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Wichtige Aspekte zum muskuloskelettalen System

Musiker und Bewegungsapparat

Erkrankungen, wie auch Verletzungen des muskuloskelettalen Systems – bei Instrumentalisten insbesondere der Hand – stellen eine Kernproblematik der Musikermedizin dar. Ein Großteil jener Musiker, die eine spezifische Musikersprechstunde aufsuchen, wünschen eine Be-ratung und Behandlung wegen Einschränkungen und Beschwerden im Bereich des Bewegungssystems. Es handelt sich dabei häufig um Krankheitsbilder multifaktoriel-ler Genese, die mehrere medizinische Fachgebiete wie z. B. Orthopädie, Handchirurgie, Traumatologie, Neurologie und Psychoso-matische Medizin gleichzeitig betreffen kön-nen und dann in einem integrierten interdisziplinären Ansatz behandelt werden sollten. Darüber hinaus sind auch Gebiete wie Ergonomie und Biomechanik in vielfältiger Weise maßgeblich für musikermedizinische Fragestellungen.

Musikerspezifische Krankheitsbilder

Musiker können im Rahmen von Störungen ihres muskuloskelettalen Systems, unabhängig ob erworben oder unfallbedingt, in viel-fältiger Weise leiden und daher spezifischen Rat suchen. Die sicherlich größte Besonder-heit bei ihnen ist, dass sie im Vergleich zu den meisten anderen Berufsgruppen bereits gering ausgeprägte Symptome wahrnehmen und sich hierdurch in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt fühlen. Im Vordergrund stehen Beschwerden wie Schmerz, sensorische Irritationen – z. B. veränderte Sensibilität, reduziertes Tiefengefühl oder gestörte räumliche Zuordnungsfähigkeit – sowie motorische Defizite im Sinne von Kraftverlust und Bewegungseinschränkungen.

Die Frühzeitigkeit dieser Irritationen ver-blüfft oft den zu Rate gezogenen Arzt. Vor allem, wenn dieser mit der musikalischen Aufführpraxis und deren Rahmenbedingungen nicht vertraut ist, neigt er dazu, solche Beschwerden herunterzuspielen und dem Musikerpatienten eine neurotische Persönlichkeit zuzusprechen und gar eine Behandlungsnotwendigkeit zu verneinen. Tatsächlich aber sind jene Selbstbeobachtungen und auch das frühzeitige Ratsuchen seitens der Musikerpatienten nicht nur berechtigt, sondern vielmehr essenziell, um möglicherweise bleibende Schäden und Defizite zu verhüten und auch Ausfälle der Musizierpraxis und somit der notwendigen motorischen Fähigkeit auf ein Minimum zu begrenzen.

Störungen des muskuloskelettalen Sys-tems werden in der Regel durch die betrof-fenen Musiker nicht arztgerecht formuliert. Der behandelnde Arzt muss das Vokabular des Musikers „übersetzen“. Dies fällt verständlicherweise jenen schwer, die keinen Einblick in die Ausdrucksweise von Musikern haben. So sprechen Musiker von Sym-ptomen wie Engegefühl, Schmerzen, Steifheit, Ermüdung, Schwäche, Verkrampfung oder Taubheit. Sie berichten von einem Ver-lust an Ausdauer, Leichtigkeit, Kraft, Kontrolle, Geschwindigkeit oder Spannkraft (Larsson 1993). Häufig offenbart erst die Untersuchung zusammen mit dem Instrument, welche medizinischen Symptome aus den Patientenangaben „zu destillieren“ sind. Letzteres ist ein fundamentaler Hinweis für die Erkennung und Behandlung von Störun-gen des muskuloskelettalen Systems. Die komplexe Untersuchung eines erkrankten oder gar verletzten Musikers beinhaltet als zwingenden Bestandteil die Analyse des Spiels mit dem Instrument sowie aus ergo-nomischen Gründen auch die Untersuchung des Instruments und gegebenenfalls seiner Zubehörteile selbst.

Erkrankungen des Bewegungsapparats bei Musikern

Typisch für Berufsmusiker sind Überlastungs-folgen im Bereich des muskuloskelettalen Systems. Diese treten in der Regel bei Instrumentalisten auf einer primär gesunden Basis auf, erwirken jedoch erhebliche Beschwerden, die in scharfem Kontrast zur musikali-schen Leistungsfähigkeit stehen. Die Überlastungssyndrome betreffen vorwiegend die oberen Extremitäten und den Schultergürtel, daneben ebenfalls Rumpf mit Becken und Wirbelsäule. Überlastungssyndrome der unteren Extremitäten kommen ebenso vor, hier handelt es sich aber um seltenere Fälle von Hüftbeschwerden oder Oberschenkelmuskulatur-Überlastungen bei Organisten im Rahmen der Pedalarbeit, linksseitige Hüft-beschwerden bei Gitarristen im Rahmen der Hyperflexion des linken Beins durch die Fuß-bank, Balancestörungen und Überlastungen bei Sängern oder Instrumentalisten, die im Stehen singen und musizieren.

