Zusammenfassung In Deutschland scheint das Risiko für Beschäftigte im Gesundheitswesen (BiG), an einer latenten Tuberkulose-Infektion (LTBI) zu erkranken, gering zu sein. Deshalb sollten nur enge Kontaktpersonen oder Personen mit einmaligen, aber intensiven Kontakten im Rahmen einer Vorsorge untersucht werden, da diese von einer Chemoprävention profitieren können. Eine regelmäßige Pflichtvorsorge ist nur für Risikobereiche wie in Tuberkuloseabteilungen und Laboren mit regelmäßigem Kontakt zu infektiösen Patienten/Materialien vorgesehen. Durch die Änderung der ArbMedVV (Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge) ist dabei auch nur noch die regelmäßige Beratung Pflicht. Der Beschäftigte kann selbst entscheiden, ob er einer Untersuchung zustimmt. Bei der Interpretation von Untersuchungsergebnissen müssen darüber hinaus auch Informationen zu bekannten Risikofaktoren (Alter, Migration etc.) berücksichtigt werden. Dies hat den Vorteil, dass nun eine risikoadaptierte Vorgehensweise in Absprache mit aufgeklärten Beschäftigten möglich ist. Bei seriellen Testungen in jährlichen oder mehrjährigen Abständen dieser Gruppe ist durch die Variabilität der IGRA (spezifischer Interferon-gamma-Release-Assay) die Annahme einer Grauzone von 0,2 bis
Infektionsrisiko im Gesundheitswesen
In Ländern wie Deutschland verminderte sich im Zuge des Rückgangs der TB-Inzidenz auch das Risiko einer beruflich bedingten TB-Infektion bei Beschäftigten im Gesundheitswesen. Trotz des Anstiegs der TB-Inzidenz um 29 % von 2014 (5,6/100 000 Einwohner) auf 2015 (7,3/100 000 Einwohner) gehört Deutschland weiterhin zu den Niedriginzidenzländern (Brodhun et al. 2016). Allerdings scheint trotz niedriger TB-Inzidenz weiterhin eine Gefährdung durch die Tätigkeit im Gesundheitswesen in Ländern mit hohem Einkommen und mit hohen Hygienestandards zu bestehen (Seidler et al. 2005; Nienhaus et al. 2013). Es erkranken in Deutschland pro Jahr immer noch etwa 70–90 BiG (Zahlen der BGW) an einer aktiven TB. Die Prävention nosokomialer TB-Infektionen ist daher nach wie vor ein wichtiger Aspekt im Gesundheitswesen.
In Deutschland wird das TB-Screening von BiG durchgeführt, um eine nosokomiale Übertragung auf Patienten und Kollegen zu verhindern und eine frische LTBI zu erkennen und zu behandeln (Jensen et al. 2005). Entsprechend der ArbMedVV (2013) wird ein TB-Screening routinemäßig als wiederholtes Screening von BiG durchgeführt, die regelmäßig Kontakt mit kontaminiertem Material oder Patienten mit akuter TB haben (Pflichtvorsorge). Abgesehen davon werden BiG untersucht, wenn sie (nachweislich, auch einzeitigen) Kontakt zu TB-Patienten hatten (Angebotsvorsorge). Es wird empfohlen, die arbeitsmedizinische Vorsorge entsprechend des Ablaufschemas der Umgebungsuntersuchung ( Abb. 1) nach den Empfehlungen des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK; Diel et al. 2011) durchzuführen. In diesem Fall kann die Angebotsvorsorge nach ArbMedVV die Umgebungsuntersuchung nach dem Infektionsschutzgesetz ersetzen. Andersherum geht es allerdings nicht. Die Umgebungsuntersuchung des Gesundheitsamtes kann eine Angebotsvorsorge, die der Arbeitgeber veranlassen muss, nicht ersetzen.
Lange Zeit wurde für die arbeitsmedizinische Vorsorge der Tuberkulin-Hauttest (THT) bzw. der Stempeltest (Tine-Test) verwendet. Seit 2004 sind die spezifischeren Interferon-gamma-Release-Assays (IGRA) verfügbar: der ELISA-basierte QuantiFERON Gold in tube (QFT) und der ELISPOT-basierte T.SPOT.TB. Da die neueren IGRA-Tests, genau wie der THT, nicht zwischen einer latenten Tuberkulose-Infektion (LTBI) und einer aktiven Tuberkulose unterscheiden können, muss bei einem positiven IGRA-Testergebnis eine aktive Tuberkulose durch ein Röntgen der Lunge ausgeschlossen werden, bevor die Diagnose LTBI gestellt werden kann.
