Deutsche Unternehmen entsenden mehr und mehr Arbeitnehmer aus Deutschland zu Arbeitseinsätzen in aller Welt. Deutsche Unternehmen sind Exportweltmeister und oft ist dieses Geschäft nicht mit dem reinen Versand von Waren erledigt. Maschinen müssen vor Ort installiert oder dem Kunden in der Handhabung durch deutsche Experten erläutert werden. Die so genannte „mobile workforce“ deutscher Unternehmen wird immer größer. Später, nach der erfolgten Auslieferung und Installation, stellen Instandhaltung und Wartung sowie Reparaturen die Grundlage für weitere Auslandseinsätze. Viele solcher beruflichen Reisen erfolgen aus Deutschland heraus und der Auslandseinsatz dauert wenige Tage bis wenige Wochen. Das reguläre Arbeitsverhältnis im Inland bleibt unverändert bestehen und damit auch die arbeitsrechtlichen Bedingungen und berufsgenossenschaftlichen Voraussetzungen.
Auslandseinsätze sind Arbeitseinsätze und eine Gefährdungsbeurteilung ist auch hierfür notwendig, wird aber gerne übersehen. Idealerweise werden die Arbeitnehmer vor der Reise arbeitsmedizinisch beraten, untersucht und vorbereitet im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben der ArbMedVV (Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge) und der Empfehlungen gemäß des Berufsgenossenschaftlichen Grundsatzes G35. Dennoch bergen Auslandsreisen viele zusätzliche Gefahren.
Der arbeitsmedizinische Notfall und Arbeitsunfall im Ausland
Auch wenn Europa und Nordamerika immer noch Deutschlands wesentliche Handelspartner sind, können sich auch in diesen hoch industrialisierten Ländern Arbeitsunfälle ereignen. Komplizierter wird die Situation erst recht, wenn weniger entwickelte Länder Südamerikas, Südostasiens, entlegene Regionen Russlands, Indiens, Chinas oder gar Afrikas das Ziel der Auslandsreise sind. Auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung empfiehlt deutschen Arbeitgebern, die medizinische Versorgung am Einsatzort vorab zu prüfen oder prüfen zu lassen, was bei weitem nicht immer geschieht. Die formalen, regulatorischen Vorbedingungen, dass ein Unfall bzw. eine Erkrankung als Arbeitsunfall anerkannt werden, sind beim Auslandseinsatz grundsätzlich die gleichen wie im Inland und sollen hier nicht weiter erläutert werden. Die Daten von International SOS weisen darauf hin, dass vor allem Verkehrsunfälle, die oft als Wegeunfälle geschehen, noch vor direkten Unfällen auf der Baustelle oder an der Anlage die häufigsten Unfälle sind. Geringere Arbeitssicherheit auf ausländischen Baustellen, insbesondere in Afrika, kann aber auch ein Risiko für erhöhte Arbeitsunfälle darstellen. Arbeitssicherheit und Unfallschutz sind in vielen Ländern geringer ausgeprägt ( Abb. 1). Infektionskrankheiten stehen dahinter deutlich zurück, nicht zuletzt wahrscheinlich deswegen, weil inzwischen ein guter Impfschutz viele Infektionen erfolgreich verhindert. Das deutsche Assistance Center von International SOS in Neu-Isenburg bei Frankfurt betreut im Jahr ca. 10 000 beruflich Reisende. Magen-Darm-Erkrankungen, Erkältungskrankheiten, Unfälle und kardiovaskuläre Erkrankungen stellen die wesentlichen Gründe für ärztliche Betreuung dieser Reisenden dar und können den Verlauf der beruflichen Reise empfindlich stören.
