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BK 2108—2110: Erfahrungen aus 20 Jahren

Die seinerzeit einsetzende intensive wissenschaftliche Überprüfung dieser Fragestellungen mit vielen Publikationen mündete schließlich ein in eine Konsensuskonferenz, die nach vier Jahren intensiver Beratungen schlussendlich ein umfangreiches, zweiteilig publiziertes Konsenspapier präsentieren konnte, das in den Folgejahren eine recht hohe Akzeptanz durch die Gerichtsbarkeit und damit zu einer relativ einheitlichen Rechtssprechung führte, auch wenn mit diesem Papier nicht alle Fragen beantwortet werden konnten. Seinerzeit wurden zu Kernfragen sogar gegensätzliche Statements zweier Gruppierungen innerhalb der Konsensarbeitsgruppe in das Konsenspapier aufgenommen, in zahlreichen Einzelfragen dann auch bekundet, dass kein Konsens zu erreichen war. Dennoch hat die flächendeckende Anwendung dieses Konsenspapiers bei einer relativ einheitlichen Interpretation desselben durch die Gerichtsbarkeit zur Rechtssicherheit beigetragen. Andererseits werden in der praktischen Begutachtung in Anwendung des Konsenspapiers nach wie vor – teils sogar bedeutsame – Fehler gemacht, besonders in der Schrittfolge der Kausalitätsbetrachtung, was keineswegs immer von den erkennenden Gerichten bemerkt wird.

Einleitung

Die Anerkennung einer Berufskrankheit setzt bei den Listenerkrankungen (Anlage zur Berufskrankheitenverordnung) voraus, dass sämtliche, vom Verordnungsgeber vorgegebenen Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt sind.

Bei der BK 2108 gehören hierzu:

  • Eine hinreichende schädigungsrelevante berufliche Einwirkung gesichert im Vollbeweis – zuständig: der technische Aufsichtsdienst bzw. Präventionsdienst der Berufsgenossenschaft.
  • Die im Vollbeweis belegte bandscheiben-bedingte Erkrankung mit Nachweis eines kongruenten radiologischen und klini-schen Befundbildes im gleichen Segment – zuständig: der ärztliche Sachver-ständige.
  • Der führbare Wahrscheinlichkeitsbeweis einer Kausalitätsverknüpfung zwischen erfüllten beruflichen Anspruchsvoraussetzungen und einem belastungskonformen Schadensbild.
  • Der Zwang zur Unterlassung der schädigenden Tätigkeit muss allein durch die anerkennungsfähige Erkrankung ob-jektiv begründbar sein.

In den Anfangsjahren war schließlich noch die Rückwirkungsbegrenzung – Anerkennung und Entschädigung nur dann, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. 03. 1988 eingetreten war – zu beachten.

Ermittlung der Belastungsdaten

Bei der seinerzeitigen Konsensfindung bestand Einigkeit zwischen allen Teilnehmern, dass bei der Ermittlung der beruflichen Einwirkungen und Berechnungen der Gesamt-Lebensbelastungsdosis das Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) anzuwenden ist. Damit erfolgt die Gewichtung der Druckkraft (Expositionshöhe) nicht mehr linear, sondern im Quadrat, was nach dem auch heute noch gültigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand die biologische Wirkung einer Druckbelastung besser abbbildet, insbesondere bei Personen mit hohen Einzelbelastungen und geringer Belastungsfrequenz.

Ohne jegliche weitere wissenschaftliche Diskussion wurde jedoch vom Bundessozialgericht mit dem Urteil vom 30. 10. 2007 (Az.: B 2 U 4/06 R.e.) die erforderliche Gesamt-Lebensbelastungsdosis einfach halbiert, dies mit der Begründung, dass zur Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung bereits ab dieser Grenzdosis ein Prüfungsverfahren des Versicherungsträgers einzuleiten sei.

Zusätzlich wurde die Mindestdruckkraft bei den Einzelbelastungen für Männer von 3,2 kN auf nunmehr 2,7 kN herabgesetzt (für Frauen keine veränderte Vorgabe). Außerdem wurde in dem Urteil vorgegeben, dass auf den zweiten Schritt der Belastungsermittlung, nämlich der Berechnung der Tagesdosis zu verzichten sei, damit entsprechend hohe Einzelbelastungen oberhalb des Grenzwertes stets in die Berechnung der Gesamt-Lebensbelastungsdosis einfließen konnten. Dieser sinnvolle Schritt wurde allerdings von zahlreichen Berufsgenossenschaften bereits dem Urteil vorweggenommen.

Dieses Urteil des Bundessozialgerichts wurde in medizinischen Fachkreisen mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, da der seinerzeitige Erkenntniszugewinn in der orthopädischen Wissenschaft eher gewisse Zweifel generierte, ob die ursprünglichen Vorgaben des MDD schädigungsrelevant sein konnten. Auch rechtssystematisch geriet diese Entscheidung in die Kritik mit dem Tenor, dass diese Entscheidung des BSG wohl langfristig gesehen keinen Bestand haben könne (Römer et al. 2009).

