Einleitung
Vor sechs Jahren hat die Autorengruppe an der gleichen Stelle über das Potenzial berichtet, das in der Nanotechnologie steckt und wie die Produktion von Nanomaterialien sowohl für den Arbeitsplatz, aber auch für den Verbraucher möglicherweise gewisse Gefährdungen mit sich bringen könnte (Krug et al. 2007). Was ist in dieser Zeit passiert, könnte jetzt gefragt werden. Ist die Situation rund um die Produktion von Nanomaterialien verbessert worden bzw. gab es überhaupt etwas zu verbessern? Sind neue Kenntnisse vorhanden, die für den Arbeitsplatz, aber auch für Mensch und Umwelt eine andere Einschätzung erforderlich machen? Tatsächlich kann festgestellt werden, dass sich gerade in den vergangenen sechs Jahren enorm viel getan hat, was die Sicherheit von Nanotechnologie bzw. Nanomaterialien angeht. Die Summe der Fördermittel zur Sicherheitsforschung hat in Deutschland, dem Nachbarland Schweiz, aber auch in der Europäischen Union und anderen Teilen der Welt stark zugenommen. Ebenso ist die Zahl der publizierten Ergebnisse zu diesem Themenkomplex enorm gestiegen (von 490 Publikationen pro Jahr in 2007 auf mehr als 2000 in 2012). Verschiedene Informationsplattformen im Internet widmen sich der Aufklärung des Verbrauchers und weiterer gesellschaftlicher Stakeholder zum Gebrauch und den möglichen gesundheitlichen und umweltrelevanten Auswirkungen von Nanomaterialien.
Synthetische Nanomaterialien (NM) werden zwar seit mehr als 100 Jahren gezielt hergestellt und in Produkten eingesetzt (Beispiel Nanosilber: Nowack et al. 2011), dennoch ist eine Diskussion zu den möglichen Umwelt- und Gesundheitsfolgen erst gestartet, seit der Begriff „Nanotechnologie“ durch die Medienlandschaft geistert (Förster et al. 2011). Mit der Erfindung des Rastertunnelmikroskops 1981 und der nachfolgenden Entwicklung des Atom-Kraft-Mikroskops im Jahre 1986 und der damit geschaffenen Möglichkeit, Materie auf atomarem Level „manipulieren“ zu können, ist eine Welle von unterschwelligen Befürchtungen zu spüren, die bei allen Diskussion rund um die Nanotechnologie immer wieder kurz aufbrandet und manchmal bei Erscheinen entsprechender wissenschaftlicher Publikationen (z. B. Yazdi et al. 2010) sich auch in den Überschriften der Tageszeitungen niederschlägt (Berliner Zeitung 2009; Die Wochenzeitung 2010; Focus 2011; NZZ 2012; Sonntagszeitung 2013; Stuttgarter Zeitung 2012). Jedoch haben auch Umfragen in Deutschland und der Schweiz ergeben, dass sich gegenüber der Nanotechnologie deshalb keine überbordende Abwehrhaltung aufbaut. Zwar ist die Meinung etwas differenzierter geworden, wenn Umfrageergebnisse aus den Jahren 2008 und 2011 verglichen werden ( Abb. 1), aber nach wie vor ist eine positive Grundhaltung gegenüber der neuen Technologie vorhanden und die negativen Stimmen sind nicht mehr geworden. Im Zusammenhang mit der anhaltenden Diskussion zu den möglichen negativen Folgen der Produktion und Vermarktung von Nanomaterialien-enthaltenden Produkten allerdings gibt es eine Vielzahl von Förder-maßnahmen, die Studien zur Klärung dieser Situation unterstützen. Dies gilt für alle europäischen Länder, wie wir später in diesem Artikel noch diskutieren werden. Damit einher geht eine schnell anwachsende Zahl von Veröffentlichungen zu Themen wie der Arbeitssicherheit bei der Produktion von Nanomaterialien, zur möglichen Exposition und Gesundheitsgefährdung der Verbraucher oder dem möglichen negativen Einfluss auf die Umwelt und an dieser Stelle sei die Frage erlaubt, ob damit auch die Sicherheit in der Aussage zu möglichen negativen Folgen der Wirkung von Nanomaterialien gestiegen ist. Eine Antwort auf diese Frage ist nicht ganz einfach zu geben, denn dazu müssen ja im Prinzip alle Studien betrachtet, deren Kernaussagen bewertet und nach der Tendenz der Wirkung der Nanomaterialien geordnet werden. Einen solchen Versuch hat eine Gruppe von Wissenschaftlern unternommen und die Literatur zu ganz bestimmten Materialien und Fragestellungen ausgewertet. Erstaunlicherweise ergab die Evaluation der Literatur, dass relativ wenige der Studien verwertbar waren. Für eines der Materialien wiesen sogar weniger als 15 % der Studien eine gute Qualität im Studiendesign zur Toxikologie auf, die eine Aussage zur möglichen Gesundheitsgefährdung zulassen ( Tabelle 1).
Aus diesem Grund haben es sich die Partner eines vom Deutschen Bundesminis-teriums für Bildung und Forschung (BMBF) initiierten Projekts auf ihre Fahnen geschrie-ben, dass die Studien, auf die sie im Internet auf der Website https://www.nanopartikel.info/ hinweisen, überprüft werden, bevor deren Ergebnisse in die Wissensdatenbank einfließen.
DaNa – Datenbasis Nanomaterialien, eine Sammlung aktuellen Wissens im Internet
Die Wissensbasis Nanomaterialien umfasst Daten zu Materialeigenschaften, Anwendungen, Human- und Ökotoxikologie von synthetischen Nanomaterialien. Ursprünglich „Datenbasis Nanomaterialien“ genannt, wurde im Projekt DaNa der Wechsel von der Bezeichnung Datenbasis zum Begriff Wissensbasis bewusst durchgeführt, da in DaNa nicht einfach nur eine möglichst große Sammlung an Daten über Nanomaterialien angelegt wird. Im Gegenteil, alle Daten, die hier aufgenommen werden sollen, werden auf ihre wissenschaftliche Qualität hin überprüft und nur dann berücksichtigt, wenn sie dem DaNa-Kriterienkatalog genügen. Er setzt somit eine Hürde, die die Publikationen nehmen müssen. Der Kriterienkatalog ist transparent und für alle im Internet verfügbar.
Literatur – qualitätsüberprüft
Für das in DaNa zur Verfügung gestellte Wissen werten die Projektpartner die aktuelle Literatur zu synthetischen Nanomaterialien im Bereich Human- und Ökotoxikologie aus und korrelieren sie mit den bekannten Anwendungen der jeweiligen Nanomaterialien sowie den Materialeigenschaften der grobkörnigen und nanoskaligen Partikel. Zurzeit sind auf den Seiten des DaNa-Projekts die Eigenschaften und Anwendungen von 25 Materialien erläutert, die derzeit auch nanoskalig eingesetzt werden. Das heißt jedoch nicht, dass diese Materialien den Verbraucher auch nanoskalig erreichen, denn in vielen Fällen liegen zwischen Produktion und Verkauf eines Produkts Verarbeitungsschritte, in denen die Nanomaterialien z. B. in Komposite eingebettet werden (Beispiel: Carbon Black bzw. Industrieruß im Gummi der Autoreifen). Jedoch ist prinzipiell eine Freisetzung z. B. durch Leckage oder Unfall beim Produk-tionsprozess möglich, daher muss eine mög-liche Gefährdung nicht nur der Verbraucher, sondern auch aller am Verarbeitungsprozess Beteiligter ausgeschlossen werden.
Materialdaten werden in der DaNa-Wissensbasis in die grobkörnigen und die nanoskaligen Ausprägungen unterschieden. Während erste dazu dienen, dem Leser die Materialeigenschaften in der bekannten Welt zu illustrieren, wird in der Beschreibung der nanoskaligen Materialien auf deren besondere Eigenschaften eingegangen, die durch Quanteneffekte, die Nanodimensionen oder die extreme Vergrößerung des Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnisses bei gleichbleibender Masse verursacht wird.