Wichtige Unterschiede zu sonstigen Notfällen im Inland
Nicht immer sind deutsche Arbeitnehmer bei Auslandsreisen vor Ort derart in eine Organisationsstruktur eingebunden, dass sie bei einem Unfall oder einer akuten Erkrankung einfach Zugang zu medizinischer Versorgung finden. Das Gesundheitssystem im Reiseland ist oft nicht vertraut, es bestehen sprachliche Hürden und die finanzielle Abwicklung kann unklar erscheinen. Häufig werden im Ausland private medizinische Einrichtungen genutzt, die Kosten können dabei erheblich von den Sätzen differieren, die für die Behandlung einheimischer Versicherter veranschlagt werden. All dies kann eine eher harmlose Infektion oder einen kleineren Unfall zu einem subjektiven, ernsten Problem machen. Bei schweren Unfällen fehlt in vielen Ländern der Welt außerhalb Europas und Nordamerikas ein zuverlässiges funktionierendes Rettungssystem. Der Transport eines Verunfallten zum Krankenhaus kann bereits eine Herausforderung darstellen. Wenn in solchen Fällen über telemedizinische Technik in einem Assistance Center das deutsche ärztliche Team bereits über die Distanz hinweg die Möglichkeit hat, erste Befunde zu erheben und ein klares Bild der medizinischen Situation zu erhalten, stellt dies für die Verunfallten eine sehr große Erleichterung dar und kann das weitere Vorgehen deutlich professionalisieren.
Besonderheiten von Arbeitsunfällen und Notfällen beim Auslandseinsatz
Der Auslandseinsatz bringt den beruflich Reisenden oft in eine fremde, nicht vertraute Umgebung. Dies kann schon im Alltag verunsichern. Bei Unfällen und anderen medizinischen Notfällen stellt dies alle Betroffenen vor besondere Herausforderungen.
Außerhalb Europas und Nordamerikas gibt es in vielen Ländern kein zuverlässiges oder gar kein Rettungssystem. Lokale Krankenwagen sind meist reine Transportmittel, selten technisch anspruchsvoll ausgestattete Rettungsfahrzeuge ( Abb. 2). Es fehlt konsequenterweise an geschultem Personal. Medizinische Hubschraubertransporte, wie wir sie aus Deutschland gewohnt sind, sind in den meisten Ländern der Welt undenkbar. „Pre-hospital care“ ist in vielerorts unbekannt.
Moderne Osteosynthese, bei vielen Unfällen die notwendige medizinische Antwort, ist in vielen Ländern deutlich weniger entwickelt als in Zentraleuropa oder auf sehr wenige medizinische Zentren limitiert. Der Verunfallte kann sich nicht darauf verlassen, dass das vorhandene örtliche Rettungs- und Gesundheitssystem ihn auf dem schnellsten Weg in die richtige Einrichtung bringt. Unterstützung durch den Arbeitgeber im Sinne der Fürsorgepflicht („Duty of Care“) oder einen professionellen Assistance-medizinischen Anbieter ist oft dringend erforderlich.
Im Gegensatz zu privaten touristischen Reisenden, die bei Krankheit und Unfall am Urlaubsort meist schnell nach Hause wollen, haben beruflich Reisende vor Ort einen Auftrag zu erledigen, ein Projekt zu betreuen oder sonstige, zahlreiche, berufliche Gründe, nicht voreilig abzureisen. Wenn möglich, streben beruflich Reisende meist eine medizinische Betreuung am Einsatzort an. Telemedizinische Technik kann in einem solchen Falle dem deutschen ärztlichen Team in einem Assistance Center bereits über die Distanz hinweg die Möglichkeit geben, erste Befunde zu erheben und das weitere Vorgehen deutlich zu professionalisieren. Ein Assistance-medizinisches Team kann den Verunfallten auch über die Distanz hinweg leiten und auf der Basis telemedizinischer Befunde die richtigen Zentren zur Versorgung auswählen sowie die richtigen medizinischen Transporte organisieren.
Arbeitsweise Assistance-Medizin
Die Assistance-Medizin ermöglicht es vor allem mithilfe moderner Telekommunikationsmöglichkeiten und telemedizinischer Technik, Patienten in aller Welt und fernab von ihrem Heimatland medizinisch zu betreuen und zu managen. Zu den Leistungen der Assistance-Medizin gehören unter anderem die telefonische ärztliche Beratung, die Empfehlung von vor Ort geeigneten medizinischen Einrichtungen, die Verlegung in geeignete Krankenhäuser vor Ort, die Durchführung von Notfallevakuierungen oder die sog. Repatriierung, also die Rückholung ins Heimatland bei medizinisch notwendigen oder medizinisch sinnvollen Fällen. Schon aus dieser kurzen Beschreibung erklärt sich offenkundig, dass zur Durchführung professioneller Assistance-Medizin ein gut abgestimmtes Zusammenspiel von ärztlichen und nichtärztlichen Berufsgruppen unentbehrlich ist ( Abb. 3).
Prinzipiell lässt sich die Assistance-medizinische Betreuung beruflich Reisender in drei Zeiträume aufteilen, die im Folgenden kurz beschrieben werden.
