Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.
Update zur Anbindung von Betriebsärztinnen und -ärzten an die Telematik-Infrastruktur und
die elektronische Patientenakte
Designing Intersectoral Occupational Health Care in Practice – Update on Connecting Occupational Physicians to the Telematics Infrastructure and the Electronic Patient File
Die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) hatte sich seit den ersten Überlegungen zu diesem Gesetzesvorhaben klar positioniert und mit ihren Stellungnahmen und publizistischen Aktivitäten (z. B. in ASU 11/2022) immer wieder versucht, die gesundheitspolitischen Akteure für die Bedeutung der arbeitsmedizinischen Versorgung insbesondere auch an den Schnittstellen zwischen medizinischer Prävention, Kuration und Rehabilitation zu sensibilisieren. Im Rahmen einer Verbändeanhörung zum Digitalgesetz Anfang August 2023 trat die DGAUM unter anderem zusammen mit Vertretungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesärztekammer (BÄK) nachdrücklich dafür ein, dass Fachärztinnen und -ärzte für Arbeitsmedizin sowie Fachärztinnen und -ärzte anderer Gebietsbezeichnungen mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ wie andere, etwa vertragsärztliche oder im Krankenhaus tätige Leistungserbringer, im Wege einer Opt-out-Lösung einen ungehinderten Zugriff auf die ePA haben sollen. Zudem wurde in dieser Anhörung der von einer Patientenvertreterin geäußerten Auffassung widersprochen, Betriebsärztinnen und -ärzte seien „Spione“ der Arbeitgebenden und sollten daher am besten überhaupt keinen Zugriff auf die ePA erhalten. Dies zeigt einmal mehr, wie ausbaufähig in manchen Öffentlichkeiten das Wissen und die Kenntnisse um den arbeitsmedizinischen Versorgungsauftrag sowie über jene Tätigkeiten in der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung sind, die insbesondere der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen.
Kostenerstattung für den Anschluss an die TI-Struktur
Die DGAUM begrüßt es für das Fachgebiet der Arbeitsmedizin ausdrücklich, dass deren Vorschlag im nunmehr verabschiedeten Gesetzestext berücksichtigt ist, einen neuen § 382a im Sozialgesetzbuch (SGB) V aufzunehmen. Dementsprechend sollen den nicht vertragsärztlich tätigen Betriebsärztinnen und -ärzten zum Ausgleich der in § 376 SGB V genannten Ausstattungs- und Betriebskosten die identischen Aufwände erstattet werden wie den so genannten Vertragsärztinnen und -ärzten. Erfreut ist die DGAUM ebenfalls darüber, dass man sich deren Ansinnen geöffnet hat, das Nähere zur Abrechnung der Erstattungen möge zwischen dem GKV-Spitzenverband und den für die Wahrnehmung der betriebsärztlichen Interessen maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene vereinbart werden.
Gemäß § 376 SGB V sind dann sowohl die Kosten der aufgrund von Anforderungen nach diesem Gesetz erforderlichen Ausstattung zu ersetzen, die den Leistungserbringern in der Festlegungs-, Erprobungs- und Einführungsphase der Telematik-Infrastruktur entstehen, als auch die erforderlichen Betriebskosten, mit denen die Leistungserbringer im laufenden Betrieb der Telematikinfrastruktur konfrontiert sind.
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der DGAUM bei der Verhandlung von Impfvereinbarungen nach § 132e SGB V mit den Unternehmen der GKV hatte die Fachgesellschaft vorgeschlagen, gegebenenfalls ein Schiedsverfahren dann zu ermöglichen, wenn es zu keiner gütlichen Einigung bei den Verhandlungen zu den Abrechnungsmodalitäten kommt. Der DGAUM-Vorschlag war, dass die Regelungen in § 132e Abs. 2 Satz 6 ff. SGB V auch im Kontext der Gestaltung des neuen § 382a SGB V Berücksichtigung finden mögen. Leider ist man dem nicht gefolgt und die Praxis wird zeigen, wie die Verhandlungen sich mit dem GKV-Spitzenverband gestalten. Denn nach dem Gesetz soll bis zum 1. Oktober 2024 das „Nähere zur Abrechnung der Erstattungen“ auf Bundesebene vereinbart sein.
