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Analyse der gemeldeten und anerkannten Fälle der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung

COVID-19 als Berufskrankheit und Arbeitsunfall

A. Nienhaus1

S. Schneider2

(eingegangen am 28.11.2021, angenommen am 21.01.2022)

COVID-19 as an occupational disease and work-related accident – Analysis of reported and recognised cases handled by German Social Accident Insurance (DGUV)

Objectives: This article analyses the number of cases of occupational disease (OD) and work-related accidents in connection with COVID-19 reported to all accident insurance funds (UVT) in Germany and duly recognised as claims.

Methods: The analysis covers data from a special survey of the German
Social Accident Insurance (DGUV), the umbrella association of the accident insurance institutions for the industrial and public sectors (the BGs and the public-sector accident insurers respectively), and routine data from the social accident insurance provider for the health and welfare sector (BGW). In the case of the BGW data, we present the COVID-19 cases per 1,000 full-time equivalents (FTE) separated by sector.

Results: Since the beginning of the pandemic, the UVT have registered 202,945 cases related to COVID-19 and recognised 121,027 of these as insurance claims. Most reports related to an OD (83.3 %). The most affected UVT is the BGW, with 59.7 % of all reported cases. On average, 24.05 OD per 1,000 FTE were reported to the BGW. Clinics and nursing homes had the highest rates (53.9 and 46.7 OD per 1,000 FTE). Nursing and kindergarten jobs, typically held by women, accounted for 77 % of reports to the BGW. Nurses accounted for 71.2 % of insured persons treated in hospital and 44.8 % of deaths.

Conclusion: The number of reported cases of COVID-19 recognised as insurance claims is high. The UVT are affected to varying degrees. The BGW is the most affected. The infection risk for nurses, a predominantly female job, is particularly high. Provision and compensation for insured persons will continue to be a major challenge over the next few years due to the potential long-term adverse effects of COVID-19.

Keywords: COVID-19 – health protection – occupational disease – work-related accident

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2022; 57: 170–176
doi:10.17147/asu-1-174372

COVID-19 als Berufskrankheit und Arbeitsunfall – Analyse der gemeldeten und anerkannten Fälle der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung

Ziele: In dieser Arbeit wird die Anzahl der gemeldeten und als Versicherungsfall anerkannten Berufskrankheiten (BK) und Arbeitsunfälle im Zusammenhang mit COVID-19 für alle Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (UVT) in Deutschland analysiert.

Methoden: Daten einer Sondererhebung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (BG) und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand (UVTöH), und Routinedaten der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) werden analysiert. Für die Daten der BGW werden getrennt nach Branche die COVID-19-Fälle pro 1000 Vollarbeiteräquivalente (VAÄ) dargestellt.

Ergebnisse: Seit Beginn der Pandemie wurden 202.945 Fälle im Zusammenhang mit COVID-19 bei den UVT gemeldet und 121.027 als Versicherungsfall anerkannt. Die meisten Meldungen bezogen sich auf eine BK (83,3 %). Der am häufigsten betroffene UVT ist die BGW mit 59,7 % aller gemeldeten Fälle. Im Durchschnitt wurden bei der BGW 24,05 BK pro 1000 VAÄ gemeldet. Auf Kliniken und Pflegeheime entfielen die höchsten Raten (53,9 und 46,7 BK pro 1000 VAÄ). Tätigkeiten in der Pflege und im Kindergarten, beides typische Frauenberufe, hatten einen Anteil von 77 % der Meldungen der BGW. Unter den Versicherten, die stationär behandelt wurden, betrug der Anteil der Pflegekräfte 71,2 % und bei den Verstorbenen 44,8 %.

Schlussfolgerungen: Die Anzahl der gemeldeten und als Versicherungsfall anerkannten COVID-19-Erkrankungen ist hoch. Die UVT sind unterschiedlich stark betroffen. Am stärksten betroffen ist die BGW. Das Infektionsrisiko ist in der Pflege, einem typischen Frauenberuf, besonders hoch. Die Versorgung und Entschädigung der Versicherten wird in den nächsten Jahren aufgrund möglicher langfristiger Gesundheitsfolgen von COVID-19 noch eine große Herausforderung darstellen.