Betreuung vor dem beruflichen Auslandseinsatz
Hier steht eine individuelle Anamneseerhebung im Vordergrund, um den Reisenden spezifisch auf sein medizinisches Risikoprofil hin angepasst zu beraten.
Aktuelle Zahlen weisen auf einen zunehmenden Anteil an älteren und einsatzspezifisch erfahrenen Reisenden hin. Diese fachliche Expertise darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Gruppe Reisender zum Teil zu Hause mit gut eingestellten altersentsprechenden Vorerkrankungen lebt, die jedoch im Ausland eine besondere Dynamik entwickeln können.
Schon die Einfuhr der eventuellen Dauermedikation unterliegt landesspezifischen Regularien. Die Aufteilung der Medikation auf Hand- und Eincheckgepäck ist auf jeden Fall zu empfehlen. Die Information über vorhandene Gesundheitseinrichtungen, deren Verfügbarkeit, Kompetenz und auch Zugangsregularien sind Kerngebiete Assistance-medizinischer Betreuung und bedürfen einer ständig aktualisierten und evaluierten Länderexpertise.
Aber auch das Fehlen primärer Rettungsmittel durch die Lage des Einsatzgebietes sowie die Exposition in sicherheitstechnisch kritischen Krisengebieten erfordern die Intensivierung der Ausbildung von Ersthelfern sowie eventuell die Anpassung ihrer medizinischen Ausrüstung.
Eine Überprüfung etwaig vorhandener Rettungsmittel ist hierbei unumgänglich. Zur Erstellung eines Evakuierungsplans kann empfohlen werden, die fehlende medizinische Infrastruktur durch die Besetzung der Baustelle mit medizinischen Teams und entsprechender telemedizinischer Ausrüstung zu kompensieren. Transportoptionen sollten ebenso bedacht und optimiert werden.
Betreuung während des beruflichen Auslandseinsatzes
Mit dem Assistance Center verbundene telemedizinische Apps auf dem Handy des Reisenden lokalisieren dieses via GPS und geben den Telefonkontakt für das im aktuellen Land zuständige Assistance Center vor. Natürlich kann der Entsandte auch jederzeit in seinem Heimatland bzw. in seiner Muttersprache anrufen. Auch auf der Reise informiert die telemedizinische App via Alarmierungen und E-Mails über Gefährdungslagen, Ausbrüche von Krankheiten und Naturkatastrophen.
Weltweit sind die Assistance Center 24 Stunden 365 Tage im Jahr telefonisch, via telemedizinischer App, Fax und E-Mail erreichbar. Die Anrufe dienen als medizinischer Resonanzboden und enden nicht zwingend, aber meistens in der Vermittlung eines medizinischen Dienstleisters und der Unterstützung der Terminvereinbahrung sowie Hilfe bei Abrechnungsfragen. Ist eine stationäre Aufnahme indiziert, stehen in einigen Ländern nicht nur die medizinische Situation, sondern auch die Kostenklärung zur Disposition. Neben dem direkten Kontakt mit dem Patienten sind Arzt-zu-Arzt-Gespräche idealerweise in der Landessprache erforderlich, um sich ein dezidiertes Bild von der medizinischen, jedoch auch pflegerischen und psychosozialen Lage des Patienten machen zu können. Die telemedizinische Übermittlung von Vitalparametern und anderen Untersuchungsergebnissen hilft hier enorm. Sowohl bei der notfallmäßigen Verlegung als auch bei der Vorbereitung der Rückführung ins Heimatland mittels Ambulanzflieger oder im Linienflugzeug mit Arztbegleitung bedarf die Erwägung der Flugtauglichkeit eines multimodalen Ansatzes. Der Zustand vor Ort am Boden, die Dynamik der Erkrankung sowie die Verfügbarkeit von adäquaten Transportmedien und Personal führen zu einer Transportempfehlung für den Patienten.
Betreuung nach dem beruflichen Auslandseinsatz
Kommt es zu einem Arbeitsunfall im Ausland, so ist das primäre Ziel die Wiedereingliederung in das heimische Gesundheitssystem. Diese wird nach Identifikation der entsprechenden heimischen Zielklinik mit dem aufnehmenden Arzt diskutiert und durch die Bereitstellung aller telemedizinisch vermittelten Befunde vorbereitet.
