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Gehörschäden

Akute Gehörschäden in der Arbeitswelt und im Wehrbereich

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Acute Hearing Damage in the Workplace and in the Military Sector

Einleitung

Im Gegensatz zur Entschärfung von Sprengstoff, die in Schutzausrüstung erfolgt, ist der Einsatz von Frauen und Männern der Polizei, der Bundeswehr oder der Feuerwehr unter Umständen nicht vorhersehbar und erfolgt daher meist ohne gesteigerte Schutz­ausrüstung, insbesondere ohne Gehörschutz. Knall und Explosion sind unter der Vielzahl von Schallereignissen durch ihre Ausprägung und ihren Zeitverlauf gekennzeichnet (Feldmann u. Brusis 2016; Fleischer u. Müller 2005). Die Stärke des Schalls hat zur Folge, dass das Medium sein lineares Verhalten verlässt und besondere akustisch-physikalischen Gesetze gelten. Nur bei umschriebenen Druckänderungen verhalten sich die Druck- und Dichteänderungen des übertragenden Mediums proportional zu den elastischen Eigenschaften der biologischen Strukturen. Bei Schalldruckpegeln (Sound Pressure Level, SPL) über 140 dB endet das Überwiegen harmonischer Wellen mit definierter, frequenzunabhängiger Ausbreitungsgeschwindigkeit sowie biologischen Strukturen und der Bereich reversibler Auslenkungen und Deformationen aus der Gleichgewichtslage wird verlassen, was strukturelle Schäden zur Folge hat (Pfander 1975; Cave et al. 2007). Es gibt mehrere Arten von akuten Gehörschäden (➥ Abb. 1).

Hintergrund

Das Explosionstrauma entsteht durch eine sehr starke Druckwelle, die länger als 3 ms dauert. Dabei kommt es in der Regel zu einer Trommelfellzerreißung. Das Explosionstrauma stellt in der Regel ein einmaliges Ereignis dar. Typische Situationen sind technische Unfälle mit Explosionen in chemischen Fabriken, Platzen von großen Druckbehältern oder großen Fahrzeugreifen, Sprengungen und Bomben- und Granateinschläge sowie Minenexplosionen. Die Druckwelle ist oft so stark, dass die Betroffenen zu Boden geschleudert werden. Zusätzliche Verletzungen durch einen Sturz sind dabei häufig.

Die Schäden können einseitig oder doppelseitig sein. Es besteht meist eine Trommelfellperforation in Form eines Risses mit zackigen Rändern; in den schwersten Fällen kann das Trommelfell auch wie ausgestanzt sein. Die Gehörknöchelchen können fakturiert oder luxiert sein, woraus eine Schallleitungsstörung resultiert. Das Innenohr kann in unterschiedlichem Ausmaß geschädigt sein. Die typische c5-Senke des Knalltraumas fehlt meist, dagegen findet sich häufig ein Steilabfall oder ein flacher Kurvenverlauf der Innenohrkurve. Insgesamt liegt eine kombinierte Schwerhörigkeit von Innenohr und Mittelohr vor (Feldmann u. Brusis 2016).

Dagegen entsteht ein Knalltrauma durch eine einmalige oder wiederholte Einwirkung einer sehr starken kurzen Schalldruckwelle, deren Druckspitze zwischen 160 dB und 190 dB liegt. Da die Dauer der Druckwelle sehr kurz ist (1 ms bis 3 ms), bleibt das Trommelfell intakt und es tritt lediglich eine Schädigung des Innenohrs auf. Die ausschließliche Schädigung des Innenohrs ist das Kennzeichen des Knalltraumas. Die häufigsten Ursachen des Knalltraumas im Wehrbereich sind Schießübungen mit Feuerwaffen (Gewehr, Pistole, Panzerfaust) und Geschütze, in der Arbeitswelt kann es zum Beispiel im Polizeidienst, bei Jägern, bei der Verwendung von Bolzenschussgeräten usw. auftreten. Aufgrund einer kurzen Expositionszeit bei hohen Schallpegeln kommt es zu hohen Scherkräften an elastischen Strukturen. Insbesondere das Trommelfell, die Basilarmembran und die Haarzellen sind hochempfindliche Strukturen. Innenohrschädigungen mit Hörverlust wurden in Tierversuchen nicht nur mit der tonaudiometrischen Verhaltensaudiometrie, sondern auch mittels histologischer Untersuchungen lärmexponierter Hörschnecken untersucht. Michel (2018) beschreibt eine seltene Progredienz und zeitliche Limitation der Hörstörung nach Knalltraumata (➥ Abb. 2).