Kernstück der Website ist eine dreispal-tige Darstellung von Anwendungen, Materialien und Eigenschaften. Je nachdem, was der Anwender auswählt, passt sich die Darstellung in der dreispaltigen Ausgabe an. Wählt der Anwender beispielsweise Zahnersatz als Anwendung, so wird Zirkondioxid als das zugehörige Material ausgegeben: Zahnersatz kann also aus nanoskaligem Zirkondioxid gefertigt werden. Gäbe es mehrere Materialien, die dem Redaktionsteam als Zahnersatzmaterialien bekannt wären, so würden sie alle in der Materialauswahl angezeigt. Der Anwender wählt bzw. bestätigt nun das ihn interessierende Material und erhält in der rechten Spalte die Verweise auf die entsprechenden Artikel in der Wissensbasis. Darüber hinaus wird aber beim Anwählen von Zirkondioxid in der mittleren Spalte durch farbige Markierung in der linken Anwendungspalte zusätzlich darauf hingewiesen, dass Zirkondioxid auch in Brennstoffzellen oder Lacken eingesetzt wird ( Abb. 2). Materialien und Anwendungen lassen sich somit interaktiv erkunden.
Gestaffelte Informationstiefe
Interessiert sich der Anwender für detailliertere Angaben, so kann er sich zu den Informationen zu Material, Exposition und Toxikologie durchklicken. Dort werden ihm die Informationen mit gestaffeltem Detaillierungsgrad präsentiert: Zunächst ist ein einfach gehaltener Kurztext zu lesen, den er bei Bedarf weiter aufklappen kann, um so zusätzliche Informationen zu erhalten. Wissenschaftliche Hintergründe werden dann genau erläutert und Zusammenhänge hergestellt. Ziel des DaNa-Projekts ist, mit dieser zweite Stufe die Fragen eines wissenschaftlich interessierten und vorgebildeten Bürgers anhand der verifizierten Literaturerkenntnisse weitgehend zu beantworten.
Sollten nach der Lektüre dieses zweiten Detaillierungsgrades immer noch Fragen offen sein, um beispielsweise gezieltere Informationen für einen möglichen Arbeitsschutz zu erhalten, so kann der Anwender den dritten Detaillierungsgrad in Anspruch nehmen. Dieser verweist direkt auf die Originalliteratur.
Alle Daten der DaNa-Wissensbasis wer-den im Rahmen des BMBF-Projekts permanent gepflegt und aktualisiert. Durch die zweisprachige Auslegung (deutsch/eng-lisch) können auch internationale Interessen-ten auf das DaNa-Wissen zugreifen. Dass die DaNa-Wissensbasis auch außerhalb Deutschlands hohes Ansehen besitzt, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass die Europä-ische Kommission sie im Arbeitspapier „Types and uses of nanomaterials, including safety aspects“ (EC 2012) als zuverlässige Quelle für Anwendungen und Materialdaten zu Nanoobjekten mehrfach referenzierte.
Das BMBF hat im Sommer 2013 die Entscheidung getroffen, das DaNa-Projekt für weitere vier Jahre zu unterstützen. Neben den bewährten Netzwerk- und Projektunter-stützungsarbeiten, die das DaNa-Team für die vom BMBF geförderten Projekte der Initiativen NanoCare und NanoNature durchführt, wird das DaNa-Team zukünftig von weiteren Fachleuten aus dem In- und Ausland unterstützt, die bei der Auswertung der stark anwachsenden Toxikologie- und Materialliteratur zu Nanomaterialien mitwirken werden. Damit ist sichergestellt, dass die DaNa-Wissensbasis auch in Zukunft eine zuverlässige und qualitätsgesicherte Quelle für Wissen über Nanomaterialien bleibt.
Aktionspläne Nanotechnologie
Förderprogramm NanoCare
Potenziale der Nanotechnologie optimal nutzen und zugleich den verantwortungsvollen Umgang mit synthetischen Nanomaterialien sicherzustellen, sind Ziele des nationalen Gesamtkonzepts der „Hightech Strategie 2020“ und des „Aktionsplans Nanotechnologie 2015“ der Bundesregierung.
Im Hinblick auf die Sicherheit von Nano-materialien und deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt besteht grundsätzlich ein großer Forschungsbedarf. Um die offenen Fragen zu beantworten und bestehende Wissenslücken zu den Auswirkungen von Nanopartikeln auf Mensch und Umwelt zu schließen, hat das BMBF im Jahr 2009 die Fördermaßnahmen NanoCare und NanoNature ins Leben gerufen. In Zusammenarbeit mit der Industrie konnten so im Rahmen des WING-Programms (WING = Werkstoffinnovationen für Industrie und Gesellschaft; siehe http://www.bmbf.de/de/3780.php) 20 Projekte mit einem Fördervolumen von ca. 36 Mio. Euro gefördert werden. Laufzeit-Ende der Projekte ist 2013 (siehe auch https://www.nanopartikel.info//cms/Projekte).
NanoCare Projekte (2009 bis 2013)
Nachdem das „Projekt NanoCare“ (Laufzeit von 2006 bis 2009) ein großer Erfolg war und eine Vielzahl von Antworten geben konnte (Kuhlbusch et al. 2009), wurden mit der anschließenden „Fördermaßnahme NanoCare“ des BMBF tiefergehende Fragen angegangen und die humantoxikologischen Aus- und Wechselwirkungen bei der Herstellung, Verarbeitung und Anwendung von synthetischen Nanomaterialien systematisch weiter erforscht, Maßnahmen zur Risikoerkennung und ‑minimierung entwickelt sowie neue Methoden zur frühzeitigen Bewertung von Nanomaterialien etabliert. Dazu werden externe bzw. interne Expositionen quantifiziert, materialspezifische ausschlaggebende Parameter für die Toxizität bestimmt und Wirkmechanismen ermittelt, um entlang des Lebenszyklus der Nanomaterialien eventuelle toxische Wirkungen auf den Menschen nachzuweisen bzw. vorherzusagen. Eine Auflistung aller NanoCare-Projekte mit den jeweiligen Forschungsschwerpunkten ist in Tabelle 2 zu finden.
Einige Projekte befassen sich mit medizinischen Anwendungen von Nanomaterialien wie z. B. in Implantaten, Prothesen oder auch Kontrastmitteln für die medizinische Bildgebung (Computertomographie, Magnetresonanztomographie). Fragen zur Interaktion der verwendeten Nanomaterialien mit Zellen, Organen und dem gesamten Körper sowie auch die Etablierung neuer Nachweisverfahren zur Risikoabschätzung stehen hier im Vordergrund. Für eine bessere Abschätzung des potenziellen Risikos durch das Einatmen von NM wurde in weiteren Projekten u. a. ein tragbares personenbezogenes Messgerät entwickelt, das die Messung der NM-Belastung direkt am Arbeitsplatz ermöglicht (Wasisto et al. 2012). Zudem sind auch neue Prüfsysteme zu Analyse und Bewertung des Gefahrenpotenzials kohlenstoffhaltiger NM entwickelt worden. Die Validierung der verwendeten Modelle von Zellkultur und Tierversuch sowie der einzelnen Nachweisverfahren wurden eben-falls durchgeführt.
Von besonderer Bedeutung für Fragen des Arbeitsschutzes sind die Ergebnisse des Projekts NanoGEM. Zu den beteiligten Projektpartnern zählen neben den Industrievertretern von BASF und Bayer auch einige der Ressortforschungseinrichtungen des Bundes – das Bundesamt für Risiko-bewertung (BfR) und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Neben 12 industrierelevanten Nanomaterialien mit unterschiedlichen Oberflächenmodifikationen wurden hier auch Referenz-materialien der OECD mit untersucht. Sorg-fältige Analysen der toxikologischen Wirkungen nach oraler und inhalativer Exposition sowie des Verhaltens und der Verteilung im Körper konnten zeigen, dass für die orale Aufnahme auch bei extrem hohen Dosen keine Effekte beobachtet werden konnten. Einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten der NM im Körper haben Funktionalisierung bzw. Beschaffenheit der Oberfläche der Partikel. Für Fragen der Arbeits- und Produktsicherheit bei der Herstellung, Verarbeitung, Anwendung und Entsorgung wurden neue Messstrategien entwickelt, um NM in der Atemluft bestimmen zu können und dadurch ein sicheres Arbeiten mit NM zu gewährleisten. Ein dreistufiger Ansatz mit den Schritten Informationserfassung, orientierender Messung (Screening) und dem Erweiterungsschritt mit einer Intensivmessung ermöglicht es, dank geringer Kosten, auch kleinen Betrieben diese Sicherheitsmaßnahmen durchzuführen. Dieser Ansatz wurde in einer Standardarbeitsanweisung „Tiered Approach for the assessment of exposure to airborne nanoobjects in work-places“ zusammengefasst (Asbach et al. 2012; Kaminski et al. 2013; s. auch http://www.nanogem.de). Werden Partikel aus weiterverarbeiteten Produkten wie z. B. Nanokompositmaterialien freigesetzt, so liegen diese fast ausschließlich in der eingebetteten Matrix und nicht im Ausgangszustand vor und zeigen auch keine toxischen Effekte auf. Im Rahmen der Risikobewertung der verwendeten Materia-lien wurde das EMKG-Prinzip (Einfaches Maßnahmenkonzept für Gefahrstoffe) der BAuA angewandt (BAuA 2013) und eine Risikoabschätzung anhand der vorhandenen Datenlage aus Literaturrecherche und Projektergebnissen durchgeführt. Die erstellten Bewertungen sind bis zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.
