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Entlastung des Rückens bei Pflegekräften

Einleitung

Verglichen mit anderen Berufsgruppen leiden Pflegekräfte noch immer überdurchschnittlich häufig unter Rückenbeschwerden. In der Vergangenheit konzentrierten sich Studien zu Rückenbeschwerden in der Pflege meist auf manuelle Patiententransfers, die als der Hauptgrund für das Entstehen muskulo-skelettaler Beschwerden im Lendenwirbelsäulenbereich gelten. Daher fokussierten interventionelle Maßnahmen meist auf den Gebrauch von Hebehilfen (kleine oder tech-nische Hilfsmittel) oder die Erarbeitung von Techniken zum rückenschonenden Patien-tentransfer. Doch mehrere Literatur-Reviews kamen zu dem Schluss, dass diese Ansätze allein die Rückenbeschwerden nicht reduzie-ren konnten.

In einer vorangegangenen Studie (Freitag et al. 2012) konnten wir zeigen, dass der Patiententransfer nur einen geringen Anteil von durchschnittlich 0,5 % in Pflegeheimen und 0,1 % in Krankenhäusern an einer Arbeitsschicht hat. Berücksichtigt wurde dabei nur der Zeitanteil der Transfertätigkeit, bei dem der Patient oder ein Körperteil des Patienten angehoben wurde und dadurch eine erhöhte Kraft auf die Lendenwirbelsäule der Pflegekraft wirkte. Das bedeutet: Werden für eine Expositionsanalyse nur die Patienten-transfers herangezogen, bleiben 99,5 % der Arbeitszeit in Pflegeheimen und 99,9 % der Arbeitszeit in Krankenhäusern unberück-sichtigt. Das könnte erklären, warum Präven-tionsmaßnahmen, die nur auf das Erlernen von Transfertechniken und die Benutzung von Hilfsmitteln fokussierten, häufig keine ausreichende Veränderung in Bezug auf die Rückenbeschwerden herbeiführen konnten; die Maßnahmen wirkten nur auf einen sehr kurzen Zeitraum in jeder Schicht und ließen die eventuelle zusätzliche Belastung durch andere Tätigkeiten unberücksichtigt.

Weitere Risikofaktoren für die Entste-hung von Rückenbeschwerden, die in der Literatur diskutiert werden, schließen wieder-holtes Beugen und den hohen Anteil statischer Haltungen des Oberkörpers ein (Habibi et al. 2012). Wir konnten zeigen, dass sagittale Rumpfneigungen in Pflegeberufen sehr häufig vorkommen und Pflegekräfte im Durchschnitt bis zu zwei Stunden während einer Frühschicht in vorgebeugter Haltung arbeiten ( Tabelle 1). Das Ausmaß der geleisteten Grundpflegetätigkeiten, wie z. B. Patienten waschen oder Betten machen, hatte dabei einen signifikanten Einfluss – je höher die Pflegebedürftigkeit der Patienten war, desto höher waren auch Dauer und An-zahl der Rumpfneigungen.

Nur wenige Studien untersuchten bisher sagittale Neigungen bei Pflegekräften und die meisten davon fokussierten auf den Patiententransfer; andere Pflegetätigkeiten wurden kaum untersucht. Daher blieb die Frage, wie die große Anzahl an Neigungen bei Pflegekräften reduziert werden kann, bisher unbeantwortet. Außerdem ist noch offen, ob die Pflegekräfte eine Reduktion der Neigungen überhaupt als körperliche Entlastung empfinden. Um Antworten auf diese Fragen zu finden, führten wir eine Laborstudie durch, die den Einfluss der Arbeits-weise auf die Körperhaltung und die dadurch empfundene Anstrengung bei Pflegekräften untersuchte.

Versuchsablauf

Zwölf Pflegekräfte eines Altenpflegeheims, die zum Zeitpunkt der Messungen frei von akuten Rückenschmerzen waren, stellten sich als Probanden zur Verfügung. Die Einrichtung, in der die Pflegekräfte arbeiteten, stellte einen Raum mit zwei Pflegeplätzen und zwei identische Badezimmer für die Durchführung der Versuche zur Verfügung. Zwei Mitarbeiterinnen unserer Forschungs-gruppe stellten sich als „pflegebedürftige Be-wohner“ zur Verfügung. Sie waren angewie-sen, den Probanden weder zu helfen noch sich gegen die Pflegetätigkeiten zu wehren. Jeder Proband führte zuerst einen standar-disierten Ablauf verschiedener Pflegetätigkeiten am Bett und danach im Bad durch. Zu den Pflegetätigkeiten am Bett gehörten: Waschen und Abtrocknen von Armen, Beinen, Füßen und Rücken der zu pflegenden Person und Wechseln des Bettlaken. Alle Probanden lernten den standardisierten Ab-lauf auswendig und führten diesen 2-mal probeweise durch. Danach absolvierte jeder Proband den Pflegeablauf 3-mal hintereinander an drei unterschiedlichen Betthöhen:

