objekt mit mehreren Bergwerken zu jährlichen Mittelwerten zusammengefasst werden. Die Messbereiche schwanken bis zum Faktor zehn und mehr um den Mittelwert. Da die meisten Messwerte nicht mehr verfügbar sind, ist auch retrospektiv eine statistische Auswertung dieser Messwerte nicht möglich.
Die gemittelten Rn-Werte werden mit geschätzten Gleichgewichtsfaktoren multipliziert und ergeben so den zugehörigen RnFP-Wert. Die in der Literatur angegebe-nen Messwerte für LRN und externe Gam-ma-Strahlung können nicht verwendet wer-den, da sie keinen Bezug zu den Bedingungen der Messungen haben (z. B. unbekannte Probenahmeorte, unbekannter Abstand von den Strahlungsquellen). Da die Urangehalte im anstehenden Erz bis 1990 nicht gemes-sen wurden, werden in den Modellen für die LRN- und Gamma-Exposition das jährliche mittlere Ausbringen von Uranerz (d. h. Förderung) aus dem jeweiligen Objekt als Basis genommen. Das Ergebnis ist beliebig, da die Urangehalte in den einzelnen Erz-gängen und abhängig von der Teufe sehr stark schwanken. Die ermittelten Expositio-nen für Rn/RnFP, LRN und externe Gam-ma-Strahlung gelten für Hauer. Für andere Tätigkeitsgruppen (z. B. Betonierer, Geologen, Markscheider, Steiger) werden daraus die Expositionen mittels geschätzter Wichtungsfaktoren abgeleitet. (Lehmann et al. 1998, Lehmann 1999, Eigenwillig 2011, BfS 2013). Daher sind alle Werte der Expositionen Artefakte! Diesen Sachverhalt weist be-reits die JEM von 1998 aus (S. 26 in Lehmann et al. 1998):
„Wie aus den Ausführungen für die Er-mittlung der äußeren Exposition durch Gam-ma-Strahlung und der inneren Strahlenexposition infolge der Inhalation von Radon/Radon-Folgeprodukten und langlebigen Ra-dionukliden im Schwebstaub hervorgeht, liegen bis 1990 keine verwendbaren Individualdosen für die Beschäftigten im untertägigen und übertägigen Bergbau und in den Aufbereitungsbetrieben vor. Expositionen für den Zeitraum fehlender Messungen müssen mit Hilfe von Modellen abgeleitet werden. Vorliegende Ergebnisse von Strahlungsmessungen sind entweder nur Einzelmessungen oder nur noch in zusammengefasster Form verfügbar. Ferner wurden Betriebsstörungen (z. B. bei der Bewetterung) nicht erfasst und damit nicht berücksichtigt. Daher wird von einer Ermittlung von Vertrauensbereichen abgesehen.“
Von den Autoren der Veröffentlichung Schnelzer et al. 2014 werden Antworten zu folgenden Fragen erwartet: Warum berücksichtigen sie nicht die Aussagen der JEM, die sie selbst zitieren? Warum beachten sie nicht die Angaben in der Ausschreibung des BfS? Warum haben sie nicht darauf bestanden, dass die Unsicherheiten der Strahlenexpositionen geklärt waren, bevor sie vor etwa fünfzehn Jahren mit ihren epidemiologischen Untersuchungen begonnen haben?
Literatur
BfS (Bundesamt für Strahlenschutz): Ermittlung der Unsicherheiten der Strahlungsexpositionsabschätzung in der Wismut Kohorte. Bekanntmachung einer öffent-lichen Ausschreibung nach § 12 Abs. 2 VOUA. BfS AG-F 3 – 08313/3613S10023. Leistungsbeschreibung vom 24.04.2013.
Eigenwillig GG: Der Uranerzbergbau im Erzgebirge – die dadurch bedingten Strahlenexpositionen und Er-krankungen der Bergleute. Eine kritisch Bewertung. Eigenverlag, Frankfurt. ISBN 978-3-00-031743-9. 2011.