Ausschreibung NanoCare 2014
Auch in den kommenden Jahren wird die Förderung der Forschung im Bereich Nano-technologie weitergehen. Im November 2012 wurde vom BMBF eine weitere Ausschreibungsrunde „NanoCare“ gestartet. Zum Zeitpunkt des Artikels befinden sich alle eingereichten Projektvorschläge noch in der Begutachtung, der Start neuer Projekte ist für Anfang 2014 vorgesehen. Thematisch weitergeführt werden zum einen Forschungsvorhaben, die die Auswirkungen von synthetischen Nanomaterialien auf den Menschen und die Umwelt untersuchen. Zum anderen sollen auch die (Weiter)Entwicklung neuer aussagefähiger Teststrategien und Messmethoden zum Nachweis der Materialien in komplexen Systemen (biologischen Medien, verschiedene Ökosysteme) sowie das optimierte Design von Materialien, die unbedenklich für Mensch und Umwelt sind, vorangetrieben werden. Gerade im Hinblick auf Fragen des Arbeitsschutzes gilt es, die Lücken in den Bereichen Standardtestverfahren, Etablierung von Referenzmaterialien und Strategien zur Abschätzung und Vorhersage von Risiken zu füllen, um den Umgang mit Nanomaterialien sicher zu gestalten.
Nach derzeitigem Wissenstand sind ge-mäß Aussagen der BAuA (Packroff 2013) zusätzliche gesetzliche Regelungen zum Arbeitsschutz für eine sichere Handhabung von Nanomaterialien am Arbeitsplatz nicht erforderlich, da die bereits vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen ausreichend sind. Per se sind die NM nicht gefährlich, allerdings können beim Umgang mit Stäuben von biobeständigen Partikeln oder Fasern, die durch Einatmen bis tief in die Lunge gelangen, zusätzliche Schutzmaßnahmen erforderlich werden. Forderungen an die bestehende Gesetzgebung sind die Aufnahme von zusätzlichen Prüf- und Informationspflichten zum Verstaubungsverhalten von Stoffen in die EU-Chemikalienverordnung REACH. Durch verbesserte Gefahrstoff-informationen kann so die Gefährdungs-beurteilung beim Umgang mit NM wesentlich erleichtert werden.
Förderprogramm NanoNature
Während für die menschliche Gesundheit die Exposition am Arbeitsplatz über chronische Inhalation von Stäuben als Hauptrisiko angenommen wird, so scheint für die Umwelt ein solches Risiko auf bestimmte Materialien begrenzt zu sein. Hier stehen nanoskalige Metallpartikel und Partikel aus Metalloxiden im Fokus, wobei aber auch die sich lösenden Ionen bei einer Wirkung berücksichtigt werden müssen (Aschberger et al. 2011).
Neben der Exposition und Gefahr für den Menschen müssen auch mögliche Gefährdungen der Umwelt untersucht werden. Treten Expositionen und Umweltgefährdungen auf, so wirken diese direkt oder in-direkt immer auch auf den Menschen zurück. Im Folgenden wird deshalb auf die Nutzung der Nanotechnologie für Umweltanwendungen und die Untersuchung möglicher Umweltgefährdungen durch Nanomaterialien (NM) eingegangen.
Mit NanoNature wurde vom BMBF ein Förderprogramm ins Leben gerufen, das die Entwicklung von nanotechnologischen Anwendungen für dem Umwelt- und Naturschutz unterstützt. Geförderte Projekte beschäftigen sich beispielsweise mit dem Einsatz von nanoskaligem Eisen für die Reinigung von schwerverschmutzten Grund- und Abwässern oder mit der Entwicklung von Nanofiltern zur verbesserten Reinigung von Krankenhausabwässern ( Tabelle 3). Viele der Projekte entwickeln Produkte, die mittels Nanotechnologie auch die menschliche Exposition mit Schadstoffen reduzieren helfen (z. B. verbesserte Rußpartikelfilter). Bei einem Teil dieser Umwelttechnologien findet aber auch eine gewollte Freisetzung von Nanomaterialien in die Umwelt während der Anwendung statt. Aus diesem Grund wurden Sicherheitsaspekte innerhalb dieser Projekte nanospezifisch mit berücksichtigt. Das betrifft beispielsweise Umweltorganismen (u. a. Stellvertreterarten Algen, Wasserflöhe, Bakterien und Zebrafische), die in mehreren Projekten zur Untersuchung der entwickelten Nanomaterialien mittels Standardtests herangezogen wurden.
Andererseits werden bei der Entwicklungsarbeit auch Arbeitsschutzaspekte be-rücksichtigt u. a. durch Erstellen von Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Nanomaterialien für Sanierungs-und Dekontaminationstechniken. Diese Handlungsempfehlungen berücksichtigen neben Synthese und Transport vor allem die Handhabung der Nanomaterialien am Ort der Anwendung und benennen konkrete Schutzmaßnahmen für die Menschen, die mit den NM umgehen.
OECD-Aktivitäten von UBA/BMU
Im Jahr 2007 startete das so genannte Spon-sorship Programme der Working Party on Manufactured Nanomaterials (WPMN) der OECD (OECD 2013). Deutschland wird dabei vom Umweltbundesamt vertreten und ist Hauptsponsor für TiO2 (nano). Das bedeutet, dass sämtliche Testaktivitäten für dieses Material in Deutschland koordiniert und zum Teil auch hier durchgeführt werden. Gegenwärtig werden die Ergebnisse der ersten Testphase ausgewertet und der Forschungsbedarf für die zweite Phase ermittelt. Neben der Evaluierung der Test-ergebnisse zu den NM werden auch die Testmethoden, hier vor allem die OECD-Testrichtlinien, kritisch hinsichtlich ihrer Eignung für die Untersuchung von Nanomaterialien betrachtet. Für einige umweltrelevante Testrichtlinien wurden bereits spezifische Änderungen oder Anpassungen für die Erfordernisse von Nanomaterialien ermittelt.
Forschungsstrategie der Ressort-forschungseinrichtungen des Bundes
In enger Vernetzung mit den OECD-Aktivitäten wurden von den beteiligten fünf Bundesoberbehörden (Umweltbundesamt – UBA, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – BAuA, Bundesinstitut für Risikobewertung – BfR, Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung – BAM, und Physikalisch-Technische Bundesanstalt – PTB) über 80 Forschungsprojekte im Rahmen der Forschungsstrategie „Nanotechnologie – Gesundheits- und Umweltrisiken von Nanomaterialien“ in den Jahren 2007–2011 gefördert.
Eine Bilanzierung der Ergebnisse dieser Forschungsprojekte zeigte für die Zukunft folgende Schwerpunkte auf, die noch zu bearbeiten sind:
- 1. Ansätze zur Gruppierung der Vielzahl von Nanomaterialien finden, um so verallgemeinerungsfähige Aussagen über mögliche Risiken für Arbeitnehmer, Verbraucher und Umwelt abzuleiten,
- 2. die Integration der Sicherheitsaspekte zu Nanomaterialien in die bestehenden Rechtsvorschriften zum Stoff- und Produktrecht sowie zum Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutz über die nächsten Jahre, und
- 3. weitere Prioritäten in der Forschung zur Förderung sowohl einer sicheren, als auch einer nachhaltigen Nutzung der Potenziale der Nanotechnologie, die in die im Aktionsplan Nanotechnologie 2015 (BMBF 2013) der Bundesregierung dargelegten strategischen Ziele eingeflossen sind.
