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BK 2112 — Gutachtliche Kausalitäts-prüfung und MdE-Einschätzung nach den Konsenskriterien

Die oben genannten Erkenntnisse wurden erst im Laufe der Beratungen der Konsensarbeitsgruppe bei der DGUV durch gezielte bio-mechanische und radiologische Untersuchungen hinzugewonnen, im Ergebnis dann mit der Feststellung, dass ein belastungskonformes Schadensbild nicht definiert wer-den konnte (s. auch die Beiträge von Glitsch et al. und Horng ab S. 122). Infolge dieses Fehlens eines belastungskonformen Schadensbildes bei der BK 2112 ist die gutachtliche Überprüfung der Kausalitätsfrage eine Herausforderung sondergleichen, da auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes mit der Forderung nach einem „positiven Beleg“ für den Wahrscheinlichkeitsbeweis pro Kausalität zu beachten ist.

Rechtliche Vorgaben

Mit Bekanntmachung vom 01. 10. 2005 wurde die BK 2112 definiert als Gonarthrose

  • durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastungen
  • mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13 000 Stunden
  • und einer Mindesteinwirkungsdauer von mindestens einer Stunde pro Schicht.

Die Ermittlung der beruflichen Anspruchsvoraussetzungen ist nicht Sache des medizinischen Sachverständigen. Er sollte aber die Plausibilität der ermittelten Belastungsstunden hinterfragen. Die zwischenzeitlichen Erfahrungen mit dieser BK lehren, dass die Belastungsermittlungen nicht selten groben Schätzungen des Präventionsdienstes entsprechen, gelegentlich mit Annahmen basierend auf Mitteilungen des Antragstellers, die eine realitätsferne Dimension der berech-neten Gesamt-Belastungsstunden erkennen lassen.

Dabei gilt es zu bedenken, dass eine Belastungsdauer von einer Stunde pro Arbeits-tag ein Arbeitsleben über 59 Jahre voraussetzen würde, um diese Gesamtbelastungsdosis zu erreichen. Realistischerweise wird somit ein Arbeitnehmer – bedenkt man Aus-fallzeiten z. B. durch Arbeitsunfähigkeit – mindestens 1,5 bis 2 Stunden pro Arbeitsschicht entsprechend belastet sein müssen, um vor dem Erreichen des Rentenalters die beruflichen Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen. Eine wissenschaftliche Evidenz für die täglich notwendige Stundenzahl gibt es ohnehin nicht (Hartmann 2012). Allerdings ist eine BK 2112 umso unwahrscheinlicher, je jünger der Antragsteller ist. In diesen Fäl-len sollten die Belastungsermittlungen durch den Präventionsdienst der gesetzlichen Versicherungsträger so tatsachenorientiert wie möglich durchgeführt werden.

Die praktische Erfahrung mit der Ermittlung der Belastungsstunden hat jedoch gezeigt, dass es rückblickend über viele Jahre und Jahrzehnte unmöglich ist, zuverlässige Daten zu den körperlichen (knienden, hockenden, kriechenden) Belastungen zu ermitteln. Die „Ermittlungen“ des Präventions-dienstes beruhen sehr häufig vordergründig auf den Mitteilungen des Anspruchstellers und stellen somit bestenfalls grobe Schätzungen dar, die wohl nur selten der Realität entsprechen. Hierzu gezielt durchgeführte Untersuchungen haben ergeben, das selbst dann, wenn die konkreten Kniebelastungen in einer Arbeitsschicht mit dem CUELA-System gemessen wurden, Probanden un-mittelbar nach Schichtende erheblich überzogene Eigenschätzungen vortrugen, die teils dem Mehrfachen der tatsächlich gemessenen Belastungen entsprachen (Hartmann 2012).

Der Verordnungsgeber hat eine Rückwirkungsbegrenzung vorgegeben, so dass eine Anerkennung und Entschädigung einer BK 2112 nur möglich ist, wenn der Versicherungsfall nach dem 30.09.2002 eingetreten ist. Ergibt somit die gutachtliche Prüfung, z. B. anhand des röntgenanatomischen Verlaufes eine anerkennungsfähige Arthrose bereits vor dem 30. 09. 2002 und hat sich die Arthrose deformans danach lediglich weiter verschlimmert, kann aus rechtlichen Gründen keine Anerkennung erfolgen.

