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Gefährdungsbeurteilung und Mutterschutz

Zytomegalie

Das gut besuchte „Arbeitsmedizinische Forum – Infektiologie im Fokus“, das Ende März in Hamburg stattfand, bot viele Anregungen zum Thema Gefährdungsbeurteilung und Mutterschutz. Besonders nachdenklich stimmte der Vortrag von Prof. Dr. Jörg Steinmann vom Labor Dr. Fenner & Kollegen zum Thema Zytomegalie. Dr. Sabine Müller-Bagehl vom Amt für Arbeitsschutz rief zu einer sorgfältigen Durchführung der Gefährdungsbeurteilung auf.

Das humane Zytomegalievirus (HCMV) oder Humane Herpesvirus 5 (HHV 5) ist ein relativ großes behülltes, doppelsträngiges DNA-Virus mit einer Lipidhülle ( Abb. 1). Es gehört zur Gruppe der Herpesviridae und verbleibt – wie alle Herpesviren – nach der Erstinfektion lebenslang im Körper. Es wurde in den fünfziger Jahren entdeckt und ist weltweit verbreitet.

Bis zu 20 % der Kleinkinder in Betreuungseinrichtungen sind mit HCMV infiziert

Die Durchseuchung mit dem Virus beträgt in den westlichen Industrieländern etwa 40–80 %, in Entwicklungsländern sogar bis zu 100 %. Die Verbreitung korreliert mit der Bevölkerungsdichte und den Lebensumständen. In Hamburg beispielsweise beträgt die CMV-Seroprävalenz laut Analysen des Labors Dr. Fenner 52 % der getesteten Seren. In Betreuungseinrichtungen sind 20 % der Kleinkinder bis zu drei Jahren infiziert und scheiden das Virus monate- oder jahrelang mit dem Urin oder Speichel aus.

Aus einer Erstinfektion resultiert keine Immunität. Eine Re-Infektion ist möglich. Das Virus verbleibt lebenslang im Körper und ist bei Erwachsenen noch Wochen nach einer Erkrankung in Speichel oder Urin nachweisbar. Während der Schwangerschaft infizierte Kinder scheiden das Virus oftmals jahrelang aus und bilden auf diese Weise eine latente Gefahr für andere Kinder oder erwachsene Kontaktpersonen.

Die Erstinfektion verläuft bei Erwachsenen mit stabilem Immunsystem in den meisten Fällen mild oder vollkommen unbemerkt. Erwachsene mit einem geschwächten Immunsystem können (nach Organtransplantation, bei Tumorerkrankungen oder Infektion mit dem AIDS-Virus) einen schweren Krankheitsverlauf erleiden. Nach Organtransplantation wird bei mehr als der Hälfte der Patienten eine Vermehrung des Virus im Blut festgestellt. Betroffen sind Lunge, Leber, Augen und der Magen-Darm-Trakt. Ist das Abwehrsystem hochgradig gestört, kann es zu einem letalen Verlauf kommen.

Die Gefahren einer Zytomegalie- Infektion in der Schwangerschaft werden oft unterschätzt

Etwa 1–2 % der Frauen infizieren sich während der Schwangerschaft das erste Mal mit dem Virus; 1–2 % der werdenden Mütter, die das Virus bereits in sich tragen, machen eine erneute Infektion durch.

Die Gefahren einer Zytomegalie-Infektion in der Schwangerschaft sind wenig bekannt und werden weithin unterschätzt. So ist ein CMV-Test während der Schwangerschaft nicht obligatorisch, und die Kosten werden von der Krankenkasse nicht übernommen.

Die Übertragung erfolgt über Körperflüssigkeiten. Säuglinge CMV-positiver Mütter infizieren sich durch die Muttermilch. Kind-zu-Kind-Infektionen erfolgen häufig über den Speichel. Die Infektion von einem infizierten Kind auf die Mutter oder die Erzieherin im Kindergarten erfolgt oft über Speichel oder Urin.

