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Arbeits- und Gesundheitsschutz

Human-Biomonitoring im Arbeits- und Gesundheitsschutz

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Praktische Lösungen in der chemischen Industrie und Herausforderungen der Globalisierung

Human Biomonitoring in Occupational Health and Safety – Practical Solutions in the Chemical Industry and the Challenges of Globalization

Einleitung

Das Human-Biomonitoring (HBM) ist im Kontext der Arbeitsmedizin und des betrieblichen Gesundheitsschutzes spätestens seit Anfang der 1980er Jahre mit der erstmaligen Publikation von „Biologischen Arbeitsstoff-Toleranzwerten“ (BAT) in der MAK- und BAT-Werte-Liste der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe („MAK-Kommission“) der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu einem etablierten Instrument der arbeitsmedizinischen Vorsorge geworden (DFG 1981). Dabei stellt die Messung von Gefahrstoffen und deren Metaboliten in biologischem Material als sogenannte „Biomarker der Exposition“ einen unmittelbaren und stoffspezifischen Bezug zum Umgang mit Gefahrstoffen am Arbeitsplatz her. Mit dem HBM werden neben der äußeren Exposition, Hautresorption und oralen Aufnahme auch andere relevante Einflussfaktoren wie beispielsweise technische, organisatorische und persönliche Schutzmaßnahmen sowie individuelle Verhaltensweisen beim Umgang mit Gefahrstoffen abgebildet. Damit lässt sich nicht nur das individuelle gesundheitliche Risiko, sondern auch die Wirksamkeit betrieblicher Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen bewerten.

Innerbetriebliches HBM

Mit dem Human-Biomonitoring steht der Arbeitsmedizin ein vielfältig einsetzbares Instrument zur Verfügung, mit dem eine Gefahrstoffbelastung quantitativ erfasst und bewertet werden kann (vgl. Arbeitsmedizinische Regel 6.2, Biomonitoring, s. „Weitere Infos“). Die besondere Stärke des HBM liegt dabei in der integrativen Erfassung der über alle Aufnahmepfade (Inhalation, Hautresorption, Ingestion) in den Körper gelangten Gefahrstoffe, genauer: der zur aufgenommenen Dosis proportionalen Stoffkonzentrationen in Blut und Urin. Darüber hinaus ermöglichen die Ergebnisse von bevölkerungsbezogenen HBM-Untersuchungen (z. B. die German Environmental Surveys [GerES] des Umweltbundesamtes) eine Berücksichtigung der allgemeinen oder durch individuelle Lebensstilfaktoren beeinflussten Hintergrundbelastung. Die Kenntnis solcher Hintergrundbelastungen ist auch arbeitsmedizinisch von Interesse: Sie definiert einen Bereich, der auch unter optimalen Bedingungen mit technischen, organisatorischen oder personenbezogenen Maßnahmen (TOP) am Arbeitsplatz nicht weiter reduziert werden kann.

Gelegentlich wird das allgemeine Minimie­rungsgebot nach § 7 Absatz 4 der Gefahrstoffverordnung dahingehend missverstan­den, dass die Gefahrstoffbelastung am Arbeitsplatz möglichst bis in den umweltbedingten Bereich gesenkt werden sollte. Dies trifft jedoch zumindest aus gefahrstoffrechtlicher Sicht nicht zu: Durch wissenschaftlich begründete und im Rahmen der Sozialpartnerschaft konsentierte Grenzwerte für Gefahrstoffkonzentrationen in der Luft (Technische Regeln für Gefahrstoffe [TRGS] 900, TRGS 910) und in biologischem Material (TRGS 903, TRGS 910) sind durch das Bundesarbeitsministerium bereits Grenzen definiert, bei deren Unterschreitung das gesundheitliche Risiko der Beschäftigten auch nach regelmäßiger langfristiger Exposition als ausreichend gering betrachtet wird. Davon unbenommen führen adäquate TOP-Maßnahmen (mit vorangegangener Substitutionsprüfung: STOP) tatsächlich zu sehr niedrigen Expositionen am Arbeitsplatz, die auch im Bereich der allgemeinen Hintergrundbelastung liegen können. Letzteres ist jedoch die Folge und nicht das primäre Ziel des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes, zumal das persönliche Verhalten am Arbeitsplatz und die persönliche Compliance mit TOP-Maßnahmen wesentliche Faktoren für die individuelle Gefahrstoffbelastung sind.

