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Herausforderungen und Relevanz für eine Public-Health-Strategie in Deutschland

Globale Gesundheit

Im Jahr 2017 führte die schwedische Organisation Gapminder eine Studie zu Fehleinschätzungen über grundlegendes Wissen über die Welt und die weltweite Verteilung von Gesundheit und Krankheit durch. In zwölf Ländern wurden dazu mehrere Tausend Personen befragt. Die Ergebnisse sind schockierend: Die Annahmen über Entwicklungen in globaler Gesundheit werden von den meisten Befragten fundamental falsch eingeschätzt.

Ein Beispielfrage: Wie viele der einjährigen Kinder auf der Welt sind derzeit gegen mindestens eine Krankheit geimpft? Ungefähr 80 %, ca. 50 % oder ca. 20 %? Nur etwa 10 % der Befragten wählten die richtige Antwort: Ungefähr 80 % aller Kinder sind mindestens gegen eine Krankheit geimpft. Systematisch werden also die schlechtesten Antwortmöglichkeiten bevorzugt gewählt; auch wenn die Wirklichkeit und die Datenlage etwas ganz anderes aussagen (Gapminder 2017, s. „Weitere Infos“).

Vielen Menschen geht es schlecht, aber besser!

Bei genauerer Betrachtung der Datenlage ( Abb. 1), vor allem in einem Zeitverlauf, zeigt sich die globale Verbesserung des Gesundheitszustandes weltweit. Die Abbildung zeigt die Lebenserwartung und das Einkommen von 182 Nationen im Jahr 2015. Jede Blase stellt ein Land dar. Die Größe ist die Bevölkerung, die Farbe eine Region. Die Lebenserwartung steigt global betrachtet vor allem seit dem Jahr 2000 merklich an. Gleichzeitig steigt auch das Pro-Kopf–Einkommen – weniger Menschen leben heutzutage in Armut als noch im Jahr 2000. Überlebenschancen und Krankheiten sind jedoch zwischen und innerhalb von Ländern, zwischen städtischen und ländlichen Gebieten, zwischen Einkommens- und Altersgruppen und zwischen den Geschlechtern ungleich verteilt. So zeigt sich die Abhängigkeit von Armut und Lebenserwartung bei Ländern südlich der Sahara (hier in blau) besonders deutlich. In der Zentralafrikanischen Republik liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei 53 Jahren (WHO). In Deutschland beträgt sie 81 Jahre. Es hat in den vergangenen zehn Jahren zwar erhebliche Verbesserungen bei den Lebenserwartungen und den Lebensverhältnissen gegeben, besonders in Ländern mit geringem Einkommen. Dennoch gilt: Eine so niedrige Lebenserwartung wie in der Zentralafrikanischen Republik ist in den meisten Fällen auf eine hohe Kindersterblichkeit zurückzuführen. Dies ist wiederum ein Anzeichen von lückenhaften, schwer zugänglichen, ineffizienten Gesundheitssystemen, in denen Versorgungsleistungen in mangelnder Qualität angeboten werden. Menschen erhalten so nicht die Gesundheitsleistungen, die sie brauchen bzw. wann sie diese brauchen und gefährden damit ihr eigenes und gegebenenfalls auch das Leben anderer.

Die Abbildung zeigt auch, dass die Welt nicht mehr zweigeteilt ist. Die meisten Menschen leben nicht mehr in so genannten Entwicklungsländern (Level 1), sondern aufgrund von Entwicklungserfolgen in Schwellenländern (Level 2 und 3). Die Annahme, globale Gesundheit sei nur ein Thema für Entwicklungsländer, ist demnach falsch.

Fehlannahmen über Gesundheit und globale Zusammenhänge können zu Fehlentscheidungen führen, die die Gesundheit aller Menschen letztendlich mehr schadet als fördert. Daher ist die Auseinandersetzung mit der Verfügbarkeit und der Qualität von Daten unausweichlich.

Globale Gesundheit ist Gesundheit weltweit

Gesundheit ist ein Wert an sich; sie ist globales öffentliches Gut, Voraussetzung für und Auswirkung von Sicherheit, Stabilität und Wohlstand. Globale Gesundheit zielt auf den Schutz und die Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens für alle Menschen in jedem Alter und an allen Orten. Globale Gesundheit umschließt sowohl nationale als auch transnationale Gesundheitsthemen und erfordert eine multisektorale sowie interdisziplinäre Zusammenarbeit und Partnerschaft auf allen Ebenen (Koplan et al. 2009). Globale Gesundheit ist auch ein Thema der Agenda 2030 und den nachhaltigen Entwicklungszielen, die 2015 von den Vereinten Nationen beschlossen wurden. Darin ist auch ein Gesundheitsziel enthalten: Gesundheit und Wohlbefinden für alle Menschen in jedem Alter und an allen Orten (WHO: Sustainable Development Goals (SDG) 3: „Good Health and Well-Being“).