Seitens des Landessozialgerichts Baden-Württemberg wurde im Urteil vom 25. 09. 2008 (Az.: L 10 U 5965/06) der Auffassung des BSG widersprochen, verknüpft mit der Hoffnung, dass die Deutsche Wirbel-säulenstudie bei einer Modifikation des MDD solide Daten liefern könnte. Diese Hoffnung hat sich aber im Hinblick auf die nicht plausibel erscheinenden Studien-ergebnisse nicht erfüllt.

In der gutachtlichen Praxis hat dieses Urteil vom BSG vom 30. 10. 2007 fast nichts verändert. Lediglich in Anwendung der B2-Konstellation mit dem dort aufgeführten Positivkriterium der besonders hohen beruflichen Einzelbelastungen stellte sich heraus, dass dieses Kriterium nun kaum noch sinnvoll anwendbar war und hierüber nicht selten ein gutachtlicher Streit entbrennt.

Ein sehr viel ernsthafteres Problem stellen die Ermittlungen der beruflichen Belastungen dar, gar nicht selten rückblickend hinweg über zwei bis drei Jahrzehnte (und sogar länger), da hierfür allenfalls einmal im Ausnahmefall verlässliche Informationen aus den jeweiligen Betrieben zur Verfügung stehen. Somit wurde gerne auf sog. Belastungskataster, alternativ auf das Ergebnis einer Befragung des Versicherten zurückgegriffen.

Oft wird die Lebens-Gesamtbelastungs dosis aufgrund unrealistischer Werte falsch eingeschätzt

Wie nun von Hartmann (2012) im Rahmen der Diskussion zur der neuen BK 2112 aufgezeigt wurde, haben zielgerichtete Untersuchungen ergeben, dass sogar nach einer exakten Messung mit einem Cuela-System über eine ganze Arbeitsschicht hinweg mit dadurch gesicherten Belastungsdaten eine sofortige Befragung des Teilnehmers zu seiner subjektiven Einschätzung regelhaft eine ganz erhebliche Überschätzung ergab, teilweise mit Schätzungen des mehrfachen der tatsächlichen real aufgenommenen Belastung.

In der Tat zeigt sich – gerade in den letzten Jahren immer öfter – hieraus resultierende, gelegentlich grobe Fehleinschätzungen der Lebens-Gesamtbelastungsdosis mit einer Berechnung völlig unrealistischer Werte. Gelegentlich weist dann auch der Präventionsdienst ausdrücklich darauf hin, dass die Berechnungen auf den Angaben des Anspruchstellers beruhen, die mit gesicherten Erfahrungen bei den betreffenden Berufen nicht übereinstimmen.

Aus Sicht des ärztlichen Sachverständigen wird man im Hinblick auf diesen enormen Aufwand bei der retrospektiven Belastungsermittlung einmal darauf hinweisen müssen, dass ein solcher Aufwand eigentlich nur dann Sinn macht, wenn zuvor ärztlicherseits festgestellt wurde, dass das bestehende Krankheitsbild als solches – noch ohne eine eingehende Kausalitätsprüfung – eine Anerkennung ermöglichen würde. Ist dies nicht der Fall, lässt sich also bei einer solchen Vorprüfung ein zweifelsfrei schicksalhaftes Krankheitsbild identifizieren, kann auf eine der gutachtlichen Überprüfung vorausgehende Belastungsermittlung verzichtet werden.

Medizinische Grundannahmen zur BK 2108

In der Konsensarbeitsgruppe bestand – wie auch in der orthopädischen Wissenschaft – eine übereinstimmende Auffassung dahin gehend, dass einer Bandscheibenerkrankung weder im klinischen noch radiologischen Bild anzusehen ist, ob sie aus einer schicksalhaften Entwicklung oder einer beruflichen Einwirkung resultiert, da es kein belastungstypisches Krankheitsbild im Bewegungssegment gibt. Die Konsensgruppe konnte jedoch sog. „Grundannahmen“ für die BK 2108 formulieren, die für die praktische Begutachtung bedeutsam sind:

  • Das Ausmaß der vorauseilenden Texturstörungen der Bandscheibe (früher „Degeneration“, vgl. Hempfling et al. 2011) wie man dies bildtechnisch mit den heutigen Möglichkeiten sehr genau ermitteln kann, muss dem lebensalters-bezogenen Normalbefund deutlich vorauseilen.
  • Diese Bandscheibenveränderungen müs-sen in einem Bewegungssegment lokalisiert sein, das von den einwirkenden Belastungen in besonderer Weise erreicht wurde.
  • Neben dem Bildbefund bedarf es stets auch eines passenden klinischen Segmentbefunds in gleicher Segmenthöhe, der diagnostisch sicher belegbar sein muss.
  • Die Entstehung und Entwicklung dieses krankheitswertigen Befunde muss zeitlich kongruent verlaufen mit der sukzes-siven Zunahme der Gesamtbelastungsdosis.
  • Dominierende schicksalhafte Ursachenfaktoren für die Segmenterkrankung dürfen nicht vorliegen.

