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Arbeitssicherheit

Der Einfluss von Lieferketten auf Arbeitsbedingungen

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The Influence of Supply Chains on Working Conditions

Das LIFT-OSH-Projekt der EU-OSHA

Das LIFT-OSH-Projekt (Leverage Instruments for Occupational Safety and Health) der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (EU-OSHA) untersucht den Einfluss von Lieferketten auf die Arbeitsbedingungen im Baugewerbe und der Landwirtschaft. Es wird von einem internationalen Forschungskonsortium unter der Leitung von Prof. Peter Hasle (University of Southern Denmark) durchgeführt. In einem ersten Schritt wird eine umfassende Literaturrecherche des empirischen Forschungsstands zu marktbedingten Einflussfaktoren auf die Arbeitssicherheit in beiden Branchen erstellt (Walters et al. 2021).

Im weiteren Verlauf den LIFT-OSH-Projekts werden dazu 32 Fallstudien aus sieben verschiedenen europäischen Ländern erstellt, die mit strukturierten Interviews und Arbeitsplatzanalysen die konkreten Rahmenbedingungen jeder Kunden-Lieferanten-Beziehung sowie deren Auswirkungen auf die Prävention analysieren. Eine Reihe von begleitenden Workshops mit den wichtigsten europäischen Stakeholdern (z. B. Sozialpartner, Unternehmen, Aufsichtsbehörden) wird die anwendungsnahe Umsetzbarkeit der Ergebnisse sicherstellen und Best Practices identifizieren, bei denen die beteiligten europäischen Länder voneinander profitieren können. Die Ergebnisse dieser Studie können sowohl für das interne Arbeitsschutz-Management mit Zulieferern als auch für die Entwicklung von übergreifenden Multi-Stakeholder-Ansätzen relevant sein.

Einfluss der Lieferketten

Unternehmen hängen heutzutage immer stärker von nationalen und internationalen Lieferketten ab, wie der Öffentlichkeit nicht zuletzt durch die Covid-19-Pandemie und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bewusster wird. Die Beziehungen zwischen Kunden und Lieferanten entscheiden in einem großen Ausmaß über die Rahmenbedingungen und den Entscheidungsspielraum von Unternehmen, inklusive Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit. Der starke Wettbewerbs- und Preisdruck führt oft zu schlechteren Arbeitsbedingungen in der Lieferkette, je weiter die Zulieferer vom Endkunden entfernt sind. In den letzten Jahren wurden dazu viele Beispiele aus Entwicklungsländern in den Medien beschrieben, wie etwa der Rana-Plaza-Unfall (Bird et al. 2019) in der Textilindustrie von Bangladesch. Zunehmend gibt es auch Beispiele aus
europäischen Ländern, wie bei Erntehelfern in Spanien und Italien, bei Scheinselbstständigen in der deutschen Fleischindustrie oder europaweit bei vielen Beschäftigten auf Baustellen, die in prekären Verhältnissen arbeiten müssen. Als Reaktion darauf wurden verschiedene Maßnahmen entwickelt, die entweder direkten Einfluss auf das Verhältnis von Kunden und Lieferanten nehmen, oder auch zunehmend Maßnahmen, die auf na­tionalen oder internationalen Regulierungen beruhen.

Basierend auf der Supply-Chain-Manage­ment-Literatur (Hasle et al. 2014) werden die folgenden zwei direkten Einflussfaktoren in den Kunden-Lieferanten-Beziehungen unterschieden (➥ Abb. 1):

  • Vertragliche Einflüsse: Verschiedene Formen der Auftragsvergabe sowie formale Überprüfungen und Pre-Qualifizierungen der Zulieferer und Dienstleister, einschließlich einer tatsächlichen Überprüfung der Arbeitsprozesse.
  • Beziehungseinflüsse: Verschiedene Formen der informellen Beziehungen zwischen Kunden und Lieferanten, die auf die Erhöhung der Qualifizierung im Arbeits- und Gesundheitsschutz zielen sowie auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
  • Hybride Formen: Beide Einflussfaktoren treten oft in hybrider Form auf, mit Elementen aus beiden Faktoren.
  • Darüber hinausgehend gibt es indirekte Einflussfaktoren der Lieferkettensteuerung, die von externen Stakeholdern ausgeübt werden, wie etwa:

  • nationale Gesetzgebung und Regulierung zu Lieferketten (z. B. in Deutschland „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten),
  • internationale Gesetzgebung und Regulierung (z. B. EU-Richtlinien, internationale Normen, Nachhaltigkeits-Index),
  • Arbeits- und Tarifrecht (z. B. Regelungen gegen prekäre Arbeitsbedingungen),
  • öffentlicher Druck (z. B. durch Medien, Nichtregierungsorganisationen – NGOs).
  • Lieferketten im Landwirtschafts- und Lebensmittelbereich (Agri-Food)

    In der EU stehen die Lieferketten im Landwirtschafts- und Lebensmittelbereich (Agri-Food) für 5,5 % des Bruttoinlandsprodukts und beschäftigen 23 Millionen Erwerbstätige. Der Sektor wird dominiert von einigen Großkonzernen im Handel und in der Lebensmittelindustrie, die überwiegende Mehrheit der Betriebe ist jedoch relative klein mit einem Durchschnitt von 16 Beschäftigten.

    Supermarktketten und große Lebensmittelmarken sehen sich einem hohen Reputationsrisiko ausgesetzt, das eine Hauptmotivation für ihre Aktivitäten im Bereich Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit darstellt. Allerdings liegt das Hauptaugenmerk für die Reputation eher bei Nahrungsmittelsicherheit sowie Umwelt- und Tierschutzaspekten.

    Die Literaturstudie wird in diesem Projekt durch Stakeholder-Interviews ergänzt, um weitere Fallstudien zu identifizieren sowie die Einschätzungen und Erfahrungen der Expertinnen und Experten zu den Lieferketten zu nutzen. Vertreterinnen und Vertreter aus dem Gewerkschaftsbereich äußerten, dass es schwierig sei, die Arbeitnehmervertretungen für das Thema Arbeitssicherheit in Lieferketten zu interessieren. Gewerkschaften repräsentieren die Interessen ihrer Mitglieder, und Überprüfungen der Arbeitsbedingungen in der Lieferkette würden meistens den „CSR-Abteilungen überlassen“1. Des Weiteren sind die Beschäftigten im Agri-Food-Sektor oft schlecht organisiert und arbeiten unter prekären Bedingungen, der Wettbewerbs- und Preisdruck ist enorm. Hilfreich könnten neue Zertifikate und Kennzeichnungen bei Lebensmitteln sein, die Wert auf gute Arbeitsbedingungen legen und auf diese Weise große Handelsketten bewegen könnten, bevorzugt bei solch zertifizierten Betrieben einzukaufen. Dies belegt auch der bisherige Erfolg von gekennzeichneten Lebensmitteln aus biologischem Anbau.

    Lieferketten im Baubereich

    Die Bauindustrie ist einer der größten Wirtschaftsbereiche in der EU, sie erbringt ca. 9 % des Bruttoinlandsprodukts und ist verantwortlich für 16 Millionen Beschäftigte. Ebenso wie im Agri-Food-Bereich dominieren einige multinationale Konzerne den Sektor, die internationale Infrastrukturprojekte und andere Großaufträge durchführen. Die große Mehrheit der Unternehmen ist allerdings sehr klein und hat im Durchschnitt lediglich vier Mitarbeiter.

    Die Forschung wurde im Baubereich ebenfalls durch eine Reihe von Stakeholder-Interviews ergänzt. Mehrere Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften wiesen auf das gleiche Dilemma hin. Selbst wenn in größeren öffentlichen oder privaten Ausschreibungen explizit Arbeitsschutzkriterien für die Auftragsvergabe genannt werden, wird am Ende fast immer dem Angebot mit dem geringsten Preis der Zuschlag gegeben. Insgesamt sehen die Sachverständigen aus den Gewerkschaften die Einhaltung von grundlegenden Arbeitsschutzanforderungen in der EU recht gut umgesetzt (z. B. bei der persönlichen Schutzausrüstung,
    PSA), da es effektive Kontrollen und Vorschriften gäbe. Allerdings stehe hier mehr der Einfluss von Regulierung und weniger der wirtschaftliche Einfluss im Vordergrund, da Letzterer stark auf dem „guten Willen“ und eigenen Ermessensspielraum der Unternehmen beruht.