Schlüsselwörter: COVID-19 – Gesundheitsschutz – Berufskrankheit – Arbeitsunfall

Einleitung

In einer Pandemie haben Gesundheitsarbeitende (GA) ein erhöhtes Risiko für eine berufsbedingte Infektion. Das konnten in einem systematischen Review zur H1N1-Pandemie im Jahr 2009, die glücklicherweise selbstlimitierend war, gezeigt werden (Lietz et al. 2016). Bereits im Mai 2020 zeigte eine Literaturübersicht 152.888 dokumentierte Infektionen und 1413 Todesfälle wegen COVID-19 bei GA. Die wahre Anzahl war zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich viel höher (Brandyopadhyay et al. 2020). In Norditalien, das nach dem Champions-League-Spiel zwischen Bergamo und Atletico Madrid besonders und als eine der ersten Regionen in Europa betroffen war, waren 28,5 % der hochexponierten und 12,8 % der niedrig exponierten GA infiziert (Airoldi et al. 2020). In Spanien waren sogar bis zu 31,6 % der GA SARS-CoV-2 positiv (Galán et al. 2020). In Deutschland fiel die Infektionsrate bei GA bisher geringer aus. Nach der ersten Welle von Februar bis Mai 2020 waren 3,3 % der Beschäftigten eines Krankenhauses infiziert (Platten et al. 2021). Dabei hatten GA mit Kontakt zu COVID-19-Patientinnen und -Patienten das höchste Risiko. Krankenkassendaten zeigen für GA zudem ein um den Faktor 2,4 erhöhtes Risiko für eine Hospitalisierung wegen COVID-19 im Vergleich zu anderen Beschäftigten (Möhner u. Wolik 2020).

Aber nicht nur GA, sondern auch ihre Angehörigen sind betroffen. In einer Studie aus Schottland hatten Beschäftigte im Krankenhaus ein 3,3fach erhöhtes Risiko für eine Hospitalisierung wegen COVID-19. Bei ihren Angehörigen war das Risiko um den Faktor 1,8 erhöht (Sah et al. 2020). Eine ähnliche Beobachtung machte eine Studie in Frankreich. Das COVID-19-Infektionsrisiko war für GA um den Faktor 3,1 erhöht und zwei Angehörige starben an COVID-19, weil die Isolierung zu Hause nicht funktioniert hatte (Krastinova et al. 2021). In einer britischen Studie fand sich nicht nur ein erhöhtes Infektionsrisiko für GA (OR = 7,4), sondern auch erhöhte Risiken für in der Sozialarbeit Tätige und Lehrerinnen/Lehrer. Besonders erhöht war das Risiko für nicht weiße Arbeiterinnen und Arbeiter mit versorgungsrelevanten Tätigkeiten (OR = 8,2) (Mutambudzi et al. 2021). Die Autoren schließen daraus, dass vor allem auch sozial schwächer gestellte Personen mit geringer Berufsqualifikation gefährdet sind. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommt eine Studie aus den USA. Entsprechend einer registerbasierten Studie aus Washington State hatten GA die höchsten Infektionsraten. In typischen Niedriglohnberufen gab es allerdings auch eine Tendenz zu höheren Infektionsrisiken. Das betraf Landwirtschaft, Fischerei, Bau, Gebäudereinigung und Instandhaltung (Zhang 2021). Ähnliche Daten geben auch Möhner und Wolik (2021) für Deutschland an. Sie fanden erhöhte Infektionsrisiken bei der Herstellung von Bekleidung und Schuhen, bei Post- und Kurierdiensten, privaten Wach- und Sicherheitsdiensten sowie bei Reinigungsunternehmen (ASU Heft 1/2021).