Häufungen von medizinischen Ereignissen ähnlicher Natur sollten mit dem Arbeitgeber zusammen aufgearbeitet werden. Schlussfolgernd kann eventuell die Vorbereitung mittels verschiedener Medien oder in direkter Schulung neu justiert werden. Auch müssen medizinische Auswahlkriterien für die Reisenden bedacht werden. Aufwändigere Lösungen sehen den zumindest temporären Aufbau bzw. die Verbesserung medizinischer Strukturen vor Ort vor.
Zuständigkeit von Arbeitgeber, Berufgenossenschaft, lokalen Gesundheitsdiensten und Assistance-medizinischen Dienstleistern
Arbeitgebern obliegt gegenüber ihren Mitarbeitern grundsätzlich eine Fürsorgepflicht, die sich aus dem allgemeinen, sozialen Rechtsempfinden und im Besonderen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, dem Arbeitssicherheitsgesetz und dem Arbeitsschutzgesetz herleitet. Bei Ausländseinsätzen kommt dies in ganz besonderer Weise zum tragen, da der Arbeitnehmer als beruflich Reisender in oft nicht vertrauter Umgebung arbeitet und entsprechend besonders vulnerabel ist.
Sofern ein Arbeitsverhältnis mit einem deutschen Arbeitgeber bei beruflichen Reisen besteht, können arbeitsbedingte Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle versichert sein. Hier gelten im Wesentlichen die gleichen Voraussetzungen wie im Inland. Im Falle eines Arbeitsunfalls sind die Berufsgenossenschaften in gleicher Weise zuständig wie bei Arbeitsunfällen im Inland. Die Daten von International SOS zeigen allerdings, dass viele Unfälle und vor allem andere internistische Notfälle in der Freizeit stattfinden oder nicht arbeitsbezogen sind. Als Beispiel seien hier kardiovaskuläre Notfälle wie ein Herzinfarkt oder Schlaganfall genannt. Eine zusätzliche Auslandskrankenversicherung ist daher dringend notwendig. Die telemedizinische Betreuung und Übermittlung von medizinischen Daten bei akuten Notfällen im Ausland und während der beruflichen Reise kann dem deutschen Assistance-medizinischen Team schnell, frühzeitig und relativ zuverlässig einen medizinischen Überblick über die Situation geben und vor allem die Entscheidung vereinfachen, ob medizinische Betreuung am Einsatzort adäquat ist oder eine Evakuierung notwendig erscheint.
Telemedizinische Handlungsmöglichkeiten von Arbeitgeber, Berufgenossenschaft, lokalen Gesundheitsdiensten und Assistance-medizinischen Dienstleistern
Beruflich Reisende erwarten normalerweise besonders bei Notfällen, aber auch bei allgemeinen Krankheiten und Verletzungen während ihrer Dienstreise Betreuung durch ihren Arbeitgeber, den betriebsärztlichen Dienst oder einen durch ihn beauftragten Assistance-medizinischen Dienst. Letztere verfügen idealerweise über zuverlässige Netzwerke von medizinischen Dienstleistern weltweit. Dadurch besteht die Möglichkeit, für Verunfallte oder anderweitig erkrankte Patienten Diagnostik- und Behandlungsmöglichkeiten vor Ort schnell zu eruieren. Durch telemedizinische Übermittlung von Befunden kann sich das Assistance-medizinische deutsche Ärzteteam einen Überblick über die Verletzung machen. Sofern keine adäquate Versorgung am Einsatzort möglich ist, können Assistance-medizinische Dienstleister nach dem nächsten so genannten „Center of Medical Excellence“ (COME) suchen und eine Evakuierung einleiten.
Große Arbeitgeber wie z. B. internationale Konzerne verfügen „inhouse“ über medizinische Zentralen, die diese Assistance-medizinischen und telemedizinischen Dienstleistungen wahrnehmen können. Kleine und mittelständige Unternehmen werden dies kaum leisten können und benötigen externe Unterstützung.
Die lokalen medizinischen Möglichkeiten variieren sehr stark. Vor allem in großen Ländern wie Russland, Brasilien, Indien, China oder Südafrika bestehen in den Metropolen medizinische Zentren mit hervorragenden Diagnostik- und Behandlungsmöglichkeiten, wogegen in entlegeneren ländlichen Gebieten extreme Unterversorgung herrscht. Grade bei Notfällen und Arbeitsunfällen in solch unterversorgten Regionen kann durch telemedizinische Betreuung frühzeitig eine richtungsgebende Entscheidung getroffen werden.