UBA: Empfehlung zur Integration von Nanoprodukten unter REACH
Die REACH-Verordnung ist die Europäische Chemikalienverordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe. Sie ist seit 2007 in Kraft und soll ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sicherstellen. Das UBA ist dabei für die Bewertung der Umweltrisiken von Chemikalien zuständig (analog dazu sind das BfR für menschliche Gesundheit/Verbraucher und die BAuA für Arbeitssicherheit zuständig). Nanomaterialien und ihre Besonderheiten sind in dieser Chemikalienverordnung nur unzureichend adressiert. Daher hat das UBA eine Reihe von Verbesserungs- und Weiterentwicklungsvorschlägen von REACH erarbeitet, die die Anforderungen für NM spezifiziert (UBA 2013).
NanoKommission der Bundesregierung
Für die Jahre 2006 bis 2008 sowie 2009 bis 2011 hat die Bundesregierung das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit beauftragt, eine Kommission ein-zusetzen, die sich in einem Dialog verschiedener Stakeholder ein Bild zur Sicherheit der Nanotechnologie machen sollte. Beide Phasen wurden jeweils mit einer Dialogveranstaltung abgeschlossen und zu den Ergebnissen wurde ein Bericht publiziert. Während in der ersten Phase sowohl die Chancen für Umwelt und Gesundheit als auch die möglichen Risiken und die Sicherheitsforschung im Vordergrund standen und diese Phase letztlich in der Formulierung von fünf Prinzipien für einen verantwortungsvollen Umgang mit Nanomaterialien mündete (NanoKommission 2008), wurden diese Prinzipien in der zweiten Phase als Ausgangspunkt gesehen, um weitergehende Empfehlungen zur Regulierung und Nachhaltigkeit im Umgang mit Nanomaterialien zu verfassen (NanoKommission 2011).
Die fünf Prinzipien, die hier als zutreffend beschrieben und formuliert wurden, lauteten:
- Verantwortung und Management definieren und offenlegen (Good Governance),
- Transparenz hinsichtlich Nanotechnologie-relevanter Informationen, Daten und Prozesse,
- Bereitschaft zum Dialog mit Interessengruppen,
- Risikomanagement etablieren,
- Verantwortung in der Wertschöpfungskette übernehmen.
Die Empfehlungen der Kommission gingen dahin, dass die Prinzipien in die Leitfäden von Branchen bzw. in Unternehmensleitlinien übernommen werden sollten, um die Transparenz schon bei der Produktion von Materialien als auch bei der Herstellung von Produkten zu gewährleisten. Nachdem in drei Arbeitsgruppen in der ersten Phase die Grundlagen erarbeitet worden waren, haben sich zwei Gruppen in der zweiten Phase den folgenden wichtigen Fragestellungen gewidmet:
- die Erstellung branchenübergreifender Prüfkriterien zu Nutzen- und Risiko-aspekten von Produkten in der Entwicklungsphase in fünf Kategorien – Umwelt, Verbraucher, Arbeitnehmer, Gesellschaft und Unternehmen.
- die Vertiefung der Frage nach sinnvollen Kriterien für die vorläufige Risikoabschätzung von Nanomaterialien.
In dieser Phase liefen die Entwicklungen in Deutschland nahezu parallel zu den Diskussionen in der Schweiz. Die Prüfkriterien zu Nutzen und Risikoaspekten sind dort checklistenartig aufgebaut und decken die Bereiche des gesamten Lebenszyklus ab (von der Produktion bis zur Entsorgung). Eingesetzt werden sollen diese Kriterien von weiterverarbeitenden Unternehmen und Entsorgern und sollen kleinen und mittelständischen Unternehmen eine Hilfe-stellung sein. Bei der Risikoabschätzung wurden Expositionswahrscheinlichkeit, physikalisch-chemische Eigenschaften, Um-weltverhalten, Toxikologie und Ökotoxikologie von Nanomaterialien mit konkreten Leitfäden spezifiziert, damit diese vom Anwender klar verstanden und eingesetzt werden können. Insofern gleicht hier das Vorgehen in der Schlussphase der NanoKommission dem Schweizerischen Vorsorgeraster (s. unten), auf das auch im Bericht der NanoKommission ausdrücklich verwiesen wurde.
Letztlich wurden aus diesen Kriterien auch Vorschläge für Regulierungsmaßnahmen abgeleitet, die von REACH über die Kosmetikverordnung, die Biozid-Produkte und Pflanzenschutzverordnung bis zum Lebensmittelrecht reichen. Zu weitergehenden Fragen nach einem Produkteregister sowie zur Kennzeichnung von Verbraucherprodukten wurden Stellungnahmen abgegeben. Eine der wichtigen Empfehlungen war jedoch auch, dass zur Schließung bestehender Forschungs- und Wissenslücken die Fördermittel deutlich erhöht werden sollten, was in den neuen Forschungsprogrammen „NanoCare“ und NanoNature“ berücksichtig wurde (s. oben).
Der Schweizer Aktionsplan zu synthetischen Nanomaterialien
Der Schweizerische Aktionsplan "Synthetische Nanomaterialien" wurde 2008 in Kraft gesetzt, mit dem Ziel, die möglichen Chancen und Risiken von NM zu bestimmen und eine sichere und nachhaltige Entwicklung der Nanotechnologie zu unterstützen. Dazu wurden folgende Maßnahmen definiert (Meili et al. 2007):
- Schaffen der Rahmenbedingungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit synthetischen Nanomaterialien,
- Schaffen wissenschaftlicher und methodischer Voraussetzungen, um mögliche schädliche Auswirkungen von synthetischen Nanomaterialien auf Gesundheit und Umwelt zu erkennen und zu vermeiden,
- Förderung des öffentlichen Dialogs über Chancen und Risiken der Nanotechnologie,
- bessere Nutzung bestehender Förderinstrumente für die Entwicklung und Markteinführung nachhaltiger Anwendungen der Nanotechnologie.
Aus diesem Aktionsplan wurden Projekte umgesetzt, die die Rahmenbedingungen zur sicheren Nutzung der Nanotechnologie verbessern, Transparenz fördern und neues Wissen generieren. So wurde das Vor-sorgeraster für synthetische Nanomaterialien speziell für Gewerbe und Industrie entwickelt, das es erlaubt, auf freiwilliger Basis das Gesundheits- und Umweltrisiko von Nanoprodukten zu beurteilen (Vorsorge-raster 2013). Ein überarbeiteter Leitfaden zur Erstellung des Sicherheitsdatenblattes für synthetische NM soll die Transparenz und den Informationsfluss entlang der Lieferkette fördern (SDB 2013). Die Entsorgung von industriellen Nanoabfällen wurde in einer Arbeitsgruppe diskutiert und in einem Konzeptpapier festgehalten, das vorhandenes Wissen und Empfehlungen zum Umgang mit "Nano"-Abfällen beinhaltet (Tellenbach-Sommer 2012).
Wissenslücken um die „Chancen und Risiken von Nanomaterialen“ werden in dem gleichnamigen, groß angelegten nationalen Forschungsprogramm NFP64 geschlossen, das ein Fördervolumen von 12 Mio. Schweizer Franken besitzt. Das Programm startete 2010 und unterstützt aktuell 23 Projekte in fünf verschiedenen Modulen, die Themenbereiche wie biomedizinische Anwendungen, Umwelt, Nahrungsmittel sowie Energie und Baumaterialien abdecken. Das nationale Forschungsprogramm 64 läuft noch bis Ende 2016.
Mit der Einführung der NANO-Dialogplattform des Bundesamtes für Gesundheit 2009 kamen Vertretern von Behörden, Konsumentenorganisationen, Industrie und Detailhandel zusammen, um nach Möglichkeiten zu suchen, wie die Öffentlichkeit transparent und verständlich über die Nanotechnologie und ihre Anwendungen informiert werden kann. Mit der neu geschaffenen Website InfoNano (InfoNano 2013) ist eine zentrale Informationsstelle des Bundes zur Nanotechnologie entstanden, die den faktenbasierten Dialog mit der Öffentlichkeit zusätzlich unterstützen soll.
Der Bundesrat der Schweiz hat die Weiterführung des Aktionsplans in der Schweiz bis 2015 beschlossen.
Das NanoEHS-Programm in Österreich
Auch das Nachbarland Österreich hat sich speziell den Nanorisiken gewidmet und im Jahr 2010 einen Aktionsplan zur Unter-suchung der Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsfragen von Nanomaterialien aufgestellt (Lebensministerium 2013). Dabei werden in einem Forschungsschwerpunkt gezielt Projekte finanziert ( Tabelle 4), die sich der umwelt- und gesundheitsbezogenen Forschung widmen, insbesondere jedoch Fragen zu ArbeitnehmerInnen-, Gesundheits- und KonsumentInnenschutz behandeln.
