Sehr geehrter Herr Holtstraeter,
mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel in ASU über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu interprofessionellen Partnerschaftsgesellschaften gelesen. Ihre Ansicht, die einen Bedarf in eben diesem Bereich sieht, möchte ich weiter ausführen und mich am Ende meines Leserbriefes anschließen.
In Deutschland sind im Berichtsjahr 2013 2357 BK-Todesfälle ausgewiesen (Müsch 2015a). Das Verhältnis BK-Tote zu den Unfalltoten des Berichtsjahres beträgt 2,52:1 (Müsch 2015a). Dies ergäbe verteilt auf ein Jahr zwischen 6 und 7 BK-Tote pro Tag. Bei Berufskrankheiten (BK) handelt es sich nicht nur um anzeige- und entschädigungspflichtige, vielmehr noch um vermeidbare Erkrankungen (vgl. Müsch 2005). Folglich bestehen zahlreiche Verletzungen des grundgesetzlich garantierten Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das in Art. 2 Abs. 2 GG festgeschrieben wurde. Die Brisanz des Themas kann somit nicht überschätzt werden.
Berufskrankheiten und ihre Voraussetzungen sind in § 9 SGB VII aufgeführt. Vorliegen müssen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII i.V.m. der einschlägigen Berufskrankheitenverordnung (BKV) eine versicherte Tätigkeit, dieser zuzurechnende Einwirkungen von schädigenden Stoffen, Belastungen usw., eine dadurch verursachte Krankheit, ggf. mit dem Zwang zum Unterlassen aller gefährdenden Tätigkeiten (Becker 2004; Bieresborn 2008). Eine BK kann darüber hinaus auch nach den Voraussetzungen § 9 Abs. 2 SGB VII bestehen.
Für die sachgerechte Wahrnehmung von Mandanten sind Rechtsanwälte oft auf das Fachwissen anderer Bereiche angewiesen (Michalski u. Römermann 1996). Beispielhaft wird gerne der Arzthaftungsprozess angeführt, bei dem das Verständnis medizinischer Begriffe und Zusammenhänge unabkömmlich erscheint (Michalski u. Römermann 1996). Diese Problematik kann analog auf die sozialmedizinische Beratung übertragen werden. Im Rahmen der Versicherungsfälle Berufskrankheiten (sowie Arbeitsunfälle) ergeben sich Ansprüche gegen die Berufsgenossenschaften als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 SGB I). Diese Träger handeln einerseits als Unternehmer-Haftpflichtversicherungen gemäß § 104 SGB VII und andererseits ermitteln sie gemäß § 20 SGB X von Amts wegen, weshalb ihre Expertisen selbst bei fehlerfreier Erstellung vielfach Raum für Rechtsstreitigkeiten bieten (Müsch 2015b).
Gerade hier zeigen sich der Bedarf und die Chance für die interprofessionelle Zusammenarbeit. Andererseits müssen sich die Versicherten in Streitfällen um Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung gegen festsetzende Bescheide der als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Träger zur Wehr setzen (Quodbach 2002). Diese Körperschaften sind ärztlich sowie juristisch bestens beraten. Die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale einer BK trägt der Versicherte (Bieresborn 2008). Weiterhin knüpfen zahlreiche Sozialleistungen an Begriffe wie Gesundheitsschaden, Krankheit oder Behinderung an und machen medizinische Kenntnisse unmittelbar zum Bestandteil von Vorschriften, die nur unter Mithilfe von Ärzten oder ärztlichen Gutachtern festgestellt werden können (Erlenkämper 2002). Eine Berufsausübungsgemeinschaft würde somit eine „Waffengleichheit“ der am Prozess beteiligten Parteien bewirken.
Der Mediziner kann darüber hinaus bei Problemen der Beweisführung, die eng mit der medizinischen Indikation verknüpft sind, nützliche Hilfe im Rahmen einer prozessbegleitenden Beratung leisten. Im Rahmen der medizinischen Beratung sollte, unter Berücksichtigung der Ärztlichen (Muster-)Weiterbildungsordnung (MWBO; Fassung vom 23. 10. 2015, S. 29 f.) sowie der darin enthaltenen Definition der Arbeitsmedizin, eine Zusammenarbeit mit einem Arbeitsmediziner den größtmöglichen Nutzen für das Verfahren erzielen (Zusammenhangsgutachten) (Müsch 2015b). Die dauerhafte Partnerschaft könnte auch durch einen gemeinsamen Außenauftritt in Verbindung mit einem berufsübergreifenden Angebot deutlich überzeugender sein, da der Mandant von vornherein die seine Interessen vertretende Vertragspartei kennt (Holtstraeter 2016). Ökonomische Aspekte (wie die Teilung von Büromiete und technischer Einrichtung) sprechen ebenfalls für die interprofessionelle Zusammenarbeit in einer Partnerschaftsgesellschaft (Holtstraeter 2016).
Die regelmäßigen medizinischen und juristischen Probleme in einem BK-Verfahren zur Durchsetzung von Ansprüchen bieten m. E. ein hoch spezialisiertes Betätigungsfeld für die interprofessionelle Zusammenarbeit in Partnerschaftsgesellschaften von Rechtsanwälten und (Arbeits-)Medizinern. Solche Partnerschaften könnten Leistungen aus einer Hand anbieten und durch ihre beständige Zusammenarbeit deutlich effizienter und qualitativ hochwertiger arbeiten und besser auf die Wünsche ihrer Mandanten eingehen.
Stud.iur. Jan Trienekens
Studentischer Mitarbeiter bei www.berufskrankheiten.de
Literatur
Becker P: Gesetzliche Unfallversicherung. München: Beck, 2004.
Bieresborn D: Die Ermittlung der Einwirkungen bei Berufskrankheiten. NZS 2008: 354–361.
Erlenkämper A: Arzt und Sozialrecht. Berlin: Springer, 2002, S. 1.
Holtstraeter R: Partnergesellschaften von Ärzten und Rechtsanwälten erlaubt. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2016; 51: 784–786.
Michalski L, Römermann V: Interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwälten. NJW 1996: 3233.
Müsch FH: Berufskrankheiten – Ein medizinisch-juristisches Nachschlagewerk, Vorwort. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2005.
Müsch FH: Berufskrankheiten-Todesfälle. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2015a; 50: 548.
Müsch FH: Editorial. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2015b; 50: 539.
Quodbach M: Grenzen der interprofessionellen Zusammenarbeit. Nürnberg: Zeiser-Ress Fachbuchhandlung, 2002, S. 66.