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Prävention

Prävention von Stolpern, Rutschen und Stürzen (SRS)

Gefährdungen durch Stolpern, Rutschen und Stürzen vermeiden

National und international wird etwa jeder fünfte Arbeitsunfall mit Stolpern, Rutschen oder Stürzen (SRS) in Verbindung gebracht. Von diesen Unfällen führen jährlich ca. 3000 zu einer Unfallverrentung und etwa zehn zum Tod (DGUV 2019). Daher ist die Prävention von SRS-Unfällen ein Schwerpunkt im Arbeitsschutz.

Zur Auswahl von Präventionsmaßnahmen leitet das hierarchische STOP-Modell1 des Arbeitsschutzes an. Auf allen Ebenen sollten wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um Unfallrisiken zu reduzieren. Durch Substitutionsmaßnahmen werden potenzielle Gefahrenquellen durch alternative Arbeitsprozesse oder -umgebungen ersetzt, indem zum Beispiel Laufwege für Beschäftigte durch eine neue Anordnung von Anlaufpunkten oder durch den Transport von Waren zum Beschäftigten reduziert werden. Technische Maßnahmen reduzieren Gefahrenquellen für Beschäftigte, indem beispielsweise Stufen im Bewegungsbereich in eine stufenlose Ebene umgebaut und Böden mit rutschhemmenden Oberflächen verlegt werden. Durch diese beiden Maßnahmenebenen werden Ursachen für SRS-Gefahren grundsätzlich beseitigt und Prävention für viele Beschäftigte gleichzeitig betrieben.

Ergänzend sollten zusätzlich organisatorische Maßnahmen einbezogen werden, indem zum Beispiel Arbeitsbereiche aufgeräumt, ein Zugang zu Gefahrenbereichen umgehend abgesperrt und offizielle Gehwege oder solche ohne Hindernisse gewählt werden. Personale Maßnahmen sind solche, die zwar Gefahrenquellen nicht beseitigen, aber den Beschäftigten mit einem Schutz versehen, der eine mögliche Gefährdung vermeidet, unwahrscheinlicher macht oder zumindest die Schwere der Folgen verringern hilft. Dazu zählen persönliche Schutzausrüstungen (PSA, wie z. B. knöchelhohe Sicherheitsschuhe), aber auch Trainingsprogramme, durch die ein Beschäftigter erlernen soll, sich sicher zu verhalten und potenzielle Unfall­situationen zu vermeiden. Anders als bei hierarchisch höherstehenden Präventionsmaßnahmen muss eine personale Maßnahme immer auf jede potenziell selbst kurzzeitig betroffene Person angewendet werden. Da etwa jeder fünfte Arbeitsunfall mit SRS-Gefährdungen in Verbindung gebracht wird, erscheinen Präventionsmaßnahmen auf allen Hierarchieebenen erforderlich und auch Trainingsprogramme als personale Maßnahmen können sich ergänzend als durchaus hilfreich erweisen.

Verhaltensprävention durch Training in virtuellen Umgebungen

Verhaltenstrainings in virtuellen Umgebungen werden durch kostengünstige Techniken der virtuellen Realität (VR) beliebter und als vielversprechende Alternative zu bisherigen Trainingsprogrammen zur Verhaltensprävention von SRS-Unfällen angeboten. Durch den Einsatz von VR-Technik werden Vorteile gesehen, etwa durch weniger physische Schulungsausrüstung, mehr Flexibilität von Schulungsort und -zeit und größeren Realitätsbezug mit fotorealistischer Modellierung von Gefahrensituationen. Die Beschäftigten können dabei in simulierte Umgebungen eintauchen und virtuelle Gefahrensituationen erleben, ohne sich selbst zu gefährden. Somit werden neuartige Interaktionen der Beschäftigten in virtuellen Umgebungen möglich.