Entsprechend eines systematischen Reviews sind unter den GA vor allem Frauen von COVID-19 betroffen (78,6%). Das Review zeigt auch, dass Fehler bei der Handhygiene, falsche Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) und Mangel an PSA das Infek­tionsrisiko erhöhen und dass die sachgerechte Anwendung von PSA das Infektionsrisiko reduzieren (Gholamia et al. 2021).

Während der vergangenen 20 Jahre hat sich das Risiko, eine beruflich verursachte Infektionskrankheit zu erleiden, in Deutschland aufgrund der Fortschritte bei der Prävention deutlich verringert (Nienhaus 2018). COVID-19 hat dieses Bild nun komplett verändert. In den Heften ASU 6/2020 und ASU 7/2020 wurde bereits über COVID-19 als Berufskrankheit und die Anzahl der Meldungen bei der BGW berichtet (Nienhaus et al. 2020; Nienhaus 2020). Nun präsentieren wir aktuelle Zahlen bis einschließlich Oktober 2021. Die Berufskrankheiten-Nummer (BK-Nr.) 3101, unter die COVID-19 fällt, berücksichtigt vier Tätigkeitsbereiche, die von dieser BK abgedeckt werden: Beschäftigte im Gesundheitswesen, in der Wohlfahrtspflege und im Labor sowie Berufe mit einem vergleichbaren Infektionsrisiko. Bei allen anderen Beschäftigten kann COVID-19 bei der Erfüllung der Voraussetzungen als Arbeitsunfall anerkannt und entschädigt werden (Nowak et al. 2021). Deshalb wird in dieser Arbeit auch die COVID-19-bedingten Arbeitsunfälle eingegangen.

Methoden

Die DGUV erhebt als Spitzenverband der gewerblichen BGen und der UVTöH jährlich Daten zum BK- und Unfallgeschehen bei ihren Mitgliedern. Diese Daten liegen regelmäßig erst im Laufe des Folge­jahres vor. Aufgrund der Pandemiesituation hat die DGUV bereits ab März 2020 eine wöchentliche Sondererhebung – zunächst zum BK-Geschehen im Zusammenhang COVID-19 – bei den gewerblichen BGen und den UVTöH vorgenommen. Im Laufe des Jahres 2020 wurde die Erhebung um auf die Unfälle im Zusammenhang mit COVID-19 erweitert und auf einen zweiwöchigen Turnus umgestellt. Seit Beginn des Jahres 2021 werden die Daten monatlich erhoben. Die Erhebung erfolgt kumulativ, das heißt, es werden jeweils die Gesamtfallzahlen vom Jahresbeginn bis zum Stichtag erfasst. Insofern handelt es sich bei diesen Daten um vorläufige Angaben. Erfasst wird der meldende UVT, das Meldejahr, die Anerkennung des Versicherungsfalls und ob es sich um eine BK oder einen Arbeitsunfall handelt. Die hier präsentierten Daten der Sondererhebung umfassen den Zeitraum bis Ende Oktober 2021 (Stand vom 12.11.2021).

Die meldepflichtigen Verdachtsanzeigen wegen einer BK werden in der Berufskrankheiten-Dokumentation (BK-DOK) der UVT regelmäßig standardisiert erfasst. Die BK-DOK sieht bezüglich der Anzeigen keine getrennte Erfassung verschiedener Infektionskrankheiten vor. Deshalb wurden bei der BGW alle Meldungen, die sich auf COVID-19-Erkrankungen beziehen, seit dem 01.03.2020 systematisch von den Bezirksverwaltungen, bei denen sie eingehen, in einem getrennten Dokumentationssystem erfasst. Registriert werden neben Beruf und Branche, die Meldepflicht, ob eine Testung durchgeführt wurde, das Ergebnis des Tests, das Vorliegen und der Verlauf der Erkrankung sowie die Ausheilung beziehungsweise der Tod. In dieser Datenbank werden auch die als Arbeitsunfälle geprüften COVID-19-Erkrankungen erfasst. Mittlerweile wurde diese Datenbank in die BK-DOK überführt. Allerdings erfolgt die monatliche Auswertung weiterhin entsprechend den oben beschriebenen Variablen in aggregierter Form. Die hier dargestellten Daten der BGW beziehen sich auf den 31. Oktober 2021 als Stichtag für die Auswertung.