  1.  1. Matratzenoberkante auf Kniehöhe,
  2.  2. auf Höhe Mitte Oberschenkel (nachfol-gend „Oberschenkelhöhe“ genannt) und
  3.  3. auf Leistenhöhe ( Abb. 1).

Die Betthöhen wurden jeweils an der Körper-größe des Probanden ausgerichtet. Direkt nach jedem Versuchsabschnitt gaben die Probanden eine Einschätzung ab, wie körper-lich anstrengend sie die Ausführung der Pflegetätigkeiten an der jeweiligen Betthöhe empfanden. Hierzu wurde die 15-stufige Borg-Skala mit Werten zwischen 6 „überhaupt keine Anstrengung“ und 20 „maximale Anstrengung“ genutzt ( Tabelle 2; Borg 1990).

Nach den Versuchen am Bett wurden die Versuche im Bad durchgeführt. Auch hier führten die Probanden einen standardisierten Pflegeablauf durch. Die zu pflegende Person saß dabei in einem Stuhl am Waschbecken. Zu den Pflegetätigkeiten gehörten hier: Waschen und Abtrocknen der Beine und Füße sowie Anziehen einer Strumpf-hose. Die Probanden führten den standardisierten Ablauf im Bad 3-mal hintereinander in unterschiedlicher Arbeitsweise durch ( Abb. 2):

  1.  1. stehend,
  2.  2. hockend oder kniend und
  3.  3. auf einem Hocker sitzend.

Direkt nach jedem Versuchsabschnitt gaben die Probanden auch hier eine Einschätzung auf der Borg-Skala ab, wie körperlich anstrengend sie den Pflegeablauf in der jeweiligen Arbeitsweise empfanden.

Messung der Oberkörperhaltungen

Zur Messung der Oberkörpervorneigung in sagittaler Richtung nutzten wir das CUELA-Messsystem (Ellegast et al. 2009; s. Abb. 1 und 2). Sensoren, die im Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich des Probanden an-gebracht sind, erfassen die Bewegung des Oberkörpers und werden mit einer Frequenz von 50 Hz abgetastet, so dass die Bewegungen realistisch abgebildet werden können. Alle erforderlichen Systemkomponenten (Gewicht ca. 2,7 kg) werden am Körper über der Arbeitskleidung des Probanden angebracht. Verstellbare elastische Gurte passen das System an die jeweilige Körperform des Probanden an und stellen sicher, dass die Systemkomponenten nicht verrutschen. Da alle erforderlichen Systemkomponenten am Körper getragen werden, sind keine Verbin-dungen zu externen Komponenten erforder-lich und die Probanden können sich während der Messungen frei im Raum bewegen. Zusätzlich werden alle Messungen mit einer Videokamera aufgezeichnet und nach den Messungen mit Hilfe der speziell entwickelten Software WIDAAN mit den Messdaten synchronisiert. So kann zu jeder erfassten Körperhaltung die entsprechende Arbeitssituation einblendet werden.

Bewertung der Oberkörperhaltungen

Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft gelten generell Gelenkstellungen in der Nähe der Neutralstellung als am wenigsten belastend. Entsprechend der Normen ISO 11226 und DIN EN 1005-4 sind Oberkörperneigungen zwischen 0 und 20° als akzeptabel definiert und entsprechen einer aufrechten Oberkörperhaltung ( Abb. 3). In dieser Haltung ist der Druck auf die Bandscheiben in der Lendenwirbelsäule, der mit zunehmender Neigung ansteigt, am geringsten (Wilke et al. 1999). Neigungen zwischen 20 und 60° werden nur dann als akzeptabel betrachtet, wenn der Oberkörper beispielsweise durch die Arme abgestützt und zudem die Neigung symmetrisch nach vorn ausgeführt wird (ohne seitliche oder Torsions-Bewegung) sowie die Neigungen in diesem Winkelbereich im Durchschnitt nicht häufiger als zweimal pro Minute auftreten. Neigungen von über 60° werden generell als kritisch definiert.