Lehmann F, Hambeck L, Linkert K-H, Lutze H, Meyer H, Reiber H, Reinisch A, Renner H-J, Seifert T, Wolf F: Belastung durch ionisierende Strahlung im Uran-erzbergbau der ehemaligen DDR. Herausgeber: Haupt-verband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG), Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG). ISBN 3-88383-524-2. 1998.
Lehmann F: Retrospektive Ermittlung der Strahlenexposition für einen Abbauhauer im Erzfeld Schnee-berg-Schlema-Alberoda (Objekte 02, 03, 09 der SAG/SDAG Wismut) im Zeitraum von 1947 bis 1968. Dis-sertation, Fakultät für Geowissenschaften, Geotechnik und Bergbau der Technischen Universität Bergakade-mie Freiberg, Freiberg. 1999.
Schnelzer M, Dufey F, Grosche B, Sogl M, Tschense A, Walsh L, Dahmann 0, Lehmann F, Otten H, Kreuzer M: Berufliche Exposition und Mortalität in der deut-schen Uranbergarbeiterkohorte. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2014; 49: 761–770.
SSK (Strahlenschutzkommission): Zum Stand der Auswertung der Deutschen Kohortenstudie bei Uran-bergarbeitern der Wismut. – Stellungnahme der Strahlenschutzkommission. Verabschiedet auf der 188. Sitzung der SSK am 02./03.12.2003. Veröffent-lichungen der SSK, Band 52: 297–301, Elsevier Urban & Fischer, München. ISBN 3-437-22326-7. 2003.
Dr. rer. nat. Gerd Georg Eigenwillig, Frankfurt am Main
Stellungnahme der Autoren
Herrn Eigenwilligs Meinung zu der Wismut-Studie ist den Autoren bestens bekannt. Er verfasste bereits mehrmals Leserbriefe mit ähnlichem Inhalt wie in diesem Kommentar. Zu den zwei veröffentlichten Briefen (Health Physics 2006, 91(4), S. 390–91, StrahlenschutzPraxis 1/2006, S. 69–70) erschienen ausführliche Antworten (Brüske-Hohlfeld, 2006, Health Physics, 91(4), S. 392; Grosche, Strah-lenschutzPraxis 2/2006, S. 96–97). Weitere Leserbriefe wurden von den jeweiligen Jour-nalen wegen Dopplung des Inhalts abgelehnt. Es haben in den letzten 10 Jahren mehr-fach ausführliche Gespräche zwischen Herrn Eigenwillig und dem BfS, dem BMUB und der Strahlenschutzkommission (SSK) stattgefunden, sowie sogar ein Vor-Ort-Treffen aller Parteien bei der Wismut GmbH, Chem-nitz. Ebenso fand ein Austausch mit einem die Ersteller der Matrix begleitenden unabhängigen wissenschaftlichen Sachverständigenkreis unter Beteiligung der TU Freiberg statt. In allen Gesprächen konnten die Positionen des Herr Eigenwillig nicht bestätigt werden, gleichwohl blieb Herr Eigenwillig unverändert bei seinen Vorwürfen.
Im Folgenden beantworten wir die Fragen, die Herr Eigenwillig in seinem Kommen-tar zu ASU gestellt hat. Diese Kommentare sind, wie gesagt, nicht neu.
- Warum berücksichtigen sie nicht die Aus-sagen der JEM, die sie selbst zitieren?