Diese rechtlichen Vorgaben des Verordnungsgebers generieren noch weitere gutachtlich zu beachtende Aspekte:

  • Die Lebensbelastungsdosis von mindes-tens 13 000 Stunden muss spätestens zu dem Zeitpunkt erreicht, bzw. überschritten worden sein, wenn der Arthrosegrad Kellgren II eingetreten ist.
  • Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass eine Anerkennung nicht vertretbar ist, wenn dieser Arthrosegrad zeitlich – deutlich – vor den 13 000 Stunden Kniebelastung erreicht wird.
  • In der wissenschaftlichen Begründung und Definition der BK 2112 findet sich das Wort „mindestens“, so dass bei einer auch nur geringen Unterschreitung dieser Gesamtbelastungsdosis eine Anerkennung schon aus formalen Gründen nicht erfolgen kann.

Zusammenfassend ist zu diesen vom Verordnungsgeber vorgegebenen beruflichen Anspruchsvoraussetzungen festzustellen, dass der zeitliche Verlauf bei der Krankheits-entwicklung von erheblicher Bedeutung für die Kausalitätsprüfung sein kann, unter Um-ständen schon in diesem Eingangsbereich der gutachtlichen Prüfung eine Entscheidung gegen eine Anerkennungsempfehlung fallen muss.

Bei der Betrachtung der Befundentwick-lung auf der Zeitschiene ist auch von Bedeutung, ob die erstmalige Diagnose einer Gonarthrose erst nach Aufgabe der belastenden beruflichen Tätigkeit erfolgte.

Soweit diese Diagnosestellung einer Gonarthrose im Schweregrad von mindestens Kellgren II innerhalb der ersten 5 Jahre nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit erfolgt, hat dies keine wesentliche negative Indizwirkung.

Bei einer Latenzzeit von mehr als 5 Jah-ren wird ein Ursachenzusammenhang jedoch umso unwahrscheinlicher, je länger die Latenz ist. Gelegentlich wird man dann auch prüfen müssen, ob nach dem Ausmaß des Arthrosegrades zum Zeitpunkt der Erstdiagnose unter Umständen in einer retrospektiven Betrachtung davon ausgegangen werden kann, dass der Arthrosegrad Kellgren II bereits innerhalb der ersten 5 Jahre als eingetreten zu unterstellen ist.

Gutachtliche Bedeutung der epidemiologischen Erkenntnisse

Die epidemiologischen Erkenntnisse offen-baren so genannte Gruppenrisiken und zeigen auf, dass bestimmte Arbeitnehmergrup-pen mit besonderen Kniebelastungen – wie in der wissenschaftlichen Begründung vorgegeben – ein erhöhtes Erkrankungsrisiko aufweisen. Damit wird grundsätzlich die Einstiegsfrage bei jeder Begutachtung nach der prinzipiell möglichen Verkettung einer Ursache mit einer daraus resultierenden Wirkung beantwortet, was dem Eingangsschritt in jeder Kausalitätsbeurteilung ent-spricht, nämlich die Frage nach der Kausali-tät im „naturwissenschaftlichen-philosophischen Sinne“ beantwortet.

Dieser erste Schritt der medizinischen Kausalitätsprüfung, der in der Unfallbegutachtung – konnte die geschädigte Struktur durch die Unfalleinwirkung im Sinne der „Möglichkeit“ von der Einwirkung überhaupt schädigungsrelevant erreicht werden? – eine ganz wesentliche Rolle spielt, entfällt somit grundsätzlich bei einer Begutachtung einer Listenerkrankung im BK-Bereich, sobald die Ermittlungen des Präven-tionsdienstes zur Feststellung hinreichender beruflicher Anspruchsvoraussetzungen geführt haben. Dies bedeutet lediglich, dass eine Berufskrankheit möglicherweise vorliegt, nunmehr jedoch erst die individuelle medizinische Kausalitätsprüfung einsetzen muss, nämlich mit der Frage dahingehend, ob sich dieses prinzipiell zu unterstellende berufliche Erkrankungsrisiko im Einzelfall auch realisiert hat. In diesem medizinischen Prüfungsverfahren spielen epidemiologische Erkenntnisse keine entscheidende Rolle.

