Ziel war es, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Thema Asbest nach den Helsinkikonferenzen in 1997 und 2003 zu aktualisieren.
Zu diesem Zweck wurden im Vorfeld 4 Arbeitsgruppen gebildet, die Arbeitspapiere zu folgenden Themen vorbereitet und bei der Konferenz vorgestellt haben.
- Arbeitsgruppe 1: Screening für asbestbedingten Lungenkrebs
- Arbeitsgruppe 2: Follow up-Untersuchungen von asbestexponierten Arbeitern und Diagnose gutartiger asbestbedingten Er-krankungen
- Arbeitsgruppe 3: Neue asbestbedingte Erkrankungen
- Arbeitsgruppe 4: Pathologie und Biomarker
Die wesentlichen Ergebnisse der 4 Arbeitsgruppen sollen im Folgen-den kurz zusammengefasst dargestellt werden:
Arbeitsgruppe 1: Screening von asbestbedingtem Lungenkrebs
Die amerikanische NLST-Studie hat bei Rauchern gezeigt, dass ein Lungenkrebsscreening mit der Niedrigdosisspiral-Computertomographie die Lungenkrebsmortalität senken kann. Es gibt keine hinreichende Evidenz, dass Screening oder Vorsorgeprogramme von Asbestarbeitern unter Einsatz der konventionellen Röntgentechnik die Lungenkrebsmortalität senken können. Es ist zu erwarten, dass auch asbestexponierte Personengruppen vom Einsatz der Niedrigdosisspiral-CT profitieren können. Die Arbeitsgruppe empfahl ein internationales Multicenterforschungsprojekt, um den Effekt von Niedrigdosisspiral-CT-Screening bei asbestexponierten Arbeitern auf die Lungenkrebsmortalität im Rahmen einer randomisierten Studie zu prüfen.
Folgende Gruppen werden für ein Screening empfohlen:
- 1) Arbeiter mit jeglicher Asbestexposition und Rauchgewohnheiten, die den Zugangskriterien zur NLST-Studie entsprechen (> 30 pack years).
- 2) Arbeiter mit Asbestexposition mit oder ohne Raucheranamnese, die zusammen ein geschätztes Risikoniveau für Lungen-krebs erreichen, die den Zugangskriterien zur NLST-Studie ent-sprächen.
Die Screeningaktivitäten sollten zentral organisiert werden einschließlich Qualitätskontrolle, zentrale Datenerfassung und Dokumentation von Nebenwirkungen wie auch eine Evaluation ökonomischer Aspekte.
Arbeitsgruppe 2: Follow-up von Asbestarbeitern und Diagnostik gutartiger Asbesterkrankungen
Die meisten Follow-up-Programme beinhalten eine Arbeitsanamnese, die Krankheitsvorgeschichte, Lungenfunktionstests und eine konventionelle Röntgenaufnahme. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Computertomographie in der Diagnostik wie auch im Screening ein sinnvolles Instrument darstellt. Es gibt wenige spezifische wissenschaftliche Evidenz, dass die Vorsorge mit konventioneller Röntgentechnik einen gesundheitlichen Nutzen bringt. Der mögliche Nutzen der Diagnose gutartiger asbestbedingter Erkrankungen beinhaltet sozialrechtliche Aspekte wie Kompensations-fragen, die Verminderung einer aktuellen Asbestexposition, die Beratung zum Rauchstopp sowie zu einer möglichen Impfung, die Früh-behandlung von Atemwegsinfekten und die Verbesserung des Wissens zu möglichen asbestbedingten Erkrankungen. Der mögliche Benefit muss abgewogen werden gegen die möglichen negativen Folgen der Strahlenexposition durch die Röntgenuntersuchung. Es wird empfohlen, dass aus sozialrechtlichen Gründen („medicolegal aspects“) asbestexponierten Arbeitern Vorsorgeuntersuchungen auch unabhängig vom o. g. Lungenkrebsscreening angeboten werden sollten. Hohe Priorität sollte auch Hochrisikogruppen gegeben werden, einschließlich Arbeitern, die sich bereits in Ruhestand befinden. Das Untersuchungsangebot sollte stratifiziert nach Expositionsintensität, Latenz und Dauer der Exposition erfolgen. Das Follow up-Angebot hochexponierter Asbestarbeiter sollte bis 30 Jahre nach Ende der Exposition erfolgen. Die Lungenfunktion sollte eine Spirometrie alle 3 bis 5 Jahre in Abhängigkeit von der Exposition und Alter enthalten. Die Messung der Diffusionskapazität könnte bei der ersten Untersuchung und bei Patienten mit Asbestose erfolgen. Eine wichtige Komponente der Untersuchung ist die Beratung, so dass betroffene Arbeiter sensibilisiert werden für Symptome oder Zeichen einer Atemwegserkrankung. Biomarker der Entzündung sind noch im Forschungsstadium, so dass hier mehr Studien notwendig sind. Bei Patienten mit einer Asbestose wird eine Grippe- und Pneumokokkenschutzimpfung empfohlen.