In Zeiten der Globalisierung können Gesundheit und Wohlbefinden heute nicht mehr nur in einem Land und durch staatliche Akteure allein gesichert werden. Durch den Klimawandel, die Mobilität von Menschen, Krankheitserreger und durch internationale Finanz- und Warenströme sind Krankheitsrisiken und Gesundheitschancen weltweit ungleich verteilt und immer miteinander verbunden. Zum Schutz vor Krankheiten sowie zur Gesundheitsförderung werden daher sowohl nationale als auch internationale Gesundheitsstrategien benötigt, die eng mit einander verschränkt sind (Voss u. Hunger 2018, s. „Weitere Infos“).

Deutschlands Strategie für Globale Gesundheit

Wie sehr globale Dimensionen von Gesundheit auch für Deutschland relevant sind, zeigt sich vor allem, aber nicht nur, durch grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren. In Erinnerung ist immer noch der Ebola-Fieber-Ausbruch im Jahr 2014/2015 in Westafrika. Aber auch aktuelle Meldungen über Impfgegnerinnen und -gegner in Deutschland und ein damit verbundenes Risiko von vermehrten Masernausbrüchen in Europa und weltweit sind Themen, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) alarmieren. Im Januar 2019 hat die WHO Impfgegner zusammen mit Klimawandelfolgen, Luftverschmutzung und dem Ebola-Virus als die größte Herausforderung für die Gesundheit der Menschen benannt. Gleichzeitig sind andere Länder in gesundheitsförderlicher Gesetzgebung Deutschland einen Schritt voraus. Großbritannien und Irland besteuern bereits stark zuckerhaltige Getränke, um Diabetes und Übergewicht entgegenzuwirken.

Wie sehr die Gesundheitspolitik in Deutschland von internationalen Bestrebungen entkoppelt ist, zeigt sich vor allem auf strategischer Ebene. Im Jahr 2013 veröffentlichte die Bundesregierung eine Strategie für globale Gesundheit (Bundesregierung 2013). Dabei werden drei Leitgedanken formuliert:

  • Schutz und Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland durch globales Handeln
  • Wahrnehmung globaler Verantwortung durch die Bereitstellung deutscher Erfahrungen, Expertise und Mittel
  • Stärkung internationaler Institutionen der globalen Gesundheit

Die Schwerpunkte der Strategie sind die wirksame Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren, die Stärkung von Gesundheitssystemen weltweit, der Ausbau intersektoraler Kooperationen, Gesundheitsforschung und Gesundheitswirtschaft sowie die Stärkung der globalen Gesundheitsarchitektur, vorrangig der WHO.

Während des Ebola-Fieber-Ausbruchs zu Beginn des Jahres 2015 wurde das Konzept der Bundesregierung mit einem Sechs-Punkte-Plan von Bundeskanzlerin Angela Merkel ergänzt:

  1. Bereitstellung von schnell einsetzbarem Gesundheitsfachpersonal
  2. Bereitstellung von medizinischem Material, das schnell in Krisengebiete gelangen kann
  3. Einrichtung eines Fonds mit schnell abrufbaren Hilfsmitteln
  4. Reformierung und Stärkung der WHO
  5. Stärkung von Gesundheitssystemen in anderen Ländern
  6. Vermehrte Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten

Mittlerweile gilt Deutschland als ein Vorreiter in globaler Gesundheitspolitik. Gesundheitsthemen werden verstärkt auf höchster politischer Ebene festgelegt, einschließlich der G7- und G20-Gipfel. Unter der Leitung des Gesundheitsministeriums und unter Beteiligung nichtstaatlicher Akteure richtet die Regierung nun ihre globale Gesundheitspolitik neu aus. Dies eröffnet das Potenzial, eine durchdachte und strategische Position innerhalb der globalen Gesundheitsarchitektur einzunehmen, wird jedoch nicht ohne Herausforderungen und die Notwendigkeit eines Veränderungsprozesses auch innerhalb Deutschlands auskommen.

