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MedNIS im Interview

Schweizer Ärztenetz berät zur nichtionisierenden Strahlung

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Swiss Medical Network Advises on Non-Ionizing Radiation

ASU: Das Projekt „MedNIS“ hat im Septem­ber 2023 seinen Betrieb aufgenommen.
Wo sehen Sie Ihre Hauptziele?

Dr. Walther: Ein wichtiges Ziel ist die Verbesserung der Versorgung von Personen mit Symptomen, die mit elektromagnetischen Feldern in Zusammenhang stehen, indem ein Netzwerk von Konsiliarärzten und -ärztinnen geschaffen wird, an die Hausärztinnen und -ärzte ihre Patientinnen und Patienten zur fachärztlichen Beratung in der Schweiz überweisen können. Gleichzeitig streben wir die Verbesserung der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesem Gebiet durch die Erhebung von Daten von elektromagnetisch hypersensiblen Personen an. Hierzu haben wir eine Studie initiiert, die sich an Erwachsene mit Wohnsitz in der Schweiz wendet, die an verschiedenen Symp­tomen leiden, deren Ursache in der Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern vermutet wird.

ASU: Elektromagnetische Felder sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken: Ob beim Einkaufen, in Beruf oder Freizeit – nahezu überall sind Geräte im Einsatz, die mögliche elektrosensible Menschen in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigen können. Wie erleben Sie dies in Ihrem ärztlichen Alltag?

Dr. Walther: Die am häufigsten berichteten Symptome sind Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten. Zwar kann nach dem derzeitigen Wissensstand der kausale Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern geringer Intensität und den Symptomen der elektromagnetischen Hypersensibilität weder bewiesen noch widerlegt werden. Die Symptome, die von diesen Personen empfunden werden, entsprechen jedoch einer erlebten Realität und wirken sich oft negativ auf ihr tägliches Leben aus. Glücklicherweise handelt es sich in den meisten Fällen um einen vorübergehenden Zustand.

So kann die Exposition gegenüber niederfrequenten elektromagnetischen Feldern mit hoher Intensität (weit über den gesetzlichen Grenzwerten) die Stimulation von Nervengewebe, einschließlich der Sehnerven, sowie unwillkürliche Muskelkontraktionen auslösen. Bei der Exposition gegenüber hochfrequenten elektromagnetischen Feldern mit hoher Intensität kann eine Veränderung der Zellpermeabilität sowie ein Temperaturanstieg in biologischen Geweben wie der Haut oder anderen Körperteilen beobachtet werden; dies wird als thermischer Effekt bezeichnet. Kurze, aber intensive gepulste elektromagnetische Strahlung kann eine Hörempfindung erzeugen, die häufig als „Klicken“ beschrieben wird. Diese Wahrnehmung ist in unmittelbarer Nähe von leistungsstarken Radargeräten möglich.

Daneben beobachten wir auch unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte biologische Effekte, die zu einer vorübergehenden Funktionsänderung bestimmter Zellen und Organe führen, beispielsweise der Gehirnaktivität, die sich mit Hilfe des Elektroenzephalogramms (EEG) darstellen lassen. Ob sie die Gesundheit beeinträchtigen, lässt sich mit dem derzeitigen Wissensstand nicht sagen.

Nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es noch Wissenslücken in Bezug auf die Risiken, die sich aus einer langfristigen Exposition oder aus einer gleichzeitigen Exposition gegenüber verschiedenen Quellen elektromagnetischer
Strahlung ergeben. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) hat 2001 niederfrequente Magnetfelder und 2011 hochfrequente elektromagnetische Felder als möglicherweise krebserregend für den Menschen eingestuft. Dies wird in dem Beitrag von Frau Dr. Pophof in diesem Schwerpunktheft diskutiert.

ASU: Wie können Patientinnen und Patienten Ihre Ratschläge in Anspruch nehmen?