Das Risiko einer transplazentaren CMV-Infektion besteht unabhängig vom Serostatus der Mutter vor der Schwangerschaft. Aber: Nur Neugeborene primär infizierter Mütter sind symptomatisch. Das Risiko für Langzeitschäden ist bei Neugeborenen primär infizierter Mütter mindestens doppelt so hoch.

Für CMV-seronegative Schwangere gelten in Deutschland folgende Zahlen:

  • 1–8 % Primärinfektion in der Schwangerschaft,
  • davon 32 % transplazentare fötale Infektion,
  • 10–18 % davon symptomatisch bei der Geburt,
  • davon 10 % Letalität,
  • 50 % Langzeitschäden.

Bei Zytomegalie-positiven Schwangeren kann es auch zu einer Reaktierung oder Superinfektion während der Schwangerschaft kommen. In diesen Fällen erfolgt in 1,4 % eine transplazentare Infektion, die Säuglinge sind bei der Geburt fast immer asymptomatisch, in 8 % bestehen Langzeit-schäden.

Die konnatale Infektion mit dem humanen Zytomegalievirus (HCMV) ist auch in Deutschland mit 0,2 % der Neugeborenen die häufigste angeborene Infektionskrankheit. 18 % dieser Kinder erleiden neurologische Langzeitschäden. Professor Steinmann nannte folgende Zahlen für 2011:

  • 662 685 lebendgeborene Kinder in Deutschland,
  • ca. 1325 Kinder mit CMV-Infektion und
  • 239 Kinder mit Langzeitschäden.
Über Antigene kann das Virus direkt nachgewiesen werden

Nachweisverfahren ist der Antikörper-nachweis im Blut. IgM spricht für eine frische Infektion, IgG bleibt nach der Erstinfektion lebenslang positiv. Ein positives IgG zeigt bei einem Neugeborenen nur die Infektion der Mutter an, da die Antikörper die Plazenta passieren. Die Infektion muss damit nicht zwingend auf die Mutter übertragen worden sein. Das IgM kann die Plazenta nicht passieren und weist auf eine frische Infektion des Neugeborenen hin. Ein direkter Nachweis ist über Antigene möglich. Es steht eine Polymerasekettenreaktion (PCR) zur Verfügung und der sog. Pp65-Test, der das spezifische Antigen in Lymphozyten sichtbar machen kann. Therapeutisch stehen Virostatika zur Verfügung: Foscarnet, Ganciclovir, Valaciclovir und Valganiclovir sowie Aciclovir. Die Behandlung ist mit häufigen Nebenwirkungen verbunden und in der Schwangerschaft nur im Rahmen von Studien angezeigt. Eine neuere Möglichkeit ist die Behandlung mit spezifischen Antikörpern. Diese Hyperimmunglobuline sind gegen Bestandteile der Virushülle gerichtet, binden freie Zytomegalieviren und verhindern so die Ausbreitung der Erkrankung. Derzeit ist die Therapie in der Schwangerschaft nur als „off-label use“ und im Rahmen von Studien möglich.

In Betreuungseinrichtungen oder Kinder-krankenhäusern sollte generell auf folgende Hygieneregeln geachtet werden:

  • Nach Windelwechsel, Füttern, Baden, Nase putzen und Berühren von Spielzeug sollte man seine Hände mit Seife unter warmen Wasser waschen.
  • Die gemeinsame Nutzung von Gebrauchsspielzeug wie Tassen, Handtücher etc. sollte vermieden werden.
  • Die Kinder sollten nicht auf Mund oder Wange geküsst werden.
  • Gegenstände und Oberflächen, die mit Urin oder Speichel der Kinder in Kontakt gekommen sind, sollten anschließend gereinigt werden.

Viele dieser Hygienemaßnahmen sind im Alltag allerdings schwer umzusetzen.