Sofern nur eine dieser 5 Grundannahmen für eine BK 2108 nicht erfüllt ist, steht dies in aller Regel einer Anerkennungsempfeh-lung im Wege. Aus diesen Grundannahmen ergeben sich jedoch auch Fragen, die nicht ohne weiteres ganz konkret zu beantworten sind. So gibt es keine wissenschaftlich erarbeitete und damit gut belastbare Vorgabe, was man im jeweiligen Lebensalter unter einer „vorauseilenden“ Verschleißerkrankung der Bandscheibe zu verstehen hat, welches Bewegungssegment durch die Belastung besonders intensiv gefährdet ist und wie eine segmentbezogene Funktionsstörung mit Bandscheibensymptomatik im klinischen Bild zu belegen ist. Zu fragen ist auch, was unter einer zeitlich kongruenten Entwicklung zu verstehen ist und welche schicksalhaften Ursachenfaktoren eigentlich relevant sind. Zu all diesen Einzelfragen finden sich im Konsenspapier umfassende Ausführungen, die im vorangegangenen Beitrag von Grosser abgehandelt werden.

Objektivierung des Bildbefundes

Vor Einführung der Wirbelsäulen-Berufserkrankungen wurden die bildtechnisch ge-sehenen Verschleißveränderungen mit einer gewissen Beliebigkeit beschrieben, da es – zumindest im deutschen Sprachraum – keinerlei Graduierungsvorgaben für den Schweregrad einer Osteochondrose, Spondylose oder Spondylarthrose gab. Was von dem einen Arzt als beginnende oder leichtgradige Bandscheibenveränderung beschrieben wurde, fand bei einem anderen Arzt – v. a. in einem laufenden Rentenverfahren – eine dramatisierende Interpretation, was im kurativen Bereich auch heute noch gang und gäbe ist. Insofern ist der me-dizinische Sachverständige bei der Kausalitätsprüfung zu BK 2108–2110 gut beraten, wenn er sich das gesamte Bildmaterial, gefertigt im Vorfeld der Begutachtung – gelegentlich über viele Jahre hinweg – zur eige-nen Auswertung beizieht, um selbst eine Auswertung in Anlehnung an die im Konsenspapier vorgegebenen Schweregradeinteilungen bei den einzelnen Befundaspekten vornehmen zu können. Auch die zeitliche Entwicklung der Veränderungen – erst Bandscheibenschaden, dann Spondylarthrose oder umgekehrte Reihenfolge – kann die Kausalitätsprüfung nachhaltig beeinflussen.

Die Beibringung dieses Bildmaterials ist Aufgabe des Versicherungsträgers/Gerichts und eigentlich nicht des Sachverständigen. Dennoch liest man in den Gutachtenaufträgen/Beweisbeschlüssen immer wieder die Aufforderung, dass der Sachverständige sich selbst um die Beibringung des Bildmateriales kümmern solle.

Zunehmend häufig wird vom Fertiger des Bildmateriales hierfür eine schriftliche Einverständniserklärung (Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht) verlangt, was auch mit den rechtlichen Vorgaben kon-form geht. Zudem steht auch der anfordernde Arzt in der Pflicht, die mit der Anforderung des Bildmaterials entstehenden Unkosten für den Versand der Bilder etc. auszugleichen, um diese Kosten dann später mit der Gutachtenabrechnung vom Auftraggeber wieder einzufordern.

In den vergangenen 20 Jahren seit Einführung der Wirbelsäulen-Berufskrankheiten hat sich in unzähligen Fällen gezeigt, dass der Sachverständige bei Auswertung des Bildmaterials zu einem anderen Ergebnis kommt, als der Ersteller der Aufnahmen. Jeder chirurgische und insbesondere orthopädische Sachverständige sollte dabei in der Lage sein, die im Konsenspapier näher beschriebenen Messmethoden z. B. zur Höhe der Bandscheibe anzuwenden und insoweit die bildtechnischen Befunde auch zu quantifizieren.

Bei kernspintomographischen Aufnahmen – die Computertomographie spielt im Prüfungsverfahren zu den Wirbelsäulen-Berufskrankheiten so gut wie keine Rolle mehr – muss der Sachverständige zumindest prüfen, ob der Bildeindruck korreliert mit der vorliegenden radiologischen Bildbeschreibung. Ist dies nicht der Fall, bedarf es einer zusätzlichen Bildauswertung durch einen radiologischen Sachverständigen, was aber grundsätzlich nur mit Genehmigung der auftraggebenden Institution erfolgen kann.

Nach den Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre reicht es häufig aus, bei genügend aktuellen und qualitativ ausreichenden Fremdaufnahmen im ersten Schritt des gut-achtlichen Vorgehens die Sicherung oder Verneinung eines segmental objektiv belegbaren Erkrankungsbildes – mit der Qualität eines Vollbeweises – vorzunehmen. Nicht selten findet man jedoch in vorausgegangenen Begutachtungen lediglich den Hinweis auf eine vorausgegangene Röntgenuntersuchung mit daraus abgeleiteter Feststellung einer Bandscheibenerkrankung, ohne dass der Sachverständige dieses Bildmaterial gesehen hat. Hierin ist ein schwerer gutachtlicher Fehler zu erkennen, da eine solche Beweisführung nie die Qualität eines Vollbeweises haben kann.