Im Rahmen der zahlreichen Beratungen der DGUV-Konsensus-Arbeitsgruppe wurden in Anlehnung an die wissenschaftliche Begründung zur BK 2112 einige Eingangs-Prüfkriterien im Konsens formuliert, die im Rahmen der Begutachtung des jeweiligen Einzelfalles eine Beurteilungshilfe geben können. Danach kann eine beruflich induzierte Gonarthrose nur dann vorliegen, wenn

  • die Ausprägung der Arthrosis deformans dem im erreichten Lebensalter durchschnittlich zu erwartenden Arthrosegrad deutlich vorauseilt;
  • die Arthrosis deformans in beiden Knie-gelenken in einer etwa gleichartigen oder ähnlichen Ausprägung zu finden ist (Seitdifferenz maximal eine Kellgren-stufe) und zumindest in einem Knie-gelenk einen Schweregrad II (bis IV) nach der Klassifikation von Kellgren et al. (1963) erreicht wird;
  • die Arthrosis deformans mit chronisch-rezidivierenden Kniereizungen und mit Symptomenbildern einhergeht;
  • mit der Arthrosis deformans eine objek-tiv belegbare Funktionsstörung zumin-dest im Sinne einer Belastungsminde-rung, laut Merkblatt sogar eine eingeschränkte Streckung und Beugung des Kniegelenkes verbunden ist.

Gegenwärtig ist noch nicht abschließend geklärt, ob bei einer beruflichen Induktion bevorzugt eine Entwicklung der Arthrose im Kniescheibengelenk erfolgt, erst nachrangig im medialen Hauptkompartiment, was momentan von den Experten mehrheitlich unterstellt wird, da die Belastungsspezifika und die daraus errechneten Druckbelastungen auf den Knorpel am ehesten auf die Entstehung einer arthrotischen Reaktion im Kniescheibengelenk hindeuten (Glitsch et al. 2012).

Die zwischenzeitlich gesammelten beratungsärztlichen Erfahrungen mit dieser Berufskrankheit lassen erkennen, dass gar nicht so selten einseitige Gonarthrosen – gelegentlich mit einem völlig arthrosefrei gebliebenen kontralateralen Kniegelenk – dennoch zur Anerkennung empfohlen werden mit der Begründung, laut Darstellungen des Anspruchsstellers habe dieser nur eine einseitig kniende und hockende Position – immer mit dem gleichen Knie – eingenommen, das kontralaterale Bein mit aufrecht stehendem Unterschenkel – dann mit maximaler Knie- und Hüftanwinklung – belastet (sog. „Fechterstellung“).

Es entspricht jedoch einer lebensnahen Betrachtungsweise, dass üblicherweise auch die so genannte „Fechterstellung“ mit einem Wechsel des knienden Kniegelenkes verbunden ist, einfach deshalb, um damit verknüpfte, bei längerem Knien unweigerlich entstehende Missempfindungen, durch das Wechseln zu vermeiden. Bei einer Nachprüfung hat sich in solchen Fällen so gut wie ausnahmslos herausgestellt, dass die Anspruchsteller vermehrte Verhornungen vornseitig über dem Bereich der Tuberositas tibiae nicht nur an einem, sondern gleichmäßig an beiden Kniegelenken aufweisen, so dass auf diesem Wege die Behauptung der ausschließlich einseitigen knienden Belastung sicher widerlegt werden konnte.

Zudem müssen solche Behauptungen des Anspruchstellers bewiesen sein, um sie zur Grundlage einer gutachtlichen Beurteilung machen zu können. Die Begründung hierfür muss auch unter medizinischen Ge-sichtspunkten nachvollziehbar anmuten. Ansonsten wird man im Hinblick auf diese klaren Vorgaben in der wissenschaftlichen Begründung und dem Ergebnis der Konsensgruppe einer einseitigen Gonarthrose nicht zur Anerkennung empfehlen können. Ein Beurteilungsmaßstab nach dem Prinzip „im Zweifel für den Anspruchsteller“ gibt es im BK-Recht grundsätzlich nicht.

Gutachtliche Untersuchung

So unverzichtbar die Befunde, gewonnen aus bildgebenden Verfahren – möglichst auch zeitlich weit zurückreichend –, für die gutachtliche Beurteilung auch sind, bedarf es dennoch einer umfassenden Erhebung der Anamnese und der Erfassung und Dokumentation eines klinischen Befundes als Grundvoraussetzungen der gutachtlichen Kausalitätsprüfung.