- Vermutlich meint Herr Eigenwillig mit „Aussagen der JEM“ die Tatsache, dass keine gemessenen Individualdosen für die Expositionsbestimmung verfügbar sind. Wie in jeder unserer Publikationen im Methodenteil zu lesen ist, haben wir die individuellen Expositionen der Bergarbeiter mit Hilfe einer Job-Exposure-Matrix (JEM) abgeschätzt. Wir weisen auch darauf hin, dass diese auf Umgebungsmessungen und Expertenabschätzungen beruht. Wir erwecken also nicht den Eindruck, dass individuelle Strahlenmessungen für die einzelnen Bergleute vorliegen, wie Herr Eigenwillig im dritten Absatz seines Kommentars behauptet. Bei den im Artikel erwähnten Messungen handelt es sich um Umgebungsmessungen, wie auch aus dem Zusammenhang klar erkennbar ist.
- Warum beachten sie nicht die Angaben in der Ausschreibung des BfS?
- Es ist unklar, welche Angaben aus der Ausschreibung des Forschungsvorha-bens „Ermittlung der Unsicherheiten der Strahlenexpositionsabschätzung in der Wismut Kohorte“ wir nach Meinung von Herrn Eigenwillig nicht beachten. Generell ist zu dem Forschungsvorhaben zu sagen, dass das Vorhaben nicht die Voraussetzung für eine sinnvolle Nutzung der Expositionsangaben in der Wismut-Studie darstellt. Vielmehr ist das Ziel des Forschungsvorhabens, die Robustheit der Ergebnisse der Studie zu untersuchen.
- Warum haben sie nicht darauf bestanden, dass die Unsicherheiten der Strahlenexposition geklärt waren, bevor sie vor etwa fünfzehn Jahren mit ihren epidemiologischen Untersuchungen begonnen haben?
- Sowohl die Job-Exposure-Matrix für Strahlung als auch die Job-Exposure-Matrix für Staub wurden, wie im Artikel dargestellt, von Experten mit extrem hohem Aufwand erstellt. Sie berücksichtigten dabei sämtliche verfügbaren Messungen. Wie im Artikel angegeben führte die Wismut Umgebungsmessungen für Radongas ab 1955, für Radonfolgeprodukte und Gammastrahlung ab 1964 und für langlebige Radionuklide ab 1967 durch. Die Expertenabschätzungen für die Zeiträume davor stützen sich auf die ersten verfügbaren Messwerte, eigene Messungen, die unter historischen Arbeitsbedingungen durchgeführt worden sind und Modellberechnungen. Wir gehen davon aus, dass die beiden Job-Exposure-Matrizen eine ausreichend va-lide Rekonstruktion der Exposition ermöglichen und eine sehr gute Basis für unsere epidemiologische Studie darstellen.
- Vergleicht man die Qualität der Ex-positionsabschätzung der Wismutko-horte mit anderen internationalen Berg-arbeiterstudien oder auch allgemein mit arbeitsepidemiologischen Studien, so ist diese als sehr gut einzustufen. Projekte zur Untersuchung von Unsicherheiten und ihrer Konsequenzen auf das geschätzte Risiko werden in epidemiologischen Studien nicht standardmäßig durchgeführt, da sie methodisch sehr anspruchsvoll sind. In der französischen Bergarbeiterstudie 2012 wurde eine sol-che Methode entwickelt und angewandt. Darauf aufbauend, wurde von uns ein entsprechendes Vorhaben ausgeschrieben. Dies wurde gemeinsam mit der Arbeitsgruppe „Steering Committee Wis-mut Study“ der Strahlenschutzkommission abgestimmt. Diese Arbeitsgruppe ist ein externes international besetztes Expertengremium, das die wissenschaftlichen Arbeiten zur Wismut-Studie des BfS regelmäßig evaluiert.
Die Ergebnisse der Wismut-Studie wären nicht in hochrangigen wissenschaftlichen Journalen (Br J Cancer, Int J Epidemiol, Radiat Res, Radiat Environ Biophys, Health Phys) mit Begutachtungssystem erschienen, wenn sie nicht wissenschaftlichen Qualitätskriterien genügen würden.
Für die Verfasser:
Dr. phil. Maria Schnelzer, Neuherberg