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Mutterschutz bei Bleiexposition

Ziel des Mutterschutzgesetzes ist der Schutz von Schwangeren und Stillenden in einem abhängigen Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnis oder in Schule beziehungsweise Studium vor unverantwortbaren Gefährdungen. Zur Umsetzung des Mutter­schutzgesetzes hat jeder Arbeitgeber folgende Aufgaben:

  • Ausdehnung der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung nach Arbeitsschutzgesetz auf zusätzliche Gefährdungen für Schwangere,
  • Information aller Beschäftigte über das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung und den Bedarf an Schutzmaßnahmen beim Eintreten einer Schwangerschaft,
  • Konkretisierung der Gefährdungsbeurteilung, sobald eine Frau mitgeteilt hat, dass sie schwanger ist oder stillt,
  • Feststellen von unverantwortbaren Gefährdungen nach § 9 und von definierten unzulässigen Tätigkeiten nach §§ 10/11,
  • Festlegung von Schutzmaßnahmen (§ 10), die die Gefährdungen abwenden, Beachtung der Rangfolge der Schutzmaßnahmen (§ 13).
  • Nach Mutterschutzgesetz darf der Arbeitgeber eine schwangere oder stillende Frau nur diejenigen Tätigkeiten ausüben lassen, für die er die Beurteilung der Arbeitsbedingungen vorgenommen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen hat. Er darf eine Schwangere keine Tätigkeiten ausüben lassen und sie keinen Arbeitsbedingungen aussetzen, bei denen sie in einem Maß Gefahrstoffen ausgesetzt ist oder sein kann, dass dies für sie oder für ihr Kind eine unverantwortbare Gefährdung darstellt. . Eine unverantwortbare Gefährdung liegt vor, wenn Schwangere Tätigkeiten ausübt oder Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist, bei denen sie Blei und Bleiderivaten ausgesetzt ist oder sein kann, wenn diese inkorporiert werden können.

    Werden unverantwortbare Gefährdungen festgestellt, so muss der Arbeitgeber die folgende Rangfolge für Schutzmaßnahmen einhalten:

  • Die Arbeitsbedingungen sind durch Schutzmaßnahmen entsprechend umzugestalten. Kann die unverantwortbare Gefährdung dadurch ausgeschlossen werden, kann die bisherige Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz weiterhin ausgeübt werden.
  • Sofern die Umgestaltung des Arbeitsplatzes wegen eines unverhältnismäßig hohen Aufwands nachweislich nicht möglich ist, kommt als zweite Option die Umsetzung auf einen zumutbaren geeigneten Arbeitsplatz in Betracht.
  • Erst wenn auch die Umsetzung auf einen „ungefährlichen“ Arbeitsplatz nicht möglich ist, greift ein betriebliches Beschäftigungsverbot und eine Weiterbeschäftigung darf nicht erfolgen. Der Arbeittgeber hat dafür zu sorgen, dass die Arbeitsleistung auch tatsächlich eingestellt wird.
  • Bei einem Arbeitsplatz mit Bleiexposition dürfte eine hinreichende Umgestaltung der Arbeitsbedingungen nur in Einzelfällen zu realisieren sein. Die adäquate Schutzmaßnahme in den meisten Fällen ist somit die vollständige Freistellung von allen Tätigkeiten, die zu einer Exposition gegenüber Blei führen.

    Aus obigen Ausführungen folgt, dass Arbeitgeber, die Arbeitsplätze mit Bleiexposition haben, ihre Beschäftigte informieren müssen, dass an diesen Arbeitsplätzen keine Schwangeren beschäftigt werden dürfen, unabhängig davon, ob zu dem Zeitpunkt dort Schwangere tätig sind oder nicht.

    Die Toxikokinetik von Blei stellt sich zusammengefasst wie folgt dar:

  • Fast vollständige inhalative Resorption, gastrointestinale Resorption 6–19 %,
  • etwa 90 % der gesamten Körperbelastung von Blei ist in Knochen deponiert, von wo es wieder ins Blut mobilisiert werden kann (insbesondere während Schwangerschaft, parallel zur Calcium-Mobilisation),
  • Blei überschreitet die Plazentaschranke,
  • überschreitet die Blut-Hirn-Schranke,
  • findet sich in Muttermilch,
  • hat eine Halbwertszeit im Blut von 30 bis 40 Tagen (Knochen > 20 Jahre).
  • Die aktuellen vom Umweltbundesamt veröffentlichten Referenzwerte für Blei im Vollblut in der Allgemeinbevölkerung liegen für Kinder zwischen 3 und 14 Jahren bei 35 µg/l, bei Erwachsenen in der Altersgruppe 18 bis 69 Jahre für Frauen bei 30 und für Männer bei 40 µg/l.