Weiterhin Opt-in-Lösung für den Zugriff auf Daten in der elektronischen Patientenakte
Beim verabschiedeten Digital-Gesetz fällt zudem ins Gewicht, dass es für die nicht vertragsärztlich tätigen Betriebsärztinnen und Betriebsärzte keine grundsätzliche Zugriffsmöglichkeit auf alle Daten in der ePA geben wird. Im Gegensatz zu den Bundesländern, die mehrheitlich dafür votiert hatten, gibt es nach dem Willen der Bundesregierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit im Bundestag für die in der arbeitsmedizinischen Versorgung tätigen Leistungserbringer keine Opt-out-Lösung, sondern nur einen Opt-in-Zugriff. Das bedeutet, dass eine Nutzung der Patientendaten beziehungsweise die Eingabe von Erkenntnissen, etwa aus den arbeitsmedizinischen Vorsorgen, durch die Betriebsärztinnen und -ärzte nur mit Einwilligung der Betroffenen möglich ist. Geregelt ist das in § 339 Abs. 1a DigiG.
Vor dem Hintergrund, dass die Arbeitswelt mit ihren über 46 Mio. Erwerbstätigen das größte Präventionssetting in unserer Gesellschaft darstellt, ist eine solche Regelung insbesondere im Interesse der Patientinnen und Patienten kontraproduktiv. Mit dem so genannten Präventionsgesetz und dessen Umsetzung seit 2015 sowie insbesondere in der COVID-19-Pandemie wurde die Bedeutung von medizinischen Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz offensichtlich. Denn die Arbeitswelt ist nicht nur der größte gesellschaftliche Präventionskontext, sondern in der Gestaltung der konkreten Arbeitsbedingungen vor Ort ist für jeden Erwerbstätigen ein wesentlicher Wirkmechanismus gegeben sowohl für gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen als auch für gesundheitsförderliche Maßnahmen. Dieser Hebel, den die fast 10.000 Betriebsärztinnen und -ärzte jeden Tag mit ihrer Tätigkeit bedienen, hat gesamtgesellschaftlich enorme Wirkungen: zunächst hinsichtlich des Erhalts der individuellen Beschäftigungsfähigkeit, dann aber auch in Bezug auf gesellschaftliche Kontexte wie die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Betrieben oder die finanzielle Lastenverteilung in unseren Sozialversicherungssystemen.
Wir leben zudem in einer alternden Gesellschaft, bei gleichzeitiger Zunahme von chronischen Krankheiten wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, muskuloskelettalen Beschwerden, aber auch psychischen Erkrankungen. Die unmittelbare Prävention – gerade in deren frühen Stadien – durch individuelle, betriebsärztliche Beratung der Beschäftigten und die systemische betriebsärztliche Beratung von Betrieben und Unternehmen zur Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen besitzt daher eine herausragende soziale Bedeutung. Gerade mit der Verabschiedung und Umsetzung der Arbeitsmedizinischen Regel (AMR 3.3) zur „Ganzheitlichen Arbeitsmedizinischen Vorsorge“ seit Dezember 2022 wurde diesem Ansatz Rechnung getragen, indem alle potenziellen Gefährdungen bei einem Vorsorgetermin berücksichtigt werden sollen. Das in diesem Rahmen erhobene Wissen sollte daher zwingend in der ePA auch routinemäßig dokumentiert werden können.
Darüber hinaus gehört die Erforschung der Wechselwirkung zwischen arbeitsbedingten Belastungen und der Entstehung von „Zivilisationserkrankungen“ zu den größten Aufgaben in der Arbeitsmedizin. Denn die betriebsärztliche Tätigkeit ist eine integrierende Schnittstelle zwischen primärpräventiver Gesundheitsförderung und ambulanter Primärversorgung. Zudem stellt sie für das Setting Arbeitsplatz eine koordinierende Plattform dar, für alle an Primärprävention und Versorgung beteiligten Gesundheitsexpertinnen und -experten. Um es ganz einfach auszudrücken: Wir bewegen uns alle in einem Gesundheitssystem. Deshalb braucht es den kontinuierlichen Informationsaustausch der Leistungserbringer über die Versorgungssektoren hinweg, also zwischen medizinischer Prävention (Betriebsärztinnen/-ärzte), Kuration (Vertragsärztinnen/-ärzte, Krankenhäuser) und Rehabilitation (Reha-Einrichtungen), und keine Ausschlusskriterien, um die Kommunikation der Akteure zwischen den Versorgungssektoren zu behindern. An diesem Ziel wird die DGAUM auch in Zukunft konsequent weiterarbeiten.