Nur dann, wenn die Auswertung der vorliegenden Fremdaufnahmen nicht zu einem zweifelsfreien Ergebnis führt, ist der Sachverständige gehalten, mittels Fertigung neuer Bilddokumente – zumindest von Nativ-Röntgenaufnahmen – diese Beweisführung vorzunehmen. Für die gutachtliche Beurteilung einer Wirbelsäulen-Berufskrankheit sollten dabei prinzipiell Röntgenaufnahmen von allen drei Wirbelsäulenabschnitten zur Verfügung stehen.

Bei der Auswertung von Fremdgutachten ließ sich auch immer wieder feststellen, dass eine Höhenminderung einer Bandscheibe im Schweregrad II bildtechnisch dokumentiert nach einer operativen Behandlung als anspruchsbegründende Tatsache angesehen wurde, eine Nachprüfung anhand älterer Aufnahmen jedoch ergab, dass vor der Operation eine deutlich geringere Höhenminderung der Bandscheibe – allenfalls Schweregrad I – bestanden hat. In solchen Fällen handelt es sich bei der postoperativ bestehenden Chondrose im Schweregrad II nicht um eine Erkrankungs-, sondern um eine Operationsfolge, was bei der Kausalitätsprüfung unter Umständen entscheidungsrelevant – mit notwendiger Verneinung einer anerkennungsfähigen Berufskrankheit – sein kann.

Mit Veröffentlichung des Konsenspapiers wurde auch eine computergestützte Messmethode für die Bestimmung der Höhenminderung an den einzelnen Bandscheiben eingeführt, um mehr Sicherheit in die Ermittlung der Chondrose-Schwere-grade einzubringen. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass die unvermeidbare Ungenauigkeit beim Einbringen der Messpunkte die Schwachstelle dieser Methode darstellt und sogar manipulativ genutzt wurde, was man hin und wieder bei eigener Überprüfung dieser Messwerte zumindest vermuten musste. Insofern garantiert diese Messmethode keineswegs eine eindeutige, sondern nur eine begrenzte Wahrheit in ihrer Aussagekraft.

Objektivierung des klinischen Befunds

Rückblickend wird man im Hinblick auf die Kenntnis unzähliger Zusammenhangsgutachten, die man z. B. in den Gerichtsakten findet, feststellen müssen, dass auch nach Einführung des Konsenspapiers – also bis zum heutigen Tage – bei der Objektivierung des Befundbildes lediglich die röntgenanatomischen, nicht hingegen die klinischen Befundverhältnisse ermittelt und betrachtet werden. Hierbei handelt es sich wohl um den häufigsten und auch schwerwiegendsten Fehler der Zusammenhangsbegutachtung, da das Konsenspapier vorgibt, dass nach Objektivierung des Bildbefundes zu prüfen ist, ob dem auch im klinischen Bild ein hiermit korrelierender Befund – und zwar im gleichen Segment wie radiologisch festgestellt – gegenüber steht, da erst dann zusätzlich zur bildtechnisch gesicherten Bandscheibenerkrankung auch der Nachweis einer – letztendlich nur klinisch – belegbaren bandscheibenbedingten Erkrankung gelingt. Ersetzt wird diese notwendige Prüfung einer Kongruenz zwischen Radiologie und Klinik mit der gedanklichen Ver-knüpfung des Bildbefundes mit den subjektiv geklagten Beschwerden. Dies ist jedoch ein grober gedanklicher Fehler, da selbst ausgeprägteste bildtechnische Befunde ohne subjektiv wahrgenommene Beschwerden einhergehen können und zwischenzeitlich die Feststellung als unstreitig angesehen werden kann, dass in mehr als 80 % der Fälle ein subjektiv erlebter Rückenschmerz nicht durch die Strukturen der Wirbelsäule selbst hervorgerufen wird, sondern ein Weichteilproblem darstellt, nicht selten verknüpft mit einem psychosozialen Hintergrund (Waddell 2004). Wie sich bei Begutachtungen für die zweite Instanz nicht selten gezeigt hat, handelt es sich hierbei um einen häufigen gutachtlichen Fehler, der von den Gerichten nicht unbedingt erkannt wird und zu fehlerhaften Judikaten führt.

Eine bildtechnisch nachweisbare Bandscheibenerkrankung bleibt so gut wie immer symptomenlos, wenn die Bandscheibe nur Texturstörungen verknüpft mit einem Massenverlust entwickelt, dies ohne eintretende segmentale Gefügelockerung oder Instabilität. Wenn auch eine nennenswerte sekundäre Spondylarthrose ausbleibt und keine neurogene Raumforderung entsteht, kann auch kein Segmentschmerz die Folge sein.

Dies ist in den meisten Fällen einer bildtechnisch nachgewiesenen Bandscheibenerkrankung der Fall, so dass das Phänomen „Schmerz“ statistisch gesehen eher kein Symptom einer Bandscheibenerkrankung darstellt (Bogduk 2000; Brinkmann 2002; Waddell 2004 u. a.).