Der Sachverständige sollte sich noch einmal im Gespräch mit dem Antragssteller einen Eindruck verschaffen über die (Langzeit-)Berufsanamnese und die beruflichen Belastungen, wie sie der Anspruchsteller schildert. Die Erfahrung lehrt, dass dabei ge-legentlich – unter Umständen sogar eklatante – Differenzen erkennbar werden zum Ergebnis vorausgegangener Ermittlungen durch den Versicherungsträger. Hierauf muss der Sachverständige in seiner Beurteilung hinweisen, da dann ein Nachprüfungsbe-darf seitens des Präventionsdienstes des Versicherungsträgers besteht.

Die Erhebung der medizinischen Vorgeschichte rückreichend bis in die Kindheit und Jugendjahre erscheint unverzichtbar, da nicht selten hierbei Unfalleinwirkungen z. B. beim Schulsport offenbar werden, die bisher nicht aktenkundig wurden. Nach den bisherigen gutachtlichen Erfahrungen mit dieser BK spielt Derartiges besonders bei der einseitigen Gonarthrose gar nicht so selten eine entscheidende Rolle in der abschließenden Kausalitätsbetrachtung. Zumindest generieren solche anamnestische Daten einen Nachermittlungsbedarf zum Ausmaß des Vorschadens, zum Heilverlauf und zum Ausheilungsergebnis, was gelegentlich die Fertigstellung des Gutachtens verzögert, bis entsprechende Ermittlungsergebnisse beigebracht wurden.

Ein besonderes Augenmerk ist auch zu legen auf die aktuelle Beschwerdeanamnese, da auch diesbezüglich die Erfahrung lehrt, dass gelegentlich verblüffende Informationen – z. B. ein im Leisten- und Kniebereich erlebter Schmerz ausgehend von einer Hüftarthrose – erkennbar werden. Zudem ergeben sich aus der Art der Kniebeschwerden nicht selten Hinweise auf die Ursache der Arthrose, nämlich z. B. ein beklagtes Instabilitätsempfinden, was nach den klinischen Befunden einer Knieband-instabilität oder auch einer instabilen Kniescheibenführung entsprechen kann und den Sachverständigen veranlassen sollte, eine eventuell vorausgegangene Unfalleinwirkung zu hinterfragen.

Schlussendlich ist der Sachverständige gehalten, einen sorgfältig erhobenen umfassenden klinischen Befund – nicht nur mit Messdaten – zu erheben und systematisch zu dokumentieren. Als minimales klinisches Untersuchungsprogramm sind hier zu benennen:

  • Überprüfung des Gangbildes
    • Gangbild mit Schuhwerk
    • Barfußgang
    • Fußspitzen- und Hackengang
    • Einbeinstand
    • Monopedales Hüpfen
    • Knie-Hock-Stand
  • Beinachsen im aufrechten Stand mit parallel dicht nebeneinander stehenden Füßen, ggf. Angabe des minimalen Innenkondylenabstands (O-Bein) bzw. des minimalen Innenknöchelabstandes (X-Bein).
  • Trophik und Färbung des Haut- und Weichteilmantels, insbesondere mit Be-schreibung eventuell anzutreffender OP-Narben, deren Ursprung zu hinterfragen ist
  • Ausformung, Tugor und Tonisierung der Beinmuskulatur inklusive einer sorgfältigen Einmessung der Umfangsmaße grundsätzlich nach vorheriger Anzeichnung der Messhöhen ausgehend vom medialen Kniegelenkspalt.
  • Ermittlung der Winkelgrade der Hüft-, Knie- und Sprunggelenksbeweglichkeit zunächst bei der Aktivbewegung mit Nachprüfung der passiven Beweglich-keit.
  • Palpatorische Überprüfung der Kniegelenkskapsel und synovialen Strukturen mit Beschreibung eventueller Schwellungen und Ergussbildungen sowie einer eventuell bestehenden Baker-Zyste in der Kniekehle.
  • Überprüfung des Kniescheibengelenkes auf
    • Stabilität der Kniescheibenführung
    • bestehende „chondropathische“ Reiz-erscheinungen (z. B. Zohlen-Zeichen)
  • Palpatorische Untersuchung zur Feststellung von Druckdolenzen entlang der Gelenkspalten und Überprüfung der so genannten „Meniskuszeichen“.
  • Seitvergleichende sorgfältige Überprüfung der Kniebandführung.
  • Überprüfung eventueller klinischer Hin-weise auf eine Implantatlockerung bei einliegender Endoprothese.
  • Zumindest orientierende Fuß-Diagnostik
    • Gewölbekonstruktion ohne und mit Körperlast
    • Beweglichkeit der einzelnen Gelenk-etagen des Fußes
    • Überprüfung des Fußpulses
    • Seitvergleichende Feststellung der Fußsohlenbeschwielung mit Beschreibung eventueller Seitdifferen-zen im Verteilungsmuster und der Quantität
  • Pulsstatus an Beinen und Füßen
  • Neurologische Basisdiagnostik mit Über-prüfung des Laségue’schen und Bragard’schen Phänomens, des Reflexstatus und der Sensibilität an Beinen und Füßen.
  • Zumindest orientierender klinischer Be-fund zur Wirbelsäule und den oberen Extremitäten zwecks Erkennen einer eventuellen Polyarthrose.

