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Modelllehrprojekt

Innovative „Klima-Limette“ als ­Modelllehrprojekt

Studierendeninitiative entwickelt Lehrveranstaltung zu Klimawandel und Gesundheit

Innovative „Klima-Limette“ as Model Teaching Project – Student Initiative Develops Course on Climate Change and Health

Hintergrund des Projekts

Die Klimakrise als medizinische Herausforderung ist längst im klinischen Alltag angekommen. Die Flutkatastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren hat uns überdies eindrücklich vor Augen geführt, dass auch hierzulande das Risiko klimawandelbedingter psychosozialer Belastungssituationen deutlich gestiegen ist (Scharping 2023; Walinski et al. 2023; IPCC 2022). Bisher werden Anpassungsmaßnahmen für derartige Gesundheitsfolgen des Klimawandels im deutschen Gesundheitssystem unzureichend umgesetzt, was auch die deutsche Bundesärztekammer kritisiert (Bundesärztekammer 2023).

Auch die medizinische Lehre hat sich bisher wenig an diese Entwicklungen angepasst. Obwohl der Themenkomplex „Klima und Gesundheit“ bereits 2021 im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin“ (NKLM 2.0, online abrufbar, s. „Weitere Infos“) verankert wurde und damit künftig zum Kerncurriculum zählen soll (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit [KLUG] 2021), ist die Wissensvermittlung über klimaassoziierte Gesundheitsfolgen im Lehrplan medizinischer Fakultäten in Deutschland bislang unterrepräsentiert. Zu diesem Ergebnis kam ein repräsentativer Vergleich von 60 internationalen Fakultäten, an dem die Universität Münster als eine von fünf deutschen Fakultäten teilgenommen hat (Hampshire et al. 2022; Lilier et al. 2022; Maier et al. 2021). Hierbei erreichte diese die Durchschnittsnote „D“ (im Rahmen einer Notengebung von A-F), was im internationalen Vergleich einer Platzierung im unteren Mittelfeld entspricht.

Um der zunehmenden Relevanz der Thematik gerecht zu werden, hat eine Gruppe Medizinstudierender, die sich bei „Health for Future“ ehrenamtlich engagieren, bereits 2019 unter dem Titel „Diagnose Klimakrise“ an der Medizinischen Fakultät Münster ein klinisches Wahlfach etabliert. Jedoch existiert bislang keine curricular verpflichtende Lehrveranstaltung, im Rahmen derer Studierende ihr praktisches Wissen im Bereich der planetaren Gesundheit anzuwenden lernen.

Die Projektidee

Das „Lernzentrum für individualisiertes medizinisches Tätigkeitstraining & Entwick­lung“ (kurz: LIMETTE) ist ein in Münster entwickeltes interaktives Konzept, um Studierenden zu ermöglichen, ihr in Vorlesungen und Seminaren erworbenes theoretisches Wissen praktisch anzuwenden (Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten [IfAs] 2023). Hierzu durchlaufen die Studierenden hintereinander mehrere kurze Simulationsstationen (je 10 min), in denen sie interaktions- oder aktenbasierte Fälle bearbeiten. Die Interaktionsszenarien werden realitätsnah durch Schauspielpatientinnen und -patienten dargestellt. Bei den aktenbasierten Fällen müssen die Studierenden auf Grundlage praxisnaher Bild- und Textmaterialien ihre Ergebnisse beispielsweise im E-Mail- oder Arztbriefformat verschriftlichen.

Da „Limettentrainings“ bereits von anderen Fachdisziplinen der medizinischen Fakultät Münster erfolgreich in der klinischen Lehre eingesetzt werden und besonders geeignet sind, praxisnah und pädagogisch wertvoll zu lernen, hat das Klima-Limette-Team der Studierenden von Health for Future
ebenfalls dieses Format gewählt. Unterstützung erhielt es hierbei durch das didaktische Know-how von Dr. Helmut Ahrens, dem ärztlichen Leiter der „Limette“, sowie durch die Schauspieltrainerinnen und -trainer des Münsteraner Simulationspatientenprogramms.