Die Verknüpfung von Rückenbeschwerden mit dem Bildbefund ist also nur dann erlaubt, wenn die klinische Untersuchung der betroffenen Person objektive Befundparameter für eine bandscheibenbedingte Erkrankung ergibt. Diese Kriterien für die Feststellung einer bandscheibenbedingten Erkrankung sind:

  • ein erhöhter Muskeltonus,
  • eine Entfaltungsstörung der Lendenwirbelsäule,
  • ein provozierbarer Segmentschmerz (Stoßpalpation),
  • ein provozierbarer Bewegungsschmerz (Rotation),
  • eine belegbare Nervenwurzelreizung/-schädigung.

Da eine Segmenterkrankung relevanter Art, also mit einer nennenswerten Bandscheibenbeteiligung und damit einhergehender latenter Instabilität des Segmentes eigentlich immer zu diesen klinisch nachweis-baren Befundkriterien infolge der Einbuße der sog. neutralen Zone (Panjabi 1992) führt, sollten alle Befundkriterien im Rahmen der klinischen Untersuchung nachweisbar sein. Eine Ausnahme gilt dann, wenn eine erfolgreiche operative Behandlung der Bandscheibenerkrankung durchgeführt wurde. In diesem Falle muss der Sachverständige in den vorliegenden schriftlichen Befundberichten gefertigt vor der Operation sorgfältig nach einer solchen klinischen Symptomatik fahnden. Bedauerlicherweise hat es die enorme Entwicklung der modernen bildtechnischen Untersuchungen mit sich gebracht, dass nur allzu häufig – und nicht nur im kurativen Bereich, sondern auch bei der Begutachtung – auf eine genügende klinische Diagnostik verzichtet wird.

Kausalitätsprüfung

Bei einer so genannten „Volkskrankheit“ kann die generelle Kausalitätsvermutung gemäß § 9 Abs. 3 SGB VII nicht greifen. Eine solche generelle Kausalitätsvermutung entspricht nichts anderem, als dem so genannten „prima-facie-Beweis“, der immer dann erlaubt ist, wenn nach gesicherten Erkenntnissen bei Vorliegen eines bestimm-ten Sachverhalts erfahrungsgemäß auf das Vorliegen einer anderen definierten Tatsache geschlossen werden kann. Voraussetzungen für eine derartige automatische Kausalitätsverknüpfung sind die

  • Regelmäßigkeit,
  • Üblichkeit,
  • Häufigkeit

eines stets gleichartigen Geschehensab-laufs. Besteht jedoch die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs – also der Entstehung der bandscheibenbedingten Erkrankung auf schicksalhafter Ebene, wie sie in der Bevölkerung viel häu-figer anzutreffen ist, als die beruflich induzierte Bandscheibenerkrankung – , so ver-bietet sich eine Überzeugungsbildung auf dieser Grundlage (Köhler 2002). Diese Auf-fassung vertrat auch das Bundessozialgericht (Urteil vom 02. 05. 2001; Az.: B 2 U 24/00 R) und hat somit vorgegeben, dass grundsätzlich bei der Kausalitätsprüfung zu einer BK 2108–2110 ein Wahrscheinlichkeitsbeweis des Kausalzusammenhangs geführt werden muss.

Im Urteil vom 07. 09. 2004 (Az.: B 2 U 34/03) hat das Bundessozialgericht sogar hin-ausgehend entschieden, dass eine Kausalitätsvermutung abgestellt auf eine besonders hohe Gesamtbelastungsdosis nicht nur deshalb anzunehmen ist, weil anlagebedingte und außerberufliche Ursachen nicht sicher identifiziert werden können. Ein solches Vorgehen entspräche einer unzulässigen Beweislastumkehr. Vielmehr ist der Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und dem prinzipiell aner-kennungsfähigen Krankheitsbild „bandscheibenbedingte Erkrankung“ stets positiv zu belegen. Für diesen entscheidenden Schritt in der Kausalitätsprüfung benötigt man die belastungsinduzierten Befundindikatoren, wie sie im Konsenspapier eingehend beschrieben wurden.

Als wichtigster Indikator für die BK 2108 und 2110 gilt die so genannte „Begleitspondylose“, die typischerweise – wie z. B. von Hult (1954), aber auch von anderen Autoren eindrucksvoll belegt – durch repetetiv einwirkende körperliche Belastungen induziert wird, auch in solchen Segmenten, in denen die Bandscheibe selbst noch keinen Schaden genommen hat, die aber in der Belastungsstrecke liegen. Nach dem Konsenspapier ist eine Begleitspondylose definiert als knöcherne Ausziehung in Verlängerung der Abschlussplatten der Wirbelkörper mindestens im Schweregrad II in mindestens zwei nicht erkrankten Segmenten, also ohne die bildtechnischen Merkmale einer Chondrose und ohne erkennbare konkurrierende Ursachenfaktoren, wie beispielsweise im Sinne von Abstützungsreaktionen bei einer Skoliose.

Die Begleitspondylose findet man in den anerkennungsfähigen Fällen in aller Regel oberhalb des Erkrankungssegments bis hin in die unteren Bewegungssegmente der BWS.