Zur Erkennung und Einordnung der Beschwerden ist es wichtig, deren prädisponie-rende Faktoren zu kennen und an diesen den entscheidenden Hebel der Behandlung anzusetzen. So schwierig die einzelnen pathologischen Komponenten häufig abgrenzbar sind, so vielfältig sind auch ihre Ursachen und deren prädisponierenden Faktoren.

Generell gilt, dass klassische pharmakologische Therapieformen oder gar operative Eingriffe eine untergeordnete Rolle spielen. In der Info werden kurz gefasst die sechs Behandlungsphasen bei Überlastungssyndrom der oberen Extremität bei Musikern aufgelistet.

Wirbelsäulenerkrankungen

Funktionelle und strukturelle Erkrankungen der Wirbelsäule haben in der allgemeinen Bevölkerung moderner Industrienationen aufgrund ihrer Häufigkeit und massiven Beeinträchtigung von Lebensqualität wie auch der Arbeitsfähigkeit hohe Bedeutung. Insbesondere sitzende Tätigkeiten, aber auch mangelnde körperliche Betätigung im Allgemeinen, werden als Begründung angeführt, dass derartige Probleme in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen haben. Besonders in Berufen mit langen Zeiten von Bildschirmtätigkeit treten vermehrt Rückenprobleme auf. Orchestermusiker weisen ein ähnliches ergonomisches Muster auf: vornehmlich sitzende Tätigkeit mit Blickrichtung auf Noten, Instrument und Dirigent. Hinzu kommen instrumentenspezifische körperliche Beanspruchungen, die ihrerseits Ausgleichsbewegungen und -haltungen erheblich behindern können. Beispielsweise stellt für die hohen Streicher die Notwendigkeit der linkslastigen Anhebung des Instruments in der Horizontalen eine erheblich ungünstige Ausgangsposition für Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule dar, die nur schwierig zu kompensieren ist.

Die Erfahrung aus speziellen Sprechstunden für die medizinischen Probleme von Musikern macht zudem immer wieder deutlich, dass Wirbelsäulenbeschwerden kom-plexe Krankheitsbilder sind, in die andere körperliche und psychische Faktoren hin-einspielen. Bei fast der Hälfte der Musikerpatienten der eigenen Sprechstunde spielen Wirbelsäulenprobleme zumindest eine begleitende Rolle.

Ähnlich den Überlastungssyndromen der oberen Extremitäten gilt auch hier, dass in der akuten Phase der Beschwerden nicht versäumte Prozesse durchaus nachgeholt werden können und dürfen. Auch wenn in der Regel bei vielen Musikern eine wenig ausgebildete und gering trainierte Rückenmuskulatur die Basis für Rückenschmerzen bildet, so sollte deren ernsthaftes Training erst nach der Restitution an Angriff genommen werden.

Generell gilt, dass Musiker mit Rückenschmerzen unterschiedlicher Pathogenese auch wie Nicht-Musiker behandelt werden müssen. Ein wesentlicher Problempunkt bei Musikern ist jedoch die asymmetrische Beanspruchung durch unterschiedliche Instrumente. Beispielhaft sei die Querflöte für die Halswirbelsäule genannt, die gleichermaßen eine Linkstorsion und eine rechtsseitige Inklination erzwingt. Ähnliches betrifft die hohen Streicher in Abhängigkeit der Instrumentengröße und Ausbildung der Kinnhalter und Schulterstütze.

Zu große Instrumente erhöhen massiv die Belastung sowohl von HWS, BWS wie auch LWS.

Brust- und Lendenwirbelsäule sind ins-besondere bei Kontrabassisten und Gitarristen unter erheblicher asymmetrischer Spannung in Verbindung mit der deutlichen Linkstorsion. Bassisten neigen je nach Qualität der Bestuhlung zu einer funktionellen Gibbusbildung.

Bei den Holzbläsern besteht durch die Rundrückenbildung fördernde, ausladende ventrale Haltefunktion eine erhebliche Über-lastungsgefahr des BWS/LWS-Übergangs.