Daten von International SOS zeigen, dass nur in etwa zwei Prozent aller medizinischen Fälle letztlich eine Evakuierung oder Repatriierung ins Heimatland notwendig ist und durchgeführt wird. Dennoch kann eine Evakuierung alle Betroffenen vor enorme Herausforderungen stellen. Die korrekte Art des Transports – bodengebunden, mit Linienflugzeug oder mit Ambulanzflugzeug – muss entschieden werden, das adäquate notfallmedizinische Equipment muss ausgesucht und das richtige ärztliche Team selektiert werden. Auch hier sind frühe telemedizinische Befunde eine enorme Hilfe im Ablauf der Planung.
Datensicherheit und Zertifizierung
Ein wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang die Datensicherheit. Verschiedene Dienstleister bieten hier inzwischen zuverlässige Strukturen an, die vertraglich bestätigt sein sollten. International SOS hat hierzu mit dem Dienstleister „Vsee“ eine Partnerschaft vereinbart.
International SOS ist es in der Folge als erster medizinischen Assistance-Einrichtung gelungen, mit der ISO/TS 13131:2014 eine Zertifizierung für „Telehealth“ durch das renommierte „British Standardisation Institute – bsi“ zu erhalten. Dies hat international die Akzeptanz telemedizinischer Dienstleistungen bei Arbeitsunfällen deutlich erhöht. In Deutschland wurde die Akzeptant telemedizinischer Dienstleistungen durch die Stellungnahmen des Bundesministeriums für Gesundheit und der Bundesärztekammer zur Telemedizin nachhaltig verbessert.
Notwendige Infrastruktur für die Assistance-medizinische und telemedizinische Betreuung
Welche Infrastruktur eine telemedizinische Assistance zur Erfüllung ihrer Aufgaben vorhalten muss, hängt hauptsächlich ab vom Leistungsspektrum, den Fallzahlen und dem geografischen Raum, der abgedeckt werden soll.
Den Ärzten kommt die Aufgabe zu, medizinische Informationen zu beschaffen, zu bewerten und Konsequenzen aus ihnen zu ziehen. In der Regel werden hierzu Telefongespräche mit behandelnden Ärzten im Ausland geführt, bei denen wirklich gute Sprachkenntnisse und viel Einfühlungsvermögen unabdingbar sind. Die Disponenten als die Logistiker im Team setzen die ärztlichen Vorgaben zu Wann und Wie einer Repatriierung oder Verlegung in tatsächliche Transporte um. Spezielle Netzwerkmanager betreuen neben dem weltweiten Partnernetz oft auch Kunden und Qualitätsmanager behalten interne und externe Prozesse im Auge.
Technisch im Zentrum steht eine makelfähige Telefonanlage, oft in Kombination mit spezieller Call-Center-Software. Wie alle Notrufzentralen sind auch viele Assistancen durch Notstromaggregate vom öffentlichen Stromnetz unabhängig. Für Einsätze in Gebieten mit schwacher Infrastruktur (z. B. im Katastrophenfall) halten viele dieser Unternehmen Satellitentelefone und eine mobile Einsatzdokumentation (Laptops, Tablet-PCs) bereit.
Spezielle, oft eigens entwickelte Fallbearbeitungs- und Dokumentationssysteme unterstützen die Arbeit für eine Vielzahl unterschiedlicher Kundengruppen mit jeweils eigenen Ansprüchen.
Weltweite Abdeckung und lokale Expertise
Idealerweise verteilen sich solche Funktionseinheiten auf verschiedene Assistance Center weltweit. Somit ist nicht nur eine weitgehende Muttersprachlichkeit für Arbeitgeber, Reisende, aber auch Dienstleister gerade in dem intimen Feld der Medizin gegeben. Kulturelles Verständnis für lokale Gegebenheiten, system- und ressourcenbedingte Limitierungen müssen vor Ort ständig aktualisiert erfasst werden, um bei Bedarf schnell und adäquat reagieren zu können. Auch ist medizinisch nicht nur eine interkulturelle, sondern bisweilen eine interdisziplinäre Vermittlung erforderlich.
