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Arbeitsmedizinische Vorsorge zu Blei

Einleitung

Durch die Verabschiedung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) im Jahr 2008 sowie deren Novellierung im Jahr 2013 hat sich das Konzept der arbeitsmedizinischen Vorsorge in Deutschland grundlegend verändert. Früher wurde die arbeitsmedizinische Vorsorge als Vorsorgeuntersuchung in einzelnen Rechtsverordnungen (z. B. Gefahrstoffverordnung, Biostoffverordnung) geregelt, bevor die entsprechenden Inhalte in einer gesonderten Verordnung, der ArbMedVV, zusammengefasst und neu konzipiert wurden. Handlungsempfehlungen zur Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung waren früher in den DGUV-Grundsätzen für arbeitsmedizinische Untersuchungen zusammengefasst. Diese Grundsätze sollten den Betriebsärztinnen und -ärzten eine Grundlage für eine qualitativ einheitliche Vorgehensweise bei der Durchführung arbeitsmedizinischer Untersuchungen liefern. Zum Beispiel waren für Blei entsprechende Handlungsempfehlungen (u. a. Untersuchungsanlässe, Untersuchungsumfang Untersuchungsfristen, Beurteilungsempfehlungen) im Grundsatz „G2 Blei oder seine Verbindungen“ zusammengefasst. Mit Inkrafttreten der ArbMedVV wurde die arbeitsmedizinische Vorsorge neu konzipiert. Wesentlich war hierbei die Verschiebung der Schwerpunkte bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge, von der „Untersuchungsmedizin“ hin zur „Beratungsmedizin“. Zudem wird seit Inkrafttreten der ArbMedVV sehr stark zwischen Eignungsuntersuchungen und arbeitsmedizinischer Vorsorge differenziert.

Allgemeine Vorgaben der arbeitsmedizinischen Vorsorge gemäß ­ArbMedVV

Ziel der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge gemäß ArbMedVV ist es, durch Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge arbeitsbedingte Erkrankungen einschließlich Berufskrankheiten frühzeitig zu erkennen und zu verhüten. Arbeitsmedizinische Vorsorge soll zugleich einen Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und zur Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes leisten. Der Betrieb hat auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge zu sorgen. Zur Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorge müsse die Ärztinnen und Ärzte berechtigt sein, die Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“ oder die Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ zu führen. Vor der Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorge müssen sie sich die notwendigen Kenntnisse über die Arbeitsplatzverhältnisse verschaffen.

Neben der Anamnese und der Beratung der Beschäftigten haben Ärztinnen und Ärzte vor der Durchführung körperlicher oder klinischer Untersuchungen deren Erforderlichkeit nach pflichtgemäßem ärztlichem Ermessen zu prüfen und die Beschäftigten über die Inhalte, den Zweck und die Risiken der Untersuchung aufzuklären. Bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen kann Biomonitoring Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge sein, soweit dafür arbeitsmedizinisch anerkannte Analyseverfahren und geeignete Werte zur Beurteilung zur Verfügung stehen. Arbeitsmedizinische Untersuchungen, wie zum Beispiel das Biomonitoring, dürfen jedoch nicht gegen den Willen der Beschäftigten durchgeführt werden. Schwerpunkt der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist die individuelle ärztliche Beratung. Nach der arbeitsmedizinischen Vorsorge haben Ärztinnen und Ärzte unter anderem den Beschäftigten und dem Betrieb eine Vorsorgebescheinigung darüber auszustellen, dass, wann und aus welchem Anlass ein arbeitsmedizinischer Vorsorgetermin stattgefunden hat. Die Vorsorgebescheinigung enthält auch die Angabe, wann eine weitere arbeitsmedizinische Vorsorge aus ärztlicher Sicht angezeigt ist. Eine ärztliche Beurteilung – ähnlich wie bei den früheren Grundsatzuntersuchungen – enthält die Vorsorgebescheinigung für den Betrieb nicht, eine solche würde einen Bruch der ärztlichen Schweigepflicht bedeuten.