Knalltraumatische und explosionsbedinge Gehörschäden können mit Ohrgeräuschen (Tinnitus) kombiniert sein (Begleittinnitus). Eine vestibuläre Schädigung ist nicht als begleitendes Krankheitsbild beschrieben.

In der Arbeitswelt ereignen sich Knalltraumen beispielsweise beim Platzen von Druckluftschläuchen oder von PKW- und LKW-Reifen. Das Gleiche gilt für das Platzen von Federbälgen (Druckluftsacken) beim Abladen von LKWs. Auch das Aufeinanderschlagen von Eisenteilen sowie die Bearbeitung von Eisenteilen mit Metallwerkzeugen kann zu sehr hohen Schallspitzen führen (➥ Tabelle 1). Eine Kollision von zwei PKWs erreicht dagegen trotz des hörbar lauten Knalls keine schädigende Lautstärke (Schorn 1989). Auch eine Verpuffung ist keine Explosion, sondern eine schnell ablaufende Verbrennung und führt daher nicht zu einem Knall- oder Explosionstrauma.

Bei Untersuchungen von Kinderknallpistolen, Airbags, Silvesterböllern und Gaspistolen wurden Hörverluste von >20 dB nach Schalldruckspitzenpegeln von 185 dB nachgewiesen (Fleischer et al. 1999).

Abb. 2:  Typischer tonaudiometrischer Befund nach einem oder mehreren Knalltraumen bei einem Stahlbauschlosser in der Bundeswehrzeit als Ladeschütze bei einer Panzereinheit. Typisch ist im Gegensatz zur c5-Senke bei einer Lärmschwerhörigkeit der Steilabfall im Hochtonbereich bei Knalltrauma. Daher liegt keine BK 2301 vor, sondern eine WDB (Wehrdienstbeschädigung). Der Tinnitus bei 6000 Hz ist als Begleittinnitus des Knalltraumas einzustufen

Abb. 2: Typischer tonaudiometrischer Befund nach einem oder mehreren Knalltraumen bei einem Stahlbauschlosser in der Bundeswehrzeit als Ladeschütze bei einer Panzereinheit. Typisch ist im Gegensatz zur c5-Senke bei einer Lärmschwerhörigkeit der Steilabfall im Hochtonbereich bei Knalltrauma. Daher liegt keine BK 2301 vor, sondern eine WDB (Wehrdienstbeschädigung). Der Tinnitus bei 6000 Hz ist als Begleittinnitus des Knalltraumas einzustufen

Ergebnisse

Typische Ereignisse mit akuten Gehörschäden gibt es gehäuft im Wehrbereich beim Übungsschießen mit fehlendem, ungenügendem oder verrutschtem Gehörschutz sowie bei Auslandseinsätzen im Rahmen der NATO (s. Abb. 2). Nachfolgend wird eine Gruppe von 47 Soldaten beschrieben, die im Rahmen von Auslandseinsätzen durch Explosionen verletzt wurden. Die Soldaten wurden in den letzten 17 Jahren in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik des BundeswehrZentral­krankenhauses Koblenz behandelt. Bei allen von ihnen konnte ein unauffälliges Hörvermögen vor dem Ereignis nachgewiesen werden, da sie mit einer Hörschädigung nicht einsatztauglich gewesen wären. Es zeigt sich in dem komplett männlichen Patientenkollektiv eine relativ typische Altersverteilung für Einsatzsoldaten zwischen 23 und 54 Jahren.

