D ie Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V. (DGAUM) und der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte – Berufsverband Deutscher Arbeitsmediziner (VDBW) – vertreten in wissenschaftlicher und berufspolitischer Hinsicht die Arbeitsmedizin in Deutschland. Die DGAUM wurde 1962 gegründet, ihr gehören heute ca. 1000 auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin und Umweltmedizin tätige Ärztinnen und Ärzte an. Der VDBW wurde 1949 als Berufsverband gegründet und ist mit rund 3000 Betriebs- und Werksärzten, die aus internationalen Großunternehmen, Verwaltungen, Betriebsarztzentren oder aus der freiberuflichen eigenen Praxis stammen, der größte arbeitsmedizinische Fachverband Europas.
G elegentlich wird die Frage gestellt, ob es mehr als eine Vereinigung zur Vertretung braucht. Diese Frage ist eindeutig zu bejahen, wenn man die vielfältigen Aufgaben und die unterschiedlichen Schwerpunkte von Fachgesellschaft und Verband betrachtet. Selbstverständlich zeigen sich in den Arbeitsschwerpunkten von Berufsverband und wissenschaftlicher Fachgesellschaft Unterschiede und Differenzierungen. Während die studentische Ausbildung an der Universität und im Praktischen Jahr originäre Aufgabe der wissenschaftlichen Fachgesellschaft ist und diese bei den Famulaturen auch die Randbedingungen mit den Landesprüfungsämtern klären muss, gehören Fragen der praktischen Durchführung auch mit zu den Aufgaben des VDBW. Kongresse werden sowohl vom Berufsverband als auch von der wissenschaftlichen Fachgesellschaft durchgeführt, wobei der Schwerpunkt der DGAUM mehr auf Seiten der Wissenschaft und der Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis, beim VDBW mehr auf praktischen Fragestellungen der Arbeitsmedizin und des betrieblichen Gesundheitsmanagements liegt. Die Forschung ist eine Dienstaufgabe aller Hochschuleinrichtungen und diese beinhaltet in der Arbeitsmedizin u. a. die Grundlagen- und Versorgungsforschung ebenso wie die Durchführung von Feldstudien. Der VDBW ist dabei oftmals unverzichtbarer Partner und kann als Forschungsgeber und -nehmer ebenfalls aktiv sein. Wissenschaftliche Leitlinien werden von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften unter dem Dachverband der AWMF (Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften) erarbeitet. Bei Habilitationen, der Verleihung von Titeln und in Berufungsverfahren zur Besetzung von Professuren für Arbeitsmedizin und verwandter Fachgebiete wird die DGAUM ebenfalls von den handelnden Universitäten eingebunden. Auch für die Deutsche Forschungsgemeinschaft sind die wissenschaftlichen Fachgesellschaften die primären Ansprechpartner. Um die Abrechungsmodalitäten für ärztliche Leistungen kümmern sich hingegen in Deutschland die Berufsverbände. In zahlreichen Gremien der Ministerien und Unfallversicherungsträger sowie in den Ärztekammern vertreten Verband und wissenschaftliche Fachgesellschaft die Interessen der Arbeitsmedizin gemeinsam.
W ie in anderen medizinischen Fachgebieten hat sich auch in der Arbeitsmedizin diese Aufgabenteilung zwischen wissenschaftlicher Fachgesellschaft und Berufsverband bewährt. Dabei ist die enge, vertrauensvolle und kollegiale Zusammenarbeit in den Satzungen beider Organisationen verankert, den Gremien eine Selbstverständlichkeit und uns als Präsidenten ein wichtiges persönliches Anliegen. In den letzten Jahren haben sowohl DGAUM als auch VDBW nochmals erheblich in die Professionalität und Schlagkraft unserer Organisationen investiert, Ressourcen aufgebracht und die Wirkung und den Erfolg unserer Arbeit deutlich vorangebracht. Unsere unterschiedlichen Ausgangssituationen, Selbstverständnisse und Perspektiven haben bei vielfältigen Fragestellungen im Ergebnis Positives bewirkt und zahlreiche Kampagnen und gemeinsame Stellungnahmen, z. B. gegenüber dem politischen Bereich, haben die Arbeitsmedizin geprägt und gestärkt. Gleichzeitig ist zu respektieren, dass die Aufgaben auch differieren und Prioritäten unterschiedlich gesetzt werden. Die Grundphilosophie ist dabei auf die kurze Formel zu bringen: „So viel Gemeinsamkeit wie möglich, so viel Eigenständigkeit wie nötig“. Diese Strategie lässt sich anhand zahlreicher Beispiele begründen und belegen.