Sofern bei diesem Basisprogramm der klinischen Untersuchung Auffälligkeiten zu Tage treten, die nicht ohne weiteres zu erklären sind, bedarf es einer gezielten Erweiterung des diagnostischen Vorgehens.

Der umfassend erhobene klinische Befund kann Hinweise offenbaren, die sowohl für die Differenzialdiagnose als auch die Differenzialätiologie von Bedeutung sind. Zudem ist der klinische Befund entscheidend und zielführend für eine eventuell notwendige MdE-Empfehlung.

Zudem enthält die wissenschaftliche Be-gründung neben den röntgenanatomischen Befunden weitere Anerkennungsvoraussetzungen:

  • chronische Kniegelenksbeschwerden
  • Funktionsstörungen in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung

Letzteres ist aus unfallchirurgisch-orthopädischer Sicht nicht ganz unproblematisch, da es durchaus möglich ist, dass eine höhergradige Gonarthrose asymptomatisch vorliegt, also auch keine Bewegungsstörungen mit sich bringt.

Aus fachmedizinischer Sicht kann auch eine Funktionsstörung vorliegen in Form einer Belastungsminderung bei rezidivierenden Kniereizerscheinungen mit Ergussbildung und einer damit verknüpften Schonung des Beines, was sich letztendlich auch in einem Muskelminus niederschlägt.

Kausalitätsprüfung

Es entspricht einer gesicherten ärztlichen, vor allem orthopädischen Erfahrung, dass das Krankheitsbild der Gonarthrose weit verbreitet ist, mit zunehmendem Lebensalter – bei Frauen häufiger als bei Männern – in zunehmender Häufung erwartet werden muss und bei einem Großteil der betroffenen Personen keine erkennbare, z. B. pathomechanische oder anamnestisch-traumatische Ursache besteht. Eine solche „idiopathische“ und damit schicksalshafte Gonarthrose kann selbstverständlich auch bei dem Personenkreis vorliegen, der die beruflichen Anspruchsvoraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2112 erfüllt.

Hieraus ergeben sich zwei, für die Begut-achtung ganz wesentliche beweisrechtliche Vorgaben, die mit bedacht werden müssen:

  • Das Fehlen erkennbarer konkurrierender Ursachenfaktoren erlaubt per se keinen Rückschluss auf eine berufsbeding-te Verursachung. Dazu liest man im Urteil vom BSG vom 09.05.2006 (AZ: B 2 U 26/04R und B 2 U 1/05R) Folgendes: „Es gibt im Bereich der GUV keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch eine wesentliche Ursache ist, da dies bei kom-plexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde.“
  • Auch bei Fehlen erkennbarer konkurrierender Ursachenfaktoren ist daher nach der Rechtssprechung des BSG der Ursachenzusammenhang zwischen Ein-wirkung und Erkrankung als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv fest-zustellen (gleiche BSG-Urteile wie oben). Erforderlich ist insofern mit dem Grade der Wahrscheinlichkeit ein Indizienbeweis pro Kausalität als Voraussetzung für eine Anerkennungsempfehlung.

