Digitale Ansätze im Arbeitsschutz
Die Arbeitsstätten unterliegen auch in der Coronapandemie den Verpflichtungen aus den gesetzlichen Regeln des Arbeitsschutzes.Dabei kollidieren Rechte und Pflichten miteinander. Beim mobilen Arbeiten kann die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV/AStV) nicht eingehalten werden. Beim Homeoffice ist der direkte Zutritt durch das „Hausrecht“ (Grundgesetz [GG] Art. 13 [Deutschland] oder Staatsgrundgesetz über die Rechte der Bürger von 1867 (STGG) Art. 9 [Österreich]) nicht möglich. Wie lässt sich diese Problematik lösen?
In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat die elektronische Datenverarbeitung das gesellschaftliche Leben geradezu revolutioniert. Computergestützte Systeme sind nicht mehr wegzudenken. Im Arbeitsschutz haben sich bereits einige Elemente digital weiterentwickelt. Videokonferenzen, wie auch Vieraugengespräche, Beratungen, Präsentationen mit und ohne Arbeitsausschusssitzungen sind im Besonderen durch die Pandemie nachhaltig befördert und wurden in die Arbeitsschutzprozesse nachhaltig integriert. Studien (Dragano et al. 2019; s. auch „Weitere Infos“) zeigen einerseits die Akzeptanz, den Nutzen und die technische Machbarkeit, andererseits die Nachhaltigkeit der Digitalisierung, wonach der Modus auch vielerorts über die Pandemie hinaus bewahrt werden soll.
Welche Vorteile können realisiert werden?
Die Entwicklung ist auch ökologisch sinnvoll. Der mit Präsenztreffen verbundene verkehrstechnische Aufwand, die psychischen Stressoren (Termintreue, lange Fahrten, schwierigere „work-life-balance“ etc.) wie auch der Planungsaufwand nebst Rüstzeiten könnten durch den Einsatz moderner Kommunikationssysteme merklich minimiert werden. Der Datenschutz und die Rechtsgebung sind trotz allem vollumfänglich weiterhin zu beachten.
Technische Umsetzung nicht ganz so einfach
Während die gesprächsgetragenen Elemente in Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin durchaus einfach in den neuen Modus überführt werden können , liegt dies längst nicht für alle Situationen auf der Hand. Ein zentrales Element, die Begehung von Arbeitsstätten und- plätzen, , muss an dieser Stelle diskutiert, einer genaueren Betrachtung mit wissenschaftlichen Methoden unterzogen und letztlich strukturiert und standardisiert werden.
Wie kann solch eine digitale Begehung ablaufen? Vor einer Begehung müssen die Grunddaten erhoben und die Ortskenntnis hergestellt werden. Ein Probelauf zur Testung der Systeme ist zwingend. Datenschutz, Persönlichkeitsrechte und das generelle Einverständnis des Unternehmens sind zu gewährleisten. Für die Begehung müssen zwei Beobachtende vorhanden sein: Ein zentraler Beobachtender (ZeBe) beurteilt und dokumentiert ortsfern vor dem PC, beurteilt und dokumentiert; ein lokaler Beobachtender (LoBe) muss vorher ausgewählt und ins Thema eingeführt werden. Der LoBe muss zudem geeignet sein (Fähigkeit zur Passivität) und sich mit digitalen Medien auskennen, beispielsweise Sicherheitsbeauftragte (D)/Sicherheitsvertrauenspersonen (A).
Der Ablauf sollte immer in der gleichen Weise erfolgen, auch um Fehler zu vermeiden. Struktur und Standards der digitalen Begehung sind vorzugeben. Die oder der LoBe muss der Passivität verpflichtet sein, um keine Eigendynamik, losgelöst vom ZeBe, zu entfalten.
Die Dokumentation erfolgt durch die oder den ZeBe webgestützt.