Für die praktische Anwendung des Human-Biomonitorings im betrieblichen Kontext stellen die Publikationen der MAK-Kommission sowie die Arbeitsmedizinische Regel 6.2 „Biomonitoring“ eine Reihe von Handlungsempfehlungen bereit. Im wissenschaftlichen Schrifttum und anlässlich wissenschaftlicher Fachtagungen wie beispielsweise den Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) werden seit vielen Jahren Beispiele für HBM-Untersuchungen und Best Practices vorgestellt, die systematisch und nachhaltig (im Sinne einer Wirksamkeitskontrolle) durchgeführte HBM-Untersuchungen in der Industrie zeigen, mit denen eine Verminderung der Gefahrstoffexposition und verbesserte Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen erreicht wurden.

Systematische HBM-Programme

Im arbeitsmedizinischen Kontext stehen HBM-Untersuchungen grundsätzlich im Zusammenhang mit der individuellen Vorsorge durch Betriebsärztinnen oder Betriebsärzte (Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge, ArbMedVV, s. „Weitere Infos“). Eine Probenahme zu diesem Anlass ist jedoch nur sinnvoll, wenn die letzten Tätigkeiten mit dem betreffenden Gefahrstoff in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Vorsorge stattgefunden haben. Die meisten Gefahrstoffe werden mit Halbwertszeiten von nur wenigen Stunden aus dem Blut oder mit dem Urin eliminiert, so dass die optimale Probenahmezeit in der Regel nicht mit dem persönlichen Kontakt zur Betriebsärztin oder zum Betriebsarzt zusammenfällt.

In der Praxis hat es sich bewährt, die Probenahme unabhängig im Rahmen betriebsspezifischer und zeitlich begrenzter HBM-Programme anzubieten. Solche Untersuchungen lassen sich sehr effizient gestalten: Beschäftigte eines Betriebs oder einer Betriebseinheit können in einer gemeinsamen Grundunterweisung über die Ziele der Untersuchung, die praktische Durchführung sowie über die Kommunikation der Ergebnisse informiert werden. Vor allem die Einbindung von Vertrauenspersonen, Sicherheitsfachkräften und Führungskräften sowie die Möglichkeit zur Diskussion offener Fragen ist dabei geeignet, Akzeptanz und Teilnahmequote der HBM-Programme zu erhöhen. Systematische HBM-Programme liefern je nach Untersuchungsdesign einen Querschnitt der Gefahrstoffbelastung, so dass sich exposi­tionsgeneigte Arbeitsbereiche oder Tätigkeiten besser identifizieren lassen als durch die retrospektive Betrachtung der Ergebnisse aus Einzeluntersuchungen.

Als Beispiele für erfolgreiche systematische HBM-Programme können zwei von Leng et al. (2013) und Bäcker et al. (2015) vorgestellte Untersuchungen angeführt werden: Im ersten Fall führte die ungenügende Trennung von Schwarz- und Weißbereichen bei Stillstandsarbeiten an einer Produktionsanlage zu einer Verschleppung und Gefahrstoffbelastung auch bei Beschäftigten, die aufgrund ihrer Tätigkeit üblicherweise nicht für ein HBM ausgewählt worden wären (z. B. Messwarte). Dem Verschleppungsproblem wurde in der Folge durch organisatorische Maßnahmen begegnet. Im zweiten Fall wurden in einem Betrieb für Zwischenprodukte erhöhte Belastungen von Beschäftigten mit p-Chloranilin bei Austankarbeiten und der Abwasserbehandlung festgestellt. Die Ergebnisse eines nachfolgenden HBM-Programms zeigten bereits im Vorfeld einer technischen Umrüstung der Anlage eine signifikante Verringerung der Gefahrstoffbelastung durch einfache Anpassungen der Schutzkleidung und der arbeitshygienischen Vorgaben.

Mehrwert des HBM im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung

Erkenntnisse aus dem Human-Biomonitoring sind in allererster Linie ein Instrument für den individuellen Gesundheitsschutz und Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Dementsprechend sind die Ergebnisse des HBM in den Gesundheits­akten der Beschäftigten hinterlegt und können, regelmäßige Untersuchungen vorausgesetzt, sowohl eine Momentaufnahme als auch ein Längsschnittbild der Belastung der Beschäftigten widerspiegeln.