Die Daten werden deskriptiv dargestellt. Für die Branchen der BGW haben wir die Vollarbeiteräquivalente (VAÄ) aus dem Jahr 2020 verwendet, um zusätzlich eine Rate der Meldungen pro 1000 VAÄ zu errechnen. Ein VAÄ entspricht einer Vollzeitstelle oder zwei Halbtagsstellen.

Ergebnisse

Seit Beginn der Pandemie wurden von allen gewerblichen BGen und den UVTöH insgesamt 202.945 Meldungen von COVID-19-Erkrankungen bei der DGUV erfasst (➥ Tabelle 1). Bis zum Stichtag wurden 121.027 Versicherungsfälle anerkannt. In der DGUV-Sondererhebung werden keine Angaben zu noch nicht entschiedenen und abgelehnten Arbeitsunfällen erfasst. Insofern können keine Anerkennungsquoten berechnet werden. Hilfsweise kann lediglich der Anteil der Anerkennungen an den Anzeigen ausgewiesen werden. Bei der Interpretation dieser Anteile ist zu berücksichtigen, dass noch nicht zu allen Meldungen über das Vorliegen eines Versicherungsfalls entschieden wurde.

Überwiegend wurde der Verdacht auf das Vorliegen einer BK (83,3 %) gemeldet, mit einem etwa doppelt so hohen Anteil anerkannter Versicherungsfälle an den Meldungen im Vergleich zu Arbeitsunfällen (65,4 % versus 30,7 %). Insbesondere die Anzahl der im Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen gemeldeten und anerkannten BK war im Jahr 2021 deutlich höher als im Jahr 2020.

Sowohl die eingegangenen BK-Verdachtsmeldungen als auch die gemeldeten Arbeitsunfälle verteilen sich ungleich zwischen den verschiedenen UVT (➥ Tabelle 2). Mit 5948 (17,6 %) gemeldeten und bis zum Stichtag 1155 anerkannten Arbeitsunfällen (19,4 % Anteil an den Meldungen) ist die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) von COVID-19-bedingten Arbeitsunfällen am stärksten betroffen, gefolgt von der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) mit jeweils ähnlichen Prozentzahlen. Bei den BK entfallen 98,6 % aller Meldungen auf die BGW und die UVTöH, wobei die BGW mit 120.904 Meldungen (71,5 %), 111.590 entschiedenen Fällen und 81.217 anerkannten BK mit großem Abstand die meisten Verfahren zu bewältigen hat. Die Anerkennungsquoten (Anteil der Anerkennungen an den entschiedenen Fällen) liegen bei der BGW und den UVTöH bei 72,8 % und 83 %. Die Anerkennungsquote bei der VBG beträgt 64,7 % – bei einer deutlich geringeren Anzahl an entschiedenen Fällen (n = 651).

Tabelle 2:  Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle im Zusammenhang mit COVID-19 ab Pandemiebeginn, getrennt nach Unfallversicherungsträger (UVT)Table 2: Occupational diseases (OD) and work-related accidents in connection with COVID-19 since start of pandemic separated by compensation board (CB)

Tabelle 2: Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle im Zusammenhang mit COVID-19 ab Pandemiebeginn, getrennt nach Unfallversicherungsträger (UVT)
Table 2: Occupational diseases (OD) and work-related accidents in connection with COVID-19 since start of pandemic separated by compensation board (CB)

In ➥ Tabelle 3 sind die verschiedenen Versicherungsfälle (BK und Arbeitsunfall) seit Beginn der Pandemie zusammengefasst und getrennt nach UVT dargestellt. Auf die BGW entfällt mit 121.090 Meldungen (59,7 %) der größte Anteil an gemeldeten Fällen, gefolgt von den UVTöH mit 29,5 % der Meldungen. Nach der BGW und den UVTöH haben die VBG (3,3 %) und die BGN (3,0 %) die meisten Meldungen erhalten.