D ie DGAUM bringt ihre komplexe Sicht auf den Nenner: „Wissenschaft ist nicht alles, aber ohne Wissenschaft ist alles nichts“, während der VDBW zusammenfasst: „Gesunde Mitarbeiter – gesunde Unternehmen. Betriebsärzte helfen“. Ein aktuelles Beispiel der abgestimmten Vorgehensweise mit der „Gemeinsamen Stellungnahme zur ArbmedVV“ wurde in der Ausgabe 4/2013 der ASU veröffentlicht. Und dies gelang unter hohem Zeitdruck.
M it der „Akademie für Management in der Arbeitsmedizin GmbH“ haben VDBW und DGAUM vor 1½ Jahren eine gemeinsame Gesellschaft gegründet, um arbeitsmedizinisch tätigen Ärztinnen und Ärzten mit einem modular aufgebauten berufsbegleitenden Fortbildungs- und Studienkonzept eine Managementqualifikation bis zur Möglichkeit eines akademischen Abschlusses als Master of Business Administration (MBA Health Care Management) anzubieten. Dieses Vorhaben ist nach einiger Vorlaufzeit im Wintersemester 2012/2013 angelaufen. Derzeit werden für Teilnehmer des kompletten Studiengangs und von einzelnen Modulen die Präsenzveranstaltungen in Köln angeboten. Im nächsten Wintersemester 2013/2014 soll, abhängig von der konkreten Nachfrage, Hamburg als weiterer Studienort ergänzt werden. Derzeit läuft die Ausschreibung.
N ach der erfolgten Startphase haben wir die gesellschaftsrechtliche Situation neu überlegt und in unseren Gremien die Entscheidung getroffen, dass der Verband die Gesellschaftsanteile der DGAUM übernimmt und der VDBW als alleiniger Gesellschafter die Akademie für Management in der Arbeitsmedizin GmbH fortführt. Damit liegt die operative und wirtschaftliche Verantwortung in den Händen des Verbands. Die DGAUM unterstützt das Konzept dieses Fortbildungs- und Studienkonzepts hinsichtlich der Managementkompetenzen für arbeitsmedizinisch tätige Ärztinnen/Ärzte unverändert und bringt sich im Beirat der Gesellschaft ein. Entsprechend ihrer Kernkompetenzen und unter Berücksichtigung der Ressourcen haben sich VDBW und DGAUM einmütig für diese Lösung entschieden.
D ie DGAUM ist Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) und erstellt entsprechende wissenschaftliche Leitlinien, denen in Zukunft mit Sicherheit noch mehr Bedeutung zukommen wird. Unter anderem wird auch mit der zu erwartenden neuen Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbmedVV) zunehmend eigenverantwortliches Handeln von Betriebsärzten gefordert. Hierbei werden wissenschaftliche Leitlinien als Grundlage des arbeitsmedizinischen Handelns erheblich an Bedeutung gewinnen. Dabei kommt dem Berufsverband die Aufgabe zu, die praktischen Erfahrungen von Betriebsärzten in die Leitlinienentwicklung mit einzubringen.
D ie Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung steht nach dem Willen des Deutschen Ärztetags auf der Agenda, denn in diesen Tagen und Wochen waren die medizinischen Fachgesellschaften in ihrem jeweiligen Fachgebiet aufgefordert, die Bezeichnungen zu prüfen, Weiterbildungsinhalte neu zu strukturieren und mit den ärztlichen Berufsverbänden einen konsentierten Vorschlag zu machen. Im Fachgebiet Arbeitsmedizin wurde die DGAUM von der Bundesärztekammer um die Federführung gebeten, verbunden mit dem Ziel, den VDBW einzubeziehen und einen konsentierten Vorschlag vorzulegen. In einer entsprechenden Arbeitsgruppe haben sich in den letzten Wochen Kolleginnen und Kollegen eingebracht und für die jeweiligen Gremien (Vorstand der DGAUM und Präsidium des VDBW) vorgearbeitet. Für die DGAUM hat Prof. Dr. S. Letzel die Federführung übernommen und den Vorschlag in ASU, Ausgabe 5/2013, zur Diskussion gestellt.