Der „NANO EHS Forschungsschwerpunkt“ unterstützt Aktivitäten in zwei Themenbereichen:
- die Grundlagen für die Risikobewertung bei der Verwendung von Nanomaterialien am Arbeitsplatz sowie in verbrauchernahen Produkten stärken.
- innovative und zuverlässige Schutzmaßnahmen für den Umgang mit Nanomate-rialien – insbesondere bei Expositionen am Arbeitsplatz auf Grundlage einer vorsorgeorientierten Risikobewertung – definieren und die technische Verfügbarkeit sicherstellen.
Vor allem im Projekt NanoTrust des Förder-programms informieren auch unsere österreichischen Nachbarn interessierte Laien und die Politik über wichtige Zusammenhänge und Maßnahmen mit dem Schwerpunkt Gesundheits- und Umweltrisiken der Nanotechnologie (NanoTrust 2013). In mittlerweile 39 sog. "Dossiers" informiert die Forschungsgruppe über wichtige Fragen und Probleme bei der Herstellung oder im Umgang mit NM. Zusätzlich bietet das Projekt eine umfangreiche Literatursuche an, die eine tiefergehende Information zulässt.
Der NanoSafetyCluster der Europäischen Union
Das Europäische Regelwerk zu NM entstand auf der Basis eines Strategie- und Aktionsplans, der erstmals unter dem Titel "Towards a European Strategy for Nanotechnology" im Mai 2004 veröffentlicht wurde (EC 2004). In dieser Mitteilung werden Maßnahmen als Teil eines integrierten Konzepts vorgeschlagen, das die europäische Forschung und Entwicklung (F&E) im Bereich der Nanowissenschaften und ‑technologien erhalten und intensivieren soll. Der Fokus wurde auf die folgenden sieben Maßnahmen gelegt:
- Erhöhung der Investitionen und Koordination von F&E, um die industrielle Nutzung von Nanotechnologien auszu-bauen und gleichzeitig ein hohes Wissen-schafts- und Wettbewerbsniveau beizubehalten;
- Entwicklung einer wettbewerbsfähigen F&E-Infrastruktur ("High-Tech-Zen-tren"), die dem Bedarf von Industrie und Forschungseinrichtungen Rechnung trägt;
- Förderung der interdisziplinären Aus- und Weiterbildung von Forschungspersonal mit verstärkter unternehmerischer Denkweise;
- Gewährleistung vorteilhafter Bedingun-gen für Technologietransfer und Inno-vation, damit die europäische F&E Produkte und Verfahren kreiert, die zur Schaffung von Wohlstand beitragen;
- frühzeitiges Einbeziehen gesellschaftlicher Überlegungen in den F&E Prozess;
- Behandlung potenzieller Risiken für die öffentliche Gesundheit, Sicherheit, Umwelt und Verbraucher im Vorfeld durch Erfassung der notwenigen Daten zur Risikobewertung, deren Integration in jeden Schritt des Lebenszyklus nano-technologischer Produkte, Anpassung vorhandener und ggf. Entwicklung neuer Methoden;
- Abrundung obiger Maßnahmen durch entsprechende Zusammenarbeit und Initiativen auf internationaler Ebene.
Seitdem wurden diese ersten Maßnahmen verfeinert, wie z. B. im Dokument "Nanowissenschaften und Nanotechnologien: Ein Aktionsplan für Europa 2005–2009" (EC 2005) beschrieben, oder sie wurden bereits implementiert und via Durchführungsberichten publiziert (EC 2007, 2009). In beiden Berichten wird die deutliche Weiterentwicklung der Nanotechnologie dargelegt, die weitere Aufstockung der Forschungsmittel angeregt und die aktive Politikgestaltung unterstützt. Die neuartigen Anwendungen und Produkte der Nanotechnologie fordern auch Bemühungen, eine Berücksichtigung gesellschaftlicher und sicherheitsbezogener Bedenken fortzusetzen, respektive zu intensivieren. Daraus veröffentlichte die Kommission 2008 (EC 2008a) eine Empfehlung für einen Verhaltenskodex für verantwortungsvolle Forschung im Bereich der Nanowissenschaften und ‑technologien.
In 2008 erschien ebenfalls ein Dokument der Europäischen Kommission (EC 2008b), in dem die Überprüfung der auf Nanomaterialien anwendbaren Rechtsvorschriften, die den Nutzen aus den neuen Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologie sichern und gleichzeitig ein hohes Maß an Gesundheitsschutz, Sicherheit und Umweltschutz wahren, dargelegt wurden. Es wurde festgehalten, dass die derzeitigen Rechtsvorschriften weitgehend den mit NM verbundenen Risiken gerecht werden, und dass es der aktuelle Rechtsrahmen ermöglicht, mit diesen Risiken umzugehen. Es wurde aber auch deutlich gemacht, dass die Umsetzung der Rechtsvorschriften und Anwendung damit eingeführter Regulierungsinstrumente nach wie vor eine besondere Herausforderung darstellt.
Die entscheidende und immer noch kontrovers diskutierte Entwicklung im Aktionsplan war die Definition von NM, die nicht nur wissenschaftlich, sondern auch juristisch anwendbar sein muss. In 2011 wurde folgender Vorschlag zur Definition von NM publiziert (http://ec.europa.eu/environment/chemicals/nanotech/index.htm#definition): A natural, incidental or manufactured material containing particles, in an unbound state or as an aggregate or as an agglomerate and where, for 50 % or more of the particles in the number size distribution, one or more external dimensions is in the size range 1–100 nm. In specific cases and where warranted by concerns for the environment, health, safety or competitiveness the number size distribution threshold of 50 % may be replaced by a threshold between 1 and 50 %.
Die Schwierigkeit dieser Definition liegt darin, dass sie auf einer rein physikalischen Eigenschaft basiert: der Größe. Diese Definition wird hauptsächlich benötigt, um Materialien zu identifizieren, die unter spe-zielle Regelungen gestellt werden sollten, z. B. für zusätzliche Risikoanalysen oder eine Deklaration.
Die Forschung und Entwicklung von Nanowissenschaften und ‑technologien wurde und wird in den Forschungsrahmen-programmen 6 und 7 der EU sowie im neuen Programm "Horizon 2020" substan-tiell gefördert. Im Bereich der Nanosicher-heitsforschung sind im 7. Rahmenprogramm 34 Projekte mit 106 Mio. Euro gefördert worden, die sich explizit mit den Wirkungsmechanismen, Methodenentwicklung und Folgenabschätzung von NM beschäftigen. Um die Synergien der einzelnen Projekte besser nutzen zu können, sind alle laufenden Aktivitäten unter der Schirmherrschaft des NanoSafety Clusters vereint (NanoSafetyCluster 2013). Diese übergeordnete Organisation erleichtert die Bildung eines Konsens zur Nanotoxikologie in Europa, bündelt und erhält eine Stimme in der Diskussion mit externen Organisationen, verhindert Redundanzen in der Forschung und fördert damit die Effizienz, harmonisiert Methoden und dient als Wissensplattform für alle Stakeholder aus Industrie und Gesellschaft.
Ein 2013 gestartetes Projekt mit dem Akronym NanoReg ("A common European approach to the regulatory testing of nanomaterials") ist speziell erwähnenswert, da es ausschließlich auf die Bedürfnisse der Behörden ausgerichtet ist. Es soll die Aktivitäten der Behörden, die verantwortlich sind für Arbeitsplatzsicherheit, Volksgesundheit und Umwelt mit der Wissenschaft zusammenbringen, um eine gemeinsame und sinnvolle Basis für die Regulierung von nanotechnologischen Anwendungen schaffen.