Die arbeitsmedizinische Vorsorge unterscheidet zwischen der Pflichtvorsorge, der Angebotsvorsorge und der Wunschvorsorge.
Die Vorsorgeanlässe sind in Abhängigkeit der Art der Vorsorge (Pflicht- oder Angebotsvorsorge) im Anhang der ArbMedVV aufgelistet (s. „Weitere Infos“). Der Betrieb darf eine Tätigkeit nur ausüben lassen, wenn die Beschäftigten an der Pflichtvorsorge gemäß den Vorsorge­anlässen des Anhangs der ArbMedVV teilgenommen haben. Angebotsvorsorge muss der Betrieb bei weniger gefährdenden Tätigkeiten anbieten, die Beschäftigten können jedoch über eine Teilnahme selbst entscheiden. Eine Sonderform der Angebotsvorsorge ist die nachgehende Vorsorge. Hier hat der Betrieb Beschäftigten sowie ehemals Beschäftigten nach Maßgabe des Anhangs der ArbMedVV nach Beendigung bestimmter Tätigkeiten, bei denen nach längeren Latenzzeiten Gesundheitsstörungen auftreten können, eine nachgehende Vorsorge anzubieten. Diese betrifft insbesondere Tätigkeiten mit einer Exposition gegenüber krebserzeugenden Arbeitsplatzeinflüssen. Zudem sieht die ArbMedVV über die Vorsorgeanlässe des Anhangs hinaus eine Wunschvorsorge vor. Der Betrieb hat hiernach den Beschäftigten auf ihren Wunsch hin regelmäßig arbeitsmedizinische Vorsorge zu ermöglichen, es sei denn, aufgrund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der getroffenen Schutzmaßnahmen ist mit keinem Gesundheitsschaden zu rechnen.

Einzelne Sachverhalte der ArbMedVV werden in arbeitsmedizinischen Regeln (AMR) präzisiert (s. „Weitere Infos“). AMR geben den Stand der Arbeitsmedizin und sonstige gesicherte arbeitsmedizinische Erkenntnisse wieder. Bei Einhaltung der AMR kann der Betrieb davon ausgehen, dass die in der AMR konkretisierten Anforderungen der ArbMedVV erfüllt sind (Vermutungswirkung). Wählt das Unternehmen eine andere Lösung, muss es damit mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreichen.

In der AMR Nr. 2.1 sind die Fristen für die Veranlassung (Pflichtvorsorge) beziehungsweise das Angebot (Angebotsvorsorge) für die arbeitsmedizinische Vorsorge festgelegt.

Bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen wird unter anderem für die Pflichtvorsorge gemäß ArbMedVV auf die Arbeitsplatzgrenzwerte verwiesen. Diese werden vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) aufgestellt und sind in der Gefahrstoffverordnung und den dazu vorliegenden Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) aufgeführt.

Arbeitsmedizinische Vorsorge für Blei gemäß ArbMedVV

Die aktuelle ArbMedVV sieht eine Pflichtvorsorge für Tätigkeiten mit Exposition gegenüber Blei und anorganischen Bleiverbindungen bei Überschreitung einer Luftkonzentration von 75 µg/m3 vor. Eine Angebotsvorsorge ist bei Tätigkeiten mit einer Exposition gegenüber Blei und anorganischen Bleiverbindungen bei Einhaltung einer Luftkonzentration von 75 µg/m3 anzubieten. Da Blei und seine anorganischen Verbindungen unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seit Juni 2006 als krebserzeugend (Kategorie 2) eingestuft ist (s. „Weitere Infos“), sieht der Anhang der ArbMedVV für Tätigkeiten mit Exposition gegenüber Blei oder anorganischen Bleiverbindungen eine nachgehende Vorsorge vor. (Die aktuellen Änderungen des MAK- und BAT-Wertes wurden erst am 01.07.2021 veröffentlicht und waren dem Autor bei Druck nicht bekannt.)

Blei und seine anorganischen Verbindungen können sowohl über die Atemwege als auch oral in den menschlichen Körper aufgenommen werden, die Aufnahme über die Haut ist bei Blei und anorganischen Bleiverbindungen nicht relevant. Bei Tätigkeiten mit einer Bleiexposition kann in Abhängigkeit der arbeitshygienischen Verhältnisse eine Bleiaufnahme sowohl über die Inhalation von bleihaltigen Dämpfen, Stäuben und Rauchen aus der Luft am Arbeitsplatz als auch über das Zigarettenrauchen und eine Nahrungsaufnahme mit kontaminierten Händen erfolgen. Zudem scheint auch kontaminierte Kleidung die Bleiaufnahme zu beeinflussen. Es verwundert daher nicht, dass an entsprechenden Arbeitsplätzen die Luftbleikonzentrationen nicht mit der internen Bleibelastung, gemessen durch die Blutbleikonzentrationen, korreliert (Kentner u. Fischer 1994).

Prinzipiell ist zu beachten, dass im Rahmen des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz der Betrieb zunächst an den entsprechenden Arbeitsplätzen alle Maßnahmen zu treffen hat, um eine relevante Bleiaufnahme zu verhindern. Das STOP-Prinzip1 ist hierbei zu berücksichtigen. Die arbeitsmedizinische Vorsorge kann diese Maßnahmen nur begleiten. Ärztinnen und Ärzte haben die Erkenntnisse der arbeitsmedizinischen Vorsorge auszuwerten. Ergeben sich dabei Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahmen des Arbeitsschutzes, beispielsweise bei Tätigkeiten mit Exposition gegenüber Blei und anorganischen Bleiverbindungen, für die Beschäftigten nicht ausreichen, so muss dies dem Betrieb mitgeteilt und Maßnahmen des Arbeitsschutzes vorgeschlagen werden. Die ärztliche Schweigepflicht ist hierbei selbstverständlich einzuhalten.

