Einleitung
Angesichts der zunehmenden Herausforderungen und Krisenbewältigungen hat es in den letzten Jahren an Zuspruch für den Öffentlichen Gesundheitsdienst nicht gemangelt. Die Ärzteschaft, aber auch Politiker aus Bund, Ländern und Gemeinden haben durch zahlreiche Beschlüsse und Veröffentlichungen dem Öffentlichen Gesundheitsdienst den Rücken gestärkt. Besondere Aufmerksamkeit hat im vergangenen Jahr der Beschluss der 89. Gesundheitsministerkonferenz der Länder erzielt, die im Juni in Rostock stattfand. Unter den zahlreichen Beschlüssen, die die 16 Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister der Bundesländer unter Federführung der damaligen Gesundheitsministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Brigit Hesse, und unter Beteiligung des Bundgesundheitsministeriums gefasst wurden, stand das Thema Öffentlicher Gesundheitsdienst im Mittelpunkt des Interesses und der Medien. Ohne Zweifel, angesichts der aktuellen Herausforderungen durch Epidemien und nicht zuletzt die Flüchtlingskrise, erhält der Öffentliche Gesundheitsdienst in der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion breite Anerkennung.
Vor dem Hintergrund des Präventionsgesetztes wird auch die Rolle des ÖGD für die Stärkung der Prävention in den nichtbetrieblichen Lebenswelten hervorgehoben. Während die Arbeitsmedizin und die Betriebsärzte durch die Stärkung der betrieblichen Gesundheitsförderung aufgewertet wird, gilt es, den ÖGD in Kitas und Schulen in seiner Rolle als regionaler Koordinator der Gesundheitsförderung zu stärken.
Die entscheidende Frage ist, ob der Öffentliche Gesundheitsdienst durch den Beschluss eine konkrete, nachhaltige und dauerhafte Stärkung erfährt oder ob auch diesmal die Forderungen angesichts der vielfältigen gesundheitspolitischen Interessen und begrenzter finanzieller Ressourcen, ungehört verhallen.
Gesundheitsministerkonferenz – Sprachrohr der Länder in der gesundheitspolitischen Willensbildung
Das entscheidende Gremium zur Koordinierung der Gesundheitspolitik in den Bundesländern sowie zur Artikulierung gesundheitspolitischer Forderungen gegenüber der Bundesregierung und dem Bundesgesundheitsministerium ist die jährlich stattfindende Gesundheitsministerkonferenz der Länder, die unter wechselndem Vorsitz eines Bundeslandes regelmäßig im Juni abgehalten wird. Die Konferenz wird in einem länger stattfindenden Prozess von den zuständigen Abteilungsleitern und Staatssekretären der Ministerien vorberaten und vorbereitet. Bei der diesjährigen Konferenz wurden mehr als dreißig Beschlüsse gefasst, von denen der Beschluss „für einen starken Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD)“ von der mecklenburg-vorpommerischen Gesundheitsministerin in den Mittelpunkt gerückt wurde und auch in der Berichterstattung in den Medien ein breites Echo erfuhr.
Unverzichtbare Rolle des ÖGD im Gesundheitswesen
In ihrem Beschluss betont die Gesundheitsministerkonferenz einleitend „die unverzichtbare Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes im Gesundheitswesen, die sich vom Gesundheitsschutz der Bevölkerung, der Gesundheitsförderung und Gesundheitsvorsorge bis zur Mitgestaltung und Mitwirkung bei der Gesundheitsversorgung erstreckt.“ Vor dem Hintergrund dieses breit angelegten Ansatzes ist die Gesundheitsministerkonferenz der Auffassung, „dass diese Rolle noch stärker gegenüber allen politischen Ebenen und den Akteuren der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen“ herausgestellt werden soll. Angesichts der komplexer werdenden Aufgaben, nicht zuletzt durch Globalisierung von Gesundheitsgefahren, dem demografischem Wandel und Flüchtlingsbewegungen, sieht die Gesundheitsministerkonferenz die Notwendigkeit, die Voraussetzungen für die Qualifizierung motivierter Fachkräfte zu verbessern.