Dr. Walther: Betroffene sprechen mit ihrer Hausärztin oder ihrem Hausarzt, der ihnen bei Bedarf – nach Ausschluss anderer Diagnosen – eine Fachberatung bei einem der Konsiliarärztinnen und -ärzte des MedNIS-Netzes verschreiben kann. Diese nehmen dann direkt Kontakt mit den Patientinnen und Patienten auf, um einen Termin zu vereinbaren. Nach der Konsultation verfasst die Konsiliarärztin oder der Konsiliararzt einen Konsiliarbericht und leitet ihn an die hausärztliche Praxis weiter, die die Patientin/den Patienten weiter betreut. Die Konsultation wird als normale medizinische Leistung in Rechnung gestellt, das heißt nach dem einheitlichen Einzelleistungstarif für ärztliche Leistungen im ambulanten Bereich (TARMED-Tarif). Ob die Krankenkasse die Kosten für die Konsultation erstattet, hängt von der vertraglich vereinbarten Eigenbeteiligung, dem Selbstbehalt und dem Versicherungsmodell ab.

ASU: Haben Ihre Konsiliarärztinnen und -ärzte eine spezifische Weiterbildung für diese Fachberatung?

Dr. Walther: Als Konsiliarärztin oder -arzt von MedNIS arbeiten Sie mit dem Institut für Hausarztmedizin der Universität Freiburg in der Schweiz zusammen. Voraussetzung ist eine Facharztqualifikation in allgemeiner innerer Medizin, Pädiatrie, Arbeitsmedizin oder anderen Fachgebieten, die mit elektromagnetischer Hypersensibilität in Verbindung stehen, und eine Praxisbewilligung zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP). Darüber hinaus nehmen die Kolleginnen und Kollegen an einer von MedNIS durchgeführten Grundausbildung zum Thema nichtionisierende Strahlung und Gesundheit teil (6–8 Stunden wissenschaftliche Lektüre und ein eintägiger Workshop). Zur Qualitätssicherung führen wir vierteljährliche Qualitätszirkel per Videokonferenz und individuelle Supervisionen nach Bedarf durch. Ab dem zweiten Jahr ist die Teilnahme an einer einmal pro Jahr stattfindenden Weiterbildung obligat. Zur Thematik arbeiten wir kontinuierlich mit Expertinnen und Experten im In- und Ausland zusammen.

ASU: Was raten Sie den Betroffenen für ihr Verhalten im Alltag?

Dr. Walther: Gesetzliche Grenzwerte schützen die Normalbevölkerung vor den wissenschaftlich anerkannten Auswirkungen auf die Gesundheit. Sie müssen überall eingehalten werden, wo sich Menschen aufhalten. Natürlich kann in Einzelfällen bei Häufung von Beschwerden auch eine technische
Messung zur Überprüfung sinnvoll sein.

Bei der Verringerung der Exposition ist es wichtig, die belastenden Auswirkungen jeder ergriffenen Maßnahme zu berücksichtigen (z. B. soziale Isolation, finanzielle Kosten usw.) und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, das heißt, es dürfen keine schädlichen Auswirkungen entstehen, die in keinem Verhältnis zum erwarteten Nutzen stehen.

Körpernahe Geräte sind vorzugsweise diejenigen, die am stärksten einwirken und auf die man direkt einwirken kann. Hier lässt sich bereits mit einfachen Maßnahmen die Exposition erheblich verringern, indem man die Dauer der Exposition durch die Zeit, in der man die Geräte benutzt, minimiert. Oder entfernen Sie sich von den Quellen, indem Sie zum Beispiel den Lautsprechermodus des Handys oder Kopfhörer mit Kabel verwenden. Schalten Sie nicht benutzte Geräte und Verlängerungskabel aus und ziehen Sie den Stecker. Außerdem sollten Sie eher kabelgebundene (z. B. Ethernet) als kabellose Technologien (z. B. WLAN/Bluetooth) verwenden.

Ein Provokationstest, kann nützlich sein, um die Empfindlichkeit zu bestimmen. Mithilfe einer Vertrauensperson, die eine Expositionsquelle ein- oder ausschaltet, bestimmt die betroffene Person ohne Hinweise von der Quelle (Lärm, Licht, Hitze usw.) anhand ihrer Symptome, ob die Quelle tatsächlich ein- oder ausgeschaltet ist. Der Test ist 30-mal zu wiederholen. Eine Übereinstimmung von 21 oder mehr Antworten (Bestimmung, dass die Quelle eingeschaltet ist, wenn dies tatsächlich der Fall ist, oder dass sie ausgeschaltet ist, wenn dies der Fall ist) weist auf ein signifikantes Ergebnis hin.