Soweit eine Begleitspondylose nicht nachweisbar ist, kann nach den Vorgaben im Konsenspapier ersatzweise der so genannte „black disc“ in mindestens zwei der nicht erkrankten Segmente als belastungsinduzierter Indikator aufgefasst werden. Für diese im Konsenspapier verankerte Vorgabe kann allerdings keine wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis in der Literatur genannt werden. Hier handelt es sich um einen Kompromiss der Konsensarbeitsgruppe, bei dem letztendlich sogar noch unklar bleibt, ob mit dem „black disc“ – der den Wasserverlust der Bandscheiben signalisiert – dann auch plausiblerweise eine zumindest initiale Höhenminderung des Bandscheibenraums einhergehen muss oder nicht.

Wenn auch das Phänomen des „black disc“ fehlt, wurde im Konsenspapier – wie-derum auf dem Weg einer Kompromissbildung – als weiteres mögliches Indizkriterium eines besonderen Gefährdungspotenzials die Folgen kurzzeitiger, besonders intensiver Belastungen oder ungewöhnlich hohe Belastungsspitzen – wie im Bereich der Pflegeberufe möglich – als ausreichend angesehen.

Unter pathophysiologischen Aspekten ergibt sich hierfür dann eine gewisse Plausibilität, wenn solche hohen Belastungsspitzen in großer Häufigkeit, jedoch nur über wenige Belastungsjahre hinweg erfolgten, da ansonsten unweigerlich die Wirbelsäule mit belastungsinduzierten Phänomenen, wie die Spondylose und dem "black disc" hätte reagieren müssen. Derartiges kann nur ausbleiben, wenn für die Entstehung dieser geweblichen Veränderungen kein genügender Zeitraum zur Verfügung steht. Die Erfahrung der letzten 20 Jahre hat jedoch gezeigt, dass auch bei den Pflegeberufen wie z. B. auch bei den Rettungssanitätern fast immer 15 bis 20 – meist sogar noch mehr – Belastungsjahre ermittelt werden, was dann der Plausibilität einer „rätselhaft“ ausbleibenden Entwicklung belastungsinduzierter Phänomene widerspricht.

Dieses Hilfskriterium ist insofern mit Zurückhaltung zu handhaben und ohnehin nach dem Urteil des BSG mit Halbierung der Anspruchsvoraussetzungen eigentlich nicht mehr sinnvoll anwendbar.

Belastungskonformes Schadensbild

Sofern der Sachverständige bildtechnisch den Vollbeweis einer Bandscheibenerkrankung und im klinischen Bild den Vollbeweis einer kongruenten bandscheibenbedingten Erkrankung hat führen können, auch die belastungsinduzierten Indikatoren nachweisbar sind, sind alle Kriterien erfüllt, um ein so genanntes „belastungskonformes Schadensbild“ festzustellen. Dieses Zusammenführen des radiologischen und klinischen Befunds samt Belastungsindikatoren ist insoweit notwendig, weil es kein belastungs-typisches Erkrankungsbild an der Bandscheibe gibt.

Die Feststellung des belastungskonformen Schadensbildes reicht allein jedoch immer noch nicht aus für eine Anerkennungsempfehlung, da weitere Prüfschritte erforderlich sind.

Konkurrierende Ursachen

Grundsätzlich stellt sich immer die Frage nach relevanten konkurrierenden Ursachen, die – in gleicher Weise wie das Schadensbild selbst – dem hohen Beweismaß des Vollbeweises unterliegen. Diese Frage stellt sich umso mehr, wenn es sich um einen jungen Antragssteller mit allenfalls grenzwertig erfüllten beruflichen Anspruchsvoraussetzungen, der aber bereits ein veritables Schadensbild an einer oder mehreren Bandscheiben aufweist. In einer solchen Fallgestaltung liegt die Vermutung nahe, dass z. B. eine genetische Determination („Faktor X“), wie sie nach den Ergebnissen der genetischen Forschung zweifelsfrei von Bedeutung ist, eine maßgebliche Rolle spielt.

Eine genetische Determination kann als bewiesen angesehen werden, wenn eine, insbesondere asymmetrische lumbosakrale Übergangsstörung besteht, die nach gesicherten Erfahrungen aus unzähligen Begutachtungen der vergangenen Jahre relativ häufig als entscheidende Ursache für meist bereits in jungen Jahren einsetzende Rückenschmerzen anzusehen ist und nicht selten als Ursache für die dann meist bei L4/5 und L5/S1 liegenden Bandscheibenerkrankungen identifiziert werden kann. Lässt sich im röntgenanatomischen Verlauf in den früheren Jahren feststellen, dass sich zunächst die Spondylarthrose – regelhaft bei solchen Übergangsstörungen zu beobachten – entwickelte, ehe sich dann sekundär die Bandscheibenerkrankung aufpfropfte, ist dies ein gewichtiges Indiz für die schicksalshafte Verursachung.