I n zahlreichen Punkten haben DGAUM und VDBW eine inhaltliche Übereinstimmung erzielt, z. B. sind wir uns bei der künftigen erweiterten Facharztbezeichnung „Arzt für Arbeitsmedizin und Prävention“ einig, ebenso bei unserem Vorschlag, dass die Arbeitsmedizin künftig auch für die Weiterbildung in anderen Fachgebieten anerkannt werden soll. DGAUM und VDBW wollen gemeinsam beantragen, dass die Arbeitsmedizin künftig als Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung zählt. Übereinstimmung konnten wir auch beim Inhalt der einzelnen Kompetenzblöcke erzielen.
U nterschiedliche Auffassungen bestehen bei der Anrechenbarkeit von Weiterbildungszeiten in Fächern der unmittelbaren Patientenversorgung auf die Arbeitsmedizin. Der VDBW vertritt die Meinung, dass die bisherige Regelung weiterhin gültig sein soll. Die DGAUM will in den 36 Monaten Weiterbildungszeit Arbeitsmedizin keine Anrechenbarkeit mehr zulassen, damit nicht der größere Teil der Facharztausbildung fachfern erfolgt. Nach Ansicht des VDBW entsteht dadurch ein Engpass an Weiterbildungsstellen in der Arbeitsmedizin. An einem weiteren Punkt hat der VDBW eine andere Auffassung als die DGAUM und das betrifft die Zusatzweiterbildung „Betriebsmedizin“. Die DGAUM hält diese alternative Weiterbildung weiterhin für zwingend notwendig, um die betriebsärztliche Versorgung in Deutschland sicherzustellen und plädiert für die Beibehaltung der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin. Eine abgestufte Qualifizierung sowie ein differenziertes Aufgabenspektrum zwischen dem Facharzt und der Zusatzbezeichnung sind hierbei selbstverständlich zu fordern. Beispielhaft werden Managementaufgaben, die fachspezifische Weiterbildung, die Erstellung arbeitsmedizinischer Zusammenhangsgutachten oder komplexe umweltmedizinische Fragestellungen dem Facharzt vorbehalten sein, während Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Routineversorgung nach ArbMedVV qualitätsgesichert auch von Kolleginnen und Kollegen mit der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin bearbeitet werden können. Nach Auffassung der DGAUM ist es wissenschaftlich auch nicht belegt, dass eine qualifizierte arbeitsmedizinische Basisbetreuung nicht auch mit der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin kompetent geleistet werden kann. Vor allem aus dem Bereich der Wirtschaft wird vor dem Hintergrund des generellen demografischen Wandels in unserer Gesellschaft und insbesondere bei der derzeitigen Altersstruktur von Fachärzten für Arbeitsmedizin bzw. von Betriebsärzten die nachdrückliche Bitte geäußert, an der Zusatzweiterbildung Betriebsmedizin festzuhalten. Die DGAUM teilt diese Auffassung und tritt für eine qualitativ hochwertige Zusatzweiterbildung ein, damit auch in Zukunft in den Unternehmen und Betrieben vor Ort eine adäquate arbeitsmedizinische Vorsorge und Versorgung gesichert bleibt. Letztendlich liegt auch ein Beschluss des Deutschen Ärztetages vor, die Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin beizubehalten. Wenn wie von der DGAUM vorgeschlagen, 36 Monate obligat in der arbeitsmedizinischen Weiterbildung verbracht werden, dann verfügt der Facharzt für Arbeitsmedizin über eine intensivere Weiterbildung als der Arzt mit der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin.
D er VDBW spricht sich aus qualitativen Aspekten dafür aus, dass die Zusatzbezeichnung entfällt und künftig allein die Facharztqualifikation Arbeitsmedizin vorgesehen ist. Die Gründe liegen v. a. darin, dass der kapazitäre „Flaschenhals“ wegfällt. Bisher setzte die Weiterbildung im Fachgebiet Arbeitsmedizin eine Weiterbildungszeit von 24 Monaten im Gebiet Innere Medizin und/oder in Allgemeinmedizin voraus. Mit der Novellierung wird diese Basis verbreitert, da künftig diese Weiterbildungszeit in allen der unmittelbaren Patientenversorgung zählenden Gebieten erfolgen kann. Damit erhöht sich die Anzahl an Ärztinnen und Ärzten, für die Weiterbildung im Fachgebiet Arbeitsmedizin in Frage kommt, erheblich. Auch die sehr unterschiedliche Umsetzung und Ausgestaltung der notwendigen Zeiten in den Weiterbildungsordnungen der einzelnen Ärztekammern spricht aus Sicht des VDBW gegen die Beibehaltung der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“. Derzeit haben von den 17 Landesärztekammern vier (Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen) keine Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin in ihrer Weiterbildungsordnung vorgesehen. In fünf Kammern wird zum Teil erheblich von der zeitlichen Vorgabe der bestehenden Muster-MBO abgewichen und hinsichtlich der geforderten Weiterbildungszeit werden in der Arbeitsmedizin/Betriebsmedizin deutlich kürzere Zeiten vorausgesetzt, darunter sogar nur neun Monate Weiterbildungszeit.