Im Hinblick auf die Diagnostik ist eine Computertomographie bei gutartigen asbestbedingten Erkrankungen sinnvoll, wenn in der konventionellen Röntgentechnik ein grenzwertiger Befund festgestellt und eine Diskrepanz zwischen der Lungenfunktion im Hinblick auf eine Restriktion und als normal interpretierte konventionelle Röntgenaufnahme beschrieben wird sowie ausgedehnte pleurale Veränderungen die Beurteilbarkeit des Lungenparenchyms auf der konventionellen Röntgenaufnahme beeinträchtigen. Die computer-tomographische Untersuchung sollte mit modernem Equipment unter Anwendung von Niedrigdosisprotokollen und Mehrzeilendetektortechnologie sowie mit hochauflösenden Rekonstruktionsalgorithmen durchgeführt werden. Für die Dokumentation der Veränderungen wird die Internationale CT-Klassifikation (ICOERD) empfohlen. Nach dieser Klassifikation werden als Mindestkriterium für die Diagnose einer Asbestose beidseitige irreguläre Verschattungen mindestens in den Unterfeldern der Gesamtstreuung von mehr 2–3 oder beidseitiges Honeycombing mit einer Gesamtstreuung von mehr als 2 empfohlen. Im Hinblick auf die Pleuraverdickungen werden nach Internationaler CT-Klassifikation alle sichtbaren Pleuraverdickungen klassifiziert. Die Differenzialdiagnose der Ätiologie hängt von den Vorerkrankungen und der Arbeitsanamnese ab.
Arbeitsgruppe 3: Neue asbestbedingte Erkrankungen
Untersucht wurden zunächst asbestbedingte Krebserkrankungen. Hinreichende Evidenz für eine Asbestverursachung wurde für Kehlkopfkrebs beschrieben. Das geschätzte relative Risiko für Kehlkopfkrebs würde 2 erreichen unter Bedingungen, in denen das relative Risiko für Lungenkrebs in einer asbestexponierten Population 2,8 wäre.
Es wird ebenfalls hinreichende Evidenz für die Verursachung von Ovarialkarzinomen durch Asbest beschrieben. Das geschätzte relative Risiko für Ovarialkarzinome würde 2 erreichen unter Bedingungen, in denen das relative Risiko für Lungenkrebs in einer exponierten Population ungefähr 1,7 wäre.
Keine hinreichende Evidenz wird für colorektale Karzinome und Magenkarzinome gesehen.
Weiterhin wurde die retroperitoneale Fibrose bewertet. Dazu gibt es in der Literatur Fallserien, die eine Assoziation mit einer Asbestexposition nahelegen. Eine retroperitoneale Fibrose kann dann als asbestbedingt angesehen werden, wenn im Einzelfall asbestbedingte pleurale und/oder parenchymale röntgenologische Veränderungen nachgewiesen werden können. Falls asbestbedingte Brückenbefunde nicht nachgewiesen werden, andere Risikofaktoren aber nicht festgestellt werden können, kann eine retroperitoneale Fibrose im Einzelfall ebenfalls als asbestbedingt angesehen werden.