Zusätzlich zum staatlichen medizinischen Gesundheitssystem müssen Ressourcen im privaten Sektor, vor allem deren Verfügbarkeit und Kapabilität überprüft werden. Im Idealfall besteht bereits eine Beziehung zu den involvierten Dienstleistern, so dass im Notfall die Zusammenarbeit reibungsarm erfolgen kann. Diese Kommunikation mit den Dienstleistern muss kontinuierlich aufrechterhalten werden, auch im Sinne prospektiver Einsätze.
Telemedizinische Technik
Prinzipiell setzt die telemedizinische Unterstützung der Assistance-Medizin vollumfängliche Erreichbarkeit via Telefon und Mail voraus. Aufgrund der Beteiligung verschiedener Assistance Center in einem Fall bedarf es einer elektronischen Krankenakte, die alle zusammengetragenen Ressourcen erfasst und in Echtzeit dokumentiert werden kann. Hierzu müssen Zugriffsrechte und Datenschutzrichtlinien aller Beteiligten streng geschützt bleiben.
Die Echtzeitdokumentation erfolgt meist in Englisch, manche medizinischen Berichte sind vor Übersetzung auch in der Landessprache eingelesen. Diese Reduktion auf die Dokumentation in Englisch ermöglicht einerseits allen Beteiligten sprachlichen Zugriff, birgt jedoch auch die Gefahr des Informationsverlustes oder gar von Fehlern durch die Übersetzungstätigkeit. Mittels radiologischer Konsultationsdienste kann jede elektronisch übermittelbare Bildgebung von jedem Ort der Welt nach deutschem Facharztstandard beurteilt werden.
Im Falle spezifischer Kundenanfragen in besonders entlegenen Gebieten mit nicht vorhandener Erreichbarkeit durch lokale Rettungsmittel – oder gar auf Bohrinseln und Schiffen – ist eine erweiterte telemedizinische Unterstützung überlebensnotwendig.
Entsprechend geschulte Rettungsassistenten (Paramedics) oder Ärzte können dann beispielsweise Echtzeit-EKGs mit Ableitungssteuerung an kardiologische Dienste übermitteln. Zusammen mit der Laboranalyse und dem klinischen Befund per Videokonsultation stellen diese dann auch telemedizinisch eine mögliche Lyseindikation. In einer solchen Konstellation ist auch die Übermittlung von Ultraschalluntersuchungen in Echtzeit möglich.
Inzwischen ist eine Reihe telemedizinischer Kompaktgeräte auf dem Markt erhältlich, die über Mobil- oder Smartphone bzw. internetgestützt per Personalcomputer medizinische Daten wie Herzfrequenz, Blutdruck, EKG-Ableitungen, Auskultation, Otoskopie oder sogar Ultraschallbilder in Echtzeit übertragen können ( Abb. 4).
Fallbeispiel
Ein 41-jähriger männlicher Arbeitnehmer wurde vom deutschen Arbeitgeber der Kupplungs- und Antriebsbranche nach Korea auf Geschäftsreise entsandt. Den Erstanruf erreichte das Assistance Center Frankfurt. Der Arbeitnehmer beschrieb ein Umknicktrauma links ohne Fremdeinwirkung im Sinne eines Sportunfalls bei dienstlichem Sport (Badminton). Auf die Komplexität der Entscheidung, ob dies offiziell als Arbeitsunfall zu bewerten ist, sei hier nicht weiter eingegangen.
Die medizinische Versorgung in Seoul ist primär sehr gut und entspricht internationalem Standard. Anwesende Kollegen alarmierten den Rettungsdienst, der den Patienten in eine nahe gelegene, angemessene Klinik transportierte.
Die Diagnose einer distalen Fibulafraktur mit Syndesmosenverletzung sowie Verletzung des Ligamentum deltoideum wurde dem Patienten mitgeteilt ( Abb. 5).
Auch wurde er über die Indikation zur operativen Versorgung aufgeklärt, die jedoch aufgrund der starken Schwellneigung zunächst verschoben wurde. Der Patient wurde mit Schmerzmedikation und Thromboseprophylaxe mit einer Gipsschiene versorgt an Krücken eingeschränkt mobil ins Hotel entlassen.
Trotz adäquater Behandlungsmöglichkeiten in Seoul fühlte sich der Patient sehr unwohl und auch in seiner Situation mit der unvermittelten Einschränkung alleine gelassen. Eine operative Versorgung vor Ort wurde abgelehnt.
