Slogans sind wie ein Kompass, da geht es lang, man weiß Bescheid. Wille und Ressourcen werden frei. „Putin ist böse“: Der Wehretat steigt. „Die Polkappen schmelzen“: Die Klimaforschung boomt. „Wir erobern den Mars“: Zehntausende von Bewerbern melden sich und das ohne Aussicht auf Rückkehr. „Ein Paradies voller Jungfrauen“: Wo steht die Kalaschnikow? Auf in den Dschihad. „Freunde haben“: Sofort den Facebook-Account aufmachen und die eigene Persönlichkeit abgeben.
Später hieß es dann einmal in der Arbeitsmedizin: „Arbeit darf nicht krank machen.“ Das klingt vergleichsweise müde und wenig enthusiastisch. Genauso unspektakulär auch: „Gesunder Betrieb – gesunde Mitarbeiter“. Das ist in etwa so sexy, wie „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Ihren Arzt oder Apotheker“.
Um so erstaunlicher die rasante Entwicklung in einem Fachgebiet, das es vor zwanzig Jahren noch gar nicht gab, dem Gender Mainstream. Innerhalb eines Jahrzehnts sind angeblich 173 Genderprofessuren an Deutschen Universitäten und Fachhochschulen entstanden, weitaus überwiegend von Frauen besetzt. Dabei hat Gender Mainstream gar keinen griffigen Spruch, sondern nur die schwammige Forderung nach Gleichstellung aller Geschlechter und Neigungen. Der Treiber für das neue Fachgebiet ist das schlechte Gewissen. Da könnten wir diskriminiert haben, das müssen wir korrigieren. Ähnlich war es damals bei der krankmachenden Arbeit.
Den Männern ist inzwischen klar geworden, dass es beim sozialen Geschlecht um ein gesellschaftspolitisches Thema ersten Ranges geht. Die Gender-Rhetorik könnte dazu dienen, klammheimlich das Matriarchat zu errichten, etwas Ähnliches wie ein weibliches Kalifat auf Samtpfoten. Der Mann muss nicht um sein Leben fürchten, aber um seine Existenz. Und die Frauen fordern auch noch gleiches Geld für gleiche Leistung. Shocking! Die Veranstaltung ist also gar nicht so harmlos.
Es sollen kulturelle Akte sein, die einen Mann zum Manne machen, so Gender Mainstream. Die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale und die Hormone, zäh-len die denn gar nicht? Doch, schon. Deswegen wurde kürzlich das Institut für Gender-Mainstream-Endokrinologie und -Sexualpädagogik gegründet (wenn die mal nicht über die chemische Kastration nachdenken). Doch es formiert sich eine Gegen-bewegung. Am ersten Lehrstuhl für Männergesundheit in der Arbeitswelt wurde jetzt ein epochales Forschungsprojekt begonnen. Der Arbeitstitel lautet: „Gender-Mainstream zur Verbesserung der Männerquote in der Berufsgruppe der Politessen/Politeure“.
Wie aber geht es der Arbeitsmedizin in diesen bewegten Zeiten? Hektisch wird nach einem neuen fachlichen Selbstverständnis gesucht. Die Epigonen befinden sich noch im Muskelzeitalter, obwohl schon längst das Nervenzeitalter übermächtig geworden ist. Man flüchtet in Nischen. Hier ein paar Beispiele: Ganz besonders exotisch sind die Vulcano Medicine und die Weltraummedizin. Aber es geht auch etwas biederer: Musikermedizin, Tauchmedizin, Lehrer-gesundheit, Verkehrsmedizin, Off-shore-Medizin, Tanzmedizin, Reisemedizin, Mountain Medicine, Höhenmedizin, Tropenmedizin, Maritime Medizin, Frackingmedizin, Flugmedizin, Suchtmedizin, Check-up-Medizin, Theatermedizin … .
Diese Diversifizierung sichert vorübergehend das Überleben, birgt aber gleichzeitig auch die Gefahr der Infiltration und Absorbierung durch andere Fachgebiete. Was könnte denn da drohen? Zum Beispiel Bauarbeiter-Orthopädie, PC-Ophthalmologie, Beamten-Kardiologie, Psychiatrie der Sozialberufe, Chemikanten-Toxikologie, Politiker-Gesundheit, Burn-out-Zentrum, Zentralinstitut für Ärztegesundheit, Zoo-Hygiene, Resilienz-Institut … . Das Fachgebiet zerlegt sich.
Nun ist zu vermuten, dass sich Gender Mainstream über die Jahre genauso totlaufen wird, wie das Projekt Humanisierung der Arbeit in den 1970er Jahren aus der Ära des arbeitsmedizinischen Höhenfluges oder die Public-Health-Forschung in den 1980er Jahren. Erst blieben die Drittmittel aus und dann starben mit der Emeritierung der Ordinarien die Lehrstühle.
Also, egal wie, die Arbeitsmedizin stirbt aus? Ach Quatsch. Wir werden für die verschiedenen Bereiche entsprechende Apps, Wearables und interponierte Sensoren haben. Die messen dann Fitness und Befindlichkeit und erspüren Krankheit. Neue Lehrstühle in der Medizin braucht es dafür nicht, höchstens im IT-Bereich. Spätestens dann dürfte sich die Gender-Bewegung auf die Weite des elektronischen Armbandes reduziert haben.
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