    Bauunternehmen müssen einer Reihe von Normen und Regulierungen im Bereich Qualität, Umwelt, Klima und Produktsicherheit entsprechen, was zur Entwicklung eines neues Berufsfelds in mittleren und größeren Bauunternehmen führte (Uhrenholdt-Madsen et al. 2019). Hierunter fallen zum Beispiel die Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinatorinnen und -koordinatoren (SiGeKo), die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz auf Baustellen zuständig sind und deren Bestellung seit 1998 in der Baustellenverordnung (BaustellV) geregelt ist. Sie spielen eine immer wichtigere Rolle bei größeren Bauprojekten, wobei die europäischen Qualifikationsprofile noch nicht miteinander harmonisiert sind, was insbesondere bei internationalen Großprojekten ein Problem darstellt.

    Diskussion

    Der Bau- und der Lebensmittelbereich sind durch zwei verschiedene Lieferketten gekennzeichnet. Einerseits werden in beiden Branchen ähnliche Instrumente eingesetzt, wie wirtschaftliche Anreize, Corporate Social Responsibility Reporting und Auditierungen, um die funktional fragmentierten geografisch verteilten Lieferketten zu steuern. Anderseits gibt es sektorspezifische Instrumente wie Sicherheitspässe auf Baustellen und Siegel-Kennzeichnungen im Lebensmittelbereich. Beiden Branchen gemeinsam sind eine hohe Arbeitnehmermobilität und viele Beschäftigte, die unter prekären Arbeitsbedingungen arbeiten und zu einem großen Anteil einen Migrationshintergrund besitzen. Neben dem Einfluss von staatlicher Regulierung und Kontrolle im Arbeitsschutz gerät zunehmend der Einfluss der Lieferketten in den Fokus. Dies ist wiederum in manchen Ländern durch Gesetze reguliert, wie etwa in Deutschland mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist.

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Apparies RJ, Riniolo TC, Porges SW: A psychophysiological investigation of the effects of driver longer-combination vehicles. Ergonomics 1998; 41: 581–592.

    Bird Y, Short JL, Toffel MW: Coupling labor codes of conduct and supplier labor practices: The role of internal structural conditions. Organization Science 2019; 30: 847–867.

    Hasle P, Limborg HJ, Nielsen KT: Working environment interventions: Bridging the gap between policy instruments and practice. Safety Science 2014; 68: 73–80.

    Uhrenholdt Madsen C, Hasle P, Limborg HJ (2019). Professionals without a profession: Occupational safety and health professionals in Denmark. Safety Science, 2019; 113: 356–361.

    Walters D, Johnstone R, Bluff E, Limborg HJ, Gensby U (2021). Improving compliance with occupational safety and health regulations: an overarching review. EU-OSHA (Open Access: https://osha.europa.eu/en/publications/improving-occupational-safety-an…).

    doi:10.17147/asu-1-309274

    Weitere Infos

    Einschlägige Veröffentlichungen der EU-OSHA mit Einblicken in die Sicherstellung der Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften
    https://osha.europa.eu/en/publications?f%5B0%5D=facet_tags%3A181

    Kernaussagen

  • In Lieferketten können Kundinnen und Kunden die Sicherheit und Gesundheit der Arbeit
    bei Lieferanten maßgeblich positiv beeinflussen.
  • Die Kundinnen und Kunden können Einfluss über vertragliche Vereinbarungen und informelle Beziehungen ausüben, wobei in vielen beide Einflussfaktoren in hybrider Form auftreten.
  • Die Verantwortung der Kundinnen und Kunden wird in einigen Ländern schon gesetzlich
    verankert, wie in Deutschland mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, eine EU-weite Regelung ist derzeit im Gesetzgebungsprozess.
  • Im Bau- und Lebensmittelbereich werden einerseits ähnliche Instrumente eingesetzt, wie wirtschaftliche Anreize, CSR und Auditierungen, andererseits gibt es sektorenspezifische Ansätze wie Sicherheitspässe auf Baustellen und Siegel-Kennzeichnungen im Lebensmittelbereich.
  • Kontakt

    Dr. Dietmar Elsler
    Senior Research Project Manager; Prevention and Research Unit; European Agency for Safety and Health at Work; Santiago de Compostela; 1248003 Bilbao, Spain

    Foto: privat

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