Die BGW verzeichnet mit 81.325 Anerkennungen (67,2 %) die meisten Versicherungsfälle, wiederum gefolgt von den UVTöH mit 29,1 % der anerkannten Fälle.

Tabelle 3:  Versicherungsfälle im Zusammenhang mit COVID-19 (BK und Arbeitsunfall) ab Pandemiebeginn, getrennt nach UnfallversicherungsträgerTable 3: Insurance claims related to COVID-19 (occupational disease and work-related accident) since start of pandemic separated by compensation board (CB)

Tabelle 3: Versicherungsfälle im Zusammenhang mit COVID-19 (BK und Arbeitsunfall) ab Pandemiebeginn, getrennt nach Unfallversicherungsträger
Table 3: Insurance claims related to COVID-19 (occupational disease and work-related accident) since start of pandemic separated by compensation board (CB)

Die Auswertung der BGW-Daten bezieht sich auf 122.264 gemeldete Berufskrankheiten (➥ Tabelle 4). Wegen des etwas späteren Zeitpunkts des Datenabzugs, ist diese Zahl geringfügig größer als die Zahl der im Rahmen der Sondererhebung an die DGUV gemeldeten BK-Fälle (n=120.904). Die Anzahl der Meldungen pro 1000 VAÄ ist in Kliniken und in der Pflege mit 53,9 und 46,7 etwa doppelt so hoch wie im Durchschnitt aller Branchen (24,05/1000 VAÄ). Dementsprechend entfallen 38,3 % aller Meldungen auf die Pflege und 34,0 % auf die Kliniken. Auf Arztpraxen beziehen sich 3,1 % aller Meldungen. Die Anzahl der Meldungen pro 1000 VAÄ liegt mit 7,82 bei Arztpraxen deutlich unter dem Durchschnitt.

Tabelle 4:   Meldungen eines Verdachtes einer Berufskrankheit im Zusammenhang mit COVID-19 bei der BGW ab Pandemiebeginn getrennt nach Branchen bezogen auf die Vollarbeiteräquivalente (VAÄ)Table 4: COVID-19 cases suspected as occupational disease registered by the accident insurance provider (compensation board) BGW separated by sector and number of claims per 1,000 full-time equivalents (FTE)

Tabelle 4:   Meldungen eines Verdachtes einer Berufskrankheit im Zusammenhang mit COVID-19 bei der BGW ab Pandemiebeginn getrennt nach Branchen bezogen auf die Vollarbeiteräquivalente (VAÄ)
Table 4: COVID-19 cases suspected as occupational disease registered by the accident insurance provider (compensation board) BGW separated by sector and number of claims per 1,000 full-time equivalents (FTE)

In ➥ Tabelle 5 werden mehrere Aspekte dargestellt. Neben dem Anteil nachgewiesener beruflicher Infektionen in verschiedenen bei der BGW versicherten Tätigkeitsbereichen wird auch das jeweilige Risiko schwerer Krankheitsverläufe betrachtet. Die durchschnittliche Anerkennungsquote beträgt bei den COVID-19-Erkrankungen 72,8 % (s. Tabelle 5). Die Anerkennungsquote für Kliniken ist mit 79,2 % am höchsten. Insgesamt ist die Streuung bei den Anerkennungsquoten gering (zwischen 51,3 % und 79,2 %). Nur die Branche „Beauty und Wellness“ hat eine niedrigere Anerkennungsquote (28,6 %) bei allerdings auch sehr wenigen Meldungen (n = 10, s. Tabelle 4). Bei 1,1 % aller Meldungen eines BK-Verdachts wurde eine stationäre Behandlung wegen COVID-19 durchgeführt. Das betraf insgesamt 1387 Versicherte (s. Tabelle 5). Bei Mitarbeitenden aus Arztpraxen war dieser Anteil mit 2,7 % deutlich höher. Werden nur Branchen mit mehreren Todesfällen berücksichtigt, so ist bei Arztpraxen die Wahrscheinlichkeit eines Todes nach COVID-19 ebenfalls am höchsten (0,3 % versus 0,1 % im Durchschnitt).

