Die oben genannten Veränderungen lassen sich durch Begriffe wie Virtualisierung, Flexibilisierung und Vernetzung charakterisieren. Dabei wird unter Virtualisierung eine Zunahme der Bildschirmarbeit, die verstärkte Nutzung unterschiedlicher Endgeräte (Desktop, Tablet-PC, Smartphone) mit entsprechenden Anforderungen an ergonomische Gestaltung und die Beschleunigung des Arbeitsalltags durch „schnelle“ Kommunikationsmedien verstanden. Folge ist häufig die Abnahme persönlicher sozialer Kontakte mit Kollegen oder Vorgesetzten. Unter Flexibilisierung kann die zunehmende Verbreitung von individualisierten Arbeitsformen wie Tele-, Mobil- oder Projektarbeit zusammengefasst werden. Sie können zu unscharfen Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben führen. Durch Vernetzung entstehen neue Arbeits- und Organisationsformen wie virtuelle Teams, Organisationen oder Netzwerke.
Klassische Bildschirmarbeit wird zunehmend ergänzt durch die Verarbeitung eingescannter Dokumente mit Auswirkungen auf Sehverhalten und Arbeitsabläufe. Eine Weiterentwicklung der Korrekturmöglichkeiten für das Sehvermögen bei Bildschirmarbeit mit Gleitsichtgläsern für den Nahbereich stellt neue Anforderungen an Beratung und Indikationsstellung. Notebooks und Tablet-PCs werden zunehmend bei mobiler Arbeit als Arbeitsmittel eingesetzt und sind unabhängig von den bestehenden Anforderungen an die Gestaltung von Bildschirmarbeit aus der Bildschirmarbeitsverordnung oder den entwickelten Normen im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung zu berücksichtigen.
Arbeit mit eingescannten Dokumenten
Bildschirme werden in einem Normalformat (4:3 bzw. 5:4) mit einer Diagonalen von 15 bis 21,3 Zoll und im Breitbildformat (16:10 bzw. 16:9) mit einer Diagonalen von 20 bis 30 Zoll gefertigt. Die Auswahl der Bildschirmgröße hängt nahezu ausschließlich von der Arbeitsaufgabe ab und ist bei der Bearbeitung gescannter Dokumente von großer Bedeutung. Hier wird mit mehreren Bildschirmfenstern gearbeitet, in denen zum Beispiel eingescannte DIN A4-Dokumente, Bearbeitungsfenster und Informationsfenster dargestellt werden. Grundsätzlich können alternativ zwei Bildschirme oder ein Großbildschirm eingesetzt werden. Da eingescannte Dokumente wegen der oft insbesondere im unteren Bereich von Dokumenten sehr kleinen Schriftzeichen mindestens in Originalgröße dargestellt werden sollen, sollte bei der Arbeit mit zwei Bildschirmen zur Darstellung der Dokumente der Bildschirm eine Mindestgröße von 17 Zoll aufweisen und im Hochformat aufgestellt werden.
Besser geeignet ist ein Bildschirm mit einer Diagonale von 19 Zoll (48 cm), da man dann auch die Dokumente leicht vergrößern kann, um sie ohne Verwendung der Lupenfunktion besser lesen zu können. Der zweite Bildschirm wird dann im Hoch- oder Querformat zur Anzeige der weiteren Bildschirmfenster benutzt. Setzt man zwei Bildschirme mit der gleichen physikalischen Auflösung ein, ist der Betrieb mit einer Grafikkarte mit zwei Ausgängen unproblematisch. Für Bildschirme mit unterschiedlichen Auflösungen werden Grafikkarten verwendet, die zwei Auflösungen liefern (Dual-Head-Grafikkarten). Bei Einsatz von zwei Bildschirmen sollte die Aufstellung im Bereich des zentralen horizontalen Blickfeldes erfolgen, um ungünstige Ausgleichsbewegungen zu vermeiden. Es umfasst als optimales Blickfeld jeweils 15 Grad und als maximales Blickfeld ohne Kopfbewegungen jeweils 35 Grad rechts und links der zentralen Blickachse. Inwiefern bei dem Einsatz von zwei Bildschirmen in Abhängigkeit von der Sehentfernung diese für die Arbeit mit einem Standardbildschirm mit einer Diagonalen von höchstens 17 Zoll erarbeiteten Empfehlungen überhaupt eingehalten werden können, wird derzeit wissenschaftlich untersucht. Bei der Arbeit mit einem Großbildschirm im Breitbild-Format sollte mindestens eine Größe von 26 Zoll gewählt werden. Ähnliche Vergrößerungen von eingescannten Dokumenten wie bei einem Bildschirm mit 19 Zoll im Hochformat lassen sich allerdings erst mit einer Diagonale ab 27 Zoll erreichen. Auch bei dieser Lösung wird derzeit überprüft, ob Blickfeldgrenzen überschritten werden. Sollten häufiger Einstellbewegungen im Bereich von C1 und C2 der Halswirbelsäule erforderlich sein, könnte trotz des geringen Bewegungsumfanges früher als bisher eine muskuläre Dekompensation eintreten. Natürlich bestehen direkte Beziehungen zu einer unter Umständen erforderlichen Korrektur und dem zur Verfügung stehenden auskorrigierten Blickfeld beispielweise bei der bereits erwähnten Korrektur mit einer Gleitsichtbrille im Nahbereich.
Selbstverständlich bedeuten größere Bildschirmdiagonalen auch höhere Bildschirmoberkanten und näher an der Horizontalachse liegende Bereiche auf der Bildschirmoberfläche, die zu bearbeiten sind. Damit kann auch von einer Verlagerung der vertikalen Blickachse nach oben ausgegangen werden. Bei den bekannten Empfehlungen zur Absenkung der vertikalen Achse um etwa 35 Grad aufgrund der physiologischen Ruhestellung der Augenachsen und Scharfeinstellungsmechanismen sowie der Exposition der Augenoberfläche ist hier eine erhöhte Beanspruchung der Beschäftigten zu erwarten.