Im Folgenden werden Ergebnisse des TB-Betriebsärzte-Netzwerks der BGW vorgestellt. Das TB-Betriebsärzte-Netzwerk wurde aufgebaut, um die Ergebnisse der TB-Screenings von BiG mit den neuen IGRAs entsprechend der ArbMedVV systematisch zu sammeln und zu bewerten. Aktuell gehören dem Netzwerk rund 40 Betriebsärzte an. Die nachfolgend dargestellten Ergebnisse beruhen auf 3823 Untersuchungen. Dargestellt werden insbesondere die Prävalenz und Inzidenz der LTBI bei BiG, die Risikofaktoren für ein positives IGRA-Ergebnis sowie der Einfluss einer Grauzone auf die Variabilität der IGRA-Ergebnisse beim seriellen Testen. Ausführlichere Informationen zu Methode und Vorgehen finden sich bei Schablon et al. (2014).
Prävalenz der Latenten Tuberkulose-Infektion (LTBI)
Von den Betriebsärzten wird überwiegend der QFT verwendet. Der QFT-Test ist positiv bei einem Ergebnis über dem Cut-off-Wert von 0,35 IU/ml. Die Prävalenz positiver Ergebnisse beträgt 7,2 % (318/3823). Mit dem Alter steigt die Prävalenz positiver QFT-Ergebnisse auf über 20 % ( Tabelle 1). Bei BiG mit Migrationshintergrund konnten im Vergleich mit deutschstämmigen BiG (6,9 %) höhere LTBI-Prävalenzen von 16,3 % festgestellt werden (Schablon et al. 2014). Dies entspricht Ergebnissen anderer Autoren. So fand sich z. B. bei der Testung von 134 ausländischen Studenten aus Mittel- und Hochinzidenzländern an der Uni Lübeck eine deutlich höhere Prävalenz positiver QFT-Tests von 9,7 % im Vergleich zu 2,7 % bei BiG unter 25 Jahren (Gallegos et al. 2016).
Ein positives QFT-Ergebnis ist abhängig von Alter, TB-Anamnese des Probanden, Herkunft und dem Arbeitsplatz. Die Prävalenz eines positiven QFT-Ergebnisses war mit einer Tätigkeit auf Stationen mit potenziellem Kontakt zu TB-Patienten assoziiert, z. B. Infektionsstationen (OR 1,76 95 %-KI 1,04–2,97), Radiologie/Labor/Pathologie (OR 2,35 95 %-KI 1,41–3,89), aber auch Abteilungen mit unbekannten Kontaktpersonen wie z.B. der Geriatrie (OR 1,99 95 %-KI 1,21–3,25) im Vergleich zu Arbeitsbereichen ohne Risiko (Schablon et al. 2014).
IGRA-Variabilität bei wiederholtem Testen und Interpretation der Ergebnisse
Im Rahmen des TB-Betriebsärzte-Netzwerks wurde bei 817 BiG nach einem Jahr ein zweiter QFT-Test durchgeführt. Von den doppelt getesteten BiG waren 721/742 Personen konstant QFT-negativ (97,2 %) und 47/75 konstant QFT-positiv (62,7 %). Eine Konversion wurde bei 2,8 % (n = 21/742) beobachtet. Eine Reversion trat bei 37,3 % der BiG mit einem positiven ersten QFT-Ergebnis (28/75) auf. Die Wahrscheinlichkeit einer Konversion und Reversion hing dabei von der Interferon-Konzentration des ersten QFT-Ergebnisses ab. Eine Konversion fand sich bei 2,6 % der BiG mit einer Baseline-Interferon-gamma-Konzentration an der Untergrenze von 0,1 IU/ml. Dieser Prozentsatz erhöhte sich jedoch auf 6,0 % bei BiG mit einer INF-Konzentration von 0,2–0,34 IU/ml. Eine Reversion trat bei 64,7 % der BiG mit einer IFN-Konzentration im Bereich von 0,35–0,5 IU/ml auf. Eine ähnliche Reversionsrate fand sich auch für IFN-Konzentrationen > 0,5 bis 0,7 IU/ml. Erst bei höheren Werten sank die Reversionsrate. Sie betrug 37,5 % bei einer Ausgangskonzentration von 1–3 IU/ml und 5,2 % mit einer Ausgangskonzentration > 3 IU/ml. Für die Interpretation der Variabilität wird daher anstelle der dichotomen Definition die Annahme einer Grauzone empfohlen. Hier stellte sich der Bereich von 0,2–0,7 IU/ml als sinnvoll heraus (Ringshausen et al. 2012). Wird die Definition von Konversionen und Reversionen auf die Probanden mit einer Baseline- und Follow-up-Konzentration des QFT-Ergebnisses außerhalb der Grauzone von 0,2–0,7 IU/ml begrenzt, sinkt die Konversionsrate auf 1,2 % (n = 8) und die Reversionsrate verringert sich auf 18,8 % (n = 9; Schablon et al. 2014).