Tabelle 5:   Als Berufskrankheit anerkannte COVID-19-Fälle der BGW ab Pandemiebeginn, Hospitalisierung und Tod getrennt nach BranchenTable 5: COVID-19 cases recognised as occupational disease by the accident insurance provider (compensation board) BGW since start of pandemic, hospitalisation and death separated by sector

Tabelle 5:   Als Berufskrankheit anerkannte COVID-19-Fälle der BGW ab Pandemiebeginn, Hospitalisierung und Tod getrennt nach Branchen
Table 5: COVID-19 cases recognised as occupational disease by the accident insurance provider (compensation board) BGW since start of pandemic, hospitalisation and death separated by sector

Pflegekräfte sind die Berufsgruppe, in denen sich versicherte Personen mit 66,5 % aller Verdachtsanzeigen im Zusammenhang mit COVID-19 am häufigsten infizieren und erkranken (➥ Tabelle 6). Danach folgen Kindergärtnerinnen und Kindergärtner mit 8,3 %. Ärztinnen und Ärzte haben einen Anteil von 4,5 %. Bei den stationären Behandlungen und bei den Todesfällen liegt deren Anteil jedoch proportional höher mit 7,4 % beziehungsweise 14,3 %. Auf Pflegekräfte entfallen 71,2 % aller stationären Behandlungen und 44,8 % der Todesfälle. Auf die Gruppe der Sonstigen entfallen viele verschiedene Berufe, weshalb keine detaillierte Auswertung erfolgt.

Tabelle 6:  Gemeldete und als Berufskrankheit anerkannte COVID-19-Fälle der BGW ab Pandemiebeginn getrennt nach BerufTable 6: Registered COVID-19 cases recognised as occupational disease by the accident insurance provider (compensation board) BGW since start of pandemic separated by profession

Tabelle 6: Gemeldete und als Berufskrankheit anerkannte COVID-19-Fälle der BGW ab Pandemiebeginn getrennt nach Beruf
Table 6: Registered COVID-19 cases recognised as occupational disease by the accident insurance provider (compensation board) BGW since start of pandemic separated by profession

Diskussion

Wir geben hier einen Überblick über arbeitsweltbezogene COVID-19-Fälle in Deutschland. Durch die Verbindung von Daten der DGUV mit Daten der BGW ist es gelungen, das berufsbedingte COVID-19-Risiko aus der Perspektive der UVT zu beschreiben und für die GA eine vertiefte Auswertung auch mit einer Betrachtung der Schwere und des Verlaufs der Erkrankung vorzulegen. In unserem letzten Beitrag zu COVID-19 bei Versicherten der BGW berichteten wir mit Stand vom 05.06.2020 über 4850 Meldungen mit positivem Test und dachten schon, das sei sehr viel. Schon damals war die Anzahl an Meldungen von BK-Nr. 3101, die aus den Erfahrungen der Vorjahre mit den übrigen Infektionskrankheiten pro Jahr erwartet wird, um das Vierfache erhöht (Nienhaus 2018). Diese Zahl steigerte sich bis Ende des Jahres 2020 auf 30.329 Meldungen bei allen UVT. Im Jahr 2021 vervierfachte sich diese Zahl dann nochmals auf 138.760 BK-Anzeigen im Zusammenhang mit COVID-19 in einem Jahr bei allen UVT. Hinzu kommen 33.856 Meldungen von Arbeitsunfällen wegen COVID-19 seit Beginn der Pandemie. Die Meldungen von möglichen Versicherungsfällen sind über die UVT sehr ungleich verteilt. Der allergrößte Anteil entfällt auf die BGW. Dies überrascht nicht, da die BGW die Branchen und die Berufe mit dem höchsten Infektionsrisiko versichert, die zugleich – sobald Point-of-Care-(PoC)-Teste zur Verfügung standen – auch am engmaschigsten untersucht wurden. Die hohe Anzahl an mittlerweile anerkannten COVID-19-Fällen als Arbeitsunfall (10.404) zeigt aber, dass ein Infektionsrisiko auch in Branchen außerhalb des Gesundheitswesens und der Wohlfahrtspflege besteht. Der Anteil der Anerkennungen an den gemeldeten Fällen ist bei BK etwa zweimal höher als bei Arbeitsunfällen. Das mag daran liegen, dass sich die BK-Nr. 3101 nur auf bestimmte Berufe beziehungsweise Tätigkeiten bezieht und daher nur für diese vereinfachte Verfahren (Beweiserleichterung) zur Prüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen ermöglicht (Nowak et al. 2021). Bei der Prüfung eines Arbeitsunfalls durch COVID-19 ist es notwendig, die Infektionsquelle zu identifizieren. Das kann insbesondere außerhalb von Massenausbrüchen Probleme bereiten. Inwieweit Unterschiede bei der Anerkennung von Arbeitsunfällen auch von einer unterschiedlichen Risikoperzeption der verschiedenen UVT abhängen, bleibt einer späteren Prüfung vorbehalten.

