In Bayern setzt die Bayerische Krebsgesellschaft auf eine gezielte Aufklärungskampagne, um das Bewusstsein für Hodenkrebs zu schärfen und junge Männer zu ermutigen, ihre Gesundheit ernst zu nehmen. Dr. med. Matthias Finell ist Facharzt für Arbeitsmedizin und Innere Medizin mit der Schwerpunktbezeichnung Hämatologie und Internistische Onkologie. Er ist als Betriebsarzt bei der Audi AG tätig und hat beim Automobilhersteller die Aufklärungskampagne mit dem Ziel aufgegriffen, vor allem die männliche Belegschaft über die Krebserkrankung aufzuklären. In einem Interview mit der ASU erklärt Finell, warum es so wichtig ist, einen ganzheitlichen arbeitsmedizinische Ansatz zu verfolgen und welchen Beitrag die Arbeitsmedizin bei der Prävention von Krankheiten insgesamt leisten kann.
ASU: Unter dem Motto „Gib Hodenkrebs keine Chance“ hat die Bayerische Krebsgesellschaft im April dieses Jahres eine Kampagne zur Früherkennung von Hodenkrebs gestartet. Sie haben nun bei Audi diese Kampagne aufgegriffen und klären Ihre Belegschaft über die Möglichkeiten der Früherkennung auf. Warum haben Sie sich entschieden, an dieser Kampagne mit Ihrem Unternehmen teilzunehmen?
Finell: Krebsprävention ist seit vielen Jahren ein fester Bestandteil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) bei Audi. Im Rahmen des Audi Checkups informieren wir bereits zu Darmkrebs-, Brustkrebs- und Prostatakrebsprävention sowie zur Raucherentwöhnung. Zudem bieten wir immunologische Stuhlteste (iFOBT) zur Darmkrebsfrüherkennung und Selbstuntersuchungskurse für Brustkrebs (MammaCare) an.
Die Hodenkrebskampagne haben wir gerne aufgegriffen, da sie unsere bestehenden Angebote sinnvoll ergänzt und mit den vorhandenen Materialen der Bayerischen Krebsgesellschaft (Poster, Flyer, Website mit Film) sofort umsetzbar ist.
ASU: Gibt es bei Ihnen im Unternehmen Zielgruppen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit besonders gefährdet sind oder sprechen Sie alle Männer bis 45 Jahre an?
Finell: Für die heute auftretenden Hodenkrebserkrankungen ist ein berufliches Risiko nicht bekannt. Die wichtigen Risikofaktoren sind Hodenhochstand, eigene Vorerkrankung mit Hodenkrebs, Hodenkrebs in der Familie und Infertilität (unerfüllter Kinderwunsch).
Zwar kommt Hodenkrebs nicht so häufig vor (etwas mehr als 4000 Erkrankte pro Jahr in Deutschland), bei jungen Männern im Alter zwischen 20 und 44 Jahren ist es jedoch die häufigste Krebserkrankung. Und da bei uns die Männer in diesem Alter einen großen Anteil der Belegschaft ausmachen, wollen wir diese Altersgruppe – und alle anderen Männer auch – sensibilisieren.
ASU: Wenn Sie auch jene Beschäftigten ansprechen, die kein erhöhtes beruflich bedingtes Risiko haben, geht das ja über die normale arbeitsmedizinische Vorsorge hinaus. Welches Ziel verfolgen Sie damit?
Finell: Eine ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge wurde im Audi Gesundheitsschutz lange vor der Veröffentlichung der AMR 3.3 praktiziert. Seit fast 20 Jahren bieten wir den Audi Checkup an, der häufig zusätzlich zur klassischen arbeitsmedizinischen Vorsorge durchgeführt wird. Das Angebot wird sehr gut angenommen und die Mitarbeitenden schätzen die Möglichkeit, sich ausführlich über den allgemeinen Gesundheitsstand und -risiken informieren zu können. Dabei wird das Angebot ständig aktualisiert und erweitert. Neben den Mitarbeitern profitiert auch das Unternehmen (Arbeitgeberattraktivität und Erhalt / Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit)
ASU: Wie wurde die Kampagne bei Audi umgesetzt?
Finell: Wir haben die Hodenkrebskampagne in unser neu strukturiertes Angebot der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) integriert. In dem sogenannten „Gesundheitskalender“ gibt es einen monatlichen Schwerpunkt und im September informieren wir - bereits seit 3 Jahren - zur Krebsprävention. Als Arbeitsmediziner und Internist mit dem Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie liegt mir die Präventive Onkologie sehr am Herzen.