Erfahrungen mit dem neuen Begehungsmodus
Erste Erfahrungen mit dem neuen Begehungsmodus zeigten bereits die wesentlichen Problemfelder auf:
Zwingende wissenschaftliche Evaluierung
Alle diese Aspekte müssen wissenschaftlich evaluiert werden, damit das Verfahren validiert werden kann. Es sind größere Fallzahlen und eine geeignete Vergleichsgruppe notwendig. Zurzeit erfolgt ein Setup in Deutschland und Österreich in einem wissenschaftlichen Setting- auch mit dankbarer Unterstützung der eingebundenen staatlichen Stellen des Arbeitsschutzes. Die bisherigen Erfahrungen sind ermutigend, sind aber jederzeit kritisch zu würdigen. Es wird in der Folge fortlaufend dazu berichtet werden.
Nutzenbewertung
Der Nutzen liegt auf der Hand. Die digitalen Begehungen ermöglichen den Arbeitsschutz auch in Pandemiezeiten. Unter genauerer Betrachtung werden die Vorteile offensichtlich. Während die Begehung der Räume der eigentlichen Arbeitsstätte uneingeschränkt mittels beider Modi (sowohl digital als auch mit physikalischer Anwesenheit) erfolgen kann und muss, kann im Homeoffice die oder der LoBe bestimmen, was gezeigt wird und was nicht. Damit ist der Datenschutz auch hier im höchsten Maße gewahrt.
Grenzen der Methode
Im digitalen Modus sind manche Gefährdungsfaktoren schwer, anders oder gar nicht zu erfassen. (z. B. Gerüche, Stimmungen etc.). Daher ist das Zusammenspiel der Begehungsformen zwingend.
Resümee
Zusammenfassend beschreibt die digitale Begehung einen Modus, der ermutigend ist, aber gleichermaßen weiterer wissenschaftlicher Begleitung bedarf. Keinesfalls genügt es, einfach ein Medium unkritisch einzusetzen. Die Reproduzierbarkeit würde leiden und damit die Brauchbarkeit und Akzeptanz des ganzen Verfahrens. Jetzt schon darf keine Alleinstellung antizipiert werden. Das Modell kann als sinnvolle Ergänzung zu etablierten Begehungswegen gesehen werden und auch als Erweiterung auf kleine und kleinste Unternehmen (KKU), die bis dato noch nicht betreut sind. Dies gilt auch für die Zeit nach der Pandemie. Auch die Ressource der Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner wird geschont, indem Rüstzeiten und Planungsaufwand deutlich reduziert werden können. Um eine Vergleichsgruppe zu realisieren, wird den lokalen Beobachtenden – rein in der Validierungsphase – eine oder ein eigenständig beurteilender, begleitender Beobachtender (BeBe) an die Seite gestellt. Die Resultate können somit „real time“ abgeglichen werden.
In Deutschland ist die Behördenakzeptanz im Lichte der Betriebsspezifik bereits gegeben. Für Österreich wird dies gerade angebahnt. Pilotprojekte in beiden Ländern laufen bereits an und die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet.
Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur
Dragano N, Wulf IC, Diebig M: Digitale Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. In: Fehlzeiten-Report. Berlin, Heidelberg:Springer, 2019, S. 111–125.
Weitere Infos
BG BAU bietet neue Web-App für digitale Gefährdungsbeurteilung
https://www.bgbau.de/mitteilung/web-app-digitgb/
ias-Gruppe: Wir pfeifen auf das Protokoll
https://www.ias-gruppe.de/magazin/wir-pfeifen-auf-das-protokoll
Remote Audit – Wie funktioniert die virtuelle Begehung?
https://www.umco.de/de/blog/artikel/Remote-Audit-Wie-funktioniert-die-v…
Virtuelle Dachbegehung – die digitale Gefährdungsanalyse für Ihr Dach
https://keesafety.de/aktuelles/virtuelle-dachbegehung-die-digitale-gefa…