D er Verband berücksichtigt bei der Haltung auch die Richtlinie 205/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, wonach entsprechende Facharztabschlüsse innerhalb der Europäischen Union anerkannt werden müssen. Da in der Arbeitsmedizin die Mindestdauer der fachärztlichen Weiterbildung vier Jahre beträgt, haben Ärzte anderer EU-Länder nach Abschluss einer 4-jährigen fachärztlichen Weiterbildung Anspruch auf Anerkennung in Deutschland.
A us Sicht des Verbands spricht für die Konzentration auf die Facharztqualifikation auch, dass aufgrund der Anrechnungsmöglichkeit in anderen Fachgebieten letztlich eine 24-monatige Weiterbildungszeit in der Arbeitsmedizin bliebe, wenn man die andere Zeit außerhalb der Arbeitsmedizin weitergebildet würde. Dies gilt sowohl bei der Gebietsbezeichnung zum Facharzt als auch bei der Zusatzbezeichnung. Da die Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin einerseits ohnehin die Anerkennung als Facharzt in einem (anderen) klinischen Fachgebiet voraussetzt, gleichzeitig die zugrunde liegenden sonstigen 36 Monate Weiterbildungszeit in allen Fachgebieten der Patientenversorgung erworben werden können, würde der Weiterzubildende künftig in der gleichen Zeit nicht nur die Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin, sondern auch die alleinige oder zweite Facharztqualifikation Arbeitsmedizin erreichen. Nicht zuletzt der Aspekt der Rechtssicherheit vor dem Hintergrund des Facharztstandards als notwendiger Sorgfaltsstandard spricht aus Sicht des VDBW für die alleinige Konzentration der Gebietsbezeichnung, denn angesichts der zu erwartenden Verschärfung des Haftungsrechts ist der Facharzt für Arbeitsmedizin zweifelsfrei die geeignete und anerkannte Qualifikation. Aus der Erfahrung des Berufsverbands ist die Abgrenzung von möglichen Aufgaben der betriebsärztlichen Betreuung anhand einer abgestuften Qualifizierung zwischen Facharzt und Zusatzbezeichnung für die Auftraggeber praktisch nicht möglich und führt zu einer Fülle von Problemen im betrieblichen Alltag.
K lar ist dabei, dass kein Betriebsmediziner die bestehende arbeitsmedizinische Fachkunde verliert. Vielmehr setzt sich der Verband dafür ein, dass die langjährig betriebsmedizinisch tätigen Kolleginnen und Kollegen die Gebietsbezeichnung erlangen können – so wie dies die Praxis bei anderen Gebieten war.
D GAUM und VDBW vertreten in diesem Punkt der Novellierung der MWBO ihre unterschiedlichen Positionen und werden den jeweils anderen Argumenten und Vorschlägen mit Respekt und Wertschätzung begegnen. Einen fachlichen Kompromiss gibt es an dieser Stelle auch nicht, sondern eine klare Haltung. Vorgesehen ist, dass der Deutsche Ärztetag 2014 über die (Muster-)Weiterbildungsordnung entscheidet. Danach werden die jeweiligen Ärztekammern in ihren Kammerversammlungen die konkreten Weiterbildungsordnungen beschließen.
S ehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, angesichts der Herausforderungen braucht die Arbeitsmedizin in Deutschland unsere beiden Organisationen – die wissenschaftliche Fachgesellschaft und den Berufsverband – mit den jeweiligen unterschiedlichen sowie gemeinsamen Aufgaben dringender denn je. Mit klarem Blick für das Machbare und in ärztlicher Solidarität werden wir uns auch künftig für das Fachgebiet und für Sie als Berufsträger einsetzen, dabei je nach Erfordernis zusammen oder getrennt unterwegs sein und stets versuchen, das Beste zu erreichen.
Prof. Dr. med. Hans Drexler
Präsident der DGAUM
Dr. med. Wolfgang Panter
Präsident des VDBW