Weiterhin evaluiert wurde der Zusammenhang zwischen Ventilationsstörungen und einer chronischen Atemwegsobstruktion. Das typische Muster der Lungenfunktionseinschränkungen ist primär restriktiv. Die Prävalenz klinisch signifikanter Lungenfunktionseinschränkungen bei Personen ohne asbestbezogene röntgenologische Veränderungen ist unklar. Es wird Forschungsbedarf gesehen, um die Determinanten von Lungenfunktionseinschränkungen bei asbestexponierten Personen, insbesondere Subgruppen ohne röntgenologische Veränderungen zu identifizieren. Restriktive oder gemischt obstruktiv/restriktive Muster von Ventilationsstörungen mit einer Einschränkung der FEV1 unter die untere Normgrenze sollten als asbestbedingt angesehen werden, falls eine Exposition dokumentiert ist und röntgenologisch pleurale oder parenchymale Befunde, die konsistent mit einer Asbestexposition sind, nachgewiesen werden können. Lungenfunktionseinschränkungen dieser Typen in Abwesenheit röntgenologischer asbestbedingter Veränderungen können nicht als asbestbedingt angesehen werden. Reine obstruktive Lungenfunktionseinschränkungen mit einer FEV1 im pathologischen Bereich können nicht als asbestbedingt angesehen werden.
Arbeitsgruppe 4: Pathologie und Biomarker
Es wird bekräftigt, dass alle Lungenkrebssubtypen infolge einer Asbestexposition auftreten können. In der neuen histologischen Klassifikation der Asbestose von Roggly et al. 2010 wird eine „Bronchialfibrose“ als asbestbedingte Atemwegserkrankung bezeichnet. Eine quantitative Faseranalyse in einem erfahrenen Labor wird empfohlen in Fällen mit einer idiopathischen Lungenfibrose mit UIP-Muster, wenn Pleuraplaques und/oder Asbestkörperchen in histologischen Schnitten nachgewiesen werden können oder wenn eine eindeutige Asbestanamnese vorliegt. Eine Diagnose einer Asbestose kann bei einer Lungenfibrose dann gestellt werden, wenn eine Faserkonzentration festgestellt wird, die vergleichbar ist zu Faserkonzentrationen, die in diesem Labor bei anderen Asbestosefällen festgestellt werden.
Für die histopathologische Diagnose des malignen Mesothelioms werden mindestens 2 positive mesotheliale und 2 negative karzinomatöse Marker empfohlen. Konkrete Marker werden nicht genannt, sondern die jeweiligen Laborerfahrungen sollten berücksichtigt werden. Marker sollten eine Sensitivität und Spezifität von wenigstens 80 % haben. Kein immunhistochemischer Marker alleine ist spezifisch für die Diagnose eines malignen Mesothelioms. Im Hinblick auf Biomarker für das Screening von Mesotheliomen wird festgestellt, dass derzeit kein Biomarker alleine hinreichend sensitiv und spezifisch für diagnostische Zwecke ist. Eine Kombination von Biomarkern in Pleuraflüssigkeiten ist möglicherweise sinnvoll für die Frühdiagnose. Eine Kombination von CCL2, Galektin-3 und löslisches Mesothelin (SMRP) kann zwischen malignen Mesotheliompatienten und Patienten mit metastatischem Adenokarzinom oder nicht malignem Pleuraerguss differenzieren. Auch spezielle Techniken (FISH) um eine homozygote Deletion von p16 (Ink2a) nachzuweisen ist vielversprechend zur Differenzierung gutartiger und maligner mesothelialer pleuraler Proliferationen. Einige dieser Marker könnten sinnvoll sein in der Therapie als follow up-Instrument.
Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass möglicherweise eine Kombination dreier chromosomaler Abnormalitäten auf die kausale Attribution von Lungenkrebserkrankungen zu Asbest hinweisen könnte. Zumindest ergab sich eine Dosis-Effektbeziehung zwischen der Faserzahl und bestimmten chromosomalen Auffälligkeiten. Weitere Studien sind notwendig um diesen Befund zu verifizieren.
Die Internationale Asbestkonferenz in Helsinki schloss mit einer sogenannten Helsinki-Declaration , in der wichtige Empfehlungen für die Primärprävention, die Regulation, die Vorsorge und Diagnostik, die Erfassung asbestbedingter Erkrankungen und der Forschungsbedarf formuliert wurde (siehe „Weitere Infos“). Als wesentlich erscheint, dass die Forderung für eine weltweites Asbestverbot und zwar aller Asbestformen formuliert wurde.
Weitere Infos
The Helsinki Declaration on Management and Elimination of Asbestos-related Diseases