Die Röntgenbilder wurden telemedizinisch übermittelt. Auch akzeptierte die Klinik ein von International SOS zur Verfügung gestelltes, in Englisch ausgestelltes „Fit-to-fly-Zertifikat“ für die Luftfahrtgesellschaft.
Mit dem Patienten wurden die Transportempfehlungen abgesprochen. Für die Strecke vom Hotel zum Flughafen wurde ein Liegentransport im Krankentransportwagen vorgeschlagen, ab dem Flughafen ein Rollstuhlservice bis zum Sitz (Wheelchair Cabin Seat, WCHC) und Hilfe beim Gepäck. Der Patient war in einer Gipsschiene bei gegebener Schwellneigung und entsprechender Thromboseprophylaxe und Schmerzmedikation im Business-Class-Sitz adäquat versorgt. Eine aufrechte Sitzposition bei Start und Landung für ca. 45 Minuten waren dem Patienten zumutbar. Für Deutschland war wieder ein Liegendtransport vom Flughafen zur BG-Klinik geplant.
Die vom Patienten gewünschte heimatnahe Klinik der Berufsgenossenchaften wurde kontaktiert und die Vorbefunde telemedizinisch übermittelt. Man akzeptierte den Patienten zur Aufnahme am Folgetag nach der Reise über die Ambulanz. Bis zur endgültigen Versorgung mussten noch einige Tage zum Abschwellen zugewartet werden.
Prinzipiell wäre eine finale Versorgung in Korea möglich gewesen. Aufgrund der kulturellen Unterschiedlichkeit und zumindest mit dem pflegerischen Personal eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit sowie der Isolierung in Bezug auf soziale Kontakte wurde stattdessen einer primären konservativen Stabilisierung, Antikoagulation und unbegleitetem Transport im Linienflugzeug sowie der finale Versorgung heimatnah der Vorzug gegeben. Die telemedizinische Übermittlung der Befunde erleichterte die Vorabplanung im aufnehmenden Krankenhaus erheblich.
Zusammenfassung
Arbeitsunfälle und Notfälle beruflich Reisender im Ausland bedürfen besonderer Fürsorge. Fernab der Heimat fühlen Verunfallte sich schnell hilflos und erwarten medizinische Betreuung auch aus der Ferne durch den Arbeitgeber.
Moderne telemedizinische Assistance kann hier schnell helfen. Durch telemedizinische Übermittlung von Befunden können Assistance-medizinische deutsche Ärzteteams schnell entscheiden, ob der Verunfallte vor Ort im Einsatzgebiet untersucht und behandelt werden kann oder ob eine Verlegung in ein „Center of Medical Excellence“ bzw. eine Repatriierung ins Heimatland medizinisch sinnvoll oder notwendig ist.
Telemedizinische Betreuung von Arbeitsunfällen und Notfällen im Ausland ist inzwischen allgemein akzeptiert und wird von vielen Arbeitnehmern aufgrund der technischen Möglichkeiten auch erwartet.
Die telemedizinische Betreuung kann jedoch medizinische Dienstleister vor Ort nur sehr bedingt ersetzen und ist kein Ersatz für ein zuverlässiges Rettungssystem.
Interessenskonflikte: Die Verfasser arbeiten als angestellte Ärzte bei International SOS, einem privaten, Assistance-medizinischen und telemedizinischen Dienstleister.
Dr. Stefan Eßer hält regelmäßig Fachvorträge für das Centrum für Reisemedizin sowie mehrere Fortbildungseinrichtungen der Landesärztekammern zur Arbeits- und Reisemedizin.
Info
Die Assistance-Medizin umfasst in Ergänzung zu einer klinischen Ausbildung und zu einer Facharztkompetenz die Fähigkeit und Kenntnis, Kranke und Verletzte auf Reisen aus der Distanz mittels fernmündlicher, telemedizinischer Kommunikation zu betreuen, Behandlungsmöglichkeiten vor Ort im Ausland zu prüfen, einen Abgleich mit medizinischem Standard im Heimatland durchzuführen und entsprechende therapeutische und logistische Maßnahmen einzuleiten. Die Assistance-Medizin beinhaltet also die Betreuung vor Ort und gegebenfalls eine Verlegung oder Evakuierung an einen anderen Ort mit besseren Behandlungsmöglichkeiten
Für die Autoren
Dr. med. Stefan Eßer, M.P.H.
Regional Medical Director
International SOS Central Europe
Hugenottenallee 167
63263 Neu-Isenburg