Ergebnisse aus Recherchen zu deutsch- und englischsprachigen Trainingsprogrammen in virtuellen Umgebungen konnten zwei Gruppen zugeordnet werden (Weber et al. 2020a). In Trainingsprogrammen mit Bezug zur Betriebspraxis sollen Beschäftigte zum Beispiel für SRS-Gefährdungen sensibilisiert, über Strategien zu ihrer Vermeidung informiert oder zu bestimmten Verhaltensweisen angeleitet werden. Dadurch sollen SRS-Gefährdungen frühzeitig erkannt und behoben oder vermieden werden, um einen SRS-Unfall zu verhindern. Trainingsprogramme mit Bezug zur wissenschaftlichen Forschung wollen beispielsweise eine bestimmte körperliche Reaktion auf eine SRS-Gefahr trainieren und dadurch die potenzielle Unfallschwere mindern oder eine verbesserte Reaktionsfähigkeit trainieren und somit Stürze verhindern.

Eine Zusammenfassung zu Zielen, Inhal­ten, Strukturen und beschriebenen Wirk­samkeiten der Trainingsprogramme im
Bereich der SRS-Prävention (Weber et al. 2020b) soll zu aktuellen Entwicklungen informieren und auf Empfehlungen zum Einsatz der Trainingsprogramme hinweisen.

VR-gestützte Trainings in der SRS-Prävention für die Betriebspraxis

Die bereitgestellten Informationen zu dieser Gruppe der Trainingsprogramme variierte. Allen gemeinsam war, dass sie auf einen Beitrag zur Prävention von SRS-Unfällen oder zumindest der Verminderung ihrer Schwere abzielen. In den Anwendungen wurde von Verhaltensprävention von Unfällen, Arbeitsschutz allgemein, Informationen zu Aus- und Weiterbildung sowie zu Arbeitsprozessen oder zu verwendeten VR-Techniken berichtet. Die Informationen zu Struktur und Inhalt waren vielfältig. Es wurde teilweise von erhöhter Motivation der Beteiligten und allgemeinen positiven Effekten des VR-gestützten Trainings berichtet. Allerdings fehlten Nachweise der Wirksamkeit des Trainings. Neben Trainingsprogrammen aus internationalen Quellen führten die Recherchen für den deutschsprachigen Raum zu einem Training für Handel und Warenlogistik sowie für die Bauwirtschaft (Weber et al. 2020a) (➥ Abb. 1).

VR-gestützte Trainings in der SRS-Prävention in wissenschaftlichen Studien

Die zweite Gruppe von Trainingsprogrammen beinhaltet wissenschaftliche Studien, die die Effekte eines Trainings in Stolper- oder Rutschsituationen in virtuellen Umgebungen auf die Stabilität des Körpers und des Ganges erforschen. So sollen Abfangstrategien in Rutschsituationen auf Laufbändern mit einer Sturzsicherung trainiert werden, indem Rutschen durch eine Rotation des virtuellen Szenarios in der Nickebene (Parijat et al. 2015a,b) oder durch eine Rotation der Rollebene (Riem et al. 2018) visuell simuliert wurde. Dabei zeigten die teilnehmenden Personen reaktive und proaktive Anpassungen auf die simulierte Rutschsituation. Beim Transfer in echte Rutschsituationen verbesserten sich Abfangstrategien auch ohne ein Training in realen Situationen. Durch solche Trainings könnte die Schwere von Unfallfolgen bei Stürzen gesenkt werden, wenn sich auch Langzeiteffekte ergeben (Weber et al. 2020b).

Einordnung der Trainingsprogramme in die SRS-Prävention

Zum Einsatz von VR-Techniken für Trainingsprogramme zur Prävention von SRS-Gefährdungen konnten bisher erst wenige Erfahrungen gesammelt werden. Die international angebotenen Trainings für die Betriebspraxis bieten meist zu wenige Hinweise auf Zielsetzung, Zielgruppe, Trainingskonzept und den erforderlichen personalen, zeitlichen und finanziellen Aufwand für eine wirksame Prävention von Arbeitsunfällen. Auswirkungen aus dem Einsatz von VR-Techniken, insbesondere für in jüngerer Zeit entwickelte Programme, sind kaum bekannt. Für eine Bewertung wären klare Aussagen auch über Möglichkeiten und Grenzen für Personen mit Entscheidungsbefugnis im Betrieb hilfreich.