Vorsorge für den Arbeitsplatz und das Schweizer Vorsorgeraster
Bereits im Jahr 2006 hat sich eine Arbeitsgruppe von Wissenschaftlern der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen in Bad Neuenahr mit dem The-ma der Vorsorge bzw. der Anwendbarkeit des „Precautionary Principles“ im Falle von Nanomaterialien beschäftigt (Brune et al. 2006). Obwohl zu dieser Zeit viele der oben bereits erwähnten Projekte und Aktionspläne noch gar nicht begonnen worden waren, wurde dort bereits festgestellt: „The result is that there are indications for nanoparticle risks for health and environment in some cases but that there is no reason for serious concern“. Somit wurde auch keine Grundlage für die Anwendung des Vor-sorgeprinzips erkannt. Dies hat sich auch oder gerade bei heutiger Daten- und Wissenslage nicht verändert, sondern es gilt immer noch der Grundsatz, dass es keinen Grund zur Besorgnis gibt, sehr wohl aber Gründe für einen vorsichtigen Umgang mit Nanomaterialien am Arbeitsplatz. Spätestens seit der Feinstaubdiskussion, aber auch der Regulierung aller partikelbelasteten Arbeitsplätze sollte klar sein, dass es ein grundsätzliches Bedürfnis ist, den Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerin an einem Staub- bzw. Nanopartikel belasteten Arbeitsplatz vor einer Aufnahme dieser Partikel vor allem über die Lunge zu schützen. Diese Möglichkeit der Exposition bei der Herstellung der Nanomaterialien, aber auch bei deren Weiterverwendung zur Herstellung von Verbraucherprodukten, gab in der Schweiz den Anlass, ein Werkzeug zu etablieren, mit dem sich alle Produzenten darüber informieren können, ob die Prozesse der Herstellung, die Ausstattung der Arbeitsplätze mit Arbeitsschutzmaßnahmen bzw. auch ihre Produkte dem gegenwärtigen Sicherheitsstandard entsprechen, das sog. Vorsorgeraster (2013). Hier finden Unternehmer, vor allem aber KMU, wichtige Informationen und die Möglichkeit zur Selbstkontrolle. Ein mögliches Ergebnis bei der Anwendung dieses Rasters könnte beispielsweise sein, dass die Firma sich mehr Information über ihre Prozesse bzw. ihre Produkte beschaffen muss. Entweder kann diese Information aus Publikationen herausgezogen werden oder aber es müssen Experten hinzugezogen werden, die sich die Prozesse näher ansehen und eine Beurteilung vornehmen. In jedem Fall gibt die Anwendung des Vorsorgerasters Hinweise auf Schwachstellen im Ablauf der Herstellung und somit dem Hersteller mehr Sicherheit im Umgang mit der Nanotechnologie. Außerdem werden weitere Werkzeuge angeboten, wie z. B. eine Vorlage für ein Sicherheitsdatenblatt für den Einsatz bei Nanomaterialien (SDB 2013).
Störfallvorsorge
Der Vorsorgeplan zu synthetischen Nano-materialien in der Schweiz umfasst zusätzlich auch den Fall, dass durch größere, meist katastrophale Unfälle die Exposition von Mensch und Umwelt gegenüber Nanomaterialien in einem Bereich sehr hoher Konzentrationen liegen kann. Dieser Fall ist bisher in der 12. Verordnung zur Durchführung des Deutschen Bundes-Immis-sionsschutzgesetzes (Störfallverordnung) für Nanomaterialien nicht explizit aufgeführt. In der Schweiz wurde jedoch eine Studie in Auftrag gegeben, die sich mit der Betrachtung solcher Störfälle beschäftigt hat, um abschätzen zu können, inwieweit Nanomaterialien aufgrund eines möglichen vorhandenen Gefahrenpotenzials in einem solchen Fall zu extremen negativen Folgen führen könnten (Krug et al. 2012).
Aktuell herrscht noch Uneinigkeit, ob Nanomaterialien in den bestehenden Gesetzgebungen zur Störfallvorsorge ausreichend abgedeckt sind oder nicht. Die Europäische Kommission hält fest, dass Nanomaterialien mit Störfallpotenzial im Rahmen der Seveso-II-Direktive der EU entsprechend kategorisiert werden können (EC 2008b). Die OECD will die internationale Zusammenarbeit bezüglich der Toxizität und Ökotoxizität fördern, allerdings wird das Thema Störfall nicht explizit diskutiert. Wie oben bereits erwähnt, ist im Rahmen des Schweizerischen Aktionsplan "Synthe-tische Nanomaterialien" 2012 ein erstes Dokument zur Ergänzung der Störfallvorsorge für NM erstellt worden (Krug et al. 2012), das eine erste Einschätzung der Human- und Ökotoxizität von NM bei einem Störfall im Vergleich zu herkömm-lichen Chemikalien enthält.
Aus der Vielzahl verschiedener Nanomaterialien sind für ein Störfallszenario nur die Materialien von Interesse, die weit verbreitet sind und in größeren Mengen hergestellt und verwendet werden. Die Zuordnung, ob ein Material als Nanomaterial gelistet wird, hängt von der Auslegung der Definition ab (s. oben).
Unter diesem Gesichtspunkt sind zum Beispiel Industrieruß, Silikate, Farbpigmente sowie synthetisch hergestellte Titandioxid-, Zinkoxid- und Silber-Nanopartikel oder Kohlenstoffnanoröhrchen Kandidaten (Gottschalk et al. 2009), die unter eine Störfallbetrachtung fallen würden. Die Schwierigkeit bei der Auslegung der Definition liegt darin, den Anforderungen gerecht zu werden, ohne zu überregulieren. Beispielsweise sollte klar werden, dass nur Firmen, die mit ungebundenen, diskreten Partikeln arbeiten, der (Nano-)StFV unterliegen. Sobald die NM in einer festen Matrix eingebunden sind, ist das Freisetzungsrisiko signifikant reduziert. Eine weitere Herausforderung besteht, wenn neue Erkenntnisse dazu führen, dass bis dahin als herkömmlich eingestufte Materialien (TiO2 als Farbpigment) "plötzlich" als NM klassifiziert werden müssen. Hier besteht nach wie vor Diskussionsbedarf, wie die Definition endgültig ausgelegt wird oder werden sollte.
Unabhängig von der Definition und der Einschränkung auf Nanomaterialien könnte ein Störfall dort auftreten, wo auch größere Mengen eines potenziell toxischen Stoffes vorhanden sind. Denkbare Szenarien könnten im Zusammenhang mit der Produktion und Verarbeitung als auch bei der Lagerung und dem Transport von NM bestehen. Die möglichen Auswirkungen hängen stark von den vorhandenen Nanomaterialien, den zusätzlich vorhandenen Chemikalien sowie von situations- und anlagespezifischen Faktoren ab. Es ist entscheidend, ob die NM als Pulver oder Suspension (wässrig oder in Lösungsmittel) vorliegen, zusammen mit leicht entzündlichen oder sogar explosiven Stoffen gelagert werden. Außerdem sind die Qualität der Gebinde, in denen sie transportiert werden, und die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen zu berücksichtigen. Daraus leiten sich mögliche relevante Szenarien ab:
- Explosion oder Brand bei der Synthese:Je nach Sicherheitsmaßnahmen und Lagermengen an organischen Lösungs-mitteln und NM können größere Mengen hauptsächlich in die Luft oder via Löschwasser ins Abwasser/Oberflächen-wasser gelangen. Bei einem solchen Vorfall ist zu berücksichtigen, dass sich die Partikel dadurch verändern, z. B. metallische NM zu metalloxidischen NM oxidieren, oder sie verbrennen, wie z. B. kohlenstoffbasierte Materialien.
- Transport von NM:Transporte sind mit einem vergleichsweise hohen Risiko verbunden, da Verkehrsunfälle relativ häufig sind. Konkret sind zwei Fälle zu erwähnen: Im Jahr 2011 verlor ein Lastzug auf einer Landstraße im Elsass mehrere Säcke à 750 kg photokatalytisches Titandioxid1. Am 12. 04. 2012 kippte ein Lastzug mit 23 t Zinkoxidgranulat auf der A 8 in der Region Ulm um. Gemäß der darauffolgenden Pressemitteilung seien Mensch und Umwelt nicht gefährdet. Bei der Risikoeinschätzung gilt es jedoch zu beachten, dass die Mengen an NM, die auf Schienen und Straße transportiert werden, nicht genau bekannt sind.
- Brand bei Lagerung oder Verarbeitung:Bei der Lagerung und Verarbeitung kann es durch interne (technische Störungen) oder externe Faktoren wie Naturgewalten zu großen Bränden kommen, die eine Verbreitung in die Luft oder Wasser mit sich bringen können.
Grundsätzlich haben Störfälle mit pulverförmigen NM höhere Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, da sie einfacher verbreitet werden als Suspensionen.