Darüber hinaus können und sollen HBM-Ergebnisse gemäß § 6 Absatz 1 der Gefahrstoffverordnung auch Beiträge zur betrieblichen Gefährdungsbeurteilung liefern. Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge gewonnene Erkenntnisse sind gemäß der TRGS 400 zu berücksichtigen, da sie „wertvolle Hinweise für die Festlegung von Maßnahmen und ggf. deren Wirksamkeitsüberprüfung“ liefern (§ 5.7 Absatz 1). Dabei werden insbesondere „Hinweise aus der betriebsärztlichen Tätigkeit, die auf eine erhöhte Gefahrstoffbelastung schließen lassen“ beziehungsweise „Hinweise über unzureichende Schutzmaßnahmen“ genannt, die „dem Arbeitgeber vom Arzt oder der Ärztin als Ergebnis […] des Biomonitorings unter Berücksichtigung der ärztlichen Schweigepflicht zusammen mit Vorschlägen für Schutzmaßnahmen übermittelt werden“. Die TRGS formuliert demnach die Erwartung, dass mindestens auffällige Ergebnisse des HBM in die betriebliche Gefährdungsbeurteilung und Wirksamkeitskontrolle eingebracht werden. Die Technische Regel liefert zwar keine konkreten Hinweise oder Handlungsanleitungen; es ist jedoch mit Blick auf die grundsätzlich hohen Ansprüche an Umfang und Detailtiefe einer Gefährdungsbeurteilung davon auszugehen, dass auch die Ergebnisse des HBM systematisch und umfänglich ausgewertet und dokumentiert werden sollten.

Im Gegensatz zu anderen personenbezogenen Daten lassen HBM-Ergebnisse auch Rückschlüsse auf die Qualität des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu und sind daher besonders beim Umgang mit hautresorptiven, kanzerogenen und akkumulierenden Gefahrstoffen von erheblicher Aussagekraft. Zusammenfassende Darstellungen im Sinne eines „Kollektivbefundes“ können nicht nur zur Steuerung von TOP-Maßnahmen im Sinne eines PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) dienen (➥ Abb. 1), sondern auch für den Austausch mit Vollzugsbehörden oder Berufsgenossenschaften. Es ist daher sinnvoll, HBM-Ergebnisse auch bei unauffälligen Befunden (und unter Wahrung des Datenschutzes) zu kommunizieren.

Aktuelle Beurteilungswerte für das Human-Biomonitoring folgen dem sogenannten „Mittelwertkonzept“, sind also als Mittelwerte aus mehreren Messungen definiert. Bei einer Unterschreitung der biologischen Grenzwerte (BGW) beziehungsweise BAT-Werte wird „im Allgemeinen die Gesundheit eines Beschäftigten auch bei wiederholter und langfristiger Exposition nicht beeinträchtigt“ (DFG 2023). Daher stellen einzelne oder gelegentliche Überschreitungen keine gesundheitsrelevanten Ereignisse per se dar, sondern sind eher im Sinne einer „Warnlampe“ zu interpretieren und geben Anlass zu einer Folgeuntersuchung nach ähnlichen Tätigkeiten. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für die Äquivalenzwerte zur Akzeptanzkonzentration gemäß TRGS 910, auch wenn hier definitionsgemäß noch ein zusätzliches (akzeptables) Lebenszeitrisiko besteht. Eine Häufung auffälliger Ergebnisse bei Beschäftigten
mit ähnlichen Tätigkeiten oder aus demselben Arbeitsbereich sollte Anlass zu einer Ree­valuierung und Anpassung der Gefährdungsbeurteilung beziehungsweise der TOP-Maßnahmen sein.