Aus diesem Grund untersuchten wir in der vorliegenden Studie die Zeitanteile, die die Probanden in den nachfolgend genannten Neigungswinkelklassen verbrachten: 0–20°, 20–40°, 40–60° und > 60°.

Einfluss der Betthöhe

Die Versuchsreihe am Bett zeigte, dass das Hochstellen des Pflegebetts den Zeitanteil, den die Probanden in aufrechter Haltung arbeiteten, maßgeblich erhöhte: Befand sich das Bett auf Kniehöhe, verbrachten die Probanden nur 18,5 % der Versuchszeit in aufrechter Haltung und 81,5 % in vorgeneigter Haltung über 20° ( Abb. 4). Dabei lag der Anteil an starken Neigungen über 60° bei 28,4 %. Wurde das Bett auf Oberschenkelhöhe gestellt, erhöhte sich der Anteil in aufrechter Haltung um 7,9 Prozentpunkte und der Anteil starker Neigungen über 60° verringerte sich um 22,1 Prozentpunkte auf 6,3 %. Bei der Einstellung auf Leistenhöhe traten keine Neigungen über 60° mehr auf und die Probanden arbeiteten hier fast die Hälfte der Zeit in aufrechter Haltung.

Einfluss der Arbeitsweise im Bad

Bei der Arbeitsweise „stehend“, verbrachten die Probanden nur 13,1 % der Versuchszeit in aufrechter Haltung und 86,9 % in einer vor-geneigten Haltung über 20° ( Abb. 5). Dabei lag der Anteil an starken Neigungen über 60° bei 72,7 %. Arbeiteten die Probanden hockend oder kniend, erhöhte sich der Anteil in aufrechter Haltung um 19,6 Prozentpunkte und der Anteil starker Neigungen über 60° verringerte sich sprunghaft auf 2,5 %. Bei der Arbeitsweise „auf einem Hocker sitzend“ stieg der Zeitanteil in aufrechter Haltung nochmals um 6,2 Prozentpunkte an; jedoch stieg hier auch der Anteil an starken Neigun-gen über 60° um 3,5 Prozentpunkte an. Beim Einsatz des Hockers variierte die Arbeitsweise der Probanden stark: Manche legten das zu pflegende Patientenbein auf dem eigenen Oberschenkel ab, andere hoben es nur leicht an oder ließen es auf dem Boden stehen. Vier Probanden legten das Patientenbein auf ihrem Oberschenkel ab und saßen damit einen 2,5fach höheren Zeitanteil in aufrechter Haltung verglichen mit den übri-gen Probanden (62,5 % vs. 27,1 %).

Weniger Neigungen werden auch als weniger belastend empfunden

Ein größerer Zeitanteil in vorgeneigter Haltung führte zu einem erhöhten physischen Anstrengungsempfinden, eine um 10 % län-gere Neigungsdauer erhöhte den Borg-Wert signifikant um 1,1 Punkte: Bezogen auf alle drei Messungen am Pflegebett, gaben alle Probanden bei niedrigster Betteinstellung den höchsten Borg-Wert von durchschnittlich 17,3 an, dies entspricht der Empfindung „sehr anstrengend“ auf der Borg-Skala. Bei Betteinstellung „Oberschenkelhöhe“ gaben alle Probanden einen geringeren Wert an, im Mittel 12,6. Dieser Wert entspricht der empfundenen Anstrengung „recht leicht“. Die höchste Betteinstellung „Leistenhöhe“ wurde durchschnittlich mit dem geringsten Borg-Wert von 9,8 bewertet, was der Empfindung „sehr leicht“ entspricht.

Bezogen auf alle drei Messungen im Bad, gaben alle Probanden bei der Arbeitsweise „stehend“ den höchsten Borg-Wert von durchschnittlich 17,2 an. Dieser Wert entspricht der Empfindung „sehr anstrengend“ auf der Borg-Skala. Für die Arbeitsweise „kniend“ gaben alle Probanden einen geringeren Wert an, im Mittel 11,0. Dies entspricht der Empfindung „recht leicht“. Die Arbeitsweise „auf einem Hocker sitzend“ wurde im Durchschnitt mit dem geringsten Borg-Wert 9,7 bewertet. Dies entspricht der Empfindung „sehr leicht“. Vergleicht man auch hier die Probanden, die beim Einsatz des Hockers das zu pflegende Bein auf ihrem Oberschenkel ablegten, mit den übrigen Probanden, ergab sich für die erste Gruppe im Mittel ein wesentlich niedrigerer Borg-Wert (im Mittel 7,5) als für die zweite Gruppe (im Mittel 10,8).