Basierend auf den beschriebenen Szenarien ist eine primäre Freisetzung der NM in alle drei Umweltkompartimente (Luft, Wasser und Boden) möglich, wobei die Freisetzung in die Luft und ins Oberflächengewässer/Abwasser für Mensch und Umwelt als relevant einzustufen ist, im Gegensatz zum Boden, wo die Mobilität der NM sehr eingeschränkt ist.
Die Auswirkungen von NM auf Mensch und Umwelt können nicht abschließend beurteilt werden. Dazu sind die NM physikalisch-chemisch zu verschieden. Auch ist die Sensitivität der verschiedenen Organismen auf NM sehr unterschiedlich und muss im Einzelfall beurteilt werden. Bei einem Störfall ist eine überdurchschnittliche Menge der freigesetzten NM für kurze Zeit (in Minuten/Stunden) zu erwarten, die sich natürlicherweise sehr schnell ausdünnt respektive verdünnt. Für einen gesunden Menschen bedeutet dies, dass die Inhalation von NM die wahrscheinlichste Exposition darstellt. Im Gegensatz dazu ist für die Umwelt der Eintrag von NM in Gewässer entscheidend. Grundsätzlich sind Größe und Oberflächenbeschaffenheit der NM für die Bioverteilung im Organismus und die Oberflächenbeschaffenheit und chemische Zusammensetzung für mögliche toxische Effekte entscheidend. In Tabelle 5 sind die Auswirkungen von verschiedenen synthetisch hergestellten NM auf Mensch und Umwelt zusammengefasst. Weiterführende Befunde wurden zu diesen Aspekten kürzlich publiziert (Nowack et al. 2013; Som et al. 2011).
Ein Schlüsselfaktor bei der Störfallvorsorge sind die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen, die die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt substantiell verringern können. Diese werden in drei Klassen zusammengefasst:
- Bauliche Maßnahmen: Die bereits bekannten Vorkehrungen für chemische Prozesse (Feuerschutztüren, Rückhaltevorrichtungen etc.) sind unabdingbar und ausreichend für einen sicheren Umgang mit NMs.
- Technische Maßnahmen: Zusätzlich zu den baulichen Maßnahmen unterstüt-zen technische Installationen wie z. B. Sprinkleranlagen, Druck kontrollierte Räume, separate Lagerräume etc. die Störfallvorsorge wesentlich.
- Organisatorische Maßnahmen: Mit diesem Instrument kann am flexibelsten auf nanorelevante Störfälle eingewirkt werden. Fundierte Schulungen des Personals, Zutrittskontrollen, Ausbildung an persönlicher Schutzausrüstung usw. sind sehr einfache, aber wirkungsvolle Maßnahmen, die situationsspezifisch und maßgeschneidert angewandt werden können.
Das Zusammenspiel aller Maßnahmen reduziert erheblich das Störfallrisiko auch im NM-Bereich.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Auslegung der "Nano-Definition" einen wesentlichen Einfluss darauf haben wird, ob und wie Nanomaterialien im Störfall gesetzlich gehandhabt werden. Die notwendige Transparenz, in welchen Anwendungen und Formulierungen NM enthalten sind, kann nur über das Materialsicherheits-datenblatt (SDB 2013) gewährleistet werden. Hier sind die Diskussionen über Inhalte, Form und Anwendbarkeit noch im Gange. Vonseiten der Wissenschaft besteht weiter erheblicher Forschungsbedarf hinsichtlich der (Öko)Toxizität bzw. der Wirkungsmechanismen der NM. Um fundierte Vergleiche zu den verschiedenen NM und biologischen Testsystemen zu erhalten, sind zuverlässige, robuste und standardisierte Analysemethoden notwendig. Für einige industriell relevante NM gibt es zwar mittlerweile eine breite Anzahl Studien, die belegen, dass mit heutigem Stand des Wissens kein spezifischer Handlungsbedarf im Sinne der StFV vorliegt, dennoch empfiehlt es sich, das Monitoring aufrechtzuhalten. Die Auflagen und Sicherheitsmaßnahmen, die für chemi-sche Prozesse zur Anwendung kommen, genügen auch den Anforderungen für NM.
Harmonisierung von Untersuchungsmethoden – Das Projekt VIGO
Wie bereits in der Einleitung zu diesem Artikel festgestellt, steigt die Zahl der Publikationen zum Thema "Nanotoxikologie" fast exponentiell an (Haynes 2010). Dennoch kann nicht behauptet werden, dass mit dieser steigenden Zahl an Publikationen auch das Wissen um die möglichen Gefährdungen durch die kleinen Partikel erhöht wird (Krug u. Wick 2011). Bestimmte Nanomaterialien werden in einer Veröffentlichung als "hochgiftig" eingestuft, während andere Publikationen zum gegenteiligen Ergebnis gelangen. Diese Widersprüche machen es nicht nur Wissenschaftlern, sondern auch dem industriellen Hersteller, dem Endverbraucher und vor allem auch den Politikern schwer, mögliche Gefährdungen und Risiken korrekt einzuschätzen.
Woraus resultieren solche konträren Schlussfolgerungen? Hier spielen mehrere Faktoren eine entscheidende Rolle, die sich grundsätzlich zwei Bereichen zuordnen lassen:
- 1. Wie wurden die Daten generiert?
- 2. Welches NM wurde verwendet?
Generell können Toxizitätsdaten entweder in vivo oder in vitro generiert werden. Verschiedene Spezies (z. B. Maus und Kanin-chen) können zudem unterschiedlich auf die Behandlung mit Nanomaterialen reagieren. Darüber hinaus verändert auch die Art der Nanomaterial-Applikation (Injektion, Inhalation, Ingestion) die Reaktion des Körpers. Diese Analysen sind nicht trivial und die Resultate auch nicht immer auf den Menschen übertragbar – denn "der Mensch ist schließlich nicht einfach eine 70 kg schwere Ratte" (Hartung 2009).
Abgesehen von ethischen Fragen sind Tierversuche sehr zeit- und kostenintensiv und für eine Flut neuer Materialien/Chemikalien (zu denen die Nanomaterialien ja gehören) nur schwer durchführbar. Alternative Methoden finden daher in der Toxikologie vermehrt Anwendung. „Alternativ“ zum Tierversuch werden In-vitro-Testsysteme verwendet, mit denen sich verschiedene Effekte auf unterschiedliche Zelltypen analysieren lassen. Dabei sind die Auswahl des biologischen Modells, die Wahl als auch die Zahl der Endpunkte, die getestet werden sollen, von entscheidender Rolle.
Darüber hinaus ist bei der Wahl der Messmethode darauf zu achten, dass diese auch für NM tauglich ist. Viele Nanomaterialien interferieren mit den Testsystemen selbst (Belyanskaya et al. 2007; Casey et al. 2007; Hirsch et al. 2011b; Monteiro-Riviere u. Inman 2006; Wörle-Knirsch et al. 2006) und verfälschen so das Resultat hin zu falsch-positiven oder falsch-negativen Aussagen. Es ist essentiell, solche Interferenzreaktionen für ein bestimmtes Material auf einen bestimmten Test bereits vor der eigentlichen Messung zu überprüfen und auszuschließen. Nur dann lässt sich ein Test verlässlich anwenden. In einer jüngst publizierten Arbeit wurde festgestellt, dass von 38 experimentellen Studien zu amorphem Siliziumdioxid (Kieselsäure) nur 7 eine solche Interferenz als möglichem Störfaktor untersucht hatten (Schrurs u. Lison 2012).
Aber nicht nur die Methoden sind unterschiedlich, auch die verschiedenen verwendeten Nanomaterialien können gravierende Unterschiede aufweisen, auch wenn es sich um das gleiche Material handelt. Variationen in Größe, Form, Löslichkeit, Be-schichtung (Coatings) und Oberflächenbeschaffenheit (Chemie, Ladung, reaktive Gesamtoberfläche) können die biologischen Effekte desselben Grundmaterials immens verändern. Die Charakterisierung des Materials vor den biologischen Tests ist daher essentiell (Warheit 2008).
Eine sehr wichtige Grundvoraussetzung wird hiermit deutlich: Es werden verläss-liche, vergleichbare und reproduzierbare Daten benötigt, die nur mit standardisierten, übertragbaren, robusten, nanotauglichen Testsystemen generiert werden können ( Abb. 3).
Das Schweizer Projekt CCMX-VIGO beschäftigt sich intensiv mit dieser Problematik (Hirsch et al. 2011a) bei In-vitro-Testsystemen. Die Testplattform VIGO umfasst vier biologische Endpunkte ( Tabelle 6).