Nach einer ersten Analyse der praxisrelevanten Themenkomplexe im Bereich Klimawandel und Gesundheit anhand aktueller Forschung entwickelte das studentische Klima-Limette-Team fünf schauspiel- und zwei papierbasierte Fälle zu den Themen allergische Erkrankungen, Hitze, vektorübertragene Erkrankungen, nachhaltige Ernährung sowie Prävention klimaassoziierter Erkrankungen und Klimaethik. Die klinisch-fachliche Begleitung übernahmen erfahrene Mentorinnen und Mentoren aus dem entsprechenden Fachbereich (z. B. Dozent aus der Notfallmedizin für die Fallvignette zum Hitzenotfall, Dozentin der Mikrobiologie für das Szenario zu vektorübertragenen Erkrankungen). Im anschließenden Seminar sollen zunächst fachliche Fragen zu den zuvor bearbeiteten Fällen geklärt werden, bevor der Raum für eine Diskussion über ethische Aspekte in Bezug auf Klimawandel und Gesundheit sowie die gesellschaftspolitische Rolle von Medizinerinnen und Medizinern hierbei geöffnet werden sollte. Zur Vorbereitung der Studierenden auf die Trainingsinhalte entwickelten die Studierenden des Klima-Limette-Teams mit technischer Unterstützung durch das IfAS ein interaktives E-Learning-Tool. Hier werden die oben genannten Kernthemen sowie einige Grundlagen und Exkurse zum Klimawandel mit Informations-, Bild- und Videomaterial behandelt und vertieft.

Die Umsetzung

Um die praktische Umsetzung und Eignung der Fallvignetten für das Simulationstraining zu testen, lud das Klima-Limette-Team im Dezember 2022 acht freiwillige Testpersonen zur Pilotierung in die Limette ein. Vorher durchliefen das Team sowie die involvierten Dozentinnen und Dozenten ein Vorbereitungstraining, um die Performance der Studierenden in den Simulationsszenarien anhand medizinischer Kernkompetenzen, der „Entrustable Professional Activities“ (EPAs), zu bewerten (Holzhausen et al. 2019). Insgesamt gestaltete sich der Probedurchlauf trotz der kurzen Vorbereitungszeit von Mitte Juli bis Anfang Dezember reibungslos und wurde von allen Beteiligten als voller Erfolg gewertet.

Mit finanzieller Förderung durch den Alumni-Verein der Medizinischen Fakultät der Universität Münster ist es dem Klima-Limette-Team gelungen, die „Klima-Limette“ im Sommersemester 2023 als Wahlfach des klinischen Studienabschnitts anzubieten. Ende Mai fand der zweite Durchlauf mit einigen Verbesserungen der Fälle in voller Besetzung (24 Studierende) statt.

In der Evaluation des Wahlfachs fiel vor allem die klinische Relevanz der ausgewählten Fälle positiv auf, da die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels global und besonders auch in Deutschland deutlich wurden. Außerdem wurde von den Studierenden der Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Betroffenheit durch Klimafolgen als wichtiger Lernerfolg genannt.

Ausblick auf zukünftige ­Entwicklungen

Im kommenden Semester sollen eine dauerhafte Finanzierung sowie die Trägerschaft durch die beteiligten Institute (Umweltmedizin, Allgemeinmedizin, Mikrobiologie, Epidemiologie, Ethik) angestrebt werden, um die „Klima-Limette“ fest im Kerncurriculum zu verankern. Für die Zukunft hofft das Klima-Limette-Team, mit diesem Modellprojekt Vorbild und Inspiration für weitere medizinische Fakultäten zu sein, um das Thema Klimawandel und Gesundheit stärker in den Fokus der medizinischen Lehre zu rücken.

Interessenskonflikt: Die Autorinnen sind Teil des studentischen Klima-Limette-Teams. Interessenkonflikte liegen nicht vor.

Literatur

Bundesärztekammer: Gesundheitswesen auf Hitzewellen nicht vorbereitet. 2023. https://www.bundesaerztekammer.de/presse/informationsdienste/informatio… (abgerufen am 23.05.2023).

Carlson CJ, Albery GF, Merow C et al.: Climate change increases cross-species viral transmission risk. Nature 2022; 607: 555–562.

KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit: The Lancet Countdown on Health and Climate Change. Policy Brief für Deutschland. 2021. https://klimawandel-gesundheit.de/wp-content/uploads/2021/10/20211020_L…

Hampshire K, Islam N, Kissel B, Chase H, Gundling K: The Planetary Health Report Card: a student-led initiative to inspire planetary health in medical schools. Lancet Planetary Health 2022; 6: e449–e454.

Holzhausen Y, Maaz A, Renz A, Bosch J, Peters H: Development of entrustable professional activities for entry into residency at the Charité Berlin. GMS J Med Educ 2019; 36: Doc5.

IfAs – Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten: Limette. 2023. https://medicampus.uni-muenster.de/7489.html – aktualisiert am 20.05.2023 (abgerufen am 20.05.2023).

IPCC: Climate Change 2022: Impacts, adaptation, and vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. In:  Pörtner HO, Roberts DC, Tignor M et al. (Hrsg.). Cambridge: Cambridge University Press, 2022.

Lilier K, Köster F, Steffens J et al.: Planetary Health Report Card: Westfälische Wilhelms-Universität Münster. In: The Planetary Health Report Card Initiative, 2020.

Maier L, Moll A, Körner C, Hobbhahn M, Nieberle L, Maurer M: Planetary Health Report Card: Justus-Liebig-Universität Gießen. In: The Planetary Health Report Card Initiative, 2020.