Für eine konsolidierte Ergebnisdarstellung ist es empfehlenswert, statistische Kennzahlen zu verwenden, die auch von Betriebsleiterinnen und -leitern, Sicherheitsfachkräften, Personalvertretungen und im besten Fall auch von den Beschäftigten gut verstanden werden. Dazu gehören mindestens die Mittelwerte (und Standardabweichungen), Mediane (oder andere Perzentile), Minimal-/Maximalwerte sowie Anzahl (oder Prozentsatz) der Ergebnisse oberhalb des Beurteilungswerts sowie unterhalb der Bestimmungsgrenze („non-detects“). Diese Kennzahlen sind einfach zu berechnen und erfüllen die Erfordernisse des Datenschutzes, soweit genügend Einzeldaten vorhanden sind und eine Identifizierung der Beschäftigten nicht mehr möglich ist.

Eine besonders einfache und verständliche Darstellung ist das „Ampelsystem“: Ergebnisse oberhalb des jeweiligen Beurteilungswerts werden mit „rot“ markiert, unterhalb können Betriebsärztinnen oder Betriebsärzte einen Warnbereich („gelb“) für auffällige Ergebnisse festlegen, der die Überschreitung einer bestimmten Höhe des Beurteilungswerts anzeigt, zum Beispiel 50 % des BGW oder BAT-Werts. Ergebnisse unterhalb dieses Warnbereichs können als unauffällig („grün“) markiert werden. Beim Umgang mit kanzerogenen, mutagenen oder reproduktionstoxischen Stoffen kann der Beginn des Warnbereichs als Überschreitung des Äquivalenzwerts zum Akzeptanzrisiko (TRGS 910) definiert werden. Für krebserzeugende Gefahrstoffe ohne Äquivalenzwerte kann gemäß der gemeinsamen Empfehlung des Ausschusses für Gefahrstoffe und des Ausschusses für Arbeitsmedizin (AGS u. AfAMed 2010) die allgemeine Hintergrundbelastung als Maßstab herangezogen werden. Im letzteren Fall ist jedoch besonders zu berücksichtigen, dass die Hintergrundbelastung nur ein statistisch abgeleiteter Wert ist, der keine Aussage zum gesundheitlichen Risiko zulässt.

Gemäß einem Ampelsystem wären beispielsweise Ergebnisse für den Benzol-Biomarker S-Phenylmercaptursäure (SPMA) im Urin oberhalb von 25 µg/g Kreatinin (Äquivalenzwert zur Toleranzrisiko-Konzentration) als „rot“ zu markieren, während Ergebnisse unter 3 µg/g Kreatinin (Äquivalenzwert zur Akzeptanzrisiko-Konzentration) mit „grün“ versehen würden; der Bereich zwischen diesen Werten umfasst den „gelben“ Warnbereich. Zur weiteren differenzierten Bewertung von Ergebnissen für Beschäftigte mit potenzieller Benzolexposition könnte darüber hinaus noch berücksichtigt werden, dass Nichtraucher typischerweise sehr niedrige SPMA-Konzentrationen im Urin aufweisen (BAR: 0,3 µg/g Kreatinin), während bei Tabakrauchern Belastungen bis in den Bereich des Äquivalenzwerts zur Akzeptanzkonzentration auftreten.

Abb. 1:  Plan-Do-Check-Act-(PDCA-)Zyklus für das Human-Biomonitoring in der arbeitsmedizinischen Vorsorge und Wirksamkeitskontrolle (Quelle: BASF SE)

Abb. 1: Plan-Do-Check-Act-(PDCA-)Zyklus für das Human-Biomonitoring in der arbeitsmedizinischen Vorsorge und Wirksamkeitskontrolle (Quelle: BASF SE)

HBM an internationalen Standorten

Eine besondere Herausforderung ist das arbeitsmedizinische Human-Biomonitoring im internationalen Kontext: Auch wenn global agierende Unternehmen die in Deutschland etablierten Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Grundsatz auf alle von ihnen betriebenen Standorte weltweit ausdehnen, heißt das nicht zwangsläufig, dass HBM in gleicher Weise eingesetzt wird oder werden kann wie in Deutschland. Zum einen haben nationale oder regionale Gesetzgebung stets Vorrang, zum anderen unterscheiden sich Ausbildung und Praxis der Arbeitsmedizin in verschiedenen Ländern deutlich voneinander (Leng u. Nasterlack 2012). Human-Biomonitoring wird international auch nicht immer als exklusiver Bestandteil der Arbeitsmedizin betrachtet, sondern häufig im Gesamtkontext des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, vor allem zusammen mit der Arbeitshygiene (Occupational Hygiene, Industrial Hygiene). Darüber hinaus sind unterschiedlich gelebte Kulturen im Arbeits- und Gesundheitsschutz, im Arzt-Patienten-Verhältnis und im Datenschutz zu bedenken. Die Implementierung von HBM-Programmen an Standorten im Ausland ist daher stets herausfordernd. Gegebenenfalls ist eine Weiterbildung oder ein internes Training sinnvoll, um Betriebsärztinnen oder Betriebsärzte vor Ort in die Lage zu versetzen, HBM in eigener Verantwortung und in Kooperation mit Expertinnen und Experten aus anderen Disziplinen anzubieten.