Ohne eines mittels (Befund-)Indizien her-beigeführten Wahrscheinlichkeitsbeweises entspräche die gedankliche kausale Verknüpfung erfüllter beruflicher Anspruchs-voraussetzungen mit einem zur Anerkennung in Betracht kommenden Krankheitsbildes der Gonarthrose beweisrechtlich nur einer ernsthaften Möglichkeit, was sich auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum BK-Recht bis hin zum BSG (Urteil vom 02.06.2011; AZ: BC U 24/00R) bei den so genannten Volkskrankheiten wiederfindet. Die im § 9 Abs. 3 SGBVII bei fehlenden konkurrierenden Ursachen vorgesehene Vermutung einer beruflichen Ursächlichkeit ist bei diesen BKs nicht anwendbar.

Insofern steht der Sachverständige vor dem Problem, neben dem vollbeweislich zu sichernden anerkennungsfähigen Krankheitsbild der Gonarthrose weitere (Befund-)Indizien aufzuzeigen, die für eine Belastungsinduktion der Gonarthrose sprechen. Erst dann wäre die Forderung nach dem so genannten belastungskonformen Schadens-bild erfüllt.

Insofern stellt sich also grundsätzlich die Frage, welche (Befund-)Indizien für diese Art der „positiven“ Beweisführung überhaupt bei der BK 2112 (Gonarthrose) zur Verfügung stehen. Hierbei könnte es sich um ein spezielles Verteilungsmuster der Arthrose im Kniegelenk handeln, aber auch um belastungsinduzierte Begleitphänomene, wie sie z. B. bei der BK 2108 – 2110 im Sinne der sog. „Begleitspondylose“ zur Verfügung stehen. Nach alledem, was zwischenzeitlich die wissenschaftliche Forschung – erst nach der Einführung der BK 2112 – zu Tage gefördert hat, gibt es bei der BK Gonarthrose leider keine solchen Begleitphänomene, so dass sich diese Fragestellung dahingehend reduziert, ob es denn ein belastungstypisches Verteilungsmuster der arthrotischen Veränderungen im Kniegelenk gibt.

Hierzu liegen jedoch keine hinreichen-den epidemiologisch gesicherten Erkenntnisse vor. Die ursprüngliche biomechanische Hypothese der besonderen Betroffenheit der hinteren Anteile in den Hauptkompartimenten des Kniegelenkes gilt zwischenzeitlich als widerlegt. Die bisher gewonnenen Hinweise deuten auf eine auch nur relativ geringe retropatellare Mehrbelastung beim Knien und Hocken, wie auch Kriechen hin, sind aber bisher noch nicht genügend wissenschaftlich abgesichert. Lediglich beim in die Hocke gehen und wieder hochkommen aus der Hocke gelten solche – sogar deutlich – höheren retropatellaren Mehrbelastungen als gesichert (Glitsch et al. 2012).

Von der Konsensarbeitsgruppe wurden die Kriterien zusammengeführt, die als Basis-voraussetzungen für eine Anerkennungsempfehlung angesehen wurden.

Danach kommt zur Anerkennung in Be-tracht:

  • eine beidseitige Gonarthrose,
  • zumindest einseitig Schweregrad Kellgren II (zweites Knie mindestens Kellgren I),
  • weiteres mögliches Indiz wäre eine anfänglich retropatellar entstandene und hier auch betont vorliegende Arthrose (dazu kein Konsens),
  • erfüllte Vorgaben auf der sog. „Zeitschiene“,
  • klinisch mit chronischen Gelenkreizun-gen / Beschwerden,
  • mit funktionellen Störungen.

Ist dieser Kriterienkatalog abgearbeitet und im individuellen Falle erfüllt, besteht jedoch immer noch nur eine ernsthafte Möglichkeit eines Kausalzusammenhanges, aber auch nur dann, wenn keine relevanten konkurrie-renden Ursachen im Raume stehen.

Der Sachverständige muss auch in einer solchen Fallkonstellation darauf hinweisen, dass ein gleichartiges Krankheitsbild auch ohne berufliche Belastungen im Sinne einer „idiopathischen“ Gonarthrose keineswegs auszuschließen ist, ein echter Wahrscheinlichkeitsbeweis also nicht geführt werden kann, somit die berufliche Verursachung über die Feststellung einer ernsthaften Vermutung nicht hinaus kommen kann. Es ist dann stets Aufgabe des Versicherungsträgers / Gerichtes zu entscheiden, ob auf einer solchen inkompletten Beweisgrundlage eine Anerkennung erfolgen kann.