Die Trainingsprogramme mit Bezug zu wissenschaftlichen Studien geben erste Hinweise auf verbesserte Stabilitätsparameter bei simulierten Stolper- und Rutschsituationen, die auch auf reale Situationen übertragen werden können. Inwieweit sich solche Effekte auch langfristig nachweisen lassen und auf weitere Alters- und Berufsgruppen übertragen werden können, kann anhand des aktuellen Stands der Forschung noch nicht abgeschätzt werden.

In kommender Zeit dürften sich die beiden Bereiche aufeinander zu entwickeln, indem die Trainingsprogramme mit Bezug zur Betriebspraxis realistische Zielsetzungen der Prävention anstreben und auch die Trainingsprogramme mit Bezug zu wissenschaftlichen Studien ganz konkrete Erkenntnisse für eine betriebspraktische Nutzung hervorbringen. Mit Ergebnissen aus Evalua­tionsstudien könnte eine sinnvolle Ergänzung zur Prävention von SRS-Gefährdungen durch Trainingsprogramme deutlich werden. Einige Studien deuten darauf hin, dass zwischen einer Entwicklung von Simulationen mit VR-Techniken und einer erwünschten Verhaltensänderung im praktischen Berufsalltag immer ein weiter, aber absehbarer Weg liegt, der auch lernpsychologische und pädagogische Konzepte der Verhaltensprävention einbezieht (Schmorrow et al. 2009).

Empfehlung zur Auswahl von Trainingsprogrammen in der SRS-Prävention

Aus den Recherchen zu bereits vorhandenen und durch VR-Techniken unterstützten Trainingsprogrammen konnten erste Kriterien abgeleitet werden. Vorab sollten im Betrieb Informationen zu folgenden Fragen gesammelt werden:

  • Welche Arbeitsunfälle oder Beinahe­unfälle werden mit SRS in Verbindung gebracht?
  • Welche Maßnahmen werden zur SRS-Prävention bereits genutzt?
  • Welche Ziele werden mit einem potenziellen Trainingsprogramm verfolgt?
  • Kriterien zur Auswahl von Trainingsprogrammen, unterstützt durch VR-Techniken:

  • Ziele, die das Trainingsprogramm verfolgt,
  • Zielgruppen, die das Trainingsprogramm anspricht,
  • Trainingskonzept, das das Programm verwendet,
  • Nachweis der Wirksamkeit,
  • Chancen und Grenzen des Einsatzes,
  • Anpassungsbedarf für betrieblichen Einsatz,
  • Einbindung von Beschäftigten,
  • personeller, zeitlicher, finanzieller Aufwand.
  • Durch die hohe Zahl von Arbeitsunfällen, die mit Stürzen, Rutschen und Stolpern in Verbindung gebracht werden, erscheint es sinnvoll, personelle Maßnahmen durch Trainings mit Hilfe von VR-Techniken zu ergänzen. Die Kriterien sollen eine Auswahl potenziell geeigneter Programme erleichtern und bei Fragen zur Wirksamkeit einer Maßnahme unterstützen.

    Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Literatur

    DGUV: Statistik Arbeitsunfallgeschehen 2018. Berlin: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, 2019.

    Parijat P, Lockhart TE, Liu J: EMG and kinematic responses to unexpected slips after slip training in virtual reality. IEEE Transact Biomed Engin 2015a; 62: 593–599.

    Parijat P, Lockhart TE, Liu J: Effects of perturbation-based slip training using a virtual reality environment on slip-induced falls. Ann Biomed Engin 2015b; 43: 958–967.