Von praktischer Bedeutung für das Human-Biomonitoring im Ausland ist die Verfügbarkeit von geeigneten Laboratorien. In den meisten industrialisierten Ländern sind spezialisierte analytische und klinische Laboratorien vorhanden und durch Akkreditierung/Zertifizierung nach internationalen Normen (z. B. ISO 9001, ISO 17025, ISO 15189) kann eine gute Prozessqualität vorausgesetzt werden. Allerdings bedarf das HBM in der Regel einer zusätzlichen Beratung in der sogenannten „präanalytischen Phase“ (Parameterauswahl, Probenahme, Transport) und im Zweifelsfall auch zur Auswahl und Interpretation geeigneter Beurteilungswerte. Auch technisch gut ausgestattete Laboratorien verfügen nicht per se über Fachexpertise im arbeitsmedizinischen Kontext. Für die arbeitsmedizinische Be­treuung in global aufgestellten Unternehmen ist es daher sinnvoll, Kriterien für die Auswahl eines HBM-Laborpartners festzulegen. Aus deutscher Sicht kann vor allem eine (erfolgreiche) Teilnahme am German External Quality Assessment Scheme (G-EQUAS, www.g-equas.de) ein solches Kriterium sein. Dieses explizit international orientierte Programm basiert auf den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sicherung der Qualität laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK). Zertifikate des G-EQUAS-Programms lösen zwar nicht die Frage nach einer guten Beratung, aber sie können zumindest als Ausweis einer belastbaren Laboranalytik speziell im arbeitsmedizinisch-toxikologischen Bereich gelten.

Mit Blick auf die Beurteilungswerte für das HBM an Standorten außerhalb Deutschlands ist zu beachten, dass es erhebliche Unterschiede in den Grenzwerten für Stoffe in der Arbeitsplatzluft geben kann, die sich auch auf das Human-Biomonitoring auswirken. Als Beispiel sei das Benzol genannt: In Deutschland sind Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen von 0,06 ppm beziehungsweise 0,6 ppm etabliert, mit einem ähnlichen Konzept wurden in Japan 0,1 beziehungsweise 1 ppm festgelegt. In vielen Ländern (z. B. USA, Vereinigtes Königreich, Australien, Türkei) gilt derzeit noch ein Arbeitsplatzgrenzwert von 1 ppm, während beispielsweise in Kanada, Israel und Südkorea 0,5 ppm und in Neuseeland sogar nur 0,05 ppm festgelegt sind (IFA 2023). Demgegenüber beträgt im wichtigen Produktions- und Absatzmarkt China der nationale Grenzwert für die Benzolexposition am Arbeitsplatz
2 ppm (6 mg/m3). In der Konsequenz liegt der Beurteilungswert für den Benzol-Biomarker SPMA im Urin dort mit 100 µg/g Kreatinin um den Faktor 4 über dem Äquivalenzwert zur Toleranzkonzentration in Deutschland (➥ Tabelle 1) und mehr als um den Faktor 30 über dem Äquivalenzwert zur Akzeptanzkonzentration. Im Fall des älteren und wegen seiner Bildung aus dem Konservierungsstoff Sorbinsäure unspezifischeren Biomarkers trans,trans-Muconsäure (ttMA) ist der Abstand zum Toleranz-Äquivalenzwert in Deutschland ebenfalls sehr hoch (Faktor 6). In dieser Situation wäre also zu entscheiden, welcher Beurteilungswert für die arbeitsmedizinische Vorsorge an Standorten in China heranzuziehen ist. Eine praktische und rechtskonforme Lösung lautet: In jedem Fall ist der chinesische Beurteilungswert von 100 µg SPMA/g Kreatinin einzuhalten. Zusätzlich sollten die in Deutschland geltenden Äquivalenzwerte als Zielvorgabe vermittelt und angestrebt, zumindest aber als Referenz dargestellt werden. Damit können international aufgestellte Unternehmen dem Anspruch global einheitlicher Kriterien gerecht werden, während gleichzeitig nationale Besonderheiten berücksichtigt bleiben. Im Optimalfall erhöht eine konsolidierte Darstellung von HBM-Ergebnissen verschiedener Standorte im Sinne eines „globalen Kollektivbefundes“ auch die Aufmerksamkeit für Belange des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Ein globales HBM-Programm mit einheitlichen empfohlenen Beurteilungswerten („Aktionswerte“) vereinfacht die interne Steuerung und Dokumentation und verhindert, dass unterschiedliche Schutzniveaus in Drittländern genutzt oder toleriert werden.