ÖGD in Wissenschaft und Forschung und Lehre verankern
Basierend auf der Erkenntnis, dass das Themenfeld Öffentlicher Gesundheitsdienst im Rahmen der medizinischen Ausbildung eine untergeordnete Rolle spielt, spricht sich die Gesundheitsministerkonferenz dafür aus, dass Medizinstudierende bereits im Studium an das Thema herangeführt werden. Konsequenterweise wird auch der Bund aufgefordert, in der Approbationsordnung für Ärzte, das Thema Öffentliche Gesundheit zu verankern. Darüber hinaus sollen auch, durch klarstellende Änderungen in der Approbationsordnung, Medizinstudierende die Möglichkeit erhalten, den Öffentlichen Gesundheitsdienst praktisch kennenzulernen. Dies könnte beispielsweise durch die Anerkennung von Famulaturen und Teilen des Praktischen Jahres in den Gesundheitsämtern ermöglicht werden. Bislang ist das nur in sehr wenigen Ausnahmefällen möglich, eine flächendeckende Umsetzung wäre hier wünschenswert. Zur verbesserten Integration des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Lehre und Forschung, wird eine strukturelle Verankerung des Themengebietes „Öffentliche Gesundheit“ an Hochschulen empfohlen – in gemeinsamer Weiterentwicklung mit den Lehrstühlen für Public Health. Diese sollten – so die Gesundheitsministerkonferenz – sich stärker der operativen Themen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes annehmen. Die Bitte der Gesundheitsministerkonferenz an den Bund „einen Forschungsschwerpunkt Öffentlicher Gesundheitsdienst und Public Health“ im Rahmenprogramm Gesundheitsforschung aufzunehmen, könnte geeignet sein, eine Brücke zwischen den praktischen Anwendungen im Öffentlichen Gesundheitsdienst und der universitären Public-Health-Forschung zu schlagen.
Höherer Stellenwert bei Prävention und Gesundheitsförderung
Nachdem das Präventionsgesetz im Jahr 2015 nach mehreren parlamentarischen Anläufen vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde und seit Anfang 2016 in Kraft ist, bedarf die Rolle, die der Öffentliche Gesundheitsdienst in diesem Bereich einnimmt, noch einer Präzisierung. Die Gesundheitsministerkonferenz sieht den Öffentlichen Gesundheitsdienst aufgrund seiner in den Ländergesetzen festgeschriebenen Rolle als regionalen Koordinator in der Gesundheitsförderung und somit in einer aktiven Funktion bei der Umsetzung des Präventionsgesetzes. Dabei wird an die Partner der auf Landesebene abzuschließenden Rahmenvereinbarungen die Forderung gestellt, die Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes anzuerkennen, zu nutzen, zu unterstützen und somit geeignete Formen der Einbindung zu entwickeln. Konkret werden hierbei die Sozialversicherungsträger, bei der Umsetzung der Landesrahmenvereinbarung nach § 20 f SGB V, um Zusammenarbeit mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst aufgefordert. Dies erscheint insbesondere deshalb nachvollziehbar, da das Präventionsgesetz sich bekanntermaßen auf Regelungen des SGB V und damit dem Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung fokussiert. Insbesondere auf kommunaler und regionaler Ebene, müssten das Potenzial und die Stärken des Öffentlichen Gesundheitsdienstes genutzt werden.
Stärkere Bedeutung in der Gesundheitsversorgung
Der klassischen Rollenverteilung, dass der Öffentliche Gesundheitsdienst für den Gesundheitsschutz, aber nicht für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung verantwortlich ist, erteilt die Gesundheitsministerkonferenz eine eindeutige Absage. „Der Öffentliche Gesundheitsdienst kann und soll bei der Planung und Gestaltung regionaler Versorgungskonzepte eine aktive Rolle spielen“. Begründet wird dieses Rollenverständnis unter anderem mit der Kernkompetenz im Bereich Gesundheitsberichterstattung und das hierfür vorhandene Know-how. Besonders hervorgehoben wird dabei die Versorgung in ländlichen Regionen und sozialen Brennpunkten, die durch hohen Versorgungsbedarf und Verknappung von Leistungserbringern geprägt sind. Es wird darauf verwiesen, dass die Länder hierfür bereits legislative Maßnahmen ergriffen haben und die Einrichtung von sektorübergreifenden Gremien und zahlreiche Projekte zur regionalen Versorgungsplanung befördert haben. Hierbei werden insbesondere die kommunalen Entscheidungsträger in die Pflicht genommen, diese Entwicklung zu unterstützen. In diesem Zusammenhang wird auf die Notwendigkeit und Stärkung der aktiven und regelmäßigen Gesundheitsberichterstattung hingewiesen.
Fachkräftegewinnung für den Öffentlichen Gesundheitsdienst
Die Personalknappheit im Öffentlichen Gesundheitsdienst und in den Gesundheitsämtern hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verschärft. Die Tatsache, dass sich in den letzten fünfzehn Jahren die Zahl der in den Gesundheitsämtern tätigen Ärztinnen und Ärzte um mehr als ein Drittel reduziert hat, spricht eine deutliche Sprache. Eine Trendumkehr kann nur mit adäquaten finanziellen und personellen Ressourcen erfolgen. Deshalb erscheint es nur konsequent, wenn die Gesundheitsministerkonferenz konkrete Forderungen zur Verbesserung der tariflichen und besoldungsrechtlichen Regelungen für Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst, in Anlehnung an die Vergütung in Krankenhäusern, fordert. Zwischen dem Verdienst von Ärztinnen und Ärzten in Krankenhäusern und Ärztinnen und Ärzten in den Gesundheitsämtern klaffen Lücken von monatlich bis weit über 1000 €, je nach Qualifikation und Weiterbildungszeit. Diese an die Tarifpartner gerichtete Forderung wird begleitet von der Anregung an die kommunalen Träger des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, „durch angemessene Stellenpläne die erforderlichen Grundlagen für die Erfüllung der umfangreichen fachlich anspruchsvollen Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes zu schaffen“. An die Bundesärztekammer wird die Bitte gerichtet, Ausbildungszeiten im Öffentlichen Gesundheitsdienst auch für andere Facharztgruppen anzuerkennen. Schließlich sollten bei den Landesämtern und kommunalen Gesundheitsämtern über die regionalen Stellenpläne hinaus, Weiterbildungsstellen für Ärztinnen und Ärzte vorgehalten werden. Auch Famulaturen von Medizinstudierenden im Öffentlichen Gesundheitsdienst, werden in diesem Kontext als Möglichkeiten zur Personalgewinnung angesprochen.