Spezielle Korrekturen am Bildschirmarbeitsplatz
Ab etwa dem 45. Lebensjahr ist das Akkommodationsvermögen der Augen, also die Fähigkeit, durch Änderung des Durchmessers der Augenlinse Gegenstände in der Nähe scharf abzubilden, so weit reduziert, dass eine Korrektur für den Nahbereich zum Lesen von Schrift erforderlich ist. Ab etwa dem 50. Lebensjahr ist die zur Verfügung stehende Akkommodationsbreite so weit herabgesetzt, dass auch für die Bildschirmentfernung eine Sehhilfe erforderlich werden kann. Eine Korrekturmöglichkeit bietet neben der selten eingesetzten Monofokalbrille die Bifokalbrille, bei der ein Nahzusatz im unteren Bereich des Glases eingeschliffen wird. Die Korrekturentfernung der Glasbereiche kann dabei variiert werden. Eine Veränderung der durch die Brille vorgegebenen Arbeitsabstände ist nicht möglich, nicht selten werden Zwangshaltungen induziert, die flexible Wahrnehmung der Arbeitsmittel und der engeren Arbeitsumgebung ist eingeschränkt. Die häufig getragene Universal-Gleitsichtbrille am Bildschirmarbeitsplatz löst das Problem der Zwangsabstände. Durch vertikale Augenbewegung und Kopfhebung kann der genau passende Durchblickspunkt im Gleitsichtkanal gefunden werden, um in der benötigten Entfernung scharf zu sehen. Dies ist von Unendlich bis etwa 35 cm möglich. Dieser Bereich ist aber technisch aufgrund der großen Dioptriendifferenz horizontal so schmal, dass Kopfdrehungen erforderlich sind, um den ganzen Bildschirm zu erfassen. Dies gilt insbesondere für Bildschirmdiagonalen über 19 Zoll und die Arbeit mit zwei Bildschirmen. Die spezielle Gleitsichtbrille für den Nahbereich oder auch Raumgleitsichtbrille korrigiert einen Nahbereich bis 80 cm oder einen Mittelbereich bis 200 cm im oberen Glasteil und den eigentlichen Nah- oder Lesebereich mit etwa 40 cm im unteren Glasteil. Beide sind durch einen breiten Progressionskanal verbunden, der scharfes Sehen in einem erweiterten horizontalen Blickfeld ermöglicht. Individuell angepasste Raumgleitsichtgläser können bei Besonderheiten des Arbeitsplatzes, Augenerkrankungen oder einer klinisch bedeutsamen binokularen Störung erforderlich werden.
Mobiles Arbeiten mit Endgeräten wie Tablet-PCs
In den oben beschriebenen Formen mobiler Arbeit werden zunehmend Notebooks, Tablet-PCs oder Smartphones eingesetzt. Ergonomische Erkenntnisse und Regelungen betreffen aber nahezu ausschließlich stationäre Bildschirmarbeit. Aus arbeitsmedizinischer Sicht sind vor allem Tablet-PCs bedeutsam, die in Spezialanwendungen wie bei der Schadensbegutachtung, im Logistikbereich oder als mobile Büroarbeitsgeräte eingesetzt werden. Bereits über die Hälfte größerer Unternehmen arbeitet mit dieser Technologie oder plant den Einsatz in naher Zukunft. Möglicherweise kann aber die Bedienung zu einer höheren Belastung führen. Dies betrifft zunächst die induzierte Zwangshaltung bei der Handhabung der Geräte, die im Sitzen beispielsweise mit den Händen gehalten oder auf den Oberschenkeln gelagert werden. Hier wird zur Erzielung angemessener Blickwinkel eine stärkere Flexion der Halswirbelsäule erforderlich. Der hohe Reflexionsgrad der Bildschirmoberfläche, die oft als Glossy-Screens mit intensiver Hintergrundbeleuchtung ausgelegt sind, erschwert die Zeichenerkennung, zum Ausgleich muss ebenfalls die Kopfhaltung korrigiert werden. Für den stationären Bildschirmarbeitsplatz empfohlene Korrekturen der Augen müssen aus diesen Gründen nicht zwangsläufig für mobiles Arbeiten geeignet sein. Schreibarbeiten werden mit einer auf den Bildschirm projizierten Tastatur durchgeführt, die aufgrund der Gerätegröße den ergonomischen Vorgaben beispielsweise zu Tastenmaßen nicht entsprechen kann. Durch fehlende Kompatibilität unterschiedlicher Betriebssysteme ergeben sich zusätzlich möglicherweise Softwareprobleme.
Zu allen genannten Aspekten besteht im Hinblick auf die Beanspruchung der Beschäftigten nur ein geringer Kenntnisstand, eine sichere Einschätzung der Beanspruchung ist sicher erst mit Vorliegen weiterer Daten möglich, die derzeit erhoben werden.
Weitere Infos
Fachpublikationen aus dem IFA zum Thema „Mobile Informations- und Kommunikationstechnologie“
http://www.dguv.de/medien/ifa/de/fac/mobile_it/mobile_IT_Literatur.pdf
Leitfaden Bildschirm- und Büroarbeitsplätze
Leitlinie Augenärzliche Basisdiagnostik bei Patienten ab dem 7. Lebensjahr
http://augeninfo.de/leit/leit04.htm
Autor
Dr. med. Jens Petersen
Leiter Referat Arbeitsmedizin
Verwaltungsberufsgenossenschaft
Deelbögenkamp 4
22297 Hamburg