Wertvolle Informationen bietet noch immer das von Gisela Enders herausgegebene Buch „Infektionen in der Schwangerschaft“. Weiterhin gibt es eine Stellungnahme zur Zytomegalievirus-Infektion in der Schwangerschaft des Fachausschusses „Virusinfektion und Schwangerschaft“ als gemeinsame Empfehlung der deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Infek-tionskrankheiten (DVV e. V.) und der Gesellschaft für Virologie (GfV e. V.) (s. „Weitere Infos“).

Ein generelles Beschäftigungsverbot für Schwangere sollte sorgfältig ab- gewogen werden

Frau Dr. Müller-Bagehl vom Amt für Arbeitsschutz in Hamburg wies beim Arbeitsmedizinischen Forum darauf hin, dass die Gefährdungsbeurteilung für Kindertagesstätten oder Kinderkliniken sorgfältig erstellt werden sollte. Unreflektiert ausgesprochene Tätigkeitsverbote seien problematisch und würden eine Benachteiligung der betroffenen Frauen darstellen.

Generell seien zunächst mögliche Schutz-maßnahmen wie das Tragen von Handschuhen oder Kittel bei der Pflege der Kinder auszuschöpfen. Bei Zytomegalie-negativen schwangeren Ärztinnen oder Pflegerinnen in der Neonatologie, Intensivmedizin, auf Stationen mit Schwerstkranken und mit Kontakt zu bekannten CMV-Ausscheidern, auf hämatologisch-onkologischen Stationen sowie in der Geburtshilfe sei der Einsatz zu prüfen. Bevor ein generelles Beschäftigungsverbot im Umgang mit Kindern unter drei Jahren ausgesprochen werde, sollten mögliche Gefährdungen und entsprechend vorbeugende Maßnahmen in der gewohnten Weise festgelegt werden. Ein systematisches generelles Beschäftigungsverbot be-deute gerade für schwangere Ärztinnen eine Benachteiligung, beispielsweise bei ihren Weiterbildungsmöglichkeiten, und sollte deswegen nur nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände im Einzelfall nach einem Gespräch mit der Schwangeren ausgesprochen werden.

In Kliniken sei der Infektionsstatus der Kinder häufig bekannt. Bei seronegativen Kindern ist der Umgang der Schwangeren mit dem Kind unproblematisch. In der Neonatologie ist der Infektionsstatus der Mutter häufig durch eine Urinprobe bekannt. Bei Negativität liege sicher keine Infektion des Neugeborenen vor. Diese Neugeborenen könnten problemlos von Schwangeren betreut werden. In der Anästhesie sei die Narkose auch bei kleinen Kindern selbst bei unbekannten Immunstatus möglich, da ausreichende Schutzmöglichkeiten wie das Tragen doppelter Handschuhe möglich sind.

Seronegative Erzieherinnen in Einrichtungen zur Betreuung von überwiegend unter dreijährigen Kindern und Tätigkeiten, die mit Kontakt zu Urin/Speichel der Kinder (Windeln, Spielzeug) verbunden sind, sollten möglichst in einen anderen Bereich mit größeren Kindern versetzt werden oder Verwaltungstätigkeiten übernehmen. 

Literatur

Enders G: Infektionen und Impfungen in der Schwangerschaft, 2. Aufl. München: Urban & Fischer, 2009.

    Weitere Infos

    Stellungnahme zur Zytomegalievirus-Infektion in der Schwanger-schaft (DVV e. V./GfV e. V.)

    http://www.dvv-ev.de/FachausKommis/FachausVirusinfektionSchwangerschaft/Anl1VirusinfSchwaStellgnCMV31109.pdf

    Autorin

    Dr. med. Jutta Kindel

    Fachärztin Innere Medizin/Arbeitsmedizin

    Berner Weg 16b

    22393 Hamburg

    jutta.kindel@gmx.de

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