Interessenkonflikt: Der Autor ist Mitarbeiter der BASF SE in Ludwigshafen.

Tabelle 1:  Beurteilungswerte für Benzol in der Luft am Arbeitsplatz und in biologischem Material (*IFA 2023, **DFG 2023, ***ACGIH 2023, ****GBZ 2.1-2019)

Tabelle 1: Beurteilungswerte für Benzol in der Luft am Arbeitsplatz und in biologischem Material (*IFA 2023, **DFG 2023, ***ACGIH 2023, ****GBZ 2.1-2019)

Literatur

Ausschuss für Gefahrstoffe, Ausschuss für Arbeitsmedizin (AGS und AfAMed): Bekanntmachung von Empfehlungen für Biomonitoring bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen. Gemeinsames Ministerialblatt 62 vom 8. November 2010.

Bäcker S, Betz R, Nicklas F, Hois P, Hoffmann G, Bader M: Human-Biomonitoring zur Überprüfung und Optimierung des Arbeitsschutzes beim Umgang mit hautresorptiven aromatischen Aminen. Dokumentationsband zur 55. Wissenschaftlichen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin, 2015, S. 614 (ISBN 978-9817007-1-8).

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): MAK-und BAT-Werte-Liste 2023. Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe. Mitteilung 59 (https://www.doi.org/10.34865/mbwl_2023_deu).

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen 1981. Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe. Mitteilung XVII. Boppard: Harald Boldt Verlag.

Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA): GESTIS – Internationale Grenzwerte für chemische Substanzen. https://www.dguv.de/ifa/gestis/gestis-internationale-grenzwerte-fuer-ch… (abgerufen am 18.12.2023).

Leng G, Gries W, Riedel W, Hartz S: Biomonitoring im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung G27 am Beispiel von Hexamethylen-1,6-diisocyanat (HDI). Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2013; 48: 392–396.

Leng G, Nasterlack M: Biomonitoring aus Sicht der praktischen Arbeitsmedizin. In: Triebig G, Drexler H, Letzel S, Nowak D; Biomonitoring in Arbeitsmedizin und Umweltmedizin. Landsberg am Lech: Ecomed Medizin, 2012, S. 83–93.

doi:10.17147/asu-1-335666

Weitere Infos

Arbeitsmedizinische Regel 6.2 „Biomonitoring“
https://www.baua.de/DE/Angebote/Regelwerk/AMR/AMR-6-2.html

Gefahrstoffverordnung
https://www.baua.de/DE/Themen/Chemikalien-Biostoffe/Gefahrstoffe/Taetig…

Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS)
https://www.baua.de/DE/Angebote/Regelwerk/TRGS/TRGS.html

Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)
https://www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/

Kernaussagen

Human-Biomonitoring

  • ist ein wichtiger Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge.
  • unterstützt die Bewertung des gesundheitlichen Risikos beim Umgang mit Gefahrstoffen.
  • kann wesentliche Beiträge zur betrieblichen Gefährdungsbeurteilung liefern.
  • trifft auf besondere Herausforderungen an Standorten der chemischen Industrie im Ausland.
  • KONTAKT

    Prof. Dr. rer. nat. Michael Bader
    BASF SE, Corporate Health Management; Carl-Bosch-Str. 38; 67056 Ludwigshafen

    Foto: privat

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