Konkurrierende Ursachen

Sofern konkurrierende Ursachenmomente im Spiele sind, bedeutet dies keineswegs automatisch eine Verneinung einer beruflichen Verursachung, vielmehr sind gutachtliche Abwägungen vorzunehmen:

  • Wie stark ist die Prä-Gonarthrose ausgeprägt?
  • Bei erworbenen Veränderungen wie z. B. Verletzungsfolgen: Wie lange liegt die primäre Erkrankung/Verletzung zurück?
  • Handelt es sich nur um eine einseitige Gonarthrose z. B. an einem früher verletzten Knie? Oder besteht beidseitige, ähnlich ausgeprägte Betroffenheit?
  • Gibt das Schadensbild eventuell selbst bereits Hinweise auf einen wirksam gewordenen konkurrierenden Ursachenfaktor, z. B.
    • nur mediale Kompartimentarthrose bei grober O-Beinigkeit,
    • nur laterale Kompartimentarthrose bei grober X-Beinigkeit.

Diese konkurrierende Ursache – zumindest bei leichter O- oder X-Beinigkeit – ist in der wissenschaftlichen Diskussion hinsichtlich ihrer Ursachenrelevanz für die Gonarthrose umstritten.

Streitig blieb ebenso die Bedeutung des Übergewichtes, welches – in der orthopädischen Medizin unstreitig – bei erheblichem Ausmaß, insbesondere bei Frauen in einem hohen Maße arthroseinduzierend und arthrosebeschleunigend ist.

Aus epidemiologischen Untersuchungen wurde jedoch abgeleitet, dass ein kausales multiplikatives Zusammenwirken der Adi-positas mit beruflichen Belastungen zu unterstellen sei, insofern auch ein erhebliches Übergewicht nicht als alleiniges Ausschluss-kriterium für ein belastungskonformes Scha-densbild angesehen werden sollte.

Weitgehend sichere Ausschlusskriterien für eine BK 2112 können aber durchaus benannt werden:

  • Nachweis der Arthrose vor der versicher-ten beruflichen Beanspruchung des Ge-lenkes,
  • nur beginnende Arthrose = Grad I (nach Kellgren),
  • Seitdifferenz in der Ausprägung der Arthrose von mehr als 1 Kellgren-Grad / nur einseitig bestehende Gonarthrose,
  • erheblich belastende Familienanamnese mit Gonarthrose-Erkrankungen mehrerer Familienmitglieder,
  • genetisch geprägte generalisierte (Poly-) Arthrosen.

Liegen zu einem dieser 5 Ausschlusskriterien gut belegte Hinweise vor, dürfte in aller Regel das Prüfungsverfahren mit einer verneinenden Kausalitätsaussage zu beenden sein.

Einschätzung der MdE

Grundsätzlich gilt, dass im Anerkennungsfalle die Einschätzung der MdE sich zu orien-tieren hat an den Funktionseinschränkungen, die Röntgenanatomie dabei nur eine nachrangige Rolle spielt. Hierbei kann ohne weiteres auf die aus der jahrzehntelangen Handhabung gewachsenen Erfahrungswerte aus der Unfallbegutachtung zurückgegriffen werden.

Da bei der BK 2112 in der Regel von einer beiseitigen Gonarthrose auszugehen ist, macht es durchaus Sinn, zunächst einmal jedes einzelne Kniegelenk einer Betrachtung dahingehend zu unterziehen, welche Wertigkeit das Krankheitsbild jeweils hat. Nicht erlaubt ist jedoch eine einfache Addition einer jeweiligen MdE-Ermittlung für das rechte und das linke Kniegelenk. Vielmehr muss in einer Gesamtschau geprüft werden, ob das Arbeitsmarkt-Segment, was durch die Erkrankung des einen Kniegelenkes bereits verschlossen ist, durch die Erkrankung des 2. Kniegelenkes sich noch zusätzlich er-weitert. Nur dann kann subsumierend die für das am ausgeprägtesten betroffene Knie-gelenk zu beziffernde MdE z. B. um 10 % er-höht werden.