Überfällige Neuausrichtung

Die Neuausrichtung der globalen Gesundheitspolitik ist notwendig, weil sich die Rahmenbedingungen seit der Verabschiedung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen geändert haben. Die neue Strategie muss die gesundheitsbezogenen nachhaltigen Entwicklungsziele sowie die Lehren aus dem Ebola-Ausbruch konsequent und kohärent berücksichtigen. Darüber hinaus müssen Deutschland und andere Länder ihre Anstrengungen verstärken, da Zweifel bestehen, ob die USA und das Vereinigte Königreich ihr gegenwärtiges Engagement im Bereich der globalen Gesundheit beibehalten werden. Die Neuausrichtung der Strategie ist daher überfällig. Anfang Juni 2018 begann ein Konsultationsprozess mit nichtstaatlichen Akteuren. Die Veröffentlichung einer neuen Strategie wird bis Ende 2019 erwartet.

Im Januar 2019 haben Public-Health-Akteure in Deutschland unter der Schirmherrschaft des Zukunftsforums Public Health begonnen, eine Public-Health-Strategie für Deutschland zu erarbeiten, die 2021 fertig gestellt werden soll. Diese verfügt, im Gegensatz zu der Global-Health-Strategie, noch nicht über die politische Unterstützung der Bundesregierung, sondern entsteht auf Druck der Akteure des öffentlichen Gesundheitsdienstes, dem Robert Koch-Institut, Universitäten und Fachhochschulen sowie Wohlfahrts- und Sozialverbänden. Schon während der Veranstaltung wurde deutlich, dass die Bevölkerungsgesundheit in Deutschland ausschließlich in Verbindung mit der Gesundheit der Menschen außerhalb Deutschlands und in planetaren Grenzen betrachtet werden muss. Der Health-in–al-policies-Ansatz der WHO (Gesundheit in allen Politikbereichen) kann dabei herangezogen werden (Weltgesundheitsorganisation 2013).

Synergien: Public Health und Global Health zusammenbringen

Die nachhaltigen Entwicklungsziele können als Rahmen und Werkzeug dienen und mit ihren Schnittstellen geeignete Ansatzpunkte für eine neue Public-Health-Strategie sein. Dabei können Interessengruppen zusammenkommen, die nicht notwendigerweise nur aus dem Gesundheitswesen stammen müssen. Oftmals haben Gesundheitsgewinne, aber auch Gesundheitsverluste, ihren Ursprung außerhalb des Gesundheitssektors. Es ist daher notwendig, Verflechtungen mit anderen Politikfeldern genau zu beachten. Dieser Ansatz wird von der WHO „health in all policies“ genannt. So wird es für eine Public-Health-Strategie notwendig sein, beispielsweise den öffentlichen Gesundheitsdienst auch mit Akteuren des Umwelt-, Bau- und Energiesektors stärker zusammenzubringen.

Zusätzlich müssen die eigenen Fehlannahmen über Gesundheit, besonders im globalen Kontext, hinterfragt werden. Globale Gesundheit ist immer auch die Gesundheit in Deutschland. Und Gesundheit in Deutschland ist immer auch für andere Länder relevant.

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Bundesregierung: Globale Gesundheitspolitik gestalten – gemeinsam handeln – Verantwortung übernehmen. Konzept der Bundesregierung. Berlin, 2013.

Koplan JP, Bond TC, Merson MH, Reddy KS, Rodriguez MH, Sewankambo NK, Wasserheit JN: Towards a common definition of global health. Lancet 2009; 373: 1993–1995.

    Weitere Infos

    Gampminder: The terrible results from the Misconception Study 2017

    https://www.gapminder.org/ignorance/gms/

    Voss M, Hunger I: Engagement für globale Gesundheit. Herausforderungen für eine strategische Neuausrichtung für Deutschland. SWP Aktuell 2018/A 56, Berlin

    https://www.swp-berlin.org/publikation/engagement-fuer-globale-gesundheit/

    Weltgesundheitsorganisation: Health 2020. A European policy framework and strategy for the 21st century. Geneva, 2013

    www.euro.who.int/en/health-topics/health-policy/health-2020-the-european-policy-for-health-and-well-being/publications/2013/health-2020.-a-european-policy-framework-and-strategy-for-the-21st-century-2013

    autorin

    Maike Voss

    Stiftung Wissenschaft und Politik

    Ludwigkirchplatz 3-4

    10719 Berlin

    maike.voss@swp-berlin.org

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