Basierend auf diesen Ergebnissen wird empfohlen, BiG mit Testergebnissen innerhalb der festgelegten Grauzone nicht für eine präventive Chemotherapie in Betracht zu ziehen. Dies gilt allerdings nur für das serielle Testen bei BiG und keinesfalls für Personen, die vor einer Anti-TNF-alpha Therapie stehen oder bei engen Kontaktpersonen. Wegen der hohen Reversionsrate kann es auch bei einem QFT-Ergebnis über 0,7 IU/ml sinnvoll sein, vor einer Chemoprävention einen zweiten IGRA durchzuführen.
Vorgehen bei wiederholter arbeitsmedizinischer Vorsorge
Früher wurden BiG mit einem positiven THT-Ergebnis in ihrer Anamnese bei jedem neuen TB-Screening geröntgt. Die beobachteten hohen Reversionsraten sprechen dafür, dass ein solches Vorgehen, d. h. einmal IGRA-positiv führt immer zum Röntgen des Thorax in allen nachfolgenden Screenings, nicht gerechtfertigt ist. Da die Konversionsrate der BiG mit einem QFT-Ergebnis zwischen 0,2 und 0,35 IU/ml etwa 50 % beträgt, ist die Wahrscheinlichkeit einer frischen Infektion offensichtlich gering. Daher wird vorgeschlagen bei dieser Konstellation kein Thoraxröntgen durchzuführen. Das Gleiche gilt auch im Fall einer Reversion. Da die Wahrscheinlichkeit einer Reversion bei einem ersten QFT-Ergebnis zwischen 0,35 und 0,7 IU/ml ca. 50 % beträgt, scheint es ratsam zu sein, eine Grauzone von 0,2–0,7 IU/ml zur Interpretation der QFT-Ergebnisse zu verwenden, um Röntgen-Thoraxuntersuchungen bei positivem IGRA ohne klinische Symptome zu vermeiden. Zusätzlich sollten BiG mit einem früheren positiven IGRA-Ergebnis bei weiteren Vorsorgeuntersuchungen im Rahmen der ArbMedVV nach erneutem Kontakt oder entsprechend der Pflichtvorsorge alle drei Jahre erneut mit dem IGRA getestet werden, da die Wahrscheinlichkeit einer Reversion hoch und unter diesen Umständen kein Röntgen-Thorax zum Ausschluss einer aktiven TB notwendig ist. Dieses Vorgehen kann den unnötigen Einsatz von Röntgen-Thoraxuntersuchungen beim seriellen Testen von BiG sinnvoll reduzieren (Schablon et al. 2014).
Literatur
Brodhun B, Altmann D, Fiebig L, Haas W, Robert Koch-Institut: Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2015. Berlin: RKI, 2016.
Diel R, Loytved G, Nienhaus A et al.: Neue Empfehlungen für die Umgebungsuntersuchungen bei Tuberkulose – Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose. Pneumologie 2011; 65: 359–378.
Gallegos Morales EN, Knierer J, Schablon A, Nienhaus A, Kersten JF: Latent tuberculosis infection prevalence among students with a migration background in Lübeck, Germany. Plos One, submitted 2016.
Jensen PA, Lambert LA, Iademarco MF, Ridzon R: Guidelines for preventing the transmission of Mycobacterium tuberculosis in health-care settings, 2005. MMWR Recomm Rep 2005; 54: 1–141.
Nienhaus A, Ringshausen FC, Costa JT, Schablon A, Tripodi D: IFN-gamma release assay versus tuberculin skin test for monitoring TB infection in healthcare workers. Expert Rev Anti Infect Ther 2013; 11: 37–48.
Ringshausen FC, Schablon A, Nienhaus A: Interferon-gamma release assays for the tuberculosis serial testing of health care workers: a systematic review. J Occup Med Toxicol 2012; 7: 6.
Schablon A, Nienhaus A, Ringshausen FC, Preisser AM, Peters C. Occupational screening for tuberculosis and the use of a borderline zone for interpretation of the IGRA in German healthcare workers. PLoS One 2014; 9: e115322.
Seidler A, Nienhaus A, Diel R: Review of epidemiological studies on the occupational risk of tuberculosis in low-incidence areas. Respiration 2005; 72: 431–446.
Für die Verfasser
Dr. med. P.H. Anja Schablon
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Competenzzentrum Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare)
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2017; 52: 38–40
Fußnoten
1 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Competenzzentrum Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen – CVcare
2 Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Abteilung Grundlagen der Prävention und Rehabilitation (GPR), Hamburg