In der TRGS 505 „Blei“ weist der AGS unter anderem darauf hin, dass der Gehalt an Blei im Blut von exponierten Beschäftigten eine unzureichende Korrelation mit Blei in der Luft am Arbeitsplatz aufweist, so dass kein Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) in der Luft abgeleitet werden kann. Daher wurde in Deutschland kein AGW für Blei und seine anorganischen Verbindungen in der Luft festgelegt. Nach der EU-Richtlinie 98/24/EG beträgt daher der verbindliche Luftgrenzwert 150 μg Blei/m3. Es handelt sich hierbei um eine maximale Obergrenze in der Luft am Arbeitsplatz. Dieser Wert ist jedoch nicht gesundheitsbasiert und entspricht zudem nicht dem Stand des Wissens und der Technik (Ausschuss für Gefahrstoffe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2007, siehe „Weitere Infos“).

Wie oben aufgeführt, ist es unter anderem Ziel der ArbMedVV, arbeitsbedingte Erkrankungen einschließlich Berufskrankheiten frühzeitig zu erkennen und zu verhüten.
Die aktuell in der ArbMedVV aufgeführte Auslöseschwelle für Blei von 75 µg/m3 ist nicht gesundheitsbasiert und kann daher nur sehr bedingt dazu beitragen, dass die Ziele der ArbMedVV erreicht werden.

Für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz bei Tätigkeiten mit einer Exposition gegenüber Blei wäre daher die Einhaltung eines gesundheitsbasierten biologischen Grenzwertes (BGW) im Blut von 150 μg/l sehr viel besser geeignet (Ausschuss für Gefahrstoffe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2017, siehe „Weitere Infos“). Da es sich jedoch bei den Ergebnissen von Biomonitoringuntersuchungen um Indivi­dualwerte handelt, die gegebenenfalls erst im Rahmen einer arbeitsmedizinischen Vorsorge ermittelt werden, sind diese als Auslöseschwelle für die Pflichtvorsorge ungeeignet.

Die Ausschüsse für Arbeitsmedizin (AfAMed) und Gefahrstoffe (AGS) diskutieren aktuell, wie die Auslöseschwelle für
die Pflichtvorsorge bei Tätigkeiten mit Blei und seinen anorganischen Verbindungen optimiert werden kann. Die mögliche Lösung ist nicht trivial, da es schwierig ist, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in den aktuell geltenden Rechtsverordnungen für Tätigkeiten mit einer Exposition gegenüber Blei und seine anorganischen Verbindungen abzubilden. Mögliche Lösungswege könnten sein, den Luftgrenzwert als Auslöseschwelle deutlich abzusenken oder Tätigkeiten zu beschreiben, die mit einer regelmäßigen relevanten Bleiexposition einhergehen.

Ausblick

Bis hierzu eine entsprechende Regelung getroffen wird, gilt weiterhin als Auslöseschwelle für eine Pflichtvorsorge bei Tätigkeiten mit einer Exposition gegenüber Blei und seinen anorganischen Bleiverbindungen die Überschreitung einer Luftkonzentration von 75 µg/m3. Unabhängig davon ist die Einhaltung der erforderlichen Arbeitshygiene von Beschäftigten mit einer Bleiexposition besonders wichtig. Zudem kann sicherlich das Biomonitoring, zum Beispiel im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge, zur Objektivierung und Quantifizierung der individuellen Bleiaufnahme, wesentlich zum Gesundheitsschutz bei entsprechenden Tätigkeiten beitragen.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Kentner M, Fischer T: Exposure to lead at work: significance of different biomonitoring parameters Occupational Hygiene, 1994; 1; 219–240.

Weitere Infos

BMAS: Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV), 2019
https://www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/ArbMedVV.pdf

BAuA: Arbeitsmedizinische Regeln
https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

BAuA: AMR Nr. 2.1 Fristen für die Veranlassung/das Angebot arbeitsmedizinischer Vorsorge
https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

Ständige Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe: MAK- und BAT-Werte-Liste 2020
https://series.publisso.de/sites/default/files/documents/series/mak/lmb…

Ausschuss für Gefahrstoffe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2007): TRGS 505: Blei
https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

Ausschuss für Gefahrstoffe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Begründung zu Blei in TRGS 903. 2017 >
https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

Kontakt

Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel
Universitätsmedizin der ­Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Institut für  Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin; Obere Zahlbacher Str. 67; 55131 Mainz

Foto: Universitätsmedizin Mainz

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