Für jeden Endpunkt wer-den Methoden, die bereits für die Testung von Chemikalien routinemäßig im Einsatz sind, unter die „Nano-Lupe“ genommen. Spezielle Kontrollen werden etabliert, die eine mögliche Interfe-renzreaktion erkennen lassen. Ein besonderes Augenmerk wird zusätzlich auf die Vergleichbarkeit der Tests gelegt. Hierzu werden Chemikalien mit bekannt toxischer Reaktion eingesetzt, um so die generierten Daten quantitativ und qualitativ vergleichen zu können. Letztendlich sollen für jeden biologischen Endpunkt zwei unabhängige Testverfahren validiert werden, die ein schnelles Screening verschiedener Nanomaterialen auf ihre potenzielle Giftigkeit erlauben. Zusammen mit einer detaillierten Charakterisierung der verwendeten Nanoma-terialien sowie einer Expositionsabschätzung können solche verlässlichen Daten-sätze für die Charakterisierung eines möglichen Risikos durch Nanomaterialien verwendet werden.
Langfristig könnten so ebenfalls physikalisch-chemische Eigenschaften der Materialien mit ihren biologischen Effekten verknüpft werden und damit eventuell eine Gruppierung der verschiedenen Nanomaterialien erlauben. Dies könnte uns in die Lage versetzen, dass wir möglicherweise bereits aufgrund bestimmter Materialeigenschaften ein potenzielles Risiko erkennen können.
Fazit
Vor dem Hintergrund einer schnell wachsenden Zahl von Publikationen und Projekten mehrt sich das Wissen zu den möglichen biologischen Effekten von Nanomaterialien. Die Nanotechnologie ist eine der Technologien, deren mögliche negative Folgen für Umwelt, Gesundheit und Sicherheit schon relativ früh begleitend zur Technologieentwicklung untersucht und öffentlich diskutiert wurden. Nahezu alle technologisch entwickelten Länder haben einen eigenen Aktionsplan Nanotechnologie, in dem Maß-nahmen zur Risikocharakterisierung erforscht werden. Seit mehr als zehn Jahren geht die Bundesrepublik Deutschland dabei sehr systematisch vor und fördert dazu entsprechende Aktivitäten, häufig gemeinsame Projekte von Industrieunternehmen und Forschungseinrichtungen. Aber auch in den Nachbarländern Österreich und der Schweiz sowie auf europäischer Ebene sind ähnliche Förderprogramme aufgegleist worden.
Die Ergebnisse sind beruhigend, denn meist werden keine besonderen zusätzlichen Risiken bei den Nanomaterialien ge-funden, die nicht auch schon bei den größeren Pendants oder bei Chemikalien aufgetreten wären (Creutzenberg 2013; Donaldson u. Poland 2013). Sowohl für den Arbeitsplatz, aber auch für die Verbraucher gilt, mit Nanoobjekten sollte man genauso vorsichtig umgehen, wie mit anderen Par-tikeln auch, eine Belastung der Lunge sollte weitestgehend vermieden werden. Das gilt besonders für starre CNTs, die asbestähnlich wirken können, wenn sie in freier Form vorliegen. Gleiches gilt für Nanomaterialien, die reaktive Sauerstoffspezies produzieren. Ein weiterer kritischer Effekt könnte auch mit der großen spezifischen Oberfläche der Nanoteilchen zusammenhängen, der sog. "Huckepack-Effekt". Wie z. B. für Ruß aus Autoabgasen oder Zigarettenrauch gezeigt, sind an der Oberfläche dieser Nanopartikel kanzerogene Substanzen gebunden, die mit den Nanopartikeln transportiert werden und so die tiefen Lungenbereiche erreichen sowie die Krebsinduktion deutlich erhöhen können. Andere Nanomaterialien sind ökotoxikologisch relevant und führen, in höheren Konzentrationen appliziert, zur Beeinträchtigung der Reproduktion aquatischer Organismen (Eisen- und Zinkoxide). Wegen zu geringer Datenmenge können außerdem über den Verbleib, die mögliche Freisetzung aus Produkten oder auch eventuelle Wirkungen auf die Umwelt am Ende des Lebenszyklus (Abfallproblematik) keine Aussagen getroffen werden.
Für die Arbeitsplatzüberwachung ergibt sich dabei eine spezielle Situation, denn hierzu sind neue Messstrategien nötig, aber auch die Analytik muss dafür weiter entwickelt werden, denn die Messmethoden für Nanoobjekte sind schwierig und eine technische Herausforderung. Ebenso ist der Bereich der Gesundheitsforschung zu betrachten. Obwohl mit den OECD-Richtlinien eine gute Basis für die Untersuchung von gesundheitlich relevanten Effekten von Nanomaterialien vorhanden ist, hat sich gezeigt, dass diese Tests nicht einfach unkritisch übernommen werden können. Denn die Nanomaterialien interagieren auch häufig mit dem Testsystem selbst und führen zu falsch-positiven wie auch falsch-negativen Resultaten. Hier wäre ein eher kritischerer Umgang mit den Methoden und den resul-tierenden Ergebnissen notwendig, ansonsten sind viele der Studien, so wie sie heute publiziert werden, nicht verwendbar für eine toxikologische Bewertung der analysierten Materialien.
Daher sehen wir für einige Bereiche durch-aus noch offene Fragen bzw. Probleme bei der Analytik. Beispiele sind:
- kontinuierliche Arbeitsplatzmessungen bzw. eine personenbezogene Datenerhebung,
- verlässlicher Nanopartikelnachweis in Flüssigkeiten oder Umweltmatrices,
- Langzeituntersuchungen zur Toxikologie von Nanoobjekten,
- Anpassungen der OECD-Guidelines an die spezifischen physikochemischen Eigenschaften von Nanoobjekten (z. B. Testung auf Interferenzen),
- neue erweiterte In-vitro-Testmethoden: aussagekräftig, verlässlich, Einsparung von Tierversuchen.
Die Sicherheitsforschung von synthetischen Nanomaterialien ist noch eine junge Disziplin, daher ist es nicht überraschend, dass heute vorwiegend Daten zur akuten Toxizität von NM vorliegen. Um eine abschließende Beurteilung vornehmen zu können, sind aber die Ergebnisse von Langzeitstudien sowie Tests auf subchronische Toxizität in eine Risikoanalyse miteinzubeziehen. Zusätzlich wäre ein spezifisch toxikologisches Begutachtungsverfahren für Publikationen zur Nanotoxikologie wünschenswert, ist jedoch bisher nicht umsetzbar.
Wir können also generell feststellen, dass es keinen Grund für eine erhebliche Besorgnis im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Gebrauch von Nanomaterialien gibt, jedoch sind bei den Methoden der Messtechnik aber auch bei der biologisch/toxikologischen Analyse noch Probleme vorhanden und wichtige Fragen offen, die bald gelöst werden sollten.
Literatur
Aufgrund des erheblichen Umfangs der zitierten Literaturstellen wird hier ausnahmsweise auf deren Wiedergabe verzichtet. Die Literatur sowie eine vollständige Auflistung der zitierten Internetlinks können beim ASU-Redaktionsbüro angefordert werden (asu@hvs-heidelberg.de).
Danksagungen
Die Autoren bedanken sich für die finan-zielle Unterstützung folgender Projekte:
- das Projekt DaNa wird vom BMBF gefördert und von den Schweizer Bundesämtern für Umwelt und für Gesundheit (BAFU und BAG) sowie von der EU im INTERREG-Programm IV b unter dem Projekt NanoRA unterstützt;
- das Projekt VIGO wird mit Mitteln des Forschungsprogramms CCMX des ETH-Bereichs in der Schweiz gefördert.
Fußnoten
1 www.lalsace.fr/actualite/2011/10/10/vieux-thann-des-sacs-d-oxyde-de-titane-tombent-d-un-camion-sur-la-rn66#jimage=1446B4B6-C4F4-42B8-8F20-052BEA52339E
Weitere Infos
WING – Werkstoffinnovationen für Industrie und Gesellschaft
http://www.bmbf.de/de/3780.php
BMBF-Projekt nanoGEM „Nanostrukturierte Materialien – Gesundheit, Exposition und Materialeigenschaften"
Für die Autoren
Prof. Dr. rer. nat. H.F. Krug
Empa, Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt
Lerchenfeldstr. 5
9014 St. Gallen, Schweiz