    Im allgemeinen Arbeitsschutz für nicht schwangere Beschäftigte beträgt nach der technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 903 der biologische Grenzwert (BGW) für Blei im Vollblut 150 µg/l. Dies ist ein gesundheitsbezogener Grenzwert; bei Einhaltung sind auch bei arbeitstäglicher Exposition über 40 Jahre keine gesundheitlichen Gefährdungen für die Beschäftigten zu erwarten. In der wissenschaftlichen Begründung zu Blei in TRGS 903 wird jedoch aufgeführt, dass die Frage der Gültigkeit dieses Werts für Frauen im gebärfähigen Alter nicht Gegenstand des Dokuments ist.

    Diese Einschränkung begründet sich in der Toxikologie von Blei bei Kindern. In einer gepoolten Analyse von sieben populations­basierten longitudinalen Kohortenstudien von Geburt oder Kleinkindalter bis zum 5. bis 10. Lebensjahr mit insgesamt 1333 Kindern konnte gezeigt werden, dass der Intelligenzquotient (IQ) von Kindern in Abhängigkeit vom Anstieg des Blutbleispiegels sinkt. Der relativ höchste Abfall des IQ mit 3,9 Punkten (95%-KI 2,4–5,3) konnte bei einem Anstieg des Blutbleispiegels von 24 auf 100 μg/l gezeigt werden. Bei Anstiegen von 100 auf 200 μg/l lag der Abfall des IQ bei 1,9 Punkten (95%-KI 1,2–2,6), bei weiteren Anstiegen von 200 auf 300 μg/l war der Abfall des IQ nicht mehr statistisch signifikant. Dies bedeutet, dass bereits geringe Anstiege des Blutbleiwerts über den Referenzbereich zu einer signifikanten Abnahme des IQ führen (Lanphear et al. 2005). Vergleichbare Effekte auf den IQ bei Kindern im Alter von 8 Jahren konnten in Abhängigkeit von der Blutbleikonzentration der Mutter im letzten Schwangerschaftsdrittel gezeigt werden (Schnaas et al. 2006).

    Eine weitere Studie analysierte den IQ und sozioökonomischen Status von Erwachsenen im Alter von 38 Jahren. Es ergab sich ein linearer Abfall für beide Outcomes in Abhängigkeit vom Blutbleispiegel im Alter von 11 Jahren (< 50, 60–100, 110–150, > 150 µg/l) (Reuben et al. 2017).

    Taylor et al. (2015) untersuchten akute Effekte von Blei auf Neugeborene in Abhängigkeit vom Blutbleispiegel der Mütter während der Schwangerschaft (n = 3516 < 50 im Vergleich zu n = 592 > 50 µg/l). Hier zeigten sich statistisch signifikante Auswirkungen von Blei auf Geburtsgewicht und Größe sowie auf Frühgeburtlichkeit.

    Hu et al. (2006) konnten bei 146 Mutter-Kind-Paaren zeigen, dass höhere Blutbleiwerte der Mutter im ersten Trimenon der Schwangerschaft bei den Kindern im Alter von 24 Monaten zu neurologischen Verhaltensauffälligkeiten führten.

    In Zusammenschau der vorliegenden Literatur führt die MAK-Kommission der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) in 2019 aus, dass sich ein wissenschaftlich begründeter Wert, basierend auf einer Wirkschwelle für fetale Effekte, weiterhin nicht ableiten lasst. Auch bis in niedrige Exposi­tionen (unter 100 µg/l) wird noch über Effekte berichtet. Eine Wirkschwelle ist vermutlich nicht bezifferbar (s. „Weitere Infos“).

    Die neue S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM) aus 2020 „Prävention und Früherkennung arbeitsbedingter Gesundheitsgefährdungen bei Tätigkeiten unter Einwirkung von Blei und seinen anorganischen Verbindungen außer Bleiarsenate und Bleichromate)“ formuliert, dass Frauen im reproduktionsfähigen Alter nicht höher als die Allgemeinbevölkerung gegen Blei exponiert werden sollen (s. „Weitere Infos“).