Aus den Erfahrungen mit einer sehr großen Zahl an gutachtlichen Untersuchun-gen lässt sich ableiten, dass eine solche asymmetrische Übergangsstörung ausnahmslos zusätzlich eine tiefe kurzbogige Lumbalskoliose nach sich zieht, die selbst mit einem relativ geringen Skoliosewinkel von COBB infolge der segmentalen Drehgleitbelastungen zu vorauseilenden Verschleißveränderungen der Bandscheiben zu führen pflegt. Ansonsten gilt eine skoliotische Verbiegung erst ab etwa 25° als relevante konkurrierende Ursache, eben-so wie ein instabiler Wirbelgleitprozess. In den vergangenen Jahren hat sich auch gezeigt, dass die Scheuermann'sche Erkrankung allein begrenzt auf die Brust-wirbelsäule in aller Regel nicht als wesentliche konkurrierende Ursache anzusehen ist, jedoch erheblich dann an Bedeutung gewinnt, wenn es sich um einen lumbalen Morbus Scheuermann gehandelt hat mit entsprechenden Residuen an den Abschlussplatten der LWS, die dann auch für eine Bandscheibenerkrankung ursächlich sein können.

Stehen entsprechende konkurrierende Ursachen im Raum, muss ein Abwägungs-prozess durchgeführt werden, ob eher die beruflichen Belastungen oder eher die konkurrierenden Ursachenfaktoren maßgeblich sind. Nur in solchen Fallgestaltungen kommt letztendlich der Größenordnung der Belastungseinwirkungen auch im medizinisch-gutachtlichen Bereich eine gewisse Rolle zu.

Fallkonstellation

Zur abschließenden Beantwortung der Kausalitätsfrage ist zu prüfen, mit welcher Fallkonstellation nach den Vorgaben im Konsenspapier der konkret geprüfte Einzelfall vergleichbar ist. Für diese Fallkonstellationen wurden im Konsenspapier vier Basisannahmen formuliert:

  • Die Beteiligung der drei unteren LWS-Segmente am Erkrankungsbild spricht aus sich heraus eher für einen Kausalzusammenhang, der jedoch dennoch in einem formal korrekten Prüfungsablauf Schritt für Schritt zu hinterfragen ist.
  • Soweit die Hals- und Brustwirbelsäule in ähnlicher Weise ein Krankheitsbild aufweist, wie die Lendenwirbelsäule, spricht dies eher gegen einen Kausalzusammenhang. Auch dann ist jedoch eine korrekt ablaufende Kausalitätsprüfung notwendig.
  • Sind diese krankhaften Veränderungen im Hals- und Brustwirbelsäulenbereich ausgeprägter als im LWS-Bereich, ist eine Anerkennung nicht vertretbar (B5-Konstellation).
  • Die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs wird mit zunehmender zeitlicher Distanz zwischen Beendigung der Tätigkeit und dem ersten Auftreten der Erkrankung immer geringer und lässt sich nach mehr als 5 Jahren nicht mehr hinreichend begründen.

Die große Zahl an Begutachtungen zur BK 2108 hat zu der Erkenntnis geführt, dass die B1-Konstellation – die zu einer klaren Anerkennungsempfehlung führen muss – seltener zum Zuge kommt, als erwartet. Die B2-Konstellation – hier fehlen wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren, aber auch eine Begleitspondylose – spielt eine größere Rolle, nicht ganz so häufig die B3-Konstellation, bei der jegliches Indizkriterium für die positive Kausalitätsauffassung fehlt, aber eben auch die wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktoren.

Bei der B3-Konstellation bestand in der Konsensarbeitsgruppe kein Konsens, ob eine solche Konstellation zur Anerkennung führen kann oder nicht. Der fehlende Konsens bedeutet jedoch, dass eine Erkenntnis von der überwiegenden Mehrheit der Fachwissenschaftler nicht getragen wird (BSG-Urteil vom 27. 06. 2006; Az: B 2 U 13/05 R). Das Landessozialgericht Baden Württemberg ist aber noch einen Schritt weitergegangen und hat im Urteil vom 24. 04. 2008 (Az: L 10 U 5885/04) vorgetragen, dass kein Konsens bedeutet, dass eine ungeklärte Frage verblieben ist und dementsprechend eine solche Konsenskonstellation eine nicht tragfähige Entscheidungsgrundlage pro Kausalität darstellt, mit dieser Fallkonstellation aus rein rechtlichen Gründen somit auch keine Anerkennung erfolgen kann.

Die Fallkonstellationen B4–B9 spielen eher eine untergeordnete Rolle. Kommen sie zur Anwendung, werden sie fast immer kontrovers diskutiert. Eine klare Linie – auch in der Rechtssprechung – ist hier in den ver-gangenen Jahren nicht zu beobachten gewesen.

Die nicht seltenen Fälle einer B10-Konstellation mit nachgewiesenen konkurrierenden Ursachenfaktoren und fehlender Begleitspondylose lassen keinen Beurteilungsspielraum, dies ähnlich wie die B1-Konstellation mit Begleitspondylose und fehlenden konkurrierenden Ursachen. Nur diese beiden Konstellationen haben in den letzten Jahren zu plausiblen Kausalitätsbeurteilungen geführt, sofern sie richtig angewandt wurden.

