Einleitung
Seit Januar 2015 erfolgt die Betreuung der Bediensteten des Landes Brandenburg durch einen eigenen betriebsärztlichen Dienst, der stufenweise ausgebaut wird und in wenigen Jahren über vierzigtausend Beamte und Angestellte erreichen soll. Bei der ergonomischen Gestaltung der Arbeitsbedingungen, bei der Organisation der Ersten Hilfe, bei Schulungen oder bei der Lösung individueller gesundheitlicher Probleme am Arbeitsplatz ist der ärztliche Zugang zu berufstätigen Menschen aller Altersstufen gegeben. Die niedrigschwellige Erreichbarkeit des Betriebsarztes wird neben der arbeitsmedizinischen Vorsorge auch in betriebsärztlichen Sprechstunden gewährleistet. Im neu geschaffenen Betriebsarztzentrum decken vielfältige Möglichkeiten der apparativen Diagnostik ein breites Spektrum ab und ermöglichen eine fachlich fundierte individuelle ärztliche Beratung.
Die personellen und sachlichen Kosten für die umfassende betriebsärztliche Betreuung werden mit Ausnahme weniger privatärztlicher Leistungen vom Arbeitgeber, dem Land Brandenburg, getragen. Seit Anfang des Jahres erschließt das neue Präventionsgesetz explizit auch den nicht an der vertragsärztlichen Betreuung teilnehmenden Betriebsärzten die Möglichkeit, im Rahmen von separat abzuschließenden Verträgen allgemeine primärpräventive Leistungen zu Lasten der Krankenkassen (GKV) zu erbringen. So jedenfalls hat es der Gesetzgeber in das Sozialgesetzbuch V geschrieben (vgl. Infokasten).
Impfleistung durch den Betriebsarzt
Nicht unbekannt und immer wieder beklagt ist die Tatsache, dass zahlreiche Menschen in Deutschland keinen vollständigen Impfschutz haben. Im Rahmen der betriebsärztlichen Sprechstunde oder bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge fällt das nicht selten auf. Wie leicht wäre es auch für die GKV-Versicherten, wenn der Betriebsarzt neben der ohnehin stattfindenden Impfberatung statt auf den Hausarzt zu verweisen, die Auffrischung gegen Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten oder die Grippeschutzimpfung gleich selbst anbieten könnte, genauso wie er es bei den nicht gesetzlich Versicherten praktiziert?
Während es für Vertragsärzte z.B. auch mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ seit jeher eine Selbstverständlichkeit ist, von der STIKO empfohlene Impfungen und Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen über die Kassenärztlichen Vereinigungen abzurechnen, war die Abrechnung dieser zweifellos durch die GKV zu finanzierenden Leistungen (vgl. Schutzimpfungs-Richtlinie/SI-RL des GBA) für ausschließlich betriebsärztlich tätige Kollegen stets ein Problem.
Impfungen sind unbestritten eine effektive Präventionsmaßnahme. Der politische Wille ist mit dem nun endlich in Kraft getretenen Präventionsgesetz eindeutig: Alle geeigneten, an der Gesundheitsversorgung teilnehmenden Ärzte sollen sich aktiv an der Immunisierung der Bevölkerung beteiligen. Dazu zählen neben den niedergelassenen Ärzten insbesondere die Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens.
Betriebsärzte sind in jeder Hinsicht geeignet. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt ist die Prävention. Sie haben Kontakt zu Menschen im „besten Alter“, vor allem auch zu denen, die sich gesund fühlen und sich deshalb nicht in regelmäßiger hausärztlicher Betreuung befinden. Die Nachfrage bei den Beschäftigten ist groß – das zeigen erste Erfahrungen des betriebsärztlichen Dienstes in den Landesverwaltungen. Insbesondere betriebliche Grippeschutzimpfaktionen erfreuen sich großer Beliebtheit, weil sie für alle Beteiligten besonders zeiteffektiv sind.
Wie ist der Stand?
Nicht selten befriedigen Betriebsärzte auf alternativen Wegen (z.B. Selbstzahler, betriebliche Sponsoren) die Nachfrage nach allgemein empfohlenen Schutzimpfungen auch bei den gesetzlich Versicherten. Sie subventionieren damit die Krankenkassen und unterstützten tatkräftig deren Sicherstellungsauftrag. Dennoch erfuhren Betriebsärzte durch die zahlreichen Krankenkassen und deren Verbände nach eigenen Erfahrungen bislang keine nennenswerte Unterstützung. Über Kooperationen mit dem zuständigen Gesundheitsamt konnten zumindest die Impfstoffe für betriebliche Grippeschutzimpfaktionen beschafft werden.