ASU: Gibt es darüber hinaus weitere Möglichkeiten, insbesondere die individuelle Hypersensibilität gegenüber elektromagnetischen Feldern in den Griff zu bekommen?

Dr. Walther: Nach unserer Beobachtung ist eine ganzheitliche Behandlung effektiver als ein Ansatz, der sich nur mit elektromagnetischen Feldern befasst. Denn die Resilienz gegenüber elektromagnetischen Feldern ist höher, wenn die Person insgesamt gesünder ist. Hierzu gehören erholsamer und regelmäßiger Schlaf und eine gesunde und ausgewogene Ernährung, die reich an Ballaststoffen und Antioxidantien ist, ebenso wie die Einschränkung des Konsums entzündungsfördernder Nahrungsmittel, Alkohol und Tabak. Wichtig ist auch genügend Zeit für Erholung, Entspannung und Spaß mit Atem- oder progressiver Muskelentspannung, Meditation, Massagen, Yoga und Spaziergängen in der Natur und Hobbies. Und natürlich kommt regelmäßigen körperlichen Aktivitäten im Alltag ebenso wie der sozialen Integration, Teilhabe und Mitwirkung in der Gesellschaft eine wichtige Bedeutung zu.

ASU: Wie wurde Ihr Angebot bisher von den Betroffenen angenommen?

Dr. Walther: Es ist noch zu früh, um die Wirksamkeit dieses Dienstes hinsichtlich der Verbesserung der Symptome und der Lebensqualität von Personen mit möglicher elektromagnetischer Überempfindlichkeit zu beurteilen. Die Bewertungsfragebögen, die zwei und neun Monate nach den Konsultationen vorgesehen sind, werden diese Frage beantworten und die Weiterentwicklung des Dienstes beeinflussen.

In jedem Fall gab es viele Anmeldungen für unsere Kohortenstudie „Elektromagnetische Felder und Gesundheit“ – über 200 in den ersten sechs Monaten. Dies zeugt davon, dass die Betroffenen sich informieren und motiviert sind, zur Verbesserung der Kenntnisse in diesem Bereich beizutragen.

ASU: Wie sehen Sie die Zukunft? Wird es uns gelingen, trotz des digitalen Wandels das Problem der Elektrosensibilität zu beherrschen oder müssen wir uns auf eine deutliche Zunahme des Phänomens in der Bevölkerung einstellen?

Dr. Walther: Epidemiologische Studien aus der Vergangenheit zeigen keine Zunahme dieses Zustands in der Bevölkerung, trotz des bereits beobachteten digitalen Wandels. Es ist jedoch wichtig, dass die Forschung und die Überwachung in diesem Bereich mit dem Aufkommen neuer Technologien fortgesetzt werden.

ASU: Frau Dr. Walther, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte unser Redaktionsmitglied Dr. Hanns Wildgans.

Info

Wie gehe ich als Ärztin oder Arzt mit elektrosensiblen Patientinnen und Patienten um?

  • Aktiv zuhören, ernst nehmen.
  • Eine detaillierte Differenzialdiagnose durchführen.
  • Andere Faktoren erfragen, die ebenfalls zum Auftreten der Symptome beitragen können.
  • Einen ganzheitlichen Ansatz vorschlagen, der häufig wirksamer ist als eine bloße Vermeidung von EMF: Er konzentriert sich auf folgende Säulen:
  • – gesunde Umwelt,

    – pflanzenreiche, wenig oder gar nicht verarbeitete Ernährung und angemessene Flüssigkeitszufuhr,

    – körperliche Aktivität,

    – Schlaf und Ruhe,

    – kein Missbrauch von Substanzen,

    – Resilienz gegenüber Stress,

    – soziale Integration, Teilhabe und Mitwirkung in der Gesellschaft.

  • Restsymptome behandeln und bewältigen.
  • Informieren, dass elektromagnetische Hypersensibilität in den meisten Fällen vorübergehend ist.
  • Jetzt weiterlesen und profitieren.

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