Den Startpunkt bildete ein Gesundheitsimpuls in der Technischen Entwicklung als Online-Termin, in dem ich die Themen des Gesundheitsmonats vorstellte (Titel: „Warm-up“ für Krebsprävention).
Zur Hodenkrebs-Kampagne organsierten wir einen Online-Vortrag mit dem Chefarzt der Urologie am Klinikum Ingolstadt und der Bayerischen Krebsgesellschaft, in dem neben Informationen zur Erkennung und Behandlung von Hodenkrebs auch die #CHECKDICHSELBST-Kampagne vorgestellt wurde.
Zudem gab es einen weiteren Online-Vortrag mit einem Krebsaktivisten, der selbst an Hodenkrebs erkrankt war, und der Psychosozialen Krebsberatungsstelle Ingolstadt, wo es insbesondere um die Krankheitsverarbeitung ging.
Ergänzend wurden auf die Kampagne über Poster auf den Schwarzen Brettern im Werk und Flyern in den Gesundheitszentren aufmerksam gemacht. Und natürlich hatten wir viele Informationen im Intranet und der beruflichen Social-Media-Plattform (Viva Engage).
Um die Kampagne auch langfristig zu verankern, werden alle Männer, die zum Audi Checkup kommen, einen Hodenkrebs-Flyer mitbekommen.
ASU: Wie war die Resonanz auf die Aktion? Konnten Sie Ihre Zielgruppe erreichen?
Finell: Die Resonanz war sehr gut. Bei dem ersten Vortrag zum Hodenkrebs hatten wir mehr als 110 Teilnehmer (fast ausschließlich Männer) und bei der zweiten Veranstaltung auch 70 (ebenso fast nur Männer). Insofern wurde die Zielgruppe wirklich erreicht.
Die zusätzliche Online-Evaluation der Vorträge war ebenfalls sehr positiv, sowohl in Bezug auf das Thema als auch zu den Referenten.
ASU: Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels, spielt der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit zunehmend eine wichtigere Rolle für Unternehmen. Welchen Beitrag kann die Arbeitsmedizin hier Ihrer Meinung nach leisten?
Finell: Die Arbeitsmedizin kann hier einen großen Beitrag leisten. Gerade über die ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge kann man in hohem Maße die relevante Zielgruppe (gesunde Mitarbeitende und hier insbesondere die nicht präventivmedizinisch aktiven Männer) erreichen und diese über Risikofaktoren sowie Präventionsmöglichkeiten informieren. Es profitieren alle davon: die Mitarbeitenden und langfristig auch die Unternehmen.
ASU: Die Arbeitswelt stellt mit über 45. Mio. Erwerbstätigen in Deutschland das größte Präventionssetting dar. Wie kann man das im Sinne der Prävention nutzen und welche Rahmenbedingungen müssen hier gegeben sein?
Finell: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, das Präventionssetting zu nutzen, angefangen von der ganzheitlichen arbeitsmedizinischen Vorsorge bis hin zur betrieblichen Gesundheitsförderung. Dabei sollte alles in ein funktionierendes Betriebliches Gesundheitsmanagement eingebettet sein.
Wichtig ist hierbei eine gute Zusammenarbeit in den Unternehmen, nicht nur in Großbetrieben, sondern auch in den KMU. Durch den Fachkräftemangel und den demographischen Wandel werden die Präventionsangebote, die die Arbeitsmedizin anbieten kann, an Attraktivität gewinnen.
Die Bayerische Krebsgesellschaft e.V. hilft seit 1925 Menschen mit Krebs und deren Angehörigen bei der Bewältigung der Krankheit. In 13 Krebsberatungsstellen und 23 Außensprechstunden beraten qualifizierte Mitarbeitende Ratsuchende und begleiten sie in allen psychischen und sozialen Fragen. Vorträge und Kurse sowie medizinische Fragestunden ergänzen unser umfassendes Angebot. Die rund 160 ehrenamtlich tätigen Selbsthilfegruppen, welche die Bayerische Krebsgesellschaft bei ihrer Arbeit professionell unterstützt, leisten in ganz Bayern Hilfestellung: von Betroffenen für Betroffene - direkt vor Ort. Darüber hinaus engagiert sich die Gesellschaft in der Versorgungsforschung, der Fortbildung von onkologischen Fach- und Pflegekräften, der Krebsfrüherkennung und berät politische Gremien.
Weitere Informationen über die Hodenkrebs-Kampagne der Bayerischen Krebsgesellschaft sowie Downloadmöglichkeiten der Materialien zur Umsetzung in Ihrem Unternehmen finden Sie hier: Hodenkrebs | Bayerische Krebsgesellschaft e.V. (bayerische-krebsgesellschaft.de)