Die Ausgrenzung der Betriebsärzte aus dem GKV-Leistungsbereich ist hierzulande nicht neu. Schon im Jahr 2010 war einer Anfrage des Autors bei der Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Krankenkassen im Land Brandenburg (ARGE) – ob denn für Betriebsärzte eine zentrale Abrechnungsstelle eingerichtet werden kann – eine Absage erteilt worden. Eine unmittelbare zentrale Abrechnung von Impfleistungen mit den Kostenträgern war nicht verhandelbar. Noch im März 2015 wurden einem solchen Anliegen vom GKV Spitzenverband keine Erfolgsaussichten eingeräumt. (s. Infokasten)
Umso mehr lag die Hoffnung in einer zeitnahen Umsetzung des neuen Präventionsgesetzes nach seinem Wortlaut. Die Antwort auf eine erneute Nachfrage bei der ARGE vom August 2015 kam zwar erst im Dezember 2015 – sie deutete aber schon Aktivitäten an: „ […] Derzeit werden – je nach Kassenart bundesweite – Konzepte zur verstärkten Einbeziehung von Betriebsärzten beraten, mit dem Ziel Mustervereinbarungen zu entwickeln […]“ Sobald diese vorliegen würden, käme man auf uns zu.
Einschlägige Rechtskommentare legen den Wortlaut so aus, dass “…die [im § 132e SGB V] genannten Leistungserbringer … keinen gesetzlichen Anspruch auf Abschluss entsprechender Verträge …“ haben (GKV-WSG BT-Drs. 16/4247 [KassKomm/Hess SGB V § 132e Rn. 3-9, beck-online]).
Fazit
Eigentlich sollte man glauben, dass die regelmäßige Einbeziehung der Betriebsärzte in die flächendeckende Versorgung mit Schutzimpfungen ein Selbstläufer sei, weil dies nicht nur vernünftig und gesundheitspolitisch zielführend, sondern auch kostengünstig ist. Die Realität sieht bislang leider anders aus. Sehen Vertragsärzte und KV unliebsame Konkurrenz am Topf der GKV? Fehlt es den Kassen an Vertrauen in die Betriebsärzte oder an Einblick in deren Tätigkeitsfeld? Bleibt zu hoffen, dass die Krankenkassen das enorme Potenzial der betriebsärztlichen Betreuung erkennen und bald Gesprächsbereitschaft signalisieren. Mittlerweile machen auch die Berufsverbände mobil, damit dieser Teil des Präventionsgesetzes nicht ins Leere läuft. Der VDBW wird an die zuständigen Ressorts herantreten – mit der Bitte um Unterstützung …
INFO
§ 132e SGB V – Versorgung mit Schutzimpfungen
(1) Die Krankenkassen oder ihre Verbände schließen mit Kassenärztlichen Vereinigungen, geeigneten Ärzten einschließlich Betriebsärzten, deren Gemeinschaften, Einrichtungen mit geeignetem ärztlichen Personal oder dem öffentlichen Gesundheitsdienst Verträge über die Durchführung von Schutzimpfungen nach § 20i Absatz 1 und 2. […]
§ 132f SGB V – Versorgung durch Betriebsärzte
Die Krankenkassen oder ihre Verbände können in Ergänzung zur vertragsärztlichen Versorgung und unter Berücksichtigung der Richtlinien nach §25 Absatz 4 Satz 2 mit geeigneten Fachärzten für Arbeitsmedizin oder den über die Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ verfügenden Ärzten oder deren Gemeinschaften Verträge über die Durchführung von Gesundheitsuntersuchungen nach §25 Absatz 1, über Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung, über Präventionsempfehlungen, Empfehlungen medizinischer Vorsorgeleistungen und über die Heilmittelversorgung schließen, soweit diese in Ergänzung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge erbracht werden
INFO
GKV Spitzenverband 20.03.2015: „… Generell ist die Schaffung vereinfachender Möglichkeiten für die Abrechnung von Impfleistungen wünschenswert… Eine Übernahme von Personal- und Sachmittelkosten im Zusammenhang mit Impfungen [z.B.] im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung nach § 20a SGB V ist […] nicht möglich. Auch nach dem vorliegenden Entwurf für ein Präventionsgesetz ist eine solche Möglichkeit nicht vorgesehen […].“
Weitere Infos
Schutzimpfungs-Richtlinie/SI-RL des GBA
Autor
Dr. med. Frank Eberth
Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit
KSG – Betriebsärztlicher Dienst
Postfach 90 02 36
14438 Potsdam