Sowohl das Arbeiten mit dem Bett auf Leistenhöhe als auch der Einsatz eines Hockers im Bad waren für die meisten Probanden ungewohnt und diese Arbeitsweisen stießen daher in manchen Fällen anfänglich auf Ablehnung. Wir vermuten daher, dass die Probanden die neuen Arbeitsweisen nach einer gewissen Eingewöhnungsphase als noch entlastender bewertet hätten. Wich-tig ist es, an dieser Stelle auch darauf hinzuweisen, dass die als optimal gefundene Betthöhe (Leistenhöhe) nur für Pflegetätigkeiten gilt und nicht für das Bewegen von Patienten, z. B. in Richtung Kopfende oder aus dem Bett heraus. Die hier geltenden Bedingungen müssen gesondert untersucht werden. Auch eine z. B. kinästhetische Arbeitsweise erfordert unter Umständen eine andere Arbeitshöhe als die Leistenhöhe.

Empfehlungen für die Praxis

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass eine ergonomische Körperhaltung zu einer er-heblichen physischen Entlastung bei Pflege-kräften beitragen kann. Dies setzt allerdings voraus, dass die Pflegezimmer mit höhenverstellbaren Betten und die Badezimmer mit Hockern ausgestattet sind. Außerdem müssen Pflegekräfte wissen, in welchem Maß sie die eigene physische Belastung reduzieren können, wenn sie gezielt auf ihre Körperhaltung achten. Auch ist es wichtig, alte Glaubenssätze zu verändern, wie z. B., dass die konsequente Höhenanpassung der Pflegebetten zu viel Zeit in Anspruch nehme. Hierbei handelt es sich häufig um eine Fehleinschätzung, denn heutige elektrische Pflegebetten (inkl. 75 kg Last) lassen sich im Durchschnitt mit einer Geschwindigkeit von 1,5 cm pro Sekunde hochstellen. Danach dauert das einmalige Hochstellen des Pflegebettes von Knie- auf Leistenhöhe (im Mittel 35 cm bei Frauen) weniger als eine Minute. Würden also Altenpflegekräfte, die im Durchschnitt 6,2 Grundpflegen pro Frühdienst durchführen, bei jeder Grundpflege das Bett auf ihre Leistenhöhe stellen, müssten sie lediglich 5,5 Minuten pro Frühdienst investieren, um einen Großteil der Zeit in aufrechter Haltung zu arbeiten.

Für die Grundpflege im Bad sollte insbesondere bei der Versorgung der Patienten-beine und -füße ein Hocker genutzt werden. So müssen sich die Pflegekräfte weder im Stehen stark nach unten beugen, noch vor dem Patienten auf dem Boden knien, was besonders für ältere Pflegekräfte problematisch sein könnte; auch aus hygienischer Sicht ist diese Arbeitsweise nicht ganz un-bedenklich. Sitzt die Pflegekraft hingegen auf einem Hocker, entsteht hier noch ein wunderbarer Nebeneffekt: Sie begegnet dem Patienten auf gleicher Augen- und Ohrenhöhe und dies führt besonders bei älteren Menschen, deren Seh- und Hörfähigkeit oft eingeschränkt ist, zu einer verbesserten Kommunikationsmöglichkeit. 

Literatur

Borg G: Psychophysical scaling with applications in physical work and the perception of exertion. Scand J Work Environ Health 1990; 16 (Suppl. 1): 55–58.

Ellegast R, Hermanns I, Schiefer C et al.: Workload assessment in field using the Ambulatory CUELA System. In: Duffy VG (ed.): Digital human modeling. Vol. 5620. Berlin: Springer, 2009, pp. 221–226.

Freitag S, Fincke-Junod I, Seddouki R et al.: Frequent bending – an underestimated burden in nursing professions. Ann Occup Hyg 2012; 56: 697–707.

Habibi E, Pourabdian S, Atabaki AK, Hoseini M: Evaluation of work-related psychosocial and ergo-nomics factors in relation to low back discomfort in emergency unit nurses. Int J Prev Med 2012; 3: 564–568.

Wilke H, Neef P, Caimi M, Hoogland T, Claes LE: New in vivo measurements of pressures in the inter-vertebral disc in daily life. Spine 1999; 24: 755–762.

    Für die Autoren

    Dr. Sonja Freitag, PhD

    Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW)

    Grundlagen der Prävention und Rehabilitation

    Pappelallee 33/35/37

    22089 Hamburg

    sonja.freitag@bgw-online.de

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