    Riem L et al.: Inducing compensatory changes in gait similar to external perturbations using an immersive head mounted display. In Proceedings of the IEEE Conference on Virtual Reality and 3D User Interfaces (VR). March 18–22, 2018, Reutlingen, Germany, S. 128–135.

    Schmorrow D, Cohn J, Nicholson D: The PSI handbook of virtual environments for training and education: Developments for the military and beyond. Volume 1: Learning, requirements, and metrics. Westport: Praeger Security International, 2009.

    Weber A et al.: Trainingsprogramme in virtueller Realität für den betriebspraktischen Einsatz zur Stolper-, Rutsch- und Sturz-Prävention. In: Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.V. (GfA) (Hrsg.): Digitaler Wandel, digitale Arbeit, digitaler Mensch? Dortmund: GfA-Press, 2020a, B 2.5 1–4.

    Weber A et al.: Contributions of training programs supported by VR techniques to the prevention of STF accidents. Lecture Notes in Computer Science (LNCS) 2020b; 12198: 276–290.

    Weitere Infos

    BGHW: In diesem Lkw steckt was drin. BGHW aktuell 2019; 3: 18–21
    https://www.bghw.de/medien/bghw-aktuell-die-zeitschrift-fuer-mitgliedsb…

    Plonsker T: Lernen in und mit virtuellen Welten. DGUV Forum 2019; 4: 36–37
    http://www.dguv-forum.de/files/594/19-50-035_DGUV_Forum_4_2019_screen.p…

    Die Prävention von Arbeitsunfällen durch Stolpern, Rutschen und Stützen (SRS) stellt einen Schwerpunkt im Arbeitsschutz dar

    Die Prävention von Arbeitsunfällen durch Stolpern, Rutschen und Stützen (SRS) stellt einen Schwerpunkt im Arbeitsschutz dar

    Koautor

    An der Erstellung des Beitrags beteiligt war Dr. Peter Nickel, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), Sankt Augustin.

    Beispiele

    BGHW-mobil „Mehr Sicherheit durch eigenes Erleben“ – Lagersimulator (BGHW 2019):

    An einer Station des BGHW-Mobils gehen Beschäftigte mit einem VR-Headset durch verschiedene virtuelle Räume eines Logistikzen­trums auf die Suche nach Stolper- und Rutschgefahren (s. Abb. 1). Ziel dieser Simulationsanwendung ist es, möglichst viele Gefahren zu finden, jeweils geeignete Maßnahmen zur Vermeidung auszuwählen und eine Rückmeldung zu erfahren. Die Anwendung soll genutzt werden, um mit den Beschäftigten ins Gespräch zu kommen und ihnen zu verdeutlichen, dass jeder etwas für die Sicherheit im eigenen Betrieb tun kann (z. B. vom Aufheben herumliegender Gegenstände bis zur Information von Vorgesetzten über
    Gefahrensituationen).

    Plonsker Media GmbH/BG BAU – Absturz­sicherung auf der Baustelle (Plonsker 2019):

    In einem Arbeitsschutztraining für Ausbildungen und Unterweisungen für die BG BAU dient VR als Medium, um realitätsnähere Bedingungen in Trainingsszenarien zu integrieren. In der Anwendung werden Szenarien zur Sturzsicherung auf Baugerüsten und beim Arbeiten in der Höhe gezeigt. Die Auswahl geeigneter Maßnahmen zur Absturzsicherung (z. B. Klappen eines Baugerüsts schließen, Querstreben am Gerüst anbringen, PSA [Helm und Gurt] anlegen, Sicherungskarabiner an einer Life-Line einhängen) wird mit Punkten belohnt. Die Nutzerin/der Nutzer trägt ein VR-Headset, kann sich frei im Raum bewegen und mithilfe von VR-Controllern mit Gegenständen in der virtuellen Umgebung interagieren.

    Kontakt

    Anika Weber
    Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA); Alte Heerstraße 111; 53757 Sankt Augustin

    Foto: privat

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