Schließlich wird die Bundesregierung gebeten, die Personalausstattung im Öffentlichen Gesundheitsdienst in der amtlichen Statistik zu erfassen und die Datensätze mit den Ländern inhaltlich abzustimmen. Im Unterschied zu vielen anderen Statistiken der Gesundheitsberufe gibt es bislang eine solche bundesweite Erfassung für den Öffentlichen Gesundheitsdienst nicht.
Die Gesundheitsministerkonferenz ist sich offenkundig der Tatsache bewusst, dass ihre Forderung zur Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes der Mitwirkung und Unterstützung wesentlicher anderer Entscheidungsträger im Gesundheitswesen bedarf. Deshalb wird das Vorsitzland Mecklenburg-Vorpommern gebeten, den Beschluss der Innenministerkonferenz der Länder, der Kultusministerkonferenz der Länder, dem Bundesministerium für Gesundheit, der Bundesärztekammer, den Sozialversicherungsträgern, den kommunalen Spitzenverbänden, dem Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) für die tariflichen Rahmenbedingungen der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in einer besonderen Verantwortung zu zuleiten.
Stärkung des ÖGD – auch Rückenwind für Arbeitsmedizin und Betriebliche Gesundheitsförderung?
ÖGD und Arbeitsmedizin engagieren sich gleichermaßen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung, auch wenn sie in unterschiedlichen Lebenswelten agieren. Sie sollten sich dabei als Partner und nicht als Konkurrenten sehen. Die Tatsache, dass mit dem Präventionsgesetz den Krankenkassen aufgegeben wurde, für die Betriebliche Gesundheitsförderung und die Prävention in nichtbetrieblichen Lebenswelten die gleichen Fördersummen bereitzustellen, zeigt, dass der Gesetzgeber beiden Bereichen auf unterschiedlichen Arbeitsfeldern einen gleich hohen Stellenwert beimisst. Dabei gibt es durchaus Überschneidungen und Kooperationsmöglichkeiten etwa durch gemeinsame Aktionen zur Verbesserung des Impfschutzes. Hier sollten Arbeitsmediziner und ÖGD an einem Strang ziehen.
Vor diesem Hintergrund kann eine Stärkung des ÖGD durch alle Bundesländer, verbunden mit einer verbesserten finanziellen und personellen Ausstattung der Gesundheitsämter, auch Rückenwind für Arbeitsmedizin und betriebliche Gesundheitsförderung bedeuten. Länder und Kommunen für den Bereich des ÖGD sind ebenso wie die Verantwortlichen in den Betrieben gefordert, dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und in den nichtbetrieblichen Lebenswelten den erforderlichen Stellenwert beizumessen.
Literatur
Dragano N, Gerhardus A, Kurth B-M: Public Health – mehr Gesundheit für alle. Gesundheitswesen 2016; 78: 686–688.
Teichert U, Schoeller AE: Zur Lage der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2017; 52: 9–11.
Tinnemann P: GMK 2016 in Warnemünde fordert neue Perspektiven für den ÖGD. Blickpunkt Öffentliche Gesundheit 2016; 3: 32.
Info
Ausgehend von der Notwendigkeit zur Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, entwickelt die Gesundheitsministerkonferenz konkrete Forderungen,
- die Wissenschaft, Forschung und akademische Aus- und Weiterbildung für den Öffentlichen Gesundheitsdienst verbessern;
- die Einbindung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in die Bereiche Prävention und Gesundheitsförderung verankern;
- die Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes im Bereich der regionalen Versorgung stärken und
- die Voraussetzung für eine Fachkräftegewinnung verbessern sollen.
Weitere Infos
Beschluss der 89. Gesundheitsministerkonferenz
https://www.gmkonline.de/Beschluesse.html?id=416&jahr=
Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz – PrävG)
https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2015/0201-0300/282-15.pdf?__blob=publicationFile&v=1
Autorin
Dr. med. Ute Teichert, MPH
Leiterin der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen
Kanzlerstraße 4
40472 Düsseldorf