Vor allem Berufe, die typischerweise von Frauen ausgeübt werden, haben die höchsten Infektionsrisiken. Von den gemeldeten BK betrafen 66,5% Pflegekräfte und 8,3% Tätigkeiten in Kindergärten. Das hohe Infektionsrisiko bei Tätigkeiten mit einem hohen Frauenanteil wurde auch von anderen Autoren beschrieben, wie in der Einleitung bereits erwähnt (Gholamia et al. 2021).

Im Vergleich zur Auswertung der ersten 4500 Fälle ist die Rate der Fälle mit stationärer Behandlung und mit Todesfolge gesunken (Nienhaus 2020). Bei den stationären Behandlungen gab es einen Rückgang von 4,1 % auf 1,1 % und bei den Todesfällen von 0,3 % auf 0,1 %. Das kann möglicherweise daran liegen, dass durch den vermehrten Einsatz der PoC-Teste leichte Fälle ab Herbst 2020 besser identifiziert werden konnten und damit gemeldet wurden. Es könnte aber auch daran liegen, dass über 80% der GA seit dem ersten Quartal 2021 mindestens einmal geimpft waren (Kozak u. Nienhaus 2021) und vierzehn Tage nach der ersten Impfung bereits ein deutlicher Impfschutz vorhanden war. So berichtet eine Studie aus Kalifornien über einen Schutz vor Infektionen von 71,4 % 14 Tage nach der ersten Impfung (Keehner et al. 2021). Ähnliches dürfte für den Schutz vor schweren Verläufen von COVID-19 gelten.

COVID-19 ist eine Multiorganerkrankung, die zu verschiedensten Symptomen und langfristigen Beeinträchtigungen führen kann. Deshalb stellt COVID-19 große Anforderungen an die Akutbehandlung, Rehabilitation und Begutachtung von langfristigen Funktionseinschränkungen. Entsprechend der S1-Leitline zu COVID-19 wird damit gerechnet, dass rund 2–3 % der Betroffenen unter Langzeitfolgen von COVID-19 leiden (Koczulla et al. 2021). Wird diese Zahl auf alle bisher anerkannten Versicherungsfälle übertragen, so müssten alle UVT zusammen damit rechnen, dass es etwa 2400 bis 3600 Versicherte mit Langzeitfolgen gibt, bei denen eine Rehabilitation notwendig wird und bei denen gegebenenfalls nach Auslaufen des Verletztengeldes eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) abgeschätzt werden muss. Im Jahr 2020 haben die BGen und UVTöH insgesamt rund 6,4 Millionen Euro für Leistungen der Rehabilitation und für Rentenleistungen in Zusammenhang mit COVID-19 als Berufskrankheit erbracht; der weit überwiegende Anteil (96%) entfällt auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation (Schneider 2021). Berücksichtigt wurden dabei nur bereits im Jahr 2020 abgerechnete Leistungen, deshalb ist mit einer Untererfassung der Kosten von beruflich bedingten COVID-19-Fällen zu rechnen.