Auf der Basis verbesserter Ergonomie gilt es, eine Rückenschule einzubeziehen, die unter anderem anhand von Beispielen ver-mittelt, wie schwere Gegenstände angehoben und getragen werden sollten. Da Musiker in der Regel ihre Instrumente selbst transportieren, besteht auch hier die Gefahr einer Überlastung.

Die Praxis der Musikersprechstunde wie auch musikphysiologische Seminare an der Musikhochschule zeigen eindeutig, dass bei vorliegenden Rückenbeschwerden neben physiotherapeutischen Anstrengungen Kör-pertechniken wie Feldenkrais- und Alexan-dertechnik, aber auch eine Vielzahl anderer Verfahren sehr gewinnbringend eingesetzt werden können und sollen. Hier geht es auch um die Sensibilisierung für Körperbewegung und -haltung, wo diese Berufsgruppe zumindest zu einem großen Teil die-sen Themen, wie auch Sport im Allgemeinen nicht sehr aufgeschlossen gegenüber steht.

Erkrankungen der Hände

Die außergewöhnlichen exekutiven, moto-rischen Funktionen der Hand stellen dem Musiker allerdings nur einen Teil der Grund-lagen seiner musikalischen Fähigkeiten zu Verfügung. Als ein Sensororgan mit phänomenaler Auflösungskraft vermittelt die Hand, insbesondere über die Fingerkuppen, dem zentralen Nervensystem eine Fülle not-wendiger Daten zum räumlichen Erfassen verschiedenster Strukturen und Details des Musikinstruments. Dem Musiker dient dies zur Analyse von Fingerpositionen auf dem Instrument innerhalb von Sekundenbruchteilen, mit der Möglichkeit rascher Korrekturen – die feine Intonation beispielsweise auf Streichinstrumenten wäre ohne diese hohe Auflösungsfähigkeit der Fingerkup-pen gar nicht möglich. Auch die Bogenhand des Geigers erfordert klare räumliche und kinetische Vorstellungskraft, die nur durch eng beieinander liegende Rezeptoren möglich ist.

Dass neben den künstlerischen Kriterien ebenso individuelle physische und biomechanische Voraussetzungen der Hände des Musikers über Erfolg und Misserfolg mitentscheiden, ist evident. So können u. a. biomechanische Charakteristika, beispielsweise Einschränkungen der Spreizfähigkeit bestimmter Fingerkombinationen oder bei passiver und aktiver Supination, instrumen-taltechnische Schwierigkeiten oder aber auch die Ausbildung handchirurgisch relevanter Krankheitsbilder begünstigen.

Anamnese

Neben der üblichen handchirurgischen, neu-rologischen und rheumatologischen Anamneseerhebung sieht eine musikspezifische Anamnese Fragen zur individuellen Instru-mentalmethode und den damit verbundenen Techniken und Übegewohnheiten während des Instrumentalspiels bzw. Unterrichts in der Kindheit, Musikschule, Konservatorium, Hochschule und im Musikerberuf vor. Hin-zu kommen Fragen bezüglich Lehrerwechsel, zusätzlichen Instrumenten, Repertoire wie auch den eigenen Musikinstrumenten und ihren Charakteristiken, täglichen professionellen und privaten Aktivitäten, zukünftigen Auftritten, aber auch die psychosoziale Anamnese.

Oft geben bereits die diesbezüglichen Antworten weitgehenden Aufschluss über Ätiologie und Pathogenese der geschilderten Beschwerden und helfen im Diskriminierungsprozess zwischen Erkrankungen der Hand oder eher instrumentaltechnischen Problemen, wobei hier die Übergänge fließend sind.

Diagnostik

Neben den üblichen handchirurgischen Un-tersuchungstechniken, einschließlich einer Auswahl geeigneter Laboruntersuchungen, biomechanischer Beurteilung aktiver und passiver Bewegungsausmaße und Längenverhältnissen von Hand und Fingern, bildgebenden Verfahren, Bewegungsanalysen, 3-dimensionaler kinetischer und kinematischer Analyse von Technik und Aufführung, MIDI-Aufzeichnungen (MIDI = Musical Instrument Digital Interface: computergestützte Dokumentation von Tonhöhe, Dynamik und zeitlicher Präzision der Finger-aktionen durch im Instrument integriertes elektronisches Interface), Kraftplatten und Mehrkanal-EMG, sollte die erweiterte Unter-suchung instrumentenspezifisch angepasst werden.