    Vor dem Hintergrund einer Halbwertszeit von 30 Tagen sähe der zeitliche Verlauf für eine Frau, die an einem Arbeitsplatz mit Bleiexposition arbeitet und schwanger wird, wie folgt aus: Der Schwangerschaftstest ist frühestens 5 Wochen nach der letzten Menstruationsblutung positiv. Zu diesem Zeitpunkt wird die 5. Schwangerschaftswoche (SSW) berechnet, der Embryo ist 3 Wochen alt, er ist in der Gebärmutterschleimhaut eingenistet, das zen­trale Nervensystem und das Herz entwickeln sich. Zu diesem Zeitpunkt kann bei der Mutter ein nach Arbeitsschutz noch zulässiger Blutbleiwert von 150 µg/l vorliegen, Faktor 5 über dem Referenzwert für Frauen. Mit positivem Schwangerschaftstest lässt sich die Schwangere sofort auf einen anderen Arbeitsplatz ohne Bleiexposition versetzen. Ihr Blutbleispiegel fällt danach entsprechend der Halbwertszeit, nach 30 Tagen beträgt er 75 µg/l, liegt also immer noch um den Faktor 2 über dem Referenzwert. Der Embryo ist nun ca. 7 Wochen alt (9. SSW), es ist die Hauptphase der Genese von Nervensystem, Organen und Extremitäten. Erst ab der 14. SSW liegt bei der Schwangeren ein der Hintergrundbelastung entsprechender Blutbleiwert vor.

    In diesem spezifischen Setting kann das Mutterschutzgesetz somit keinen hinreichenden Schutz des ungeborenen Kindes sicherstellen. Im Fall einer ungeplanten Schwangerschaft schützt weder die Freistellung der Schwangeren von Tätigkeiten mit Bleiexposition bei Meldung der Schwangerschaft nach Mutterschutzgesetz noch die Information der Beschäftigten nach Mutter­schutzgesetz, dass ein Arbeitsplatz zu einer Bleiexposition mit Blut-Bleiwerten bis zu 150 µg/l führt, die ein ungeborenes Kind schädigen kann.

    Es gilt, im Spannungsfeld zwischen Arbeitsschutz, Verhinderung von Diskriminierung von Frauen im gebärfähigen Alter und Schutz des ungeborenen Lebens individuelle Lösungen zu finden.

    Ein erster Schritt wäre die Information über die Auswirkungen von Blei für ein ungeborenes Kind von Bewerberinnen um einen Arbeitsplatz mit Bleiexposition bereits beim Vorstellungsgespräch. Dann wäre zumindest eine informierte Entscheidung der Frau möglich.

    Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Hu H, Tellez-Rojo MM, Bellinger Det al.: Fetal lead exposure at each stage of pregnancy as a predictor of infant mental development. Environ Health Perspect 2006; 114: 1730–1735.

    Lanphear BP, Hornung R, Khoury J et al.: Low-level environmental lead exposure and children’s intellectual function: an international pooled analysis. Environ Health Perspect 2005; 113: 894–899.

    Reuben A, Caspi A, Belsky DW et al.: association of childhood blood lead levels with cognitive function and socioeconomic status at age 38 years and with IQ change and socioeconomic mobility between childhood and adulthood. JAMA 201728; 317: 1244–1251.

    Schnaas L, Rothenberg SJ, Flores MF et al. Reduced intellectual development in children with prenatal lead exposure. Environ Health Perspect 2006; 114: 791–797.

    Taylor CM, Golding J, Emond AM: Adverse effects of maternal lead levels on birth outcomes in the ALSPAC study: a prospective birth cohort study. BJOG 2015; 122: 322–328.

    Weitere Infos

    Bolt H, Drexler H, Hartwig A. MAK Kommission: Addendum zu Blei und seine Verbindungen (außer Bleiarsenat, Bleichromat und Alkylbleiverbindungen) [BAT Value Documentation in German language, 2019]. 2019
    https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/3527600418.bb743992d00…

    Greiner A, Brüning T, Förster G et al. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM): Prävention und Früherkennung arbeitsbedingter Gesundheitsgefährdungen bei Tätigkeiten unter Einwirkung von Blei und seinen anorganischen Verbindungen (außer Bleiarsenate, Bleichromate). 2020.
    https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/002-001l_S1_Praevention-Fr…

    Kontakt

    Dr. med. Uta Ochmann
    Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin; LMU Klinikum München; Ziemssenstr. 1; 80336 München

    Foto: Steffen Hartmann

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