Bisher gibt es international überraschend wenig Literatur zur Entschädigung von BK oder Arbeitsunfällen nach COVID-19. Zu den Anerkennungsmöglichkeiten in der EU sowie in Norwegen und der Schweiz hat Eurostat (2021) kürzlich publiziert. In Tschechien wurden im Jahr 2020 lediglich 150 COVID-19-Fälle bei GA als Berufskrankheit anerkannt. Allerdings vermutet der Autor, dass die Anzahl der Anerkennungen noch steigen wird, da das Anerkennungsverfahren aufwendig ist (Tuček 2021). Für Italien analysierten Marinaccio et al. (2021) Verdachtsmeldungen wegen COVID-19 bei der INAIL – Istituto Nazionale Assicurazione contro gli Infortuni sul Lavoro. In der Zeit von März bis Oktober 2020 wurden 65.804 Anträge auf Entschädigung gestellt. Besonders viele Anträge sind von GA eingegangen, aber auch Beschäftigte in Schlacht- und fleischverarbeitenden Betrieben, Einzelhandel, Briefträgerinnen und Briefträger sowie Reinigungskräfte haben entsprechend einer weiteren Publikation dieser Arbeitsgruppe häufig Anträge gestellt (Marinaccio et al. 2020). Die Anzahl der entschädigten Fälle wurde leider nicht angegeben.

Bernacki et al. (2021) untersuchten Anträge auf Entschädigung von Arbeiterinnen und Arbeitern in elf Staaten der USA: Je nach Monat waren bis zu 32 % dieser Anträge wegen COVID-19 gestellt worden. Über mögliche Aspekte, die bei der Begutachtung von
COVID-19 zu beachten sind, diskutieren Haymann et al. (2021) aus der Perspektive der USA. Eine Arbeitsgruppe aus Australien schreibt, dass bisher wenige Entschädigungsanträge von Arbeiterinnen und Arbeitern wegen COVID-19 in Australien gestellt worden seien (Guthrie et al. 2021). Das ändert sich möglicherweise nach der Beendigung des Lockdowns. Insgesamt gewinnt man jedoch den Eindruck, dass der möglichen Entschädigung von Beschäftigten und insbesondere von GA nach einer COVID-19-Erkrankung in der internationalen Literatur noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, ohne dass die Gründe – insbesondere gegebenenfalls besehende rechtliche oder verwaltungsseitige Hürden – dafür bekannt sind.

Schlussfolgerungen

Eine große Anzahl von COVID-19-Fällen wurde in Deutschland bereits als Berufskrankheit oder als Arbeitsunfall anerkannt. Über den weiteren Verlauf und die Langzeitfolgen von COVID-19 bei diesen Versicherten ist bisher noch wenig bekannt. Die Routinedaten der DGUV und insbesondere der BGW sollten zukünftig auch dazu genutzt werden, um die Krankheitskosten und eventuell die Krankheitsdauer besser abschätzen zu können.

Danksagung: Wir bedanken uns bei den einzelnen UVT für die Bereitstellung der Daten.

Interessenkonflikt: Albert Nienhaus ist Abteilungsleiter bei der BGW und Leiter des CVcare. Die Forschungsarbeiten des CVcare am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf werden überwiegend von der BGW gefördert. Die BGW nimmt keinen Einfluss auf die Entscheidung zu publizieren und auf den Inhalt der Publikation. Stephanie Schneider ist Mitarbeiterin der DGUV. Die von ihr ausgewerteten Daten wurden innerhalb der DGUV zur Publikation freigegeben.

Darlegung der Autorenschaft: AN hat die Daten der BGW ausgewertet und beschrieben und den Entwurf des Manuskripts erstellt. SS hat die Daten der DGUV ausgewertet und beschrieben und den Entwurf des Manuskripts überarbeitet. Beide sind mit der finalen Version des Manuskripts einverstanden.

Literatur

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Kontakt

Prof. Dr. med. Albert Nienhaus
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
Abt. Arbeitsmedizin, Gefahrstoffe und Gesundheitswissenschaften (AGG)
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