Eignung und Vorsorge
Angesichts der aktuellen Diskussion um Eig-nung und Vorsorge fragt man sich da natürlich schon, was eigentlich im Vordergrund steht. Auch in der Zeit vor der ArbMedVV war bekannt, dass Fragestellungen aus dem Bereich der Eignungsfeststellung eine entscheidende Rolle bei der Anwendung des G 25 spielten. Das war allen Beteiligten bewusst und spiegelt sich natürlich in Inhalt und Aufbau des G 25 wider. Unter Hinweis auf die DGUV-Information 250-010 „Eignungsuntersuchungen in der betrieblichen Praxis“ (DGUV 2015; s. „Weitere Infos“) erscheint es sinnvoll, zunächst die Unterscheidung von Vorsorge und Eignung in Bezug auf den G 25 zu beleuchten (Hedtmann 2009). Das ist nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch für die Betriebsärztin oder den Betriebsarzt bedeutsam, da hiervon auch die eigene Arztrolle abhängig ist (Spezialist vs. Gutachter; Hedtmann 2012). Eine Systema-tik zur Unterscheidung beider Untersuchungs-situationen findet sich in Abb. 1 und 2.
Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten sind ohne Zweifel in vielen Fällen eine gefährdende Tätigkeit mit physischer so-wie psychischer Belastung. Das rechtfertigt den Wunsch der Beschäftigten nach arbeitsmedizinischer Vorsorge gemäß § 11 Arbeits-schutzgesetz. Mehr als eine Wunschvorsorge gibt die ArbMedVV für diese Tätigkeiten nicht her, trotzdem ist das aktive Angebot einer Vorsorge nach G 25 sehr wohl erlaubt. Auf jeden Fall kommen die Beschäftigten freiwillig zur betriebsärztlichen … – ja, was eigentlich? Ganz sicher Beratung, aber wenn man schon freiwillig kommt, dürfte der Ver-zicht auf eine ergänzende Untersuchung eher selten vorkommen. Es gibt eine Vorsorge-bescheinigung und darüber hinaus steht den Beschäftigten eine schriftliche Mitteilung zu, die grundsätzlich persönlich ausgehändigt werden sollte und deren Inhalt selbstverständlich voll umfänglich der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt.
Eignungsfragen erfordern ein wesentlich komplizierteres Vorgehen. Auf die Lek-türe der DGUV-Information 250-010 (s. „Weitere Infos“) kann in diesem Zusam-menhang nur dringend hingewiesen werden (Behrens 2015). Unstrittig ist bei Einstellung oder erstmaliger Beschäftigung mit einer gefährdenden Tätigkeit eine arbeitsmedizinische Eignungsfeststellung zulässig. Soll ein bisheriger Lagermitarbeiter jetzt auch Stapler fahren, besteht unternehmensseitig ein plausibles Interesse an der Feststellung der gesundheitlichen Eignung. Grundsätzlich bedürfen Eignungsuntersuchungen einer Rechtsgrundlage. Das ist einfach, wenn sie in einem Gesetz genau beschrieben wer-den, z. B. in der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Die gilt aber nur für den öffentlichen Straßenverkehr. Eignungsvorbehalte in Unfallverhütungsvorschriften, z. B. in § 7 der UVV „Flurförderzeuge“ oder in § 7 der UVV „Grundsätze der Prävention“ (DGUV Vorschrift 1), sind allein ebenso wenig eine geeignete Rechtsgrundlage für Eignungsuntersuchungen wie die Gefährdungsbeurteilung.
Geeignete Rechtsgrundlagen können aber Arbeitsverträge, Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen sein. Diese stehen jedoch unter der Bedingung der Verhältnismäßigkeit. Wer den einzigen Gabelstapler in ei-ner menschenleeren Halle und bei nur einfachen Arbeitsaufgaben bewegt, dürfte wohl zu Recht fragen, ob eine jährliche Eignungsuntersuchung verhältnismäßig ist. Ansonsten bedarf es eines konkreten Anlasses, also z. B. den Verdacht auf eine für medizinische Laien erkennbaren Eignungseinschränkung. Regelmäßige Eignungsuntersuchungen kön-nen zulässig sein, wenn ein berechtigtes Inter-esse des Unternehmens belegt werden kann. Der Staplerfahrer, der in einem Logistikunter-nehmen mit einer großen Zahl von Ladebrü-cken und dichtem Flurförderzeug- und Fuß-gängerverkehr unterwegs ist, könnte in die-se Kategorie fallen. Es ist zu empfehlen, das Einverständnis in die Durchführung der Eig-nungsuntersuchung schriftlich einzuholen, denn im Zweifelsfall kann das Ergebnis ar-beitsrechtliche Konsequenzen haben. Der Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit gilt im-mer, d. h. die Untersuchung muss angemessen, erforderlich und geeignet sein. Hierzu wird gerade bei Fahrtätigkeiten oft angeführt, dass allein der Nachweis eines ausreichen-den Sehvermögens die Eignungsfrage beantwortet. Gerade aus dem G 25 geht jedoch hervor, dass hier sehr differenzierte Anforde-rungen existieren, die von der Art der Tätigkeit wesentlich abhängig sind (s. a. Tabelle 2 im G 25; DGUV 2014, S. 386–387). Womit wir bei den Inhalten sind.
Inhalte
Die Grundsätze, so auch der G 25, sind über viele Jahre gewachsene Arbeitshilfen. Erfahrene Arbeitsmediziner, Ingenieure und Ärzte anderer Fachrichtungen (beim G 25 vor allem Augenärzte) haben sich seit vie-len Jahren kontinuierlich darum bemüht, so-wohl den jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft, als auch Erkenntnisse aus der Praxis in den Grundsatz einfließen zu lassen. Die ständige Überprüfung und Diskussion hat den G 25 stets so aktuell gehalten, dass er bis heute als anerkannter Standard in der Betriebsärzteschaft Vertrauen genießt. Darüber hinaus sollen beispielhaft einige Inhalte dargestellt werden, die besonders viel Aufmerksamkeit erfahren haben.