Retrospektive Überprüfungen haben allerdings auch hierbei ergeben, dass z. B. eine behauptete Begleitspondylose auf so minimalen Kantenappositionen im Röntgenbild beruhten, dass dies nicht nachvollziehbar erschien. Nicht selten werden auch konkurrierende Ursachenfaktoren schlichtweg übersehen, was dann ebenfalls zu einer fehlerhaften Beurteilung führen musste.

MdE-Einschätzung

Sofern eine Anerkennungsempfehlung im Raum steht, muss der Sachverständige auch eine Einschätzung der MdE vornehmen und diese Einschätzung entsprechend der Vorgaben im Konsenspapier begründen. Diese Vorgaben im Konsenspapier sind sehr ausführlich gehalten und werden nicht selten fehlerhaft oder zumindest eigenwillig interpretiert.

Nach den Erfahrungen mit den zur An-erkennung empfohlenen Fällen wird überaus häufig eine MdE mit 20 % eingeschätzt, was nicht immer bei der retrospektiven Über-prüfung überzeugend anmutet. Gelegentlich findet man in den Akten auch eigentümliche „Privatgutachten“ mit MdE-Empfehlungen mit 70 oder 80 % ausdrücklich abgestellt auf das Ausmaß des subjektiven Schmerzerlebens, was nun gar kein Parameter für die MdE-Einschätzung darstellt. Ähnliches findet man gelegentlich in Gutachten nach § 109 SGG, was jedoch die Verwaltungen und Gerichte problemlos selbst erkennen und zu hinterfragen pflegen.

Ein erster Anhaltspunkt für die richtige Größenordnung der MdE ergibt sich aus  Tabelle 1.

Unterlassungszwang

Der Sachverständige ist stets auch gehalten, bei einer Anerkennungsempfehlung zu prüfen, ob objektiv gesehen ein Unterlassungszwang für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit begründbar. Allein subjektive Überzeugungen der betroffenen Person reichen hierfür nicht aus. Erstaunlicherweise liest man jedoch immer wieder in Fremdgutachten, dass solche subjektiven Überzeugungen zur Begründung des Unterlassungszwangs herangezogen werden.

Zudem ist vom Sachverständigen zu prüfen, ob durch rehabilitative Maßnahmen eine genügende Belastungsfähigkeit wiederhergestellt werden kann. Ist dies nicht der Fall ist zu prüfen, ob durch eine Veränderung der Arbeitsplatzgestaltung z. B. mit Ausrüstung entlastender Hilfsmittel eine Fortführung der Tätigkeit – dann ohne schädigungsrelevante Einwirkungen auf die Wirbelsäule – möglich ist. Zu prüfen ist auch, ob eine Einsatzmöglichkeit an anderer Stelle, aber im gleichen Beruf vertretbar erscheint (z. B. Krankenschwester auf eine Augenstation, anstatt in der Unfall-chirurgie).

Rückblickend muss man jedoch leider feststellen, dass nicht selten in den eingesehenen Fremdgutachten diese rehabilitativen Fragestellungen nicht angesprochen wurden.

Resümee

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Anwendung des Konsenspapiers bei der Durchführung der Begutachtung sich als hilfreich erwiesen hat und zu einer weitgehenden Vereinheitlichung der Rechtssprechung führte. Dennoch sind auch heute noch leider viele Gutachten mit mehr oder weniger bedeutsamen Fehlern – meist Unterlassungen – behaftet. Wird ein solcher Fehler von der auftraggebenden Institution (Verwaltung oder Gericht) nicht erkannt, hat dies eine fehlerhafte Bescheiderteilung oder ein später rückblickend nicht nachvoll-ziehbares Judikat zur Folge. Einmal mehr bestätigt sich insoweit die allgemein unstreitige Feststellung, dass solche problematischen Entscheidungen meist auf einer unzulänglichen gutachtlichen Sachverhaltsklärung und nicht auf Unzulänglichkeiten des Entscheiders beruhen. 

Literatur

Bogduk N: Klinische Anatomie von Lendenwirbelsäule und Sakrum. Berlin: Springer, 2000.

Bolm-Audorff U, Brandenburg S, Brüning T et al.: Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule (I). Trauma Berufskrankh 2005; 7: 211–252.

Bolm-Audorff U, Brandenburg S, Brüning T et al. Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule (II). Trauma Berufskrankh 2005; 7: 320–332.

Brinckmann P: Primär mechanische Ursache des Vorfalles lumbaler Bandscheiben – eine Übersicht des derzeitigen Kenntnisstandes. In: Beurteilung und Begutachtung von Wirbelsäulenschäden. Darm-stadt: Steinkopff, 2002, S. 1–9.

Hartmann B (2012) Neue BK Gonarthrose – aus arbeitsmedizinischer Sicht. MedSach 2012; 108: 148–150.

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    Autor

    Dr. med. Frank Schröter

    Institut für Medizinische Begutachtung

    Landgraf-Karl-Str. 21

    34131 Kassel

    f.schroeter@imb-kassel.de

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