Zur Detonation kam es in verschiedenen Situationen, wie zum Beispiel Sprengstoffanschlag im Bus oder Geländewagen, Sprengung hinter einer Lehmmauer während einer Fußpatrouille, Selbstmordattentäter in unmittelbarer Nähe in einem geschlossenen Gebäude und auf einem Marktplatz. Bei all diesen Explosionen kam die Detonation unerwartet. Keiner der Soldaten hatte Gehörschutz angelegt. Die Schutzausrüstung der Fußpatrouille bestand zu diesem Zeitpunkt trotz erhöhter Sicherheitsstufe nur aus Splitterschutzweste und Helm. Primäre Explosionsverletzungen des Ohrs können zu eine erheblichen Morbidität führen. Trommelfellperforationen sind die häufigste Verletzung des Mittelohrs. Anzeichen für eine Ohrverletzung sind in der Regel bei der Erstuntersuchung vorhanden und sollten bei allen Personen ausgeschlossen werden, die einen Hörverlust aufweisen. Außerdem treten nach einem Explosionstrauma Tinnitus, Wattegefühl, Otalgie, Schwindel, Blutungen aus dem äußeren Gehörgang und Trommelfellrupturen häufig auf. Die Rate von dauerhaften Ohrverletzungen reicht von 18% bis zu 41% bei den Opfern der Bombenanschläge von Madrid. Trommelfellverletzungen kamen bei den Anschlagsopfern der USS Cole im Jahre 2000 in 17% der Fälle vor. Bei 24 der insgesamt 47 Soldaten trat eine beidseitige und bei 17 der Soldaten eine einseitige Trommelfellperforation auf (Cave et al. 2007; Sendowski et al. 2006; Mangabeira-Albernaz et al. 1959).

In der ersten Woche nach dem Ereignis war bei 23 Soldaten aufgrund von intensivmedizinischer Behandlung keine otoneurologische Untersuchung möglich. Dennoch wurden bei nahezu allen Soldaten im Nachgang audiometrische Untersuchungen erhoben. Lediglich 2 Soldaten fühlten sich so gut, dass sie die Untersuchung ablehnten, um früher zu ihren Familien heimkehren zu können. Initial zeigte sich ein maximaler Hörabfall in der Luftleitung bis 100 dB, wobei bei insgesamt 36 Soldaten eine kombinierte Schwerhörigkeit auftrat.

Die nicht intubierten und beatmeten Patienten wiesen alle initial einen Tinnitus auf. 33 Soldaten hatten an insgesamt 56 Ohren Trommelfellperforationen, von denen 13 Subtotaldefekte, 21 zentrale und 12 periphere Defekte mit zackigen Rändern dokumentiert wurden. Bei allen Trommelfellperforationen wurde sofort initial eine Trommelfellschienung beziehungsweise Tympanoplastik durchgeführt. In zwei Ohren wurde die Rundfenstermembran abgedeckt und ein Ohr bedurfte eines Labyrinthfistelverschlusses. Von insgesamt 48 Tympanoplastiken kam es in 6 Fällen zu einer Revi­sionsoperation, wobei deutlich häufiger wegen Infektionen eine antibiotische Behandlung notwendig war.

Bei Entlassung aus dem Krankenhaus konnte bei 17 Soldaten mit Knalltraumen eine Normakusis festgestellt werden, von denen 12 Patienten mit einem hochdosierten Glukokortikoidschema behandelt worden waren. Die übrigen 5 Patienten durften aus intensivmedizinischer Sicht keine hochdosierte Glukokortikoidtherapie erhalten.

Bei insgesamt 22 Soldaten konnte zeitnah eine Elektronystagmografie durchgeführt werden. Hier zeigte sich bei 19 Personen kein Hinweis für peripher vestibulären Schwindel und bei 3 Soldaten eine Asymmetrie, die jedoch aufgrund der heimatnahen Weiterversorgung nicht im BundeswehrZentralkrankenhaus nachuntersucht wurde.

Der Hörverlust über die Jahre (max. sieben Jahre Nachbeobachtung) lag im Mittel bei 25 dB, maximal bei 50 dB.