Als führendes Sinnesorgan für Fahrtätig-keiten ist die Untersuchung des Sehorgans im G 25 besonders intensiv verankert. Da-bei stehen zwei Punkte besonders im Fokus. Gelegentlich wird nach der Evidenz der Ge-sichtsfelduntersuchung gefragt. In der Fahr-erlaubnis-Verordnung seit langem verankert, wird diese Untersuchung auch für viele im G 25 beschriebenen Tätigkeiten gefordert. In der Tat haben wir aktuell keine Statistik, die das Unfallgeschehen mit Gesichtsfeldausfällen in Verbindung bringt. Das liegt auch daran, dass wir keine Möglichkeit haben nach Unfällen Gesichtsfeldprüfungen zu veranlassen. Für das Führen von Flurför-derzeugen, Radladern und anderen Arbeits-mitteln gibt es aber naheliegende Gründe das Gesichtsfeld in die Untersuchung einzu-beziehen.
Abbildungen 3 und 4 zeigen einen Rad-lader und einen Blick aus dem Führerhaus. Die Bilder entstanden im Rahmen der Unter-suchung eines tödlichen Unfalls. Es wird dabei deutlich, dass das Gesichtsfeld bei diesen Arbeitsmitteln schon aus technischen Gründen so stark eingeschränkt ist, dass ein einseitiger Teilausfall auch durch das gesunde Auge nicht mehr vollständig kompensiert werden kann. Hier ist die Bedeutung für die Eignungsfeststellung unmittelbar plausibel. Auch die Vorsorge darf diesen Aspekt beinhalten, da mit zunehmendem Alter z. B. mit einem nicht erkannten Glaukom ein schleichender Gesichtsfeldausfall einhergehen kann.
Kontrastsehen und Blendungsempfindlichkeit sind Anforderungen an das Sehver-mögen, deren Untersuchungsmöglichkeiten zum Teil auf wenig verlässlichen oder sehr alten Daten beruhen. Der Arbeitskreis „Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten“ hat daher bereits vor geraumer Zeit entspre-chende Studien angeregt, die derzeit aufwändig durchgeführt werden und von denen wir uns valide Daten zur besseren Einschätzung der Evidenz dieser Untersuchung versprechen (Bach et al. 2011).
Mit der fünften Auflage der „Grundsätze“ wurde eine Entscheidungshilfe zur Diagnos-tik einer schlafbezogenen Atmungsstörung eingeführt, verbunden mit Empfehlungen zum Vorgehen bei Feststellung einer Tagesschläfrigkeit. Die Entwicklung dieser Empfehlungen zusammen mit anerkannten Ex-pertinnen der Schlafmedizin beruhte auf der Prüfung der Evidenz der einzelnen Bestand-teile, war das Ergebnis einer anspruchsvollen Diskussion und ist bis heute die einzige veröffentlichte Empfehlung im Zusammenhang mit einer arbeits- oder verkehrsmedizinischen Untersuchung.
Nach wie vor wird im Rahmen der Vor-sorge wie auch der Eignung für Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten über die Not-wendigkeit von routinemäßigen Blutuntersuchungen gestritten, auf deren standardi-sierte Durchführung der G 25 bewusst verzichtet. Insbesondere für die Eignungsfeststellung muss diesbezüglich auf die oben erwähnte Forderung nach Verhältnismäßigkeit, Geeignetheit und Angemessenheit hin-gewiesen werden.
Ausblick
Die arbeitsmedizinische Untersuchung bei Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten ist fester Bestandteil der betriebsärztlichen Tätigkeit und häufig eingesetzter Grundsatz zur Beantwortung von Eignungsfragen. Seine hohe Individualisierbarkeit, aktuelle Fortschreibung und Plausibilität machen ihn zu einem wichtigen Werkzeug für die betriebs-ärztliche Praxis. Auch ohne konkrete Verankerung im Regelwerk wird er auch in Zu-kunft einen wichtigen Platz in der Arbeitsmedizin behalten.
Literatur
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): DGUV Grundsätze für arbeitsmedizinische Untersu-chungen, 6. Aufl. Stuttgart: Gentner, 2014, S. 377–390.
Hedtmann J: Verkehr. In: Petersen J, Wahl-Wachen-dorf A (Hrsg.): Praxishandbuch Arbeitsmedizin. Wies-baden: Universum, 2009, S. 81–89.
Hedtmann J: Arztrollen in der Verkehrsmedizin. In: Eichendorf W, Hedtmann J (Hrsg.): Praxishandbuch Verkehrsmedizin. Wiesbaden: Universum, 2012, S. 142–150.
Behrens M: Rechtmäßigkeit von Eignungsuntersuchun-gen während des laufenden Arbeitsverhältnisses. Ar-beitsmed Sozialmed Umweltmed 2015; 4: 258–264.
Bach M, Lachenmayr B, Schiefer U: Prüfung des Kon-trast- und Dämmerungssehens. Ophthalmologe 2011; 108: 1195–1198.
Weitere Infos
DGUV-Information 240-250, Handlungsanleitung für arbeitsmedizinische Untersuchungen nach dem DGUV Grundsatz G 25 „Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten“. 2010
DGUV Information 250-010 „Eignungsuntersuchungen in der betrieblichen Praxis“. 2015
Autor
Dr. med. Jörg Hedtmann
Berufsgenossenschaft Verkehr
Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation
Geschäftsbereich Prävention
Ottenser Hauptstraße 54
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