Scharping K: Flutkatastrophe im Ahrtal: Kumulative Traumatisierungen. Dtsch Ärztebl Int 2023; 120: A-814/B-694.

USGCRP (2016): The Impacts of Climate Change on Human Health: A Scientific Assessment. In: Crimmins A, Balbus J, Gamble JL (eds.). U.S. Global Change Research Program, Washington, DC, p. 312.

Walinski A, Sander J, Gerlinger G, Clemens V, Meyer-Lindenberg A, Heinz A: The effects of climate change on mental health. Dtsch Ärztebl Int 2023; 120: 117–124.

Watts N, Amann M, Arnell N et al.: The 2020 report of The Lancet Countdown on health and climate change: responding to converging crises. Lancet 2021; 397: 129–170.

doi:10.17147/asu-1-295581

Weitere Infos

Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin
https://nklm.de/zend/menu

Bundesärztekammer: Gesundheitswesen auf Hitzewellen nicht vorbereitet. Bundesärztekammer, 15.02.2023
https://www.bundesaerztekammer.de/presse/informationsdienste/informatio…

Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG): The Lancet Countdown on Health and Climate Change. Policy Brief für Deutschland. 2021
https://klimawandel-gesundheit.de/wp-content/uploads/2021/10/20211020_L….

Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten (IfAs): Limette. 2023
https://medicampus.uni-muenster.de/7489.html

Von einem „Rondell“ in der Mitte der kreisförmigen Raumanordnung der Limette hat das Organisationsteam parallel Einblick in alle acht Räume. Die Gespräche können simultan mit Video und Ton mitverfolgt werden

Foto: Kyra Lilier

Von einem „Rondell“ in der Mitte der kreisförmigen Raumanordnung der Limette hat das Organisationsteam parallel Einblick in alle acht Räume. Die Gespräche können simultan mit Video und Ton mitverfolgt werden

Kernaussagen

  • Auswirkungen des Klimawandels werden trotz hoher klinischer Relevanz noch unzureichend im Medizinstudium gelehrt.
  • Die „Klima-Limette“ ist eine Lehrveranstaltung und basiert auf Simulationstrainings, die ­diese Lücke zu schließen sucht.
  • Die Klima-Limette zeigt, dass Planetary-Health-Themen gut praxisnah und kompetenzorientiert gelehrt werden können.
  • Eine perspektivenreiche Umsetzung durch interdisziplinäre Zusammenarbeit ist entscheidend für eine realitätsnahe Lehre zu Planetary-Health-Themen.
  • Die Klima-Limette gilt als erste Lehrveranstaltung dieser Art zu Planetary-Health-Themen im Medizinstudium.
  • Info

    Beispiel: Fall 1 – Hitzenotfall

    In diesem Schauspielfall werden die Teilnehmenden in ihrer Rolle als Studierende von einer aufgeregten Nachbarin alarmiert, deren Ehemann an einem heißen Sommertag nach einer Fahrradtour Symptome eines Hitzschlags inklusive eines positiven Schockindex aufweist. Aufgabe der Studierenden ist es, die Notfallsituation zu erkennen und am Ende des Durchlaufs die „Übergabe“ an den Rettungsdienst schriftlich über ein Fallbearbeitungsprogramm inklusive ihrer „Ergebnisse“ zu dokumentieren. Dabei werden die EPAs „Arbeit als Mitglied in einem interprofessionellen Team“ und „Erkennen von Patientinnen und Patienten, die einer dring­lichen bzw. notfallmäßigen Versorgung bedürfen, und Einleitung des primär erforderlichen Managements“ geprüft. Im Szenario sollen die Studierenden die Rettungskette in Gang setzen sowie zum Beispiel bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes adäquate Kühlungsmaßnahmen einleiten, den Patienten hinlegen und Vitalparameter feststellen, um den Verlauf beurteilen zu können. Außerdem werden die Kommunikation sowie das Auftreten der Studierenden bewertet, also nicht nur das „Was“, sondern auch das „Wie“. Dabei können die Studierenden zum Beispiel beruhigend auf den Patienten einreden oder sich auch der aufgeregten Ehefrau annehmen, deren Rolle es ist, die Studierenden zu unterbrechen und emotionalen Druck zu erzeugen. Dazu können sie beispielsweise eine Aufgabe für die Ehefrau finden oder sie auch aus dem Raum schicken.

    Koautorinnen

    Lydia Klein, Franziska Köster, Kyra Lilier
    Health for Future Münster und Medizinische Fakultät Münster, Albert-Schweitzer-Campus 1, 48149 Münster

    Kontakt

    Dr. med. Rebecca Seifert
    Medizinische Fakultät Münster; Albert-Schweitzer-Campus 14; 8149 Münster

    Foto: Schorcht GmbH, Gütersloh

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