Tabelle 1:  Beispiele für Knallimpulse von Waffen und Alltagsgeräuschen, Messwerte mit unterschiedlicher Zeit- und Frequenzcharakteristik (Maue 2009; s. „Weitere Infos“)

Tabelle 1: Beispiele für Knallimpulse von Waffen und Alltagsgeräuschen, Messwerte mit unterschiedlicher Zeit- und Frequenzcharakteristik (Maue 2009; s. „Weitere Infos“)

Schlussfolgerungen

Sehr kurze Spitzenschalldruckpegel von <1 ms, aber einem sehr hohen Spitzenschalldruckpegel von >150 dB (C), wie sie beim Schießen, bei Explosionen oder Metallschmiedearbeiten vorkommen können, können durch eine Stoffwechselüberlastung zu einem Knalltrauma des Innenohrs führen (Liedtke 2010). Innerhalb weniger Milli­sekunden kann es zu einer mechanischen Zerstörung der Haarzellen des Innenohrs kommen. Explosionen führen zu Gehörschäden, die selten außerhalb von Kampfhandlungen und terroristischen Anschlägen auftreten. Die Verletzungsmuster sind Folge der Zusammensetzung und Menge der explosiven Substanz, der Umgebung, dem Aufbau des Sprengkörpers, der Entfernung zwischen dem Opfer und der Explosion sowie allen dazwischenliegenden Schutzbarrieren oder Umweltgefahren. In der Arbeitswelt sind Explosionen erfreulicherweise sehr selten.

Selbst Alltagsgeräusche können relativ laut sein (s. Tabelle 1) Sie führen in der Regel aber nicht zu einem Knalltrauma, sondern eventuell nur zu einer vorübergehenden Vertäubung.

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Cave KM, Cornish EM, Chandler DW: Blast injury of the ear: clinical update from the global war on terror. Mil Med 2007; 172: 726-730 (Open Access: doi:10.7205/milmed.172.7.726).

Feldmann H, Brusis T: Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 8. Aufl. Stuttgart: Thieme, 2019.

Fleischer G, Hoffmann E, Lang R, Müller R: Dokumentation der Auswirkungen von Kinderknallpistolen. HNO 1999; 47: 535–540.

Fleischer G, Müller R: On the relation between exposure to sound and auditory performance. In: Proceedings of SAE Conference on Sound and Vibration, Michigan 16.–19.05 2005.

Liedtke M: Acute hearing impairment by extremely high sound pressure levels. HNO 2010; 58: 106–109.

Mangabeira-Albernaz PL, Covell WP, Eldredge DH. Changes in the vestilbular labyrinth with intense sound. The Laryngoscope 1959; 69: 1478-1493.

Michel O: Progredienz der Hörstörung nach Knalltrauma ist selten und zeitlich begrenzt. HNO 201; 66: 851–854.

Pfander F: Das Knalltrauma.Berlin Heidelberg New York: Springer, 1975.

Schorn K: Die Erstellung des HNO-ärztlichen Sachverständigengutachtens bei Fahrerfluchtprozessen. LRO 1989; 68: 67–71.

Sendowski I, Raffin F, Braillon-Cros A. Therapeutic efficacy of magnesium after acoustic trauma caused by gunshot noise in guinea pigs. Acta oto-laryngologica 2006; 126: 122-129.

doi:10.17147/asu-1-357433

Weitere Infos

Maue JH: Die Bedeutung des Spitzenschalldruckpegels für die Beurteilung industrieller Arbeitsplätze. In: Sicherheitsingenieur 2009; 8: 52–55
https://www.dguv.de/medien/ifa/de/pub/grl/pdf/2009_183.pdf

Bei extrem hohen Lärmpegeln kann es sowohl in der Arbeitswelt als auch im Wehrbereich zu akuten Gehörschäden kommen

Foto: © Ingo Bartussek-stock.adobe.com

Bei extrem hohen Lärmpegeln kann es sowohl in der Arbeitswelt als auch im Wehrbereich zu akuten Gehörschäden kommen

Kernaussagen

  • Hohe Spitzenschalldruckpegel können zu einem Knalltrauma des Innenohrs führen. Dabei kann es zu einer mechanischen Zerstörung der Haarzellen des Innenohrs kommen.
  • Explosionen und Schüsse führen zu Gehörschäden, meist verursacht während Kampfhand­lungen oder bei Sprengstoffanschlägen. In der Arbeitswelt kommen Explosionen selten vor.
  • Auch Alltagsgeräusche können sehr laut sein, führen aber selten zu Knalltraumen, sondern eher zu einer vorübergehenden Vertäubung.
  • Kontakt

    Dr. med. Sandra Schmidt
    BundeswehrZentralkrankenhaus Koblenz; Klinik für HNO, KHC und Kommunikationsstörungen; Rübenacherstr. 170; 56072 Koblenz

    Foto: Andreas Weidner

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