Diese Überlegungen zur Bildung der Ge-samt-MdE bedürfen einer transparenten Darstellung um dem Entscheider (Sozialversicherungsträgers / Richter) eine Überprüfung des MdE-Vorschlags zu ermöglichen.

Bei einer einliegenden Endoprothese mit guter Funktion, die somit rein funktionell gesehen so gut wie keine Einschränkungen mehr bewirkt, ist dennoch von einer Mindest-MdE mit 20 % auszugehen, da aus präventiven Gründen (Lockerungsgefahr) ein Teil des gesamten Arbeitsmarktes als verschlossen angesehen werden muss.

Diese Begründung gilt allerdings dann auch in gleicher Weise für das eventuell ebenfalls endoprothetisch versorgte 2. Knie, so dass bei einer guten Funktion beider en-doprothetisch versorgter Kniegelenke in der Regel auch nur eine MdE von 20 % in Betracht kommt und die Ausnahme hiervon wiederum einer nachvollziehbaren Begrün-dung bedarf.

Zusammenfassung

Die Kausalitätsprüfung zur Frage, ob eine berufsbedingte Gonarthrose gemäß den Vorgaben zur BK 2112 vorliegt, gewinnt in Anwendung der Vorgaben in der wissenschaftlichen Begründung in Verbindung mit den Empfehlungen der Konsensarbeitsgruppe eine ungewöhnlich umfassende Dimension, zu deren Bewältigung der Sachverständige nicht nur über umfassende medizinische Kenntnisse zur Problematik der Gonarthrose verfügen, sondern bis in das Detail hinein vertraut sein muss mit den Kriterien, die pro und kontra abgeprüft werden müssen. Das eingefügte Prüfschema kann dem Sachverständigen die Reihenfolge der notwendigen Prüfschritte aufzeigen, um zumindest formale Fehler zu vermeiden.

Die bisherigen Erfahrungen mit den zu dieser Frage erstellten Gutachten lassen erkennen, dass die übergroße Zahl der Sachverständigen dieses Problemfeld gedanklich erfasst hat und diese Überprüfung mit großer Sorgfalt vornimmt. Probleme sind gelegentlich erkennbar, wenn das Gutachten durch einen unerfahrenen ärztlichen Kollegen – der sich z. B. noch in der fachärztlichen Ausbildung befindet – erstellt und nicht hinreichend von gutachtlicher Sachkunde eines Oberarztes oder des Chefarztes begleitet wird. Formale Fehler, wie z. B. nur eine einseitige Röntgenuntersuchung des Kniegelenkes sind unverzeihlich und dokumentierten die fehlende Kompetenz des Verfassers.

Es entspricht einer Selbstverständlichkeit, dass dann, wenn wissenschaftliche Quellen in der Beurteilung zur Begründung von Einzelaspekten genutzt wurden, diese dann auch mit Quellennachweis am Schluss des Gutachtens aufzufinden sind. Nur dann kann die Schlüssigkeit des gutachtlichen Vorbringens vom Auftraggeber – also der Sozialversicherung oder dem Gericht – hinterfragt und geprüft werden. 

Literatur

Glitsch U, Lundershausen Nicole, Knieps D, Johann-knecht A, Ellegast R: Die Kniegelenkbelastungen beim Hocken und Knien. In: Schiltenwolf M, Gros-ser V, Thomann K-D (Hrsg.): Berufskrankheit Gon-arthrose (BK 2112). Frankfurt: Referenz-Verlag, 2012, S. 141–149.

Hartmann B (2012): Neue BK Gonarthrose – aus arbeitsmedizinischer Sicht. MedSach 2012; 108: 148–150

Horng A et al. (2010): Lokoregionäre Deformations-muster im Patellarknorpel nach unterschiedlichen Belastungsparadigmen – hochauflösende 3-D-MR-Volumetrie bei 3T in vivo. Fortschr Röntgenstr 182: 1–9

Kellgren JM, Jeffrey MR, Ball J (1963): Proposed diagnostic criteria for use in population studies. In: Kellgren JM Jeffrey MR Ball J: The Epidemiology of Chronic Rheumatism Vol. I. Blackwell Oxford: 326

    Autor

    Dr. med. Frank Schröter

    Facharzt für Orthopädie

    Institut für Medizinische Begutachtung (IMB)

    Landgraf-Karl-Straße 21

    34131 Kassel

    f.schroeter@imb-kassel.de

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