Verletzungen

Im Gegensatz zu degenerativen Erkrankungen und Überlastungen des Bewegungsapparates sind Verletzungen der Weichteile und Knochen, insbesondere der oberen Ex-tremitäten, bei Musikern im Gegensatz zu Sportlern nur extrem selten direkt mit der Ausübung des Berufes verbunden. Wie die meisten Unfälle stellen sie eher zufällige Ereignisse dar. Dennoch muss hier bedacht werden, dass auch kleinere Verletzungen von Musikern als drastisch empfunden wer-den, insbesondere dann, wenn sie die Hand betreffen.

Da hier mögliche Konsequenzen für die musikalische Leistungsfähigkeit und besonders für die Feinmotorik zu befürchten sind, wird zu Recht auch schon bei geringen Verletzungsfolgen mit Sorge die optimale Therapie gesucht.

Musikermedizin und Arbeitsmedizin

25 Jahre eigener musikermedizinischer Tätigkeit zeigen zwar, dass ab und zu Musiker und Musikerinnen auch die Sprechstunde für Musiker nutzen, um eine zwischenzeitlich weniger geliebte Tätigkeit gegen einen vorgezogenen Ruhestand eintauschen zu können, ohne dass wirklich ausreichende medizinische Gründe dafür vorliegen mögen. Allerdings sind dies Ausnahmen.

Für den Betriebsarzt ist es wichtig zu wissen, dass bei vielen Berufsmusikern die geradezu gegensätzliche Verhaltensweise auftritt, nämlich bestehende Erkrankungen eher zu verheimlichen oder zu kaschieren. Mehr als in anderen Berufen liegt diesem Verhalten die Angst zugrunde, durch Bekanntwerden von körperlichen und psychischen Problemen Nachteile im Beruf zu erleiden. Dies betrifft bei festangestellten Orchestermusikern die Position innerhalb des Orchesters, wo gegebenenfalls eine Verdrängung an Randpositionen durch Jüngere befürchtet wird, oder aber bei freiberuflichen Musikern die Angst, nicht mehr engagiert zu werden, weniger prominent zu sein oder langfristig im Abseits zu stehen.

Präventive Arbeit von Betriebsärzten – z. B. der Rundfunkorchester – durch entsprechende Seminare zu Körpertechniken wie etwa nach Alexander oder Feldenkrais, aber auch zur Ergonomie am Arbeitsplatz Orchester oder zu einem ausgewogenen sportlichen und gymnastischen Engagement könnte sicherlich einen Teil musikerspezifischer Erkrankungen vermeiden.

Das Ernstnehmen und Besprechen auch kleinerer „Empfindlichkeiten“ im Bereich des Bewegungsapparats beim Spielen eines Instruments vertieft das Vertrauen zwischen Musiker und Arbeitsmediziner, auch wenn von medizinischer Seite in manchen Fällen das Wissen um die Feinheiten des Musizierens nicht ausgeprägt sein mag. Vieles, was für Arbeitsmediziner in anderen Berufen als eher hypochondrisch und mimosenhaft einzustufen sein könnte, mag bei Musikern durchaus berechtigt und mit einer späteren Berufsunfähigkeit bedroht sein. Aussagen gegenüber beispielsweise im Bereich der linken Hand beeinträchtigten Geigern, man könne ja auch mal für einige Zeit die rechte Hand zum Greifen nehmen, schaffen kein Klima des Vertrauens – kommen aber leider immer wieder vor.

Betriebsärzte und Arbeitsmediziner sollten sich nicht scheuen, die spezifische Hilfe-stellung musikermedizinischer Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, wenn sie sich von ratsuchenden, kranken Musikern überfordert fühlen. Seit zwanzig Jahren existiert in Deutschland die Deutsche Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin (s. Weitere Infos), die ein bundesweites Netz etabliert hat, in dem entsprechende Vermitt-lungen vorgenommen werden können. 

Literatur

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    Info

    Behandlungsphasen bei einem Überlastungssyndrom der oberen Extremität bei Musikern

    1. Phase: Erkenntnis und Akzeptanz der Behandlungsbedürftigkeit

    2. Phase: Reduktion von prädisponierenden Faktoren 1

    3. Phase: Erlangung der Schmerzfreiheit

    4. Phase: Reduktion von prädisponierenden Faktoren 2

    5. Phase: Aufbau von Feinmotorik und musikalischer Technik, Retraining

    6. Phase: Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung erneuter Erkrankungen

    Weitere Infos

    Deutsche Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin

    https://dgfmm.org/

    Autor

    Prof. Dr. med. Jochen Blum

    Zentrum für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie

    Klinikum Worms, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Mainz

    